
Der russische Angriffskrieg hat im Leben der Ukrainerinnen und Ukrainer tiefe Spuren hinterlassen. Minderheiten der Ukraine Halt geben! Foto: Oleksandr Rakushnyak/EU/Flickr, CC BY-NC-ND 2.0
Mariupol liegt in Trümmern. Die russische Armee hat die 500.000-Einwohner-Stadt und die umliegenden Dörfer im Südosten der Ukraine in Schutt und Asche gebombt. Wie Coventry, Guernica, Dresden, Grosny und Aleppo wurde Mariupol komplett zerstört, kaum ein Stein steht dort noch auf dem anderen. Zehntausende Menschen haben ihr Leben verloren, niemand hat die Toten bisher genau gezählt.
Das Schicksal der Zivilbevölkerung im Krieg ist furchtbar. Doch die überlebenden nordasowschen Griechen aus Mariupol könnten noch mehr verlieren: Die Stadt in der Region Donezk und die Ortschaften ringsum waren die Heimat dieser Minderheit. In alle Winde zerstreut, fehlen den nordasowschen Griechen jetzt die Sicherheit und Geborgenheit ihrer Gemeinschaft. Niemand sonst spricht ihre Sprache, niemand sonst feiert ihre Feste, singt ihre Lieder, kocht so wie sie. Ihrer einzigartigen Kultur droht der Untergang, wenn nicht außerordentliche Anstrengungen zu ihrer Rettung unternommen werden. Die nordasowschen Griechen müssen jetzt wieder zusammenfinden, um diesen Krieg als Gemeinschaft zu überstehen – so wie die anderen Minderheiten der Ukraine. Sie müssen ihre Toten betrauern, aber auch eine Zukunft gestalten, ohne sich ganz zu verlieren. Wir unterstützen sie dabei.
Bitte helfen Sie mit Ihrer Spende, die Minderheiten der Ukraine vor ihrem Untergang zu bewahren: Unterstützen Sie unsere Menschenrechtsarbeit für Vertriebene und Angehörige von Minderheiten und indigenen Völker jetzt!
„Die Region Donezk ist die einzige Gegend, in der viele von uns dicht zusammenleben. Jetzt haben wir Angst, dass besonders viele Angehörige unserer Minderheit in Mariupol umgekommen sind“, sagt Olga Tsuprykova. Die meisten der 100.000 bis 150.000 nordasowschen Griechen, die sich auf die Untergruppen der Urum und der Rumei verteilen, lebten in der Hafenstadt und den umliegenden 75 Dörfern. Rund 30.000 von ihnen sind – wie Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer – innerhalb des Landes auf der Flucht. Oft mussten sie ihr Zuhause überstürzt verlassen, Familien wurde auseinandergerissen – und so auch ihre Gemeinschaft. Die Region Donezk, ihre Städte und Dörfer waren für die nordasowschen Griechen die Wurzeln ihrer gemeinsamen Identität. Nur dort hatten sie Vereine, gemeinsame Feste und Bräuche, die sie miteinander verbanden. Nun versuchen sie, weit entfernt von ihrer Heimat, erneut Halt zu finden.
„Wir müssen an einem fremden Ort einen neuen Lebenssinn finden“, sagt Olga Tsuprykova. Deshalb gründete sie im August 2022, sechs Monate nach dem russischen Angriff auf die gesamte Ukraine, gemeinsam mit dem Sprachenforscher Oleksandr Rybalko die Initiative Nadasowski.Swoji (Nord-Azow-Volk. Unser Volk). Sie organisieren Kulturveranstaltungen, versuchen, das Bewusstsein für die Minderheit zu schärfen, und setzen sich aktiv für den Erhalt der ethnischen Identität, der Sprachen und der Kultur ein. Im April 2024 wurde ihre Graswurzelaktion zu einer offiziell registrierten Nichtregierungsorganisation mit dem Namen „North Azovian Greeks: Urums and Roumeans“.
Über 100 Minderheiten und indigene Völker leben im Vielvölkerstaat Ukraine. Krimtataren, Juden, Roma, Deutsche, Polen, Rumänen, Ungarn, Russen und Belarussen gehören dazu – und auch die nordasowschen Griechen.
Deren Ursprünge gehen weit zurück: Schon im 7. Jahrhundert siedelten sich Griechen an der Schwarzmeerküste an. Doch seit dem Ende des 18. Jahrhunderts dominieren Vertreibung, Unterdrückung und Diskriminierung ihre Geschichte. Vom Russischen Reich wurde die Minderheit von der Krim vertrieben und ließ sich an der Nordküste des Asowschen Meeres nieder. Dort gründeten sie Mariupol. Nach einer kurzen Phase der Hoffnung in den Anfangsjahren der Sowjetzeit traf die Brutalität des Stalinismus die nordasowschen Griechen mit voller Härte. In der „griechischen Operation“ tötete die sowjetische Geheimpolizei rund 5.000 Angehörige der Minderheit, darunter fast die gesamte intellektuelle Elite.
Nach den Jahren des Terrors beschlossen viele nordasowsche Griechen, ihre wahre Identität zu verschleiern. Sie änderten ihre Namen und vermieden es, mit ihren Kindern ihre Muttersprache zu sprechen. „Unsere beiden Sprachen Urum und Rumei sind vom Aussterben bedroht. Es gibt keine standardisierte Form. Die Sprachen wurden nie ins formale Bildungssystem aufgenommen“, sagt Oleksandr Rybalko. Durch den hohen Assimilationsdruck ist Russisch die Muttersprache der überwiegenden Mehrheit. Erst nach dem Kriegsbeginn im Osten der Ukraine 2014 entschieden sich viele bewusst dafür, Ukrainisch zu lernen.
„Für uns ist es wichtig, dass man auch in der Ukraine versteht, wer wir sind. Nur, wenn wir von der Mehrheitsgesellschaft und auch von der Regierung überhaupt gesehen werden, können wir unsere einzigartige Kultur erhalten“, erklärt Olga Tsuprykova. Wenn, wie im Fall der nordasowschen Griechen, fast alle Angehörigen einer Minderheit dort leben, wo der Krieg am schlimmsten wütet, ist das Überleben der ganzen Gemeinschaft in Gefahr.
Auch andere Minderheiten in der Ukraine sind vom Krieg betroffen: Die rund 400.000 Roma standen schon vor dem Krieg ganz unten auf der sozialen Leiter. Viele von ihnen mussten fliehen und leben jetzt verstreut in provisorischen Unterkünften – ohne den Zusammenhalt ihrer Gemeinschaft. Die Lage der Vertriebenen ist katastrophal: Viele Kinder können nicht in die Schule gehen, Erwachsene finden keine Arbeit.
Auch die Krimtataren leiden enorm unter den Folgen des Krieges: Ihre Heimat, die Halbinsel Krim, ist seit 2014 von Russland besetzt. Zehntausende flohen, weil sie dort systematisch verfolgt werden. Die politische und kulturelle Führung ist entweder im Exil oder sitzt in russischen Gefängnissen. Auch deshalb ist es so wichtig, dass die Stimme der Minderheiten immer gehört wird, wenn man über die Ukraine spricht. Dafür sorgen wir!
Diese Kampagne wurde im Juli 2024 lanciert.
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