Kanadische indigene Frauen haben nach Jahrzehntelangem Kampf einen großen Sieg errungen: Am 1. September 2016 hat die Nationale Untersuchungskommission zu den vermissten und ermordeten indigenen Frauen ihre Arbeit aufgenommen. Foto: kris krüg via Flickr CC BY-NC-ND 2.0

September 2016

Im Sommer 2014 löste der Mord an der 15-jährigen Tina Fontaine in Kanada eine landesweite Debatte aus über die erschreckend hohe Zahl von vermissten und ermordeten indigenen Frauen. Es war nicht die erste Diskussion über das Thema, aber sie war voller Empörung und Wut. Mal wieder war eine junge indigene Frau Opfer eines Gewaltverbrechens geworden; mal wieder hatten die staatlichen Behörden versagt. Denn in den vergangenen Jahrzehnten sind mindestens 1.200 indigene Frauen und Mädchen spurlos verschwunden oder ermordet wieder aufgefunden worden.

Forderungen nach einer nationalen Untersuchungskommission über die vielen indigenen Frauen, die in den vergangenen Jahrzehnten überall in Kanada verschwunden und Opfer von Gewaltverbrechen geworden sind, wurden lauter. Auch die schändlich unterlassene Hilfeleistung der staatlichen Behörden sorgt für große Wut in den indigenen Gemeinden. Jetzt, zwei Jahre nach dem tragischen Tod von Tina Fontaine, wird die Forderung endlich umgesetzt. Carolyn Bennett, kanadische Ministerin für indigene Angelegenheiten und die Entwicklung des Nordens (DIAND), gab im August bekannt, dass die Nationale Untersuchungskommission zu den vermissten und ermordeten indigenen Frauen am 1. September 2016 ihre Arbeit aufnimmt. Ende 2017 soll bereits ein Zwischenbericht, Ende 2018 dann der Abschlussbericht vorliegen.

Die Regierung von Premier Stephen Harper hatte sich stets geweigert, diese Tragödie als nationale Frage zu behandeln – ein Affront für die Hinterbliebenen. Sein Nachfolger Justin Trudeau wollte dies ändern. Wenige Wochen nach seinem Wahlsieg im Herbst 2015, der auch zehn indigene Abgeordnete und zwei indigene Minister zu Amt und Würden brachte, verkündete Trudeau am 8. Dezember 2015 die Einrichtung einer staatlichen Kommission, die die Verbrechen untersucht.

Die tragische Wahrheit über die "Stolen Sisters" ließ viele Künstler Solidaritätssongs veröffentlichen. Gemeinsam wollten sie eine größere Öffentlichkeit für dieses Thema kreieren.

Wir freuen uns, dass die kanadische Regierung endlich ihren Worten auch Taten folgen lässt. Auch wir bei der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hatten uns gemeinsam mit vielen unserer Unterstützer für die „Sisters in Spirit“-Kampagne der Native Women’s Association of Canada (NWCA), die der „Stolen Sisters Report“ von Amnesty International Canada vor fast zwölf Jahren angestoßen hatte, stark gemacht. Mehr als 2.000 Unterschriften hatten wir 2015 gesammelt, um den trauernden und wütenden Familienangehörigen zu zeigen, dass sie nicht allein sind!

Wir müssen nun sorgfältig beobachten, in welcher Form die Regierungen der Provinzen und Territorien Kanadas in die Arbeit der Kommission eingebunden werden. Das Vertrauen der Familien der Opfer wieder zu gewinnen, die so lange nicht ernst genommen wurden, und eine Reform der Polizeiarbeit, die in der Vergangenheit oft Hinweisen zu verschwundenen Frauen nicht nachging, sind wesentliche Prüfsteine für ihren Erfolg. Ein nationaler Aktionsplan zu vermissten und ermordeten Mädchen und Frauen muss entwickelt werden, was auch bedeutet, offene Fälle aufzuklären und den gesamten Polizei- und Behördenapparat zu reformieren.

Immerhin: Der Dialog hat begonnen. Wir werden das Geschehen beobachten und weiter berichten.

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