Neugeborenes Rohingya-Baby in einem Flüchtlingscamp in Bangladesch. Foto: European Union 2018 (Flickr CC BY-NC-ND 2.0)

"Ich liebe sie. Es ist nicht ihre Schuld"

Mit Tränen in den Augen beschwört Grace Acan (Foto) die Liebe zu ihren Kindern. Es klingt fast wie ein Hilferuf. Acht Jahre lang war Grace verschwunden. Kämpfer der christlich-radikalen „Lord's Resistance Army“ (LRA) im Norden Ugandas hatten sie verschleppt und zwangsverheiratet. Grace wurde immer wieder vergewaltigt und brachte zwei Kinder auf die Welt, bis sie fliehen konnte. Ihre Eltern haben sie wieder aufgenommen. Das ist ein großes Glück und gar nicht selbstverständlich.

Die meisten Mütter, die verschleppt wurden, dann doch fliehen und sich nach Hause retten konnten, finden keine Geborgenheit, sondern werden gemieden. Auch ihre Kinder sind nicht erwünscht. Denn für viele gehören sie zu ihren Vätern - zu den Mördern und Verbrechern, die so viel Leid über die Gemeinschaft brachten.

Ob in Uganda, Nigeria, im Irak, Myanmar oder in Bosnien - viele Mütter und ihre „Kinder des Krieges“ teilen dieses schlimme Schicksal und werden in ihrer Not alleingelassen. Dabei sind sie unschuldige Opfer brutaler Gewalt!

Die Gesellschaft für bedrohte Völker unterstützt die Kinder des Krieges: Wir fordern konsequente Aufklärung, Anerkennung und Hilfe für diese unschuldigen Opfer einer perfiden Kriegsstrategie.

Dieses yezidische Mädchen musste vor den Gräueltaten des IS 2014 flüchten. Foto: Youssef Klein

Kinder von Yezidinnen sollen nicht dazu gehören

Zutiefst verzweifelt sind viele Yezidinnen, die 2014 während des Völkermordes im Nordirak von IS-Kämpfern entführt, auf Menschenmärkten verkauft und von ihren „Ehemännern“ vergewaltigt Kinder bekommen haben. Diese Mütter haben so viel durchgestanden: Todesangst, körperliche Qualen, seelische Torturen. Auch wenn sie sich befreien oder gerettet werden konnten, ist ihr Leidensweg nicht zu Ende. Denn ihre religiöse Tradition schreibt vor, dass Kinder nur zu ihrer Gemeinschaft gehören, wenn beide Elternteile yezidisch sind. Außerdem werden die Kinder des Krieges nach den oft islamistisch geprägten Gesetzen des Irak als Muslime angesehen. Was für ein makabrer Triumph für den Islamischen Staat!

Mehrere tausend yezidische Mütter sind deshalb in einer sehr schwierigen Lage. Ihnen bleibt nur ein Leben am Rand ihrer Gemeinschaft, wenn sie ihr Kind nicht in ein Waisenhaus geben wollen. Dazu ist keine Yezidin bereit, hat uns Bahar Ali, eine unserer Partnerinnen im Irak, berichtet. Doch die heute noch kleinen Kinder des Krieges sind in großer Gefahr. Sie könnten schnell Opfer von Missbrauch und Menschenhandel werden, weil sie nirgendwo registriert sind und meist nicht einmal eine Geburtsurkunde haben.

Um diesen unschuldigen Opfern des IS zu helfen, haben wir große Anstrengungen unternommen. Es ist ein Fortschritt und es gibt uns und den Betroffenen Hoffnung, dass über ihr Schicksal jetzt innerhalb ihrer Gemeinschaft diskutiert und nach einer guten Lösung gesucht wird.

Rohingya-Kinder werden ausgegrenzt

Niemand hat die Kinder gezählt, die mit ihren oft noch minderjährigen Müttern in dem riesigen Flüchtlingslager Kutupalong in Bangladesch leben. Dort sind mehr als eine Million Rohingya unter unsäglichen Umständen untergebracht. Im August 2017 begannen der Genozid und die massenhafte Vertreibung der muslimischen Minderheit aus dem buddhistisch geprägten Myanmar/Burma. Bis zu 20.000 Frauen und Mädchen wurden im Zug des Völkermordes vergewaltigt, oft mehrfach. Viele wurden schwanger und schämten sich: In ihrer traditionell geprägten Gemeinschaft werden Mütter wegen außer- oder vorehelicher Schwangerschaft geächtet.

Verzweifelt versuchten einige abzutreiben – auch mit sehr schmerzhaften Methoden. Manche wurden von ihren Ehemännern verstoßen oder sahen sich gezwungen, ihre Babys wegzugeben. Unverheiratete sind sich sicher, dass sie jetzt nie mehr einen Mann finden werden: Ihnen droht lebenslange Armut. Viele Frauen haben sich an den Rand des Flüchtlingslagers zurückgezogen, weil sie die tagtägliche Ausgrenzung nicht mehr ertragen, berichtete uns unsere Partnerin, die Kinderärztin Dr. Ambia Perveen. Die Kinder des Krieges der Rohingya haben so keine Chance auf eine gute Zukunft. Das dürfen wir nicht tatenlos hinnehmen!

Hilfswerke und internationale Gremien müssen handeln! In einem Report – zu finden in unserem Online-Shop – hat die GfbV die Öffentlichkeit auf die Lebensumstände dieser Kinder aufmerksam gemacht.

Dr. Ambia Perveen & Ajna Jusic (v.l.)

Vergessene Kinder in Bosnien

Die Kinder des Krieges in Bosnien sind inzwischen erwachsen. Doch noch immer lastet das Schweigen über ihre Herkunft schwer auf ihnen. Viele von ihnen können den Gedanken kaum ertragen, dass sie nur auf der Welt sind, weil ihre Mutter im Bosnienkrieg (1992 bis 1995) vergewaltigt wurde. Serbische Truppen setzten damals sexuelle Gewalt als Kriegswaffe ein. Es gab sogar Vergewaltigungslager. Mitten in Europa Ende des 20. Jahrhunderts! Es wird geschätzt, dass mindestens 20.000
Frauen Opfer dieser Kriegsverbrechen wurden, 90 Prozent von ihnen waren muslimische Bosnierinnen (Bosniakinnen).

Vielen Kindern, die vor mehr als 25 Jahren so gezeugt wurden, wurde ihre Herkunft lange verschwiegen. Aber manche Mutter hat doch die Kraft aufgebracht, über ihre Leiden zu berichten. Auch die GfbV-Partnerin Ajna Jusic, die mit ihrer Organisation „Vergessene Kinder des Krieges“ das Schweigen brechen und den bosnischen Kindern des Krieges, aber auch ihren Müttern das Rückgrat stärken und Respekt verschaffen will, erfuhr erst spät, was ihrer Mutter angetan wurde. Damals brach
eine Welt für sie zusammen: „Alles, was ich für die Wahrheit hielt, erschien auf einmal falsch.“ Ajna ist Psychologin geworden und verschafft Kindern des Krieges Gehör.

„Ich will der Gesellschaft zeigen, dass es uns gibt“, begründet Ajna ihr unermüdliches Engagement. Die GfbV unterstützt die mutige junge Frau dabei.

Das tut die GfbV für Kinder des Krieges

  • Unseren selbst produzierten Film über das Thema Kinder des Krieges, in dem auch Grace Acan zu Wort kommt, zeigten wir in vielen Städten. Dabei warben wir um Verständnis für die Kinder und regten Diskussionen an. Der yezidischen Gemeinschaft gaben wir auch in unzähligen Einzelgesprächen wichtige Impulse, ohne Tabus Lösungsansätze zu erarbeiten. In einem Memorandum leiteten wir ihre Forderungen an die deutsche und internationale Politik weiter.
  • Mit mehreren Eingaben wiesen wir den UN-Menschenrechtsrat auf die humanitäre Notlage der Kinder hin. Wir sprachen mit UN-Sonderberichterstattern und erreichten, dass auch die Bedrohung dieser Kinder durch Menschenhandel endlich in den Fokus rückte.
  • Wir veröffentlichten den ersten Report über die Kinder des Krieges der Rohingya-Gemeinschaft als wichtige Grundlage für Hilfe für die Betroffenen. Bis dahin war nur wenig über ihr Schicksal bekannt.
  • Wir berieten eine UN-Ermittlungsbehörde zum Thema Kinder des Krieges bei den Rohingya, um die juristische Anerkennung des Leids dieser Kinder zu erwirken. Die Ermittlungsbehörde hat zugesagt, sich ihrer anzunehmen.
  • Um das Schweigen in Bosnien zu brechen, initiierten wir eine breit angelegte Online-Aufklärungskampagne. In unserem Report anlässlich des 25. Jahrestages von Srebrenica kamen überlebende Kriegskinder, Expertinnen und Experten zu Wort.
  • Öffentlichkeitswirksam war unser erster Adventskalender. Darin erzählten wir die Geschichte von zwei verschleppten Mädchen in Nigeria. Gepaart war diese Aktion mit einem Appell an Außenminister Maas, sich zu engagieren.
  • Das Thema Kinder des Krieges darf keine Randnotiz bleiben. Als Opfer sexueller Gewalt brauchen sie und ihre Mütter systematische Unterstützung und rechtliche Anerkennung. Dies muss auf die Agenda der UN kommen. Nur so kann den Kindern geholfen, können Stigmatisierung und Traumata bekämpft werden! Dafür setzen wir uns mit aller Kraft ein.

Aktion

Bitte unterstützen Sie unseren Appell an UNGeneralsekretär Guterres. Kinder des Krieges müssen genauso wie ihre Mütter weltweit als Opfer von Krieg und Völkermord anerkannt und besonders unterstützt werden, um ihre Traumata wenigstens etwas zu lindern und Verständnis für ihre besondere Situation in ihrer eigenen Gemeinschaft zu fördern. Laden Sie sich hierfür die Aktions-Postkarte herunter oder bestellen Sie sie kostenlos in unserem Online-Shop (Kategorie: Aktionsmaterial) und schicken Sie sie an UN-Generalsekretär António Guterres.

Bitte unterstützen Sie unsere wichtige Menschenrechtsarbeit mit Ihrer Spende!

Herzlichen Dank für Ihr Engagement und Ihre Hilfe!


Diese Kampagne wurde im März 2021 lanciert.