Straflosigkeit beenden

"Wie ich mich fühle? Das kann ich nicht beschreiben. Mein Ehemann ist für immer gegangen. Ich will Gerechtigkeit - sonst nichts", sagt Rehana unter Tränen. Sie ist erst 22 Jahre alt und schon Witwe. Sie hat mitansehen müssen, wie burmesische Soldaten ihren Ehemann Nur Mohammed verschleppten. Das war am 1. September 2017 und das letzte Mal, dass sie ihn lebend sah.

Als die Armee anrückte, war Nur Mohammed mit vielen anderen Dorfbewohnern an den Strand geflüchtet. Doch sie wurden entdeckt. Soldaten zeigten auf ihn und neun andere Männer: Sie mussten mitkommen. In der Dorfschule wurden sie gezwungen sich ausziehen. Dann wurden sie die ganze Nacht lang verhört. Am nächsten Morgen bekamen sie noch ein Essen und saubere Kleidung. Dann wurden sie zu einer frisch ausgehobenen Grube geführt und kaltblütig hingerichtet. Einigen Männern wurde mit einer Machete der Kopf gespalten oder abgeschlagen, andere wurden erschossen, berichteten Augenzeugen. Alle Verschleppten wurden in dem Massengrab verscharrt.

Die Öffentlichkeit sollte nie erfahren, dass es dieses Massaker gegeben hat. Doch zwei mutige Reuters-Journalisten veröffentlichten die Details. Sie haben den noch immer hoffenden Familien der Ermordeten Gewissheit über den Tod ihrer Liebsten gebracht. Ihre Recherchen haben aber auch bestätigt, was wir schon lange anprangern:

Trotz Verbrechen gegen die Menschlichkeit können sich die meisten Täter in Burma in Sicherheit wiegen. Das darf nicht sein! Militärs, die eine Minderheit mit allen Mitteln aus dem Land jagen und Gräueltaten begehen, müssen zur Verantwortung gezogen werden!

https://www.flickr.com/photos/unwomen/40175186631/ CC BY-NC-ND 2.0
Elendsquartier von nach Bangladesch geflüchteten Rohingya. Bild: UN Women/Allison Joyce via Flickr CC BY-NC-ND 2.0

Freiheit für mutige Journalisten

Die beiden Reuters-Journalisten Wa Lone und Kyaw Soe Oo haben ausgezeichnete Arbeit geleistet. Sie konnten buddhistische Dorfälteste und Angehörige einer Bürgerwehr davon überzeugen zu erzählen, was sie am 1. September 2017 gesehen haben. Einer dieser Zeugen gab ihnen sogar ein Foto von den zehn verschleppten Rohingya kurz vor ihrer Hinrichtung. Er hatte es trotz eines strikten Verbots der Armee gemacht. Auch die Angehörigen der Opfer, die heute in einem Flüchtlingslager in Bangladesch leben, spürten die beiden Redakteure auf.

Doch dann wurden die Journalisten offenbar in eine Falle gelockt. So sagte ein Polizist während einer ersten Anhörung vor Gericht, seine Vorgesetzten hätten ihn angewiesen, den Reportern bei einem Geheimtreffen Material über das Massaker auszuhändigen. Das sollte ausreichen, um gegen sie wegen Geheimnisverrat vorgehen zu können. Tatsächlich wurden Wa Lone und Kyaw Soe Oo wenige Minuten nach Übergabe der Papiere festgenommen. Jetzt sollen sie ihre Recherchen teuer bezahlen. Seit mehr als sechs Monaten sitzen sie schon im Gefängnis. Ihnen drohen bis zu 14 Jahre Haft – mehr als den Mördern, die aufgrund der internationalen Empörung über das Massaker ausnahmsweise festgenommen wurden. Ihre Auftraggeber werden nicht belangt. Um die Journalisten, die die Täter entlarvt haben, verurteilen zu können, wurde ein altes Kolonialgesetz ausgegraben. Es hätte sie zur Geheimhaltung des Massakers verpflichtet, wird argumentiert.

Gewalt gegen Frauen

Statt mäßigend für einen Dialog und ein friedliches Zusammenleben aller Religionsgemeinschaften in Burma einzutreten, stehen das Militär und die Regierung auf Seiten buddhistischer Nationalisten. Sie wollen die muslimischen Rohingya loswerden. Ihre Taktik ist brutal: An Angehörigen dieser religiösen Minderheiten werden furchtbare Verbrechen verübt, um auch alle anderen so sehr in Angst zu versetzen, dass sie fliehen. Die Dörfer der Vertriebenen werden niedergebrannt.

https://www.flickr.com/photos/dfid/38312149251 CC BY 2.0
Vielen Rohingya-Frauen wurde von Soldaten Gewalt angetan. Die Strategie der Militärs, die Rohingya aus Burma vertreiben, ist menschenverachtend: Vergewaltigung wird als Kriegswaffe eingesetzt. Bild DFID/Anna Dubuis via Flickr CC BY 2.0

Systematisch setzt die Armee Vergewaltigung als Kriegswaffe ein. Hunderte Rohingya-Frauen, die Menschenrechtsexperten der Vereinten Nationen und unabhängige Menschenrechtsorganisationen in Flüchtlingslagern befragt haben, berichteten, dass ihnen von Soldaten und aufgehetzten Buddhisten Gewalt angetan wurde. Es gibt auch noch andere erdrückende Beweise für diese Kriegsverbrechen. So ist die Zahl der Geburten in den Camps neun Monate nach der Flucht der Mütter sprunghaft angestiegen. Trotzdem bestreitet die einflussreichste Politikerin Burmas, Staatsrätin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, vehement diese menschenverachtende Strategie der Militärs. Dabei setzt die Armee Burmas in ihren blutigen Auseinandersetzungen mit den Shan, Karen, Karenni und anderen Nationalitäten schon seit Jahrzehnten planmäßig Vergewaltigung als Kriegswaffe ein. Dies dokumentierten auch Menschenrechtsgruppen in Burma. Die Minderheiten fordern seit über 60 Jahren mehr Selbstverwaltung.

Jahrzehntelang unterdrückt

Rund 1,1 Millionen Rohingya lebten in Burma. Innerhalb weniger Monate wurde mehr als die Hälfte von ihnen vertrieben. Schon zuvor wurde ihnen das Leben schwergemacht. Mit Hilfe eines Apartheid-ähnlichen Systems waren und sind sie gezielter Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt. Rohingya haben in Burma keine Bürgerrechte und die Staatsangehörigkeit wird ihnen verweigert, obwohl sie seit Jahrhunderten in dem Land ansässig sind. Ohne behördliche Genehmigung dürfen sie nicht heiraten, keine Kinder in die Welt setzen, ja nicht einmal ihre Dörfer verlassen. Nach jahrzehntelanger quälender Unterdrückung unter der Militärregierung und enttäuscht, dass sich dies auch unter Staatsrätin Aung San Suu Kyi nicht besserte, wehrten sich Rohingya im Oktober 2016 schließlich mit Waffengewalt gegen gewaltsame Übergriffe der Armee. Das lieferte den Militärs den Grund für ihre groß angelegte Vertreibungskampagne. Buddhistische Nationalisten heizen die Stimmung gegen die Rohingya an.

Die ERC-Präsidentin und Ärztin Ambia Parveen betreut von Deutschland aus traumatisierte Rohingya-Frauen, die Opfer sexualisierter Gewalt wurden. Bild: Hanno Schedler für GfbV

Unser Einsatz für Gerechtigkeit

Die Gesellschaft für bedrohte Völker kämpft schon lange dafür, dass die Verbrechen gegen die Menschlichkeit an Minderheiten in Burma geahndet werden. Es ist uns nach langer Überzeugungsarbeit vor zehn Jahren auch gelungen, mehr als ein Dutzend Regierungen dafür zu gewinnen, die Straflosigkeit in Burma engagierter zu bekämpfen. Doch dann kündigten die Militärs eine vorsichtige Politik der demokratischen Öffnung an. Europas Regierungen ruderten zurück, wollten die Entwicklung abwarten. Das war eine fatale Entscheidung, denn offenbar fühlte die Armee sich ermutigt, weiter zu vergewaltigen und zu morden. Das hat uns zwar zurückgeworfen, aber aufgegeben haben wir deshalb natürlich nicht.

Den in Europa lebenden Rohingya haben wir schon vor Jahren beim Aufbau ihrer Selbsthilfeorganisation „Europäischer Rohingya-Rat“ (ERC) geholfen. Wir sprachen für sie bei verschiedensten Regierungen in Europa, der Europäischen Kommission und UN-Organisationen vor und baten eindringlich um glaubwürdige politische Initiativen zur Beendigung der Unterdrückung und Verfolgung der Rohingya in Burma. Heute betreut die ERC-Präsidentin und Ärztin Ambia Parveen ehrenamtlich traumatisierte Rohingya-Frauen, die Opfer sexualisierter Gewalt wurden. Gemeinsam mit ihr fordern wir ein Ende dieser schrecklichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie eine Bestrafung der Täter und vor allem ihrer Auftraggeber ein.

Zum Auftakt unserer Kampagne erarbeiten wir gerade einen Report über die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs. Darin ziehen wir Bilanz und formulieren Empfehlungen, wie dieser wichtige Gerichtshof gestärkt werden kann. Denn Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden nicht nur an den Rohingya, sondern auch im Jemen, Südsudan und anderen Regionen der Welt verübt. Im Juli 2018 ist es 20 Jahre her, dass mit dem Römischen Statut die Grundlage für den Internationalen Strafgerichtshofs geschaffen und sein Aufbau ermöglicht wurde. Er soll schwerste Menschenrechtsverletzungen ahnden.

Menschenrechtsaktion der Gesellschaft für bedrohte Völker vor dem Brandenburger Tor in Berlin für die Rechte der verfolgten Rohingya. Bild: GfbV

Viel ist noch zu tun, damit dieses Gericht die Verantwortlichen für Völkermord, Vertreibungen, Massaker und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wirksamer zur Rechenschaft ziehen kann. Dafür wollen wir einen Beitrag leisten im Interesse der Opfer, die keine Ruhe finden und die das, was ihnen und ihren Angehörigen, Freunden und Nachbarn angetan wurde, nie vergessen können. Wir wollen uns dafür einsetzen, dass sie nicht vergeblich auf Gerechtigkeit warten müssen.

Darüber hinaus setzen wir uns dafür ein, dass die beiden mutigen inhaftierten Reuters-Journalisten nicht vergessen werden. Sie haben als Fürsprecher der Opfer sehr viel auf sich genommen. Ihre jungen Familien warten auf sie. Wir werden bei jeder Gelegenheit ihre Freilassung fordern.



Bitte tragen Sie zu unserer Menschenrechtsarbeit für bedrohte Völker mit einer Spende bei.

Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft

(IBAN)DE68 2512 0510 0000 708090

(BIC) BFSWDE33HAN

Herzlichen Dank!


Die Kampagne wurde im Juli 2018 lanciert.