Pressemitteilung

25.10.2017

GfbV-Jahresbericht 2016

Geschäfts- und Arbeitsbericht der Menschenrechtsorganisation Gesellschaft für bedrohte Völker für 2016

Jedes Jahr kurz vor unserer Jahreshauptversammlung legen wir unseren Jahresbericht vor. Darin berichten unsere hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über ihre Kampagnen, Aktionen und viele anderen Menschenrechtsinitiativen des vergangenen Jahres für bedrohte ethnische und religiöse Minderheiten sowie indigene Gemeinschaften.

Auch wenn wir uns Mühe gegeben haben, in unserem Jahresbericht möglichst alle wichtigen Informationen zusammenzufassen, bleiben vielleicht doch noch Fragen zu unserer Arbeit offen. Oder Sie möchten vielleicht mehr Details zu einzelnen Kampagnen erfahren. Dann nehmen Sie gerne mit uns Kontakt auf. Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, wir stehen Ihnen gern Rede und Antwort. Hier finden Sie unser Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit E-Mailadressen und Telefondurchwahl: Ihre Ansprechpartner

Die Situation der Minderheiten im Nahen Osten hat sich im Jahr 2016 nicht verbessert. In Nordsyrien wurde das Leben für die Flüchtlinge und mehrheitlich kurdischen Bewohner der Region „Rojava“ eingekesselt von den türkischen Truppen und den radikal-islamischen Kräften im eigenen Land, immer schwieriger. Im Iran und Irak litten Minderheiten unter Verfolgungen, Inhaftierungen und Tötungen. Auch für einzelne Berufsgruppen wie Akademiker, Journalisten und oppositionelle Politiker war die Lage im Nahen Osten besorgniserregend. Darüber informierten wir die Öffentlichkeit mit zahlreichen Aktionen, Vorträgen und Mahnwachen. Auch für die Flüchtlinge in Deutschland haben wir uns stark gemacht und für einen interkulturellen Austausch gesorgt.

Im Frühling 2016 brach unser Nahostreferent Dr. Kamal Sido zu einer Recherchereise in die nordsyrische Region Rojava auf. In dem multiethnischen und multireligiösen Gebiet haben viele Bürgerkriegsflüchtlinge Zuflucht gefunden. Rojava konnte sich bisher gegen den sog. Islamischen Staat verteidigen und verfolgt in seiner zivilen Selbstverwaltung eine Politik des Minderheitenschutzes und der politischen Freiheiten. Sido führte mehr als 20 Interviews mit Vertretern von Minderheiten und Parteien über die Lage in dem Gebiet und über Fluchtursachen. Bei einem zweiten Nordsyrien-Aufenthalt stellte Sido auf einer Pressekonferenz am 10. Oktober seinen Bericht vor Vertretern fast aller dortigen Medien sowie Repräsentanten der Kurden, Araber, Assyrer/Aramäer, Armenier, Tschetschenen, Christen, Muslime und Yeziden vor und mahnte, die Menschenrechte zu achten.

Hier können Sie den Bericht lesen: Rojava - „Schutzzone“ für religiöse und ethnische Minderheiten in Nordsyrien?

Die Dokumentation und der Protest gegen schwere Menschenrechtsverletzungen an Oromo bildeten einen Schwerpunkt unserer Afrika-Arbeit im Jahr 2016. Denn in der mehrheitlich von Oromo bewohnten Region Oromia in der Umgebung der Hauptstadt Addis Abeba wurde der Widerstand der lokalen Bevölkerung gegen Landraub und eine Gebietsreform brutal von Sicherheitskräften niedergeschlagen. Die Oromo sind die größte Bevölkerungsgruppe Äthiopiens. Sie werden seit Jahrzehnten diskriminiert und verfolgt.

Während die Oromo meist friedlich mit über dem Kopf verschränkten Armen demonstrierten, um den Sicherheitskräften zu zeigen, dass sie unbewaffnet waren, gingen Polizisten und Soldaten mit übertriebener Gewalt gegen die Demonstranten vor. Mehr als 2.000 Oromo und Amhara wurden getötet, mehr als 20.000 junge Menschen festgenommen, in illegalen Haftzentren gefoltert und monatelang festgehalten. Zehntausende junge Oromo flohen aus Angst vor Massenverhaftungen ins Ausland, mehr als 6.000 von ihnen kamen nach Deutschland. Wir unterstützten viele in ihren Asylverfahren, wirkten an Demonstrationen in Berlin, München und Kassel mit und erläuterten in Gesprächen mit Politikern und Journalisten die Hintergründe ihres Aufbegehrens.

Mehrfach machten wir in Presseerklärungen und Interviews auch auf den seit 13 Jahren andauernden Völkermord in Darfur im Westen des Sudan, die fortwährende Gewalt und die schwierige Lage der Binnenflüchtlinge in den umkämpften Regionen aufmerksam. Der sudanesischen Regierung warfen wir vor, systematisch humanitäre Hilfe für Darfur-Flüchtlinge zu behindern und nichts für eine Verbesserung der Sicherheitslage im Westen des Landes zu unternehmen. Wir warnten vor einer Schließung von Flüchtlingslagern, mit der fälschlich der Eindruck erweckt werden soll, die Situation in Darfur habe sich spürbar verbessert. Vor allem warnten wir vor dem Terror der Rapid Support Forces (RSF), einer sudanesischen Miliz aus ehemaligen Janjaweed-Kämpfern, die für den Völkermord in Darfur verantwortlich sind. In einer von uns angeregten Reportage des ARD-Fernsehmagazins „Report Mainz“ wurde der Terror der RSF dokumentiert und kritisch hinterfragt, ob diese Mörder-Miliz der richtige Partner für die Europäische Union (EU) bei der Bekämpfung von Flucht und Migration ist.

Auch 2016 bildete der Einsatz gegen die Unterdrückung und Verfolgung der Uiguren, Tibeter, Mongolen, chinesischer Anwälte und Journalisten einen Schwerpunkt des Asienreferates. In zahlreichen Pressemitteilungen und Interviews berichteten wir über die sich unter Staatspräsident Xi Jinping stetig verschlechternde Menschenrechtslage und den wachsenden Einfluss Chinas in der Weltpolitik. So warnten wir, dass die Wahl des früheren chinesischen stellvertretenden Sicherheitsministers Meng Hongwei zum INTERPOL-Präsidenten bittere Konsequenzen haben werde. Die chinesische Staatssicherheit hat INTERPOL bereits genutzt, um chinesische Menschenrechtler im Ausland mundtot zu machen. Gegen den in Deutschland lebenden uigurischen Menschenrechtler Dolkun Isa hatte China schon im Jahr 2003 eine sogenannte „Red Notice“ (rote Notiz) der INTERPOL erwirkt. Diese „Red Notice“ sollte die Mitgliedsländer der INTERPOL dazu bewegen, Isa festzunehmen. Die chinesischen Behörden wollten seine kritische Stimme zum Schweigen bringen und unterstellen ihm terroristische Aktivitäten.

Im April veranstalteten wir gemeinsam mit dem Weltkongress der Uiguren in Berlin eine Konferenz über uigurische Flüchtlinge. Im gleichen Monat eröffneten wir in Karlsruhe gemeinsam mit unserer dortigen Regionalgruppe die Ausstellung „Tibet – Nomaden in Not“, die wir mit der Tibet Initiative Deutschland, Regionalgruppe Hamburg zwischen 2014 und 2015 mit großem Erfolg im Hamburger Museum für Völkerkunde organisiert hatten.

Im Juni publizierten wir einen 51-seitigen Menschenrechtsreport über den Zusammenhang zwischen Chinas Aufstieg zur Welthandelsmacht und den Zugriff auf billige Ressourcen in Tibet, Ostturkestan/Xinjiang und der Inneren Mongolei. Chinas Billigexporte von Stahl, Aluminium und Textilien schüren Menschenrechtsverletzungen an Tibetern, Uiguren und Mongolen. Wer protestiert, wird festgenommen, gefoltert und gewaltsam zum Schweigen gebracht, dokumentierten wir. Lesen Sie den Menschenrechtsreport hier: Billigexporte aus China schüren Menschenrechtsverletzungen

Neben der China-Arbeit konzentrierte sich die Menschenrechtsarbeit für Asien vor allem auf Burma (Myanmar), Indien, Indonesien, Westpapaua, Malaysia, Afghanistan, Pakistan und Japan. So protestierten wir beispielsweise gemeinsam mit dem Europäischen Rohingya-Rat (ERC) mit einer Mahnwache vor der Botschaft Burmas in Berlin gegen die zunehmende Verfolgung der muslimischen Rohingya. Als Teil des Netzwerks der zu Minderheiten in Burma arbeitenden NGOs (HRW, ai, Brot für die Welt, Misereor, Terre des Hommes, Welthungerhilfe, Asienhaus etc.) überarbeiteten wir ein an Außenminister Steinmeier gerichtetes Burma-Faktenpapier. In vielen Pressemitteilungen und Interviews forderten wir die europäische Politik auf, sich deutlicher gegen die Anti-Rohingya-Politik der burmesischen Regierung unter Aung San Suu Kyi auszusprechen.

Im Nordkaukasus werden Mädchen und Frauen unterdrückt und wer sich in Tschetschenien nicht lauthals für Kadyrow einsetzt, gilt als Feind. Die Verfolgung von Frauen konnten wir eindrücklich in einem Report belegen. Unsere Anliegen waren es, den deutschen Behörden, Gerichten und Anwälten Fälle an die Hand zu geben, die die flächendeckende Diskriminierung von Frauen bezeugen, und die Frauen hier schützen, wenn sie als Flüchtlinge auch wegen der geschlechtsspezifischen Verfolgung Asyl beantragen. Lesen Sie hier unser Memorandum: Frauen aus dem Nordkaukasus brauchen als Gewaltopfer auch in Deutschland besonderen Schutz

Mit Bannern und Plakaten machten wir während der OSZE-Tagung in Hamburg auf das Schicksal der politischen Gefangenen besonders von der Krim aufmerksam. Zum Jahrestag der Annexion veröffentlichten wir einen umfassenden Report über die Formen der Verfolgung und Unterdrückung auf der Halbinsel. Wir knüpften weitere Kontakte zu russischen und ukrainischen Menschenrechtlern, die sich für die Wahrung der Rechte der Krimtataren und aller anderen Bewohner der Halbinsel einsetzen. Hier finden Sie den Menschenrechtsreport: Zwei Jahre Annexion der Krim

Wir verfolgen mit großer Sorge die Lage in Bosnien und Herzegowina und stellen immer wieder fest: Die Dayton-Verfassung (1995) hat eine auf ethnisch-rassischen Prinzipien beruhende Apartheid geschaffen. Dazu kommen Vetternwirtschaft und Korruption. Die Verarmung nimmt weiter zu.

Gemeinsam mit unserer bosnischen GfbV-Sektion forderten wir am 24. März 2016 während der Bekanntgabe des Urteils gegen Radovan Karadžic mit einer Mahnwache vor dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal (ICTY) in Den Haag mit großen Transparenten die Wiedervereinigung Bosniens und gedachten der 8.372 ermordeten Einwohner von Srebrenica. Ein Bus mit ehemaligen Lagerhäftlingen sowie Vertreterinnen der Mütter von Srebrenica und Žepa war aus Sarajevo angereist. Auch Hatidža Mehmedovi?, unsere Repräsentantin in Srebrenica, war dabei und sprach mit dem Chefankläger des Gerichtshofes, Serge Brammertz. Unsere Südosteuropareferentin Jasna Causevic gab mehrere TV-, Radio- sowie Zeitungsinterviews.

Unser besonderes Engagement galt auch 2016 dem Bleiberecht für die in Deutschland geborenen oder aufgewachsenen Kinder der Roma aus dem Kosovo. Wir betreuen viele Roma, die von der Abschiebung bedroht sind wie zwei Göttinger Roma-Familien, deren Fall  im Dezember 2015 und Anfang 2016 deutschlandweit für Aufsehen sorgte.

Unsere Südosteuropa–Referentin vertritt die GfbV bei der Niedersächsischen Fachkonferenz für Flüchtlingsfragen, bei der Konferenz der niedersächsischen Flüchtlingsinitiativen sowie im Forum Menschenrechte. Sie ist außerdem Mitglied der Arbeitsgruppe Innen(-politik) des Forum Menschenrechte und wird so bei den Gesprächen im Innenausschuss des Deutschen Bundestages einbezogen.

Der „Fall Peltier“ ist der einzige Einzelfall, der bereits seit Jahrzehnten vom Referat indigene Völker der GfbV betreut wird. Die GfbV hat sein Verteidigerkomitee in dieser langen Zeit immer wieder unterstützt, auch bei den zahlreichen Kampagnen, den jeweils amtierenden US-Präsidenten zu einer Begnadigung des indianischen Bürgerrechtlers zu bewegen. Barack Obama galt als großer Hoffnungsträger. Deshalb haben wir in 2016 vielfach Gelegenheiten genutzt, unseren Appell an ihn heranzutragen.

So schrieben GfbV-Generalsekretär Tilman Zülch und GfbV-Vorstandsmitglied Dr. Kurt Weber an Obamas Frau Michelle und seine Schwester Auma, sich bei dem US-Präsidenten für Peltiers Begnadigung zu verwenden. Zum ersten Mal überhaupt gelang es der Referentin für indigene Völker Yvonne Bangert im Rahmen einer Mahnwache vor der US-Botschaft im Februar in Berlin, einem Mitarbeiter der Botschaft persönlich eine Nachricht der GfbV zu übergeben mit Appellen zahlreicher Prominenter an Obama.

Im Oktober 2016 begann die GfbV, sich an der Kampagne zur Unterstützung der Standing Rock Sioux gegen die Dakota Access Pipeline (DAPL) zu beteiligen. GfbV-Beiratsmitglied Claus Biegert reiste als Beobachter ins Widerstandscamp der Sioux in Standing Rock und dokumentierte seinen Aufenthalt mit einem Artikel in der GfbV-Zeitschrift pogrom. Seine Reportage können Sie auch online lesen: Standing Up At Standing Rock

2016 fanden die olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro statt. Wir nahmen diese als Anlass, um mit Pressearbeit und Vorträgen, hier vor allem zusammen mit den Regionalgruppen in Hamburg und Berlin, auf die zunehmende Verschlechterung der Situation indigener Völker in Brasilien hinzuweisen.

Auch die Situation der Mapuche, der größten indigenen ethnischen Minderheit in Chile, ist besorgniserregend. Zu ihren Kernforderungen gehören die Gleichbehandlung vor Gerichten und Behörden, Abschaffung des Antiterrorgesetzes aus der Pinochet-Diktatur, das heute nur noch gegen Mapuche angewendet wird, und abgesicherter Landbesitz. Deshalb appellierten wir an den damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck, sich bei seinem Staatsbesuch in Chile im Juli 2016 für einen Dialog zwischen Mapuche und Staat sowie für Gleichbehandlung von Mapuche und Nicht-Mapuche einzusetzen. Wir akkreditierten Rafael Railaf vom Netzwerk der Exil-Mapuche in den Niederlanden beim Permanenten Forum der indigenen Völker bei den UN in New York, damit er die Mapuche vor diesem Gremium vertreten konnte.

Im Frühjahr 2016 besuchte uns eine Delegation aus Sibirien. Vladislav Tannagashev und Dima Berezhkov sind indigene Menschenrechts- und Umweltaktivisten, die in ihrer Heimat verfolgt werden. Herr Berezhkov musste deshalb nach Norwegen fliehen. Vladislav Tannagashev setzt sich für sein Volk, die Schoren in Südsibirien, ein. Die rücksichtslose seit Jahrzehnten andauernde Steinkohleförderung bedroht die Schoren, ihre Dörfer wurden schon abgerissen, die Natur ist zerstört. Deutschland importiert Steinkohle aus Südsibirien und trägt daher eine Mitverantwortung für das Schicksal der Menschen in der Förderregion. Nun werden auch noch diejenigen verfolgt, die versuchen, das Überleben des Volkes zu sichern.

Die Verfolgung dokumentierten wir in einem Report und organisierten dann gemeinsam mit unserer ehrenamtlichen Koordinatorin Tjan Zaotschnaja viele Gespräche mit Politikern, Journalisten und Personen aus der Energiewirtschaft sowie Menschenrechtlern, die an dem Thema Steinkohle Interesse haben in München und Berlin sowie eine Protestaktion vor der RWE Aktionärsversammlung in Essen. In Berlin gestalteten wir gemeinsam mit dem deutsch-russischen Austausch einen gut besuchten Abend in der Heinrich-Böll-Stiftung. Wir unterstützten Tannagashev und seine Frau auch in ihren Aktivitäten in Genf bei der UN. Lesen Sie hier das Memorandum: Steinkohle aus dem Kuzbass für Deutschland – Auf dem Rücken der indigenen Bevölkerung

Dies sind nur einige Auszüge unserer vielfältigen Menschenrechtsarbeit für ethnische und religiöse Minderheiten, die von unserem großen Kreis der 9.000 Mitglieder, Förderer und Abonnenten in Deutschland getragen wird. Ihnen möchten wir an dieser Stelle ganz besonders herzlich danken.

Viele weitere Beispiele, Erklärungen, Hintergründe und Einblicke in unsere Arbeit, die die Mitarbeiter und Ehrenamtlichen 2016 geleistet haben, finden Sie in unserem 63-seitigen Jahresbericht.

Laden Sie sich den Jahresbericht 2016 hier kostenlos herunter: GfbV-Jahresbericht 2016 (als pdf)