Grüner Kolonialismus in Namibia

Junge Nama beim "Youth Summit" der Nama Traditional Leaders Association (NTLA). April 2025, ǃNamiǂNûs/Lüderitz, Namibia.
Foto: Sarah Neumeyer/GfbV 

 

Europäischer Klimaschutz auf Kosten der indigenen Nama


Wer heute die Halbinsel Shark Island bei ǃNamiǂNûs/Lüderitz* besucht, sieht auf den ersten Blick nur wenig von der Gewalt, die sich an diesem Ort zugetragen hat. Heute stehen dort Privathäuser und ein Campingplatz mit Meerblick. Kaum etwas erinnert an das Konzentrationslager, das sich dort während der deutschen Kolonialzeit befand und in dem zwischen 1.000 und 3.000 Nama und Ovaherero ums Leben kamen. Anstelle eines würdigen Erinnerungsortes an den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts schlagen Tourist*innen dort ihre Zelte auf. 

*Die Sonderzeichen stehen für Klicklaute der Sprache Khoekhoegowab der Nama. Der Name ist die Eigenbezeichnung der Nama, Lüderitz die Namensgebung der kolonialen Besatzer*innen, die bis heute von der namibischen Regierung verwendet wird.

Shark Island: Auf der Fläche des ehemaligen Konzentrationslagers ist heute ein Campingplatz. April 2025, ǃNamiǂNûs, Namibia.
Foto: Sarah Neumeyer/GfbV

Auch in der Wirtschaft setzen sich koloniale Strukturen bis heute fort. So etwa beim milliardenschweren Hyphen-Wasserstoffprojekt, das südlich von ǃNamiǂNûs entstehen soll. Während die deutsche Kolonialmacht vor mehr als 100 Jahren den Nama aus Habgier mit Gewalt ihr Land nahm, geschieht es heute im Namen der globalen Grünen Energiewende. Die Begründungen klingen anders, doch die Logik bleibt vertraut: Akteur*innen aus dem Globalen Norden beanspruchen Land, drängen lokale Stimmen an den Rand und behalten Gewinne und Entscheidungsmacht für sich. Was früher mit Waffengewalt und kolonialen Verordnungen geschah, wird heute mit Verträgen und Investitionsabkommen durchgesetzt. 

Doch Hyphen ist eine namibische Firma, keine deutsche. Ist es nicht sogar begrüßenswert, dass ein afrikanisches Land beim grünen Wandel eine Vorreiterrolle einnimmt? Die Antwort liegt in den fortgesetzten strukturellen Ungleichheiten und lautet klar: nein.

Nama müssen an Wasserstoffprojekt beteiligt werden

Das Hyphen-Projekt ist zwar in Namibia angesiedelt, wird aber maßgeblich von deutschen Akteur*innen finanziert. Die Förderung von Wasserstoff in Namibia wird von der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des „Green Hydrogen Namibia Programme“ unterstützt. Dies ist auch ein Beitrag zur Nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung. Die Aktien des namibischen Unternehmens gehören dem namibischen Staat, der britischen Nicholas Holdings Ltd. und dem deutschen Unternehmen ENERTRAG. Das Bundeswirtschaftsministerium kündigte gegenüber Hyphen an, das größte Wasserstoff-Vorhaben in Subsahara-Afrika unterstützen zu wollen. RWE kündigte an, ein Terminal in Brunsbüttel (Schleswig-Holstein) zu errichten, um den Import zu ermöglichen.

Außerdem unterzeichnete RWE eine Absichtserklärung mit Hyphen, jährlich 300.000 Tonnen Ammoniak (ein Wasserstoffderivat) abnehmen zu wollen. Deutschland sichert sich damit nicht nur bevorzugten Zugang zu sogenanntem Grünen Wasserstoff, sondern setzt gleichzeitig auf Kosten der lokalen Mitsprache eine energiepolitische Agenda durch. Die Nama, die bereits vor mehr als 100 Jahren Opfer kolonialer Gewalt wurden, werden erneut nicht gehört. Obwohl es sich um ein Milliarden-Investment in ihrem traditionell angestammten Gebiet handelt, wurden die Nama bisher nicht in die Planungen des Hyphen-Projekts miteinbezogen.

Maboss Johannes Ortmann, Fachberater der NTLA, langjähriger Partner der GfbV

Das Land, das Sie nutzen wollen, ist unser Land. Erkennen Sie uns an, sprechen Sie mit uns, konsultieren Sie uns, arbeiten Sie mit uns zusammen. Dies ist das Land unserer Vorfahren. Wir wollen anerkannt werden. Wir wollen konsultiert werden. Wir wollen Teil des Prozesses sein. Wir wollen unseren Anteil.“

Foto: Sarah Neumeyer/GfbV

Sara Petra Wittenbach, Mitglied der NTLA

„Shark Island ist ein Ort, an dem die Namas trauern. Aber den Menschen ist das egal, sie nehmen keine Rücksicht auf unsere Gefühle, sie machen einfach, was sie wollen.“

Foto: Sarah Neumeyer/GfbV

Antonio Stuurmann, Mitglied des Fachausschusses der NTLA

„Wir sind ein kleines Land mit einem Reichtum an natürlichen Ressourcen, doch Hunger, Armut und Ungleichheit sind sehr extrem. Und wir befürchten, dass es bei diesem Projekt genauso sein wird, dass die Industrieländer weiterhin die Ressourcen ausbeuten und die Einheimischen keinen Nutzen davon haben. Die Mitwirkungsrechte der Gemeinschaften werden verletzt.

Foto: Sarah Neumeyer/GfbV

Hans Hangue, Mitglied der NTLA

Unsere Anführer sind nicht in diesen gesamten Prozess eingebunden. Sie werden nicht einbezogen, um sich zu beteiligen und ihre Bedenken zu äußern. Ihnen sollten Mitwirkungsrechte gewährt werden, insbesondere angesichts der Tatsache, dass dies auf dem Land geschieht, das historisch gesehen dem Volk der Nama gehörte.“

Foto: Sarah Neumeyer/GfbV

 

Gemeinsame Projektarbeit in Namibia und Deutschland

Als deutsche Menschenrechtsorganisation übernehmen wir Verantwortung für die deutsche Kolonialvergangenheit und stehen den Nama zur Seite. Das bedeutet auch, dass wir gegen fortbestehende Machtverhältnisse aus der Kolonialzeit vorgehen, wie es beim Hyphen-Projekt der Fall ist. Die deutsche Politik und Wirtschaft müssen ebenfalls Verantwortung übernehmen und Menschenrechte sowie Umwelt- und Naturschutzstandards einhalten. Hyphen muss die Rechte der betroffenen Nama und der weiteren Bevölkerung von ǃNamiǂNûs berücksichtigen und sie angemessen miteinbeziehen. Hierfür arbeiten wir mit der Nama Traditional Leaders Association und dem European Center for Constitutional and Human Rights zusammen. 

Unsere Arbeit zum Hyphen-Projekt

Ziele:

  • Gegen koloniale Machtverhältnisse vorgehen
  • Ein Workshop-Konzept nach den Bedürfnissen der Nama erarbeiten
  • Untersuchen, wie wir Kompetenzen stärken, politisches Engagement fördern oder auch rechtlich eingreifen können

Zielgruppe:

Die junge Nama-Bevölkerung und die Zivilgesellschaft in ǃNamiǂNûs.

Inhaltliche Schwerpunkte:

  • Indigene Rechte der Nama
  • Soziale und wirtschaftliche Rechte der Bevölkerung von ǃNamiǂNûs
  • Umwelt- und Naturschutz

Laufzeit:

April bis Dezember 2025

Projektpartner*innen:


Dieses Projekt wird von der Hering-Stiftung Natur und Mensch gefördert. 

Im Laufe des Jahres 2025 fanden und finden mehrere Workshops statt, die auf den Bedürfnissen und Forderungen der Nama in Bezug auf das geplante Vorhaben von Hyphen basieren und gleichzeitig die Bevölkerung von ǃNamiǂNûs einbeziehen. Hauptzielgruppe der Workshop-Formate sind die jungen Nama sowie deren Verbindungen mit der Zivilgesellschaft in ǃNamiǂNûs. Im Rahmen eines „Youth Summit“ und weiterer Veranstaltungen sowie im Austausch mit Expert*innen werden der deutsche Kolonialismus in Namibia sowie die möglichen Folgen des Hyphen-Projekts diskutiert und potenzielle rechtliche Interventionen erörtert. Die Veranstaltungen und Aktivitäten sollen dabei helfen, Kompetenzen zu stärken und politisches Engagement zu fördern. Die jungen Teilnehmenden sollen als Multiplikator*innen für die Nama-Gemeinschaften und die Bevölkerung von ǃNamiǂNûs dienen und das Wissen ihrerseits weitergeben. Darüber hinaus sollen junge Mitstreiter*innen gefunden werden, die die Anliegen der Nama auf Veranstaltungen und in Gesprächen weitertragen und in Zukunft federführend übernehmen können.

Neben den Aktivitäten vor Ort spielt auch das politische Engagement in Deutschland eine entscheidende Rolle: Politik, Wirtschaft und die Öffentlichkeit sollen für die zu erwartenden Folgen des Projekts sensibilisiert werden. Die Projektbetreibenden sowie involvierte deutsche Unternehmen müssen international geltende Normen einhalten. Auch die internationale Menschenrechtsarbeit ist Teil des Projekts.

Autorin: Laura Mahler
Redaktion: Stefanie Grolig, Myriam Givens, Jonas Bermaoui und Sarah Neumeyer

 

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Projektverantwortliche

Laura Mahler ↗️

Referentin

l.mahler@gfbv.de

03051 / 695825-3


Zuletzt bearbeitet im Juli 2025.