10.02.2016

Abschiebung von Roma-Familien gescheitert

Schwere Vorwürfe: Göttingen wird zum Erfüllungsgehilfen einer unmenschlichen Politik und treibt Flüchtlinge mit Kindern in die Illegalität (Pressemitteilung)

Tilman Zülch während einer Demonstration für das Bleiberecht von Roma-Familien in Göttingen im November 2015. Foto: © GfbV

Nach der gescheiterten Abschiebung von zwei Göttinger Roma-Familien hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) schwere Vorwürfe gegen die Stadt erhoben. „Göttingen macht sich zum Erfüllungsgehilfen einer unmenschlichen Politik gegenüber langjährig geduldeten Flüchtlingen und nimmt hier geborenen und aufgewachsenen deutschsprachigen Kindern mit ihren Eltern jegliche Zukunft. Das ist inhuman und verantwortungslos gegenüber Mitbürgern, die 17 Jahre unter uns lebten, hier zur Schule gingen, Freunde hatten“, erklärte der GfbV-Generalsekretär Tilman Zülch am Mittwoch. „Den insgesamt 13 Kindern wurde das Zuhause genommen. Sie haben keine andere Chance als in die Illegalität abzutauchen, um einer Abschiebung in die Fremde und ins Elend zu entgehen. Denn nichts anderes hält der Kosovo für sie bereit. Unsere Menschenrechtsorganisation hat in einer erst im Herbst 2015 veröffentlichten Studie nachgewiesen, dass Roma dort einer so gravierenden Diskriminierung ausgesetzt sind, dass Rückkehrer im Kosovo nicht überleben können, sondern erneut fliehen müssen.“

„Dass ausgerechnet unsere Stadt, in der unter Schirmherrschaft der indischen Premierministerin Indira Gandhi sowie bedeutenden jüdischen Persönlichkeiten wie Simon Wiesenthal und der Präsidentin des Europaparlaments Simone Veil der von der GfbV 1981 organisierten Welt-Roma-Kongress stattfand, mit solcher Härte gegen Roma vorgeht, ist unerträglich“, sagte Zülch. „Nach dem Holocaust an den Sinti unter dem Naziregime, der infolge des Kongresses auch offiziell anerkannt wurde, hat Deutschland für das Schicksal von Angehörigen dieser Volksgruppe eine besondere Verantwortung. Der ist Göttingen nicht gerecht geworden. Und das, obwohl auch 16 Millionen Deutsche nach 1945 die bittere Erfahrung machen mussten, was Flucht und Vertreibung bedeutet.“

Der Menschenrechtler ergänzte: „Unsere Politiker haben auch einfach darüber hinweggesehen, dass Roma, Aschkali und Kosovo-Ägypter 1999 nach der militärischen Intervention westlicher Länder – auch Deutschlands - im Kosovokrieg von nationalistischen Albanern aus dem Land gejagt wurden. Unter den Augen der dort stationierten Friedenstruppen, unter ihnen Bundeswehrsoldaten, wurden 70 von 75 Dörfern und Stadtteilen dieser Minderheiten geplündert und zerstört. Auch die beiden Roma-Familien, die aus unserer Stadt abgeschoben werden sollten, wurden 1999 so vertrieben. Göttingen muss sich jetzt vorwerfen lassen, sehenden Auges und leichtfertig Kinder in eine düstere Zukunft zu treiben, die nichts Gutes für sie bereithält.“