02.10.2019

Abschied von Maria Sido

Ein Nachruf von Kamal Sido

In tiefer Trauer mussten Vorstand, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Freundinnen und Freunde der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) sowie viele Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten aus Bosnien, dem Südsudan, aus Mauretanien, Nord- und Südamerika Abschied von Maria Sido nehmen. Unsere Freundin, die so viele Jahre lang Mitglied unserer Menschenrechtsorganisation war und sich - in unseren Vorstand gewählt – auch immer wieder große Verantwortung aufgebürdet hatte, ist am 27. September 2019 in Bonn im Kreis ihrer Familie nach schwerer Krankheit gestorben.

„Im Jahr 1971 veranstaltete die Caritas Bonn, Abteilung Menschenrechte eine Sitzung, zu der verschiedene Menschenrechtsorganisationen eingeladen worden waren. Zufällig erfuhr ich von dem Ereignis und ging hin. Ich meldete mich zu Wort und berichtete von Kurdistan und den Kurden, über den Reichtum des Landes und die Probleme der Menschen in den vier Teilen Kurdistans. Im Anschluss an die Veranstaltung kam ein junger Mann auf mich zu und berichtete mir, dass er eine Menschenrechtsorganisation mit dem Namen „Gesellschaft für bedrohte Völker“ gegründet habe. Er habe großes Interesse, mit Kurden zu arbeiten. Dieser junge Mann war Tilman Zülch“, schrieb Maria in einem Text zum 40. Jubiläum der GfbV im Jahr 2008.

Seit jenem Tag war Maria mit der GfbV verbunden. Ihre Bonner Wohnung und später das Haus von ihr und ihrem Mann, Saleh Sido, der seit 2008 unser Ehrenmitglied ist, waren für die GfbV so etwas wie ein „Hauptstadtbüro“. Dort haben viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Mitglieder und GfbV-Gäste aus der ganzen Welt übernachten dürfen. Dort wurden Menschenrechtsaktionen für Kurden, Assyrer/Chaldäer/Aramäer, Armenier, Bosnier, Christen, Yeziden und viele andere verfolgte Minderheiten in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn organisiert. 

Maria war eine couragierte Frau, eine Kurdin und Yezidin. Auch wenn sie immer von einem freien Kurdistan träumte, war sie doch auch durchaus hier in Deutschland zuhause. Bereits 1967 kam sie aus dem nordsyrischen Afrin nach Bonn. Hier lebte und arbeitete damals bereits seit einigen Jahren ihr Bruder. Maria absolvierte eine Ausbildung zur Krankenschwester. 1972 heiratete sie Dr. Saleh Sido, der ebenfalls aus Afrin stammt, und brachte ihre drei Söhne Vindar, Jia und Alan zur Welt.

Zu Beginn der 1970er Jahre war Maria oft die einzige weibliche Delegierte bei den Kongressen der Kurdischen Studentenvereinigung in Europa (KSSE). Das war für sie jedoch kein Grund, sich zurückzunehmen. Im Gegenteil: Für sie war es ganz selbstverständlich, dass sie sich in Deutschland für Kurden und Kurdistan einsetzte. So hatte sie sich auch einigen kurdischen Exil-Vereinen und –Organisationen angeschlossen, darunter dem NAVEND- Zentrum für Kurdische Studien oder der Kurdischen Gemeinde Deutschland.

Anfang der 1990er Jahre setzte sich Maria für ein Wiederaufbauprojekt in Kurdistan-Irak ein. Mit 300.000 DM aus Nordrhein-Westfalen wurden auf Initiative der GfbV 100 Häuser in kurdischen Dörfern im Nordirak errichtet. Bei der Jahreshauptversammlung der GfbV 2015 wurde sie in Ehren verabschiedet. Sie war damals erneut als Kandidatin für den Vorstand vorgeschlagen worden, wollte jedoch wegen ihrer Krankheit nicht mehr kandidieren.

Ihre Heimat Afrin, wo Maria am 2. Februar 1944 geboren wurde, ist seit März 2018 von der türkischen Armee und von syrischen Islamisten besetzt, die von der Türkei unterstützt werden. Dort, in einem kurdisch-yezidischen Dorf, liegen die Eltern von Maria begraben. Selten ist es ihr gelungen, Afrin zu besuchen. Vor Assads Diktatur geflohen, musste sie dann das türkische Militär und die syrischen Islamisten fürchten. Nun wird sie in Bonn begraben.

Mit Maria Sido hat die GfbV eine selbstbewusste Vorkämpferin für die Minderheitenrechte verloren. Wir werden uns an sie und ihr herausragendes Engagement sowie an ihre überwältigende Gastfreundschaft immer in großer Dankbarkeit erinnern.