26.02.2006

BOSNIENS TRAGÖDIE – EUROPAS SCHANDE

EINLADUNG ZUR MENSCHENRECHTSAKTION IN DEN HAAG

EINLADUNG ZUR MENSCHENRECHTSAKTION IN DEN HAAG

am 27. Februar 2006

 

BOSNIENS TRAGÖDIE – EUROPAS SCHANDE

Internationale Menschenrechtsaktion der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) und der Überlebenden des bosnischen Genozids vor dem Internationalen Gerichtshofes (ICJ) in Den Haag (Carnegieplein/Vredes Paleis)

 

anlässlich

 

des Beginns der Verhandlungen zur Klage Bosnien und Herzegowinas gegen Serbien-Montenegro am 27. Februar 2006

 

Eindrücke von der Mahnwache in Den Haag

 

 

Am kommenden Montag beginnt vor dem Internationalen Gerichtshof (ICJ) in Den Haag die Anhörung zur Klage der Republik Bosnien und Herzegowina gegen Serbien-Montenegro wegen Aggression und Völkermord. Die Klage wurde 1993 von dem amerikanischen Rechtsanwalt Francis A. Boyle im Namen des damaligen multiethnischen Präsidiums Bosnien-Herzegowinas eingereicht. Diesem Präsidium gehörten damals die kroatischen Bosnier Stjepan Kljuic und Ivo Komsic, der serbische Bosnier Mirko Pejanovic, Vorsitzender des serbischen Bürgerrates und später Träger des Alternativen Nobelpreises, die serbische Bosnierin Tatjana Ljuic-Mijatovic und die muslimischen Bosnier Nijaz Durakovic und Alija Izetbegovic an.

 

Die Anhörung wird bis zum 09. Mai 2006 andauern.

 

Hunderte Überlebende des bosnischen Genozids, darunter 50 Frauen als Vertreterinnen von neun Verbänden der Angehörigen der Ermordeten aus Srebrenica und dem Drina-Tal, zahlreiche Häftlinge der ehemaligen serbischen Konzentrations- und Internierungslager sowie Überlebende der Bombardements bosnischer Städte, der Deportationen und "ethnischen Säuberungen" werden aus diesem Anlass an einer Mahnwache der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) vor dem ICJ teilnehmen und an die Massenmorde, die während des bosnischen Krieges (1992-1995) stattfanden, erinnern. Etwa 200 000 Menschen kamen damals ums Leben.

 

Während der Mahnwache werden ein 60m langes Transparent mit den Namen von 8106 Opfern des Massenmordes in Srebrenica sowie drei weitere Transparente mit den Namen von 16 Vergewaltigungslagern, 60 Konzentrations- und Internierungslagern sowie 324 bisher entdeckten Massengräbern präsentiert. Anschließend werden die Namen der Opfer verlesen.

 

Wir laden Sie herzlich ein zu unserer

 

Mahnwache für die Opfer von Angriffskrieg und Völkermord

in Bosnien und Herzegowina

 

vor dem Gebäude des Internationalen Gerichtshofes

(Carnegieplein/Vredes Paleis)

am Montag, den 27. Februar 2006, in Den Haag

Dauer der Mahnwache: von 10.00 Uhr bis 15.00 Uhr

Bitte informieren Sie auch Ihre Korrespondenten vor Ort.

 

Um 10.00 Uhr beginnen wir mit dem Verlesen von 8 106 Namen. Wir hoffen, dass sich die von uns angeschriebenen Abgeordneten des Niederländischen Parlaments den Frauen, die ihre Männer, Brüder oder Söhne in Srebrenica betrauern und diesem symbolischen Gedenken anschließen werden. Vorgesehen sind auch kurze Ansprachen der Repräsentanten der Hinterbliebenen.

 

Wir bitten Sie herzlich, über unsere Aktion in Den Haag in Ihrer Zeitung oder in Ihrer Sendung Bericht zu erstatten.

 

Während der Aktion ist die GfbV erreichbar unter Tel. +49 (0)151 153 09 888.

 

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HINTERGRUNDINFORMATIONEN

 

Die Frauen

 

Die 50 Frauen repräsentieren folgende Verbände: Bewegung der Mütter aus den Enklaven Srebrenica und Zepa, Verband der weiblichen Lagerinsassen Sarajevo, Srebrenica Mütter (Sitz: Srebrenica), Die Frauen aus Srebrenica in Tuzla, Die Mütter aus Srebrenica und dem Drina-Tal (Sitz: Sarajevo), Vereinigung der Frauen aus dem Drina-Tal (Sitz: Sarajevo und Drina-Städte), Verein der Familien der Vermissten aus Srebrenica (Sitz: Srebrenik), ‚Opfer des Krieges’ der Vergewaltigungslager in Foca, Visegrad, Srebrenica-Frauen Berlin, Überlebende der Konzentrationslager, Berlin..

 

Europas Schande

 

Die Gesellschaft für bedrohte Völker International erinnert mit dieser Mahnwache auch an die Schande Europas, das dem ersten Völkermord auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg vier Jahre lang tatenlos zugesehen hat trotz der weltweiten Warnungen, Appelle, Proteste und Aktionen einiger weniger Menschenrechtsorganisationen, und vieler herausragender Persönlichkeiten wie: Roy Gutmann, Susan Sonntag, Cherif Bassiouni, Simon Wiesenthal, Marek Edelman, Elie Wiesel , André Glucksmann, Freimut Duve, Daniel Cohn-Bendit , Christian Schwarz-Schilling, Stephan Schwarz, Otto von Habsburg, Alain Finkielkraut, Tadeusz Mazowiecki, Simone Veil, Marie-Louise Beck. Vaclav Havel, Henry Levy, Vytautas Landsbergis, Rita Süssmuth, Tan Sri Ghazali Shafi sowie viele Nichtregierungsorganisationen, etwa der American Jewish Congress, die Society for Threatened Peoples International/Gesellschaft für bedrohte Völker International und Human Rights Watch.

 

Der Genozid

 

Nachdem vor dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag seit 1993 Prozesse wegen Kriegsverbrechen an bosnischen Zivilisten geführt werden, soll jetzt das Belgrader Regime des Slobodan Milosevic für die dreijährige Aggression gegen Bosnien-Herzegowina (1992-1995) und den Genozid zur Verantwortung gezogen werden.

 

Es ist ein historisches Ereignis, dass zum ersten Mal in seiner Geschichte der Internationale Gerichtshof die Klage eines Staates (Bosnien und Herzegowina) gegen einen anderen (Serbien-Montenegro) wegen der Verletzung der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. Dezember 1948 verhandeln wird.

Das Internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag hat bereits den serbischen General Radislav Krstic wegen seiner Mittäterschaft im Genozid zu 35 Jahren Haft verurteilt. Im Juli 1995 erhob das Haager Tribunal Anklage wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen den bosnischen Serbenführer Radovan Karadzic und seinen General, den damaligen Oberbefehlshaber der bosnisch-serbischen Armee, Ratko Mladic. Dank einer Initiative der GfbV wurden in der Bundesrepublik Deutschland zwei serbische Kriegsverbrecher wegen Genozids verurteilt.

 

Das serbische Regime hat durch die Völkermord- und Kriegsverbrechen einen international anerkannten und souveränen Staat zerstört und nach den Massenvertreibungen auf der Hälfte des Territoriums die so genannte Republika Srpska errichtet, die bis heute unter dem Einfluss der Kriegspartei Karadzics steht.

 

Mehr als 90 Prozent der bosnischen Opfer waren bosnische Muslime/Bosniaken. Das Regime von Slobodan Milosevic war gemeinsam mit den Streitkräften der bosnischen Serben unter dem Kommando von Mladic und Karadzic und vielen paramilitärischen Einheiten verantwortlich für die Errichtung von über hundert Internierungs- und Konzentrationslagern, in denen mehr als 200 000 bosnische Zivilisten inhaftiert waren und in denen über 20 000 Häftlinge ums Leben kamen. Zu den berüchtigten Konzentrationslagern gehörten Omarska, Manjaca, Keraterm, Trnopolje, Luka Brcko, Susica und Foca.

 

Bis zu 30 000 bosnische Frauen wurden systematisch vergewaltigt, unter anderem in den Vergewaltigungslagern von Visegrad und Foca. Etwa 2,2 Millionen bosnische Kinder, Frauen und Männer wurden als Vertriebene und Flüchtlinge Opfer ethnischer Säuberungen und mussten ihre Heimat verlassen. Hunderttausende wurden über vier Erdteile zerstreut und können bis heute nicht in ihre Heimatorte zurückkehren.

 

Bosnische Städte wurden über Monate oder Jahre eingekesselt, ausgehungert und täglich beschossen, so auch die Städte Bihac, Sarajevo, Gorazde, Srebrenica, Cerska und Zepa. Allein in Sarajevo sollen etwa 11 500 Menschen, unter ihnen 1500 Kinder umgekommen sein. Einer der Befehlshaber der Verteidiger Sarajevos war der bekannte serbische General Jovan Divjak. Der große serbische Architekt Bogdan Bogdanovic hat die systemische Zerstörung von Sarajevo und anderen Städten als barbarischen Kampf gegen die städtische Kultur überhaupt verurteilt. In unzähligen Dörfern und Städten Nord-, West- und Ostbosniens fanden Massaker statt. In verschiedenen Städten, zum Beispiel in Prijedor, Zvornik und Foca wurden die Angehörigen der politischen und akademischen Eliten liquidiert. Bisher wurden 324 Massengräber exhumiert. Allein in Srebrenica wurden über 8 106 Knaben und Männer ermordet. Die Stadt Prijedor in Westbosnien beklagt 3224 Ermordete.

 

Hunderte Dörfer und Stadtteile wurden systematisch zerstört. In den serbisch besetzten Regionen wurden 1 347 Moscheen und Medresen sowie andere Mahnmäler osmanischen oder islamischen Ursprungs zerstört. Dazu kommen über 500 zerstörte katholische Kirchen und Gemeindehäuser. Planmäßig wurden vielerorts Lieferungen humanitärer Hilfe verhindert.

 

Zwar waren 90 Prozent der zivilen bosnischen Opfer muslimische Bosniaken, aber auch die serbischen Bosnier wurden zu Opfern des Krieges. Tausende junge Männer desertierten, um nicht mitschuldig zu werden. Manche stellten sich den Karadzic-Truppen entgegen und bezahlten mit ihrem Leben. Nicht wenige unterstützten ihre muslimischen Nachbarn oder versteckten sie. Andere teilten das Schicksal von Flucht, Vertreibung und Exil mit ihren nichtserbischen Verwandten oder harrten in Sarajevo aus.

 

Zur Arbeit der Gesellschaft für bedrohte Völker International für Bosnien:

 

Die GfbV hat unter anderem:

 

- 1992 der UN-Untersuchungskommission von Cherif Bassiouni und später dem Jugoslawien-Tribunal tausende Namen von Opfern und Tätern übermittelt

- mit den Funkamateuren der eingeschlossenen Enklaven von Gorazde und Bihac Verbindung gehalten und für sie internationale Telefonkonferenzen organisiert

- auf der ersten Menschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen 1993 in Wien gemeinsam mit bosnischen Flüchtlingen ein symbolisches Konzentrationslager errichtet;

- im September 1993 die kroatische Botschaft aus Protest gegen den Einmarsch kroatischer Truppen in Bosnien besetzt;

- mit der größten Demonstration außerhalb Sarajevos im April 1994 in Bonn mit 30 000 Teilnehmern gegen den Genozid protestiert;

- den einzigen großen internationalen Kongress über den Genozid im August 1995 in Bonn mit 150 Experten aus vier Erdteilen organisiert (Schirmherrschaft: Simon Wiesenthal);

- das erste Buch über den Genozid in Bosnien im Herbst 1992 publiziert;

- In der Gedenkstätte des KZ Buchenwald gemeinsam mit Überlebenden der serbischen Konzentrationslager und dem letzten Kommandeur der Freiheitskämpfer des Warschauer Ghettos, Marek Edelman an die Weltöffentlichkeit appelliert

- nach dem Fall Srebrenicas vor der Villa von Bundeskanzler Kohl einen symbolischen muslimischen Friedhof errichtet;

- die Verurteilung von Kriegsverbrechern in Deutschland initiiert;

- im August 1995, drei Tage nach dem kroatischen Einmarsch in der Kraijna, die Vertreibung kroatischer Serben dokumentiert;

- 1996 gemeinsam mit den Flüchtlingen aus Prijedor und 20 internationalen Journalisten einen Rückkehrversuch nach Prijedor organisiert;

- den großen nationalen Zeitungen und Fernsehsendern der westlichen Welt vier Jahre lang Gespräche mit überlebende Augenzeugen von Kriegsverbrechen vermittelt;

- seit 1996 die Verbände der Genozidopfer, der Minderheiten, der Häftlinge der Vergewaltigungslager, der Rückkehrer nach Srebrenica durch unsere Büros in Sarajevo und Srebrenica durch Vermittlung von Kontakten, Beratung, Vermittlung von logistischer und humanitärer Hilfe unterstützt und Treffen und Begegnungen von Friedensinitiativen gefördert.

 

Tilman Zülch, Verfasser mehrerer Bücher und Dokumentationen über den Krieg und Genozid in Bosnien und Leiter der Menschenrechtsarbeit für Bosnien und Herzegowina seit 1992, steht Ihnen bei Anfragen und Interviews zur Verfügung (+49 551 46274; +49 151 15 30 98 88). Er ist für diesen Text verantwortlich.

 

In Den Haag werden folgende Mitarbeiterinnen der Gesellschaft für bedrohte Völker für die Organisation verantwortlich sein: Frau Jasna Causevic, Referentin für Süd-Ost-Europa der GfbV-D, Fadila Memisevic, Direktorin der GfbV-BIH und Trägerin des Schweizer Menschenrechtspreises, Belma Zulic, Geschäftsführerin der GfbV-BIH, und Hatidza Mehmedovic, Leiterin des GfbV-Büros in Srebrenica.