28.02.2011

Deutsch-syrischer Menschenrechtler wird in Damaskus festgehalten

Erschreckende Zustände in syrischen Gefängnissen

Aus bedrohte völker_pogrom 264, 1/2011

Er kam gerade mit seiner Frau und den vier Kindern aus dem Urlaub. Nach einem Besuch in Syrien wollte er mit ihnen am 23. August 2010 von Aleppo zurück nach Deutschland fliegen, nach Kiel, wo die Familie lebt. Doch syrische Sicherheitskräfte hielten Ismail Abdi fest. Sie sagten ihm nur, er müsse mit dem Geheimdienst sprechen. Seine Familie musste alleine zurückfliegen und hat ihn seither nicht mehr gesehen.

An diesem Tag verschwand der deutsch-syrische Jurist und Menschenrechtler kurdischer Abstammung Abdi. Mehrere Wochen lang blieb sein Aufenthaltsort unbekannt. Seine Familie hatte keinen Kontakt zu ihm, musste aber befürchten, dass es ihm physisch und psychisch schlecht erging. Wegen gesundheitlicher Probleme ist Abdi auf Medikamente angewiesen, die er bei seiner Festnahme nicht bei sich hatte. Auch das Auswärtige Amt erhielt keine Informationen über seinen Verbleib - unter anderem, weil Abdi nicht nur eine deutsche, sondern immer noch eine syrische Staatsbürgerschaft hat. Erst Anfang Oktober 2010 wurde bekannt, dass Abdi ins Adra-Gefängnis in der Nähe von Damaskus gebracht worden war.

Wegen seiner Menschenrechtsarbeit als Vorsitzender der deutschen Zweigstelle des "Komitees zur Verteidigung der demokratischen Freiheiten und der Menschenrechte in Syrien", im Rahmen derer er auch die GfbV immer wieder über die Menschenrechtslage in Syrien informierte, war er angeklagt worden, gegen die Artikel 287 und 288 des Strafgesetzbuches verstoßen zu haben.

Darin heißt es: Artikel 287 1: "Jeder Syrer, der im Ausland wissentlich falsche oder übertriebene Informationen verbreitet, die dem Ansehen des Staates oder dessen finanzieller Position schaden, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter sechs Monaten und einer Geldstrafe von einhundert bis fünfhundert Lira bestraft. (…)"

Artikel 288 1: "Wer ohne Erlaubnis der Regierung in Syrien einem politischen oder?gesellschaftlichen Verein mit internationalem Charakter oder einer Organisation dieser Art beitritt, wird mit Freiheitsstrafe oder Zwangsaufenthalt von drei Monaten bis zu drei Jahren und mit einer Geldstrafe von einhundert bis zweihundertfünfzig Lira bestraft. 2. Nimmt der Täter in dem betreffenden Verein oder der betreffenden Organisation eine praktische Aufgabe wahr, betragen die Freiheitsstrafe oder der Zwangsaufenthalt mindestens ein Jahr und die Geldstrafe liegt nicht unter einhundert Lira."

Diese Artikel sind nur zwei Beispiele, wie Syrien Kritik im In- und Ausland gesetzlich zu unterbinden versucht. Die syrische Justiz kriminalisiert jede Art des regimekritischen Engagements. Offiziell gilt in der Arabischen Republik seit 1963 der Ausnahmezustand. Dadurch ist auch der Schutz durch viele rechtsstaatliche Mechanismen außer Kraft gesetzt.

Immer wieder werden "unbequeme" Menschenrechtler wie Ismail Abdi unter Verweis auf syrische Gesetze und mit dem Vorwurf, dem Ansehen des Staates zu schaden, verhaftet und gefoltert. Viele "verschwinden" wie Abdi "nur" für Tage oder Wochen, bei manchen bleibt der Aufenthaltsort monatelang unbekannt. Insgesamt sollen sich in Syriens Gefängnissen etwa 3.000 politische Gefangene befinden.

Die Zustände dort sind erschreckend. In sogenannten Gemeinschaftszellen werden zwischen 45 und 100 Insassen untergebracht, Mörder neben politischen Gefangenen. Im Winter ist es furchtbar kalt, die hygienischen Zustände sind katastrophal und eine medizinische Versorgung gibt es praktisch nicht. Die Häftlinge haben zudem keine Beschäftigung und der Hofgang ist sehr kurz. Vertrauliche Gespräche mit Angehörigen sind nicht möglich, da Wärter die Treffen und Telefonate überwachen. Dies schlägt sich auf die Psyche der Insassen nieder. Viele leiden unter Depressionen, auch kommt es immer wieder zu Übergriffen auf Mithäftlinge. Überdies ist Folter in Syriens Gefängnissen und Polizeistationen gängige Praxis. Neben den körperlichen Verletzungen kämpfen die Leidtragenden ihr Leben lang mit den psychischen Folgen dieser Misshandlungen. Immer wieder erliegen Folteropfer ihren schweren Verletzungen, unter ihnen sind unverhältnismäßig viele Kurden.

Die gesamte kurdische Minderheit Syriens ist seit Jahrzehnten erheblichen staatlichen Repressionen unterworfen: Die Arabisierungspolitik der Regierung hatte 1962 zur Folge, dass nach einer "Volkszählung" etwa 120.000 bis 150.000 Kurden ihre Staatsangehörigkeit entzogen wurde. Heute besitzen etwa 300.000 der etwa 1,8 Millionen Kurden Syriens keinen Pass, denn auch die Nachkommen der Staatenlosen haben kein Recht auf eine Staatsbürgerschaft. Ihnen ist es nicht möglich Land oder Eigentum zu besitzen. Sie dürfen nicht wählen, haben keine Ansprüche auf staatliche Unterstützung und können nicht im öffentlichen Sektor arbeiten. Der syrische Staat hat zwar seither mehrmals angekündigt, diese Situation zu verbessern, viel verändert hat sich jedoch nicht.

Obwohl die Kurden etwa zehn Prozent der Bevölkerung Syriens ausmachen, mangelt es ihnen auch an einer politischen Vertretung. Kurdische Parteien sind im Grunde verboten, weil die Verfassung auf ethnischer oder religiöser Identität basierende Parteien nicht zulässt. Die vereinzelten, dennoch existierenden kurdischen Parteien werden streng überwacht, jede Form der öffentlichen Meinungsäußerung ist ihnen verboten. Kurdische Kulturvereine sind inzwischen geduldet, dennoch dürfen keine Veranstaltungen in kurdischer Sprache stattfinden, da diese weiterhin aus dem öffentlichen Raum verbannt wird. Trotz einiger Lockerungen in der Politik gegenüber der kurdischen Minderheit seit dem Machtantritt Bashar al-Assads im Jahr 2000, bleibt zivilgesellschaftliches Engagement für Kurden weiterhin gefährlich – selbst im Ausland.

Das Dilemma aus Diskriminierung der kurdischen Minderheit und Unterdrückung von Kritik an der syrischen Politik kann nur durchbrochen werden, wenn die internationale Staatengemeinschaft Druck auf Syrien ausübt, damit das Land endlich den Ausnahmezustand aufhebt, seine Gesetzgebung ändert und die Bürgerrechte, vor allem die der Kurden stärkt. Dafür braucht es einen deutschen Staat, der keine Rücknahmeabkommen mit Syrien abschließt und aufhört, politische Flüchtlinge aus Syrien an ihr Verfolgerland auszuliefern. Trotz allem wird es auch in Zukunft mutige Menschen wie Abdi geben müssen, die die Welt über Missstände in Syrien informieren und für die Rechte ihres Volkes kämpfen.

[Zur Autorin]

Sonja Goslinowski studiert Ethnologie, Islam- und Rechtswissenschaft in Hamburg. Vor ihrem derzeitigen Auslandssemester in Jordanien absolvierte sie ein Praktikum im Nahostreferat der GfbV.


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