29.04.2005

Die Ureinwohnerpolitik Australiens - nationales und internationales Recht

Zwei Welten auf einem Kontinent

Apartheid in Australien?

Viele Angehörige der Aborigine-Gemeinschaften, deren Vorfahren im Laufe der letzten 212 Jahre von ihrem Land vertrieben, diskriminiert und verfolgt wurden, geben auf die Frage eine eindeutige Antwort: Ja! Die meisten von ihnen sind von einem selbständig organisierten Leben weit entfernt und werden nach wie vor in die Rolle von Bittstellern gedrängt, die am Rande einer Gesellschaft dahinvegetieren. Einer Gesellschaft, die sich offen, warmherzig und gastfreundschaftlich zeigt, aber je nach Hautfarbe und Herkunft des 'Gastes' bigotte Züge trägt.

Der in allen Lebensbereichen spürbare Rassismus beschäftigt immer wieder auch internationale Institutionen. Das Komitee zur Verhütung von Rassendiskriminierung bei den Vereinten Nationen (auf englisch: CERD) empfahl im März 1999 unter Verweis auf Artikel 2 und 5 der Konvention zur Überwindung von Rassendiskriminierung der australischen Regierung dringend, die 1998 eingebrachten Zusätze zum Landrechtsgesetz (Native Title Amendment Act) auf ihre diskriminierenden Folgen für die Ureinwohner des Landes zu überprüfen; für ein Land wie Australien eine diplomatische Rüge ersten Ranges. Das Ergänzungsgesetz beschneidet den Landrechtsanspruch der Aborigines empfindlich und schränkt die Konsultations- und Partizipationsverfahren bei strittigen Landrechtsfällen drastisch ein. Die Regierungsseite zeigte bislang dennoch keine Handlungsbereitschaft.

Landrechte

Seit den 1960er Jahren fordern die Aborigines Landrechte vor allem über Gebiete mit besonderer religiöser, kultureller und geschichtlicher Bedeutung. 1976 wurde der Aboriginal Rights Act für den Bundesstaat Northern Territory verabschiedet. Infolge dieses Gesetzes befindet sich mittlerweile rund die Hälfte des Nordterritoriums in Händen von Aborigines. Im Juni 1992 erkannte der Oberste Gerichtshof mit dem "Mabo-Urteil" das Bestehen von Landrechten für ganz Australien an. 1993 setzte die dortige Bundesregierung den "Native Title Act" in Kraft, der neben den Landrechten auch Entschädigungszahlungen regeln sollte. Mit Ausnahme von Western Australia, wo die Interessen der Bergbaugesellschaften besonders stark vertreten sind, übernahmen die meisten Bundesstaaten diese Gesetzgebung. Das Wik-Urteil aus dem Jahr 1996 erweiterte nochmals die Landrechte der Aborigines. 80 Prozent des Kontinents würden demnach dem allgemeinen Recht der "Native Titles" unterliegen. Dem Bestandsschutz der Pächter (für Weideland) sollte laut Urteil im Streitfall zwar größeres Gewicht beigemessen werden, aber der Zugang etwa zu heiligen Stätten oder traditionellen Jagd- und Fischfanggebieten hatte jetzt eine legale Grundlage. Dagegen erhob sich der Protest der Pächter und der Bergbaugesellschaften, so dass die konservative Regierung Howard im Juli 1998 einige Rechtsfolgen aus dem Wik-Urteil wieder aufhob.

Ähnlich verhält es sich mit einem Urteil vom Oktober 1999 (Fall Yanner), das den Aborigines das Recht zugesteht, ihrer traditionellen Jagd und Fischerei nachzugehen, soweit diese dem persönlichen Verzehr dienen. Die Regierungen einzelner Bundesstaaten protestierten dagegen und warnten, dass die Ureinwohner nun auch in Schutzgebieten jagen dürften. Ebenso meldeten sich Umweltschützer zu Wort und malten die Gefährdung seltener Tierarten an die Wand. Aborigines sind gewiss keine Umweltengel, und eine Auseinandersetzung um den Schutz von Flora und Fauna in manchen Gegenden ist notwendig. Sie kann jedoch nur auf dem Weg gemeinsam ausgehandelter Regelungen erfolgreich sein, nicht durch bevormundende Verbote über die Köpfe der Ureinwohner hinweg.

Sozialer Alltag

Australien hat 1975 das internationale Abkommen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (WSK-Rechte) sowie 1980 das internationale Abkommen über zivile und politische Rechte ratifiziert, die u.a. den Schutz vor Diskriminierung garantieren sollen. Artikel 6 der WSK-Rechte beinhaltet das Recht auf Arbeit. Den Aborigines steht dieses Recht offenbar nicht zu. Die Arbeitslosenrate unter Aborigines bewegt sich zwischen 38 bis über 50 Prozent. Die Vergleichswerte des nationalen Durchschnitts liegen bei 9 bis 10 Prozent. Mehr als die Hälfte der Aborigine--Jugendlichen bleibt nach der Schule ohne Arbeit, im Durchschnitt sind es 27 bis 28 Prozent. In ländlichen Gebieten hängen ganze Gemeinden am Wohlfahrtstropf. Ebenso weit klafft die Schere bei den durchschnittlichen Einkommen auseinander. Auch angemessene Wohnbedingungen (Artikel 11 der WSK-Rechte) bleiben angesichts grundlegender Mängeln in der Infrastrukturversorgung (Wasser, Kanalisation, Müllbeseitigung) sowie einer 20fach höheren Obdachlosenrate für viele ein Traum.

Gravierende Mängel sind ebenfalls in der Bildungspolitik sichtbar. 13 Prozent aller Aborigine-Kinder besuchen keine Schule, rund 50 Prozent der übrigen Schulkinder verlassen sie ohne Abschluss. In ländlichen Gebieten befinden sich weiterführende Schulen zum Teil mehr als 100 km von den Gemeinden entfernt. Bis in die 1960er Jahre wurden Aborigine-Kinder von ihren Eltern getrennt und in Missionsschulen gesteckt. Nur noch 20 Prozent der Aborigines sprechen eine ihrer traditionellen Sprachen.

Gesundheit

Artikel 12 der WSK-Rechte soll das Recht eine bestmögliche, physische und mentale Gesundheitsversorgung garantieren. Seit Jahren schon verweisen Aborigine-Organisationen jedoch auf die doppelten Standards im Gesundheitswesen, die zu ihren Lasten gehen. Die mittlere Lebenserwartung der Aborigine-Frauen beträgt 62, die der Männer 57 Jahre, während die australischen Durchschnittswerte bei 81 und 75 Jahren liegen. Krankheiten wie Diabetes, Asthma und Herzerkrankungen, aber auch Syphilis, Lepra und Trachoma (Augenkrankheit, die zur Erblindung führt) sind weit verbreitet. In manchen Regionen sind mehr als 30 Prozent der Bevölkerung davon betroffen. Viele Kinder leiden an Anämie (Blutarmut), parasitären Darminfektionen und Hirnschädigungen, die auf eine unzureichende Ernährung zurückzuführen sind. Zwei- bis viermal so viele Aborigine-Babys als im Landesdurchschnitt sterben bei der Geburt. Die Regierung Howard begnügt sich mit der zynischen Ansicht, 80 Prozent der Gesundheitsprobleme stünden im Zusammenhang mit Alkohol, Rauchen und Fettleibigkeit. Über die Ursachen oder Massnahmen für Abhilfe wird offenbar nicht nachgedacht.

Aborigines in Haft

Artikel 9 des Abkommens über zivile und politische Rechte soll u.a. willkürliche Festnahmen verhindern. Im Bundesstaat New-South-Wales dagegen können Aborigine-Jugendliche bereits beim bloßen Verdacht einer möglichen Straftat festgenommen werden. Im Bundesstaat Northern Territory kommen seit 1997 Jugendliche auch bei geringfügigen Delikten in Haft, zum Beispiel bei Störung der öffentlichen Ordnung oder Beleidigung von Amtspersonen. Jedes schuldig gesprochene Kind über 15 wird mindestens mit 28 Tagen Gefängnis bestraft. Eine 13jährige wurde wegen geringfügiger Delikte für sechs Wochen über 1500 Kilometer von ihrer Familie entfernt und ohne jegliche Möglichkeit der Kontaktaufnahme eingesperrt. Auch bei den erwachsenen Aborigines sind Haftstrafen an der Tagesordnung. Insgesamt landen die Aborigines 20mal häufiger im Gefängnis als der Rest der australischen Bevölkerung. Statistisch wurde die Hälfte der männlichen Aborigines zwischen 20 und 24 in den letzten fünf Jahren mindestens einmal inhaftiert. Festnahmen wegen Trunkenheit, "ungebührlichem Verhalten", Beamtenbeleidigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt gehören zu den häufigsten Anklagepunkten. Diese extremen Zahlen haben ihre Ursache auch in der weit verbreiteten Armut der Aborigines. Sie kommen auch bei Bagatelldelikten meist nicht um die Haftstrafe herum, weil sie Geldstrafen nicht bezahlen können.

Die Haftbedingungen der Aborigines sind inhuman und entwürdigend und stehen im krassen Widerspruch zu Artikel 10 des Abkommens über zivile und politische Rechte. Überfüllte, fensterlose Zellen tragen zu den alarmierend hohen Zahlen an Selbsttötungen unter inhaftierten Aborigines bei. Die Selbstmordrate unter Aborigines-Gefangenen ist sechsmal höher als im Durchschnitt. Ein 16jähriger Aborigine, der wegen Verdacht auf Trunkenheit eingesperrt war, erhängte sich in seiner Zelle in Alice Springs. Die Polizei hatte zuvor weder seine seelische Verfassung zur Kenntnis genommen, noch sein Verhalten in der Zelle kontrolliert, oder auch nur seine Familie über seinen Aufenthaltsort informiert. Dies alles ist der Regierung seit Jahren bekannt. Eine staatliche Untersuchungskommission stellte entsprechende Forderungen zur Änderung der strafrechtlichen Verfolgung von Aborigines und der Haftbedingungen auf. Auch hier fand jedoch bislang kein nennenswerter Fortschritt statt.

Versöhnung oder Verhöhnung?

1991 rief die australische Regierung zu einem Versöhnungsprozess ("reconciliation process") mit den Aborigines auf, einer auf zehn Jahre angelegten Verhandlungsinitiative, an deren Ende - zum hundertjährigen Jubiläum der Verfassung - eine neuer gesellschaftlicher Kontrakt zwischen weißer und indigener Bevölkerung stehen sollte. Ende Mai 2000 wurde in der Oper von Sydney, im Rahmen einer Tanzzeremonie (Corroboree), das Abschlussdokument der Öffentlichkeit übergeben - 33 Jahre nach dem Referendum, das den Aborigines die volle Staatsbürgerschaft zugestand. Im Gegensatz zu den damals unmittelbar wirkenden Rechtsfolgen erschöpft sich die Abschlusserklärung jedoch in bloßen Worten und gutem Willen; und selbst letzterer bleibt fragwürdig. Die von fast allen Aborigines erwartete förmliche Entschuldigung des australischen Regierungschefs für die Verbrechen der Vergangenheit blieb aus, ebenso wie die Anerkennung des Rechtes auf Selbstbestimmung.