01.02.2012

Editorial

Ulrich Delius, © GfbV

Aus bedrohte völker_pogrom 268, 5/2011

Liebe Leserinnen und Leser,

Peking ist „sterbenslangweilig“, sagte der chinesische Aktionskünstler Ai Weiwei vor kurzem, alle die kreativ seien, würden mundtot gemacht. Der weltbekannte Bildhauer weiß, wovon er spricht. Er selbst ist bei den Behörden in Ungnade gefallen, nachdem er öffentlich Unterdrückung und Willkür kritisiert hatte. Er wurde vom chinesischen Sicherheitsapparat zum Schweigen gebraucht: Fast drei Monate lang verschwand er ohne ein Lebenszeichen im Gefängnis. Nur dank massiver internationaler Proteste wurde Ai Weiwei schließlich nach Zahlung einer Kaution freigelassen.

Seit dem Ende der Kulturrevolution vor mehr als 40 Jahren wurden in China noch nie so viele Künstler, Schriftsteller und Dissidenten verhaftet wie heute. Unter den Festgenommenen sind auch viele tibetische und uigurische Autoren sowie mongolische Intellektuelle. Unter den mehr als 4.000 Hingerichteten im Jahr 2011 sind viele Uiguren. Zugleich werden Internet- und Pressefreiheit weiter beschränkt. In den Nationalitätengebieten der Tibeter, Uiguren und Mongolen nimmt die Repression stark zu. Ihre traditionelle Kultur und Religion werden immer mehr zerstört. So wurden in Ostturkestan Moscheen willkürlich geschlossen und uigurische Studenten während des Fastenmonats Ramadan im August 2011 von ihren Professoren dazu gezwungen, nicht zu fasten, wie es ihr muslimischer Glaube vorsieht. Die Altstadt Kashgars, des kulturellen Zentrums der Uiguren, wird von den chinesischen Behörden niedergerissen. Mehr als 44.000 Kulturdenkmäler wurden im Jahr 2011 in China zerstört.

In Tibet haben Selbstverbrennungen in erschreckendem Maße zugenommen. Viele buddhistische Mönche wählen diesen furchtbaren öffentlichen Freitod, weil ihnen ihre Lage so hoffnungslos erscheint. Auch Falun Gong wird rücksichtslos zerschlagen. Seit Januar 2011 starben mindestens 57 Anhänger dieser Meditationsbewegung eines gewaltsamen Todes in Polizeistationen, Arbeitslagern und Gefängnissen.

Es steht schlecht um die Kultur in der Volksrepublik. Aus Angst um ihren Machterhalt lässt Chinas Kommunistische Partei systematisch öffentliche Kritik von Schriftstellern, Künstlern, Regimegegnern sowie von Tibetern, Uiguren und Mongolen brutal unterdrücken. Chinas Machthaber streben in der Welt nach mehr Anerkennung und Einfluss. Doch im eigenen Land sorgen sie unter Intellektuellen und Künstlern für Grabesstille. Die internationale Gemeinschaft darf nicht wegschauen, wenn Tibets Mönche geknebelt und Jahrtausende alte Kulturschätze der Uiguren willkürlich zerstört werden. Der Ausbau der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen mit China darf nicht auf Kosten der Menschenrechte gehen!

Ihr

Ulrich Delius


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