23.11.2011

Entrechtet und gefährdet

Frauen in Tschetschenien:

Tschetschenische Frauen müssen auch noch etwas anderes erdulden: die "kaukasische Sitte" des Brautdiebstahls. Die junge Frau wird auf der Straße entführt, man schlägt ihren Kopf auf den Asphalt, und wenn sie dann in das wartende Auto gesteckt wird, hat sie oft schon das Bewusstsein verloren. Wenig später wacht sie im Haus ihres künftigen Ehemannes auf. Sie wird wenig von dem begreifen, was mit ihr passiert ist. Doch sie kann sich sicher sein, dass ihr keiner helfen wird. (Svetlana Gannuschkina, Taz 23.02.2009)

Seit diesem Kommentar von Svetlana Gannuschkina, der Leiterin der Organisation „Bürgerbeteiligung“, sind fast drei Jahre vergangen. Die Situation hat sich seither noch verschlimmert. Leider ist es nicht möglich, flächendeckend Informationen über Verschleppungen von jungen Frauen sowie Ehrenmorde zu erhalten, weil dies einerseits die Betroffenen gefährdet und sie andererseits von außen auch keine Hilfe erwarten. Trotzdem sollen mehreren unabhängigen Berichten zu Folge Ehrenmorde weit verbreitet sein und auch die als Brautraub getarnte Entführung von Mädchen und jungen Frauen soll so häufig vorkommen, dass Eltern ihre Töchter verstecken. Außerdem gab es schon Flüchtlinge in Europa, die als Fluchtgrund angaben, Angst vor der Entführung ihrer Tochter gehabt zu haben.

Selbst wenn es einer Organisation oder Privatpersonen gelingt, einer Frau, die entführt worden war, zur Flucht nach Russland zu verhelfen, ist sie hier vor den Schergen Kadyrows nicht sicher. Auch ihre Angehörigen werden dort nach ihr suchen, denn in deren Augen hat sie die Familienehre beschmutzt. Besonders erschwert wird die Lage noch, wenn die Frau ein Kind hat. Der tschetschenischen Tradition nach wird im Falle einer Trennung das Kind der Familie des Vaters zugeschrieben. Wenn dies nicht geschieht, gilt es als große Schande. Nur eine schnell organisierte Flucht in ein europäisches Land könnte Mutter und Kind in Sicherheit bringen.

Das von der GfbV-Partnerin und international ausgezeichneten Menschenrechtlerin Lipkan Bazaeva eingerichtete Frauenzentrum in Grosny führte 2010 eine Befragung unter 200 Frauen durch. 90 Frauen gaben an, zum Zweck der Heirat gewaltsam geraubt worden zu sein.

In Kadyrows Tschetschenien ist auch Polygamie erlaubt. Häufig verheiraten Familien ihre Töchter schon als Minderjährige, da die Ehe traditionell Schutz bietet. Sind die Frauen einmal verheiratet, werden sie für andere Männer uninteressant und sind so vor „Entführungen“ sicher.

Seit über einem Jahr gibt es auch Berichte über Frauenhandel in Tschetschenien. Die Betroffenen werden von Menschenhändlern entführt und entweder in Teilen der Russischen Föderation oder in arabischen Ländern zur Prostitution gezwungen. Wenn die Familie vom Schicksal der jungen Frau erfährt, gerät das Opfer in Gefahr, von seinen Brüdern, Onkeln oder anderen männlichen Verwandten. aufgesucht und getötet zu werden. So sind Frauen Menschenhändlern hilflos ausgesetzt.

Als Fazit lässt sich festhalten, dass die Frauen in Tschetschenien entrechtet, gedemütigt und Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt werden. Ihnen zu helfen ist extrem schwierig, weil sich jeder, der gegen die Politik Kadyrows angeht, selbst in Gefahr bringt. So versuchen russische Menschenrechtsorganisationen wie Memorial, einzelne Frauen zu unterstützen. Das Frauenzentrum hilft juristisch und führt in Schulen Trainings in Frauenrechten durch, was noch geduldet wird. Solange Kadyrow von Putin gestützt wird und letzerer nicht auf die Einhaltung der russischen Verfassung in Tschetschenien drängt, wird sich die Lage der Frauen in Tschetschenien nicht verbessern.