15.05.2018

Europa: Sind die Westbalkan-Länder reif für die europäische Union?

Memorandum zum Gipfeltreffen der EU und den Westbalkan-Ländern in Sofia am 17. Mai 2018

Die EU muss ihrer Führungsrolle auf dem Westbalkan gerecht werden und alle Länder in die Lage versetzen, sich zu einer demokratischen und gerechten Gesellschaft zu entwickeln. Bild: pxhere

Mit Montenegro und Serbien hat die EU bereits 2012 bzw. 2014 Beitrittsverhandlungen aufgenommen. Die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien hat seit 2005, Albanien seit 2014 Kandidatenstatus. Für diese beiden Länder hat die EU-Kommission am 17. April 2018 empfohlen, mit Beitrittsverhandlungen zu beginnen. Bosnien und Herzegowina hat im Februar 2016 einen Antrag auf EU-Beitritt gestellt. Das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen für den Kosovo trat im April 2016 in Kraft. Beide Länder sind potenzielle Beitrittskandidaten.

Nachdem den Westbalkanländern im Jahr 2003 in Thessaloniki ein EU-Beitritt in Aussicht gestellt wurde, hat die Europäische Kommission 15 Jahre später - am 6. Februar 2018 - eine Strategie für den westlichen Balkan beschlossen. Darin wird aufgezeigt, wann das jeweilige Land mit einem Beitritt rechnen kann und welche Reformen dafür nötig sind. Außerdem wurden sechs EU-Initiativen zur Unterstützung dieses Prozesses angekündigt. In Sofia will die EU den Ländern nun Anreize und Orientierungshilfe bieten und auf Fortsetzung notwendiger Reformen drängen. Doch es sind nicht nur Worte, sondern vor allem konkrete Schritte nötig, um die Westbalkan-Staaten an die EU heranzuführen. Denn ihre Zukunft bestimmt auch die Zukunft Europas.

In allen Ländern des Westbalkans herrschen autoritäre Politiker. Sie halten sich vor allem durch Korruption und Vetternwirtschaft an der Macht. Mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in diesen Ländern erfordert mehr politischen Willen. Von der EU sollte alles in ihrer Macht Stehende tun, damit die unterschiedlichen Interessen der einflussreichen neuen Akteure auf dem Balkan wie Russland, China, Türkei sowie einige arabische Länder die Orientierung der Westbalkanländer in Richtung der EU nicht gefährden. Im Interesse aller Westbalkan-Länder und der Europäischen Union muss die soziökonomische Entwicklung vorangetrieben werden, aber auch die angehäuften Probleme der Menschen in der Region müssen dringend gelöst werden. Besonderes Augenmerk ist dabei auf die unterprivilegierten und diskriminierten Minderheiten zu richten, die im Transformationsprozess eines besonderen Schutzes seitens der jeweiligen Staaten bedürfen. Auch die Schicksalsfragen der Flüchtlinge, Binnenvertriebenen und vermissten Personen aus den Kriegen in Bosnien und Herzegowina (1992-1995), Kroatien (1991-1995) und dem Kosovo (1999) müssen dringend gelöst werden. Nur eine effektive Vergangenheitsbewältigung, die auch die Sanktionierung der Leugnung von Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Inhalt hat, kann die Versöhnung befördern und den Frieden sichern.

Grundsätzlich könnte das Gipfeltreffen gute Erfolgschancen haben, da sich beide Parteien einen guten Ausgang wünschen. Zum einen strebt der Westbalkan wirtschaftliches Wachstum an und möchte sich langfristig die EU-Beitrittsoption offenhalten. Auf der anderen Seite hat die EU Interesse daran, eine potenzielle Konfliktzone zu stabilisieren sowie den Markt zu erweitern.

2025 als Beitrittsjahr für Serbien und Montenegro ist zwar realistisch, jedoch sehr ambitioniert. Das kann nur erreicht werden, wenn der Gipfel in Sofia insbesondere die politischen Eliten in allen Ländern in die Pflicht nimmt, grundlegende Reformen durchzusetzen als Voraussetzung dafür, in die europäische Familie aufgenommen zu werden. In Bosnien und Herzegowina wirkt ein wesentliches Hemmnis dagegen: Bis heute verhindert das Abkommen von Dayton (1995), dass sich das Land positiv in Richtung Europa entwickeln kann.

Die internationale Gemeinschaft hat viel zu lang tatenlos hingenommen, dass ultranationalistische Politiker und Anhänger der serbischen Kriegsverbrecher Radovan Karadži? und Ratko Mladi? die EU brüskieren, Kriegsverbrechen rundweg leugnen, den Hass in der Bevölkerung schüren und die Teilung des Landes vorantreiben. Die übergroße Mehrheit der mutmaßlichen Kriegsverbrecher ist nicht bestraft worden. Der Präsident der Republik Srpska, Milorad Dodik, droht mit Abspaltung. Er und seine Politiker blockieren den Großteil der für einen EU-und NATO-Beitritt notwendigen Reformen und damit auch die wirtschaftliche Entwicklung Bosniens. Deshalb muss es der EU endlich gelingen, die Bürger und Bürgerinnen Bosnien und Herzegowinas aus der „Zwangsjacke“ des Daytoner Abkommens zu befreien. Die EU muss ihrer Führungsrolle auf dem Westbalkan gerecht werden und alle Länder in die Lage versetzen, sich zu einer demokratischen und gerechten Gesellschaft zu entwickeln.

Das Memorandum können Sie hier kostenlos herunterladen (PDF).

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