13.07.2020

Gescheiterter Putschversuch vor vier Jahren (15.7.)

Türkische Gefangene warten auf den EGMR (Pressemitteilung)

Zum vierten Jahrestag des gescheiterten Putschversuchs in der Türkei am 15. Juli 2016 appelliert die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), die Bearbeitung von Klagen aus der Türkei dringend zu beschleunigen. „Zahlreiche kritische Medienschaffende und andere Personen haben in der Türkei keine Chance auf einen fairen Prozess. Eine Beschwerde beim EGMR ist ihre einzige Möglichkeit, Gerechtigkeit zu erfahren“, erklärt GfbV-Nahostexperte Dr. Kamal Sido. „Umso wichtiger wäre es, dass das Tribunal diese Fälle zeitnah verhandelt. Doch die Betroffenen warten oft seit Jahren ohne irgendein Ergebnis auf eine Entscheidung des EGMR.“  

So sei der Chef der Sendergruppe Samanyolu, Hidayet Karaca, seit dem 19. Dezember 2014 in Haft. Am 7. Mai 2015 habe er einen Antrag vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gestellt. „Seither wartet der Journalist auf eine Antwort des Gerichts“, berichtet Sido. „Inzwischen wurde er unter anderem wegen diverser Terrorismus-Delikte zu lebenslanger Haft verurteilt. Heute sitzt er in einer Zelle im Gefängnis von Istanbul-Silivri und leidet an verschiedenen Krankheiten.“ Zuletzt wurde bekannt, dass über 80 Inhaftierte in diesem Gefängnis an Covid-19 erkrankt sind. Mindestens ein Insasse ist daran gestorben.

„Gleichzeitig müssen alle Möglichkeiten genutzt werden, damit die Türkei als Mitglied des Europarats die Urteile des EGMR auch umsetzt“, mahnt Sido. „Es ist ein Skandal, dass sich die türkische Regierung beispielsweise über das Urteil zur Freilassung des ehemaligen HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirta? hinweggesetzt. Auch der Bürgerrechtler und Kulturmäzen Osman Kavala bleibt trotz der Forderung des EGMR im Gefängnis.“ Wenn die bisherigen Instrumente nicht ausreichten, um eine Umsetzung der Urteile zu garantieren, müssten neue entwickelt werden.

Die meisten Klagestellenden aus der Türkei hätten kein Verbrechen begangen, sondern von ihren demokratischen Rechten Gebrauch gemacht. „Viele sind Medienschaffende, die einfach Ihrer Arbeit nachgehen. Auch Mitglieder der kurdischen Volksgruppe, die sich friedlich an öffentlichen Diskussionen über die Anerkennung ihrer Rechte beteiligen, sind oft betroffen“, so Sido. Gleiches gelte für andere Gemeinschaften wie die assyrische/aramäische, armenische, christliche, alevitische und yezidische Volksgruppe. Die türkische Justiz stufe friedliche Meinungsäußerung regelmäßig als Terrorpropaganda ein. 

Im vergangenen Jahr waren am EGMR 59.800 Verfahren gegen 47 Staaten anhängig. 15.050 der Fälle (25,2 Prozent) betreffen Russland, die Türkei steht mit 9.250 Fällen (15,5 Prozent) an zweiter Stelle. Im Jahr 2019 wurden 884 Urteile gesprochen, davon 113 gegen die Türkei. In 97 Prozent dieser Urteile fand der EGMR Verstöße der Türkei gegen mindestens einen Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention. Die meisten Urteile wegen Verstößen gegen die Meinungsfreiheit entfielen auf die Türkei, nämlich 35 von insgesamt 68 Fällen.

Hier finden Sie den Appell.