21.09.2018

GfbV-Jahresbericht 2017

Geschäfts- und Arbeitsbericht der Menschenrechtsorganisation Gesellschaft für bedrohte Völker für 2017

Jedes Jahr kurz vor unserer Jahreshauptversammlung veröffentlichen wir unseren Jahresbericht. Darin berichten unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über ihre Kampagnen, Aktionen und viele andere Menschenrechtsinitiativen des vergangenen Jahres. Darüber hinaus erhalten Sie einen ausführlichen Überblick über unsere Finanzen und die Rahmenbedingungen unserer Arbeit. 

2018 ist für uns ein besonderes Jahr. Wir feiern das 50-jährige Bestehen der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) und erinnern uns voller Anerkennung und Dank an die Leistungen der vergangenen Jahrzehnte. Eine Person sollte dabei natürlich besonders in den Mittelpunkt gerückt werden: der Gründer der GfbV, Tilman Zülch! Ohne sein unermüdliches Engagement würde es unsere Menschrechtsorganisation heute nicht geben. 

Doch es gilt so vielen zu danken, die wir natürlich nicht alle namentlich erwähnen können. Ganz besonders herzlich gedankt sei den Regionalgruppenmitgliedern, den Koordinatorinnen und Expertinnen, die so ausdauernd und tatkräftig ehrenamtlich für unsere Sache unterwegs sind. Wir freuen uns sehr darüber, dass der Leiter unserer Regionalgruppe Karlsruhe, Burkhard Gauly, für sein langjähriges Engagement und die vielen vielen Stunden, die er ehrenamtlich unserer gemeinsamen Arbeit gewidmet hat, mit der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes ganz öffentlich geehrt wurde.

Am 20. Jahrestag des Massakers in Gulja (Ostturkestan/Xinjiang) im Nordwesten Chinas erinnerten wir an die Opfer und machten deutlich, dass sich seit langem die Situation der muslimischen Uiguren immer weiter verschlechtert. Im März waren wir gemeinsam mit Vertretern der Ilham-Tohti-Initiative im Auswärtigen Amt, um über das Schicksal des uigurischen Wissenschaftlers und Menschenrechtlers Ilham Tohti zu berichten. Er war 2014 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Wir baten die Regierung, sich für seine Freilassung einzusetzen. Es wurde uns zugesichert, dass man sich auch weiterhin für Tohti einsetzen wolle. Als Ilham Tohti mit dem Weimarer Menschenrechtspreis ausgezeichnet wurde, forderten wir die EU auf, sich für seine Freilassung einzusetzen. Nach Bekanntgabe des diesjährigen Preisträgers hatte die chinesische Botschaft beim Weimarer Oberbürgermeister Stefan Wolf interveniert und gegen die geplante Auszeichnung protestiert. Später verschwanden auf mysteriöse Weise Webseiten, auf denen Weimar über den Menschenrechtspreis informierte. Wir gehen davon aus, dass diese Seiten von Hackern aus China gelöscht wurden.

Im Juli 2017 demonstrierten wir gemeinsam mit im Exil lebenden Chinesen beim Besuch von Chinas Staatspräsident Xi Jinping und Bundeskanzlerin Merkel im Berliner Zoo anlässlich der Übergabe mehrerer Pandas für die Freilassung des in Haft schwer erkrankten Dissidenten und Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo. In Panda-Kostümen mahnten wir auf Schildern und Transparenten, beim Anblick dieser seltenen Tiere aus der Volksrepublik auch immer daran zu denken, dass dort Uiguren, Tibeter, Mongolen, Bürgerrechtler und Demokraten unter Schikanen, Verfolgung und Diskriminierung leiden. Viele Medien berichteten über den Protest.

In vielen Interviews und Presseerklärungen machten wir auf die dramatische Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan aufmerksam. Besonders wiesen wir auf den gezielten Terror des Islamischen Staates gegen die schiitische Hazara-Minderheit aufmerksam. Wir wiesen darauf hin, dass mehr als 300 Hazara im Jahr 2017 in Afghanistan bei Terroranschlägen sunnitischer Extremisten getötet wurden. Nachdrücklich forderten wir einen besseren Schutz der Angehörigen der Minderheit.

Während unserer Menschenrechtsaktion thematisierte unsere GfbV-Expertin für indigene Völker Tjan Zaotschnaja aus München auch die für die indigenen Völker zerstörerischen Aktivitäten von Rosneft. Die schweren Umweltschäden durch die Öl- und Gasförderung auf indigenem Territorium gefährdet massiv ihre Existenz.

Zu Beginn unserer Kampagne für eine Entschädigung der ostpreußischen Wolfskinder ließen wir einige von ihnen als letzte Zeitzeugen auf der Leipziger Buchmesse am 25. März 2017 zu Wort kommen. Die Zuschauer erfuhren so aus erster Hand, wie ostpreußische Kinder nach der Eroberung von Königsberg durch die Rote Armee 1945 ganz auf sich allein gestellt um ihr Leben kämpften und in Litauen warmherzig Aufnahme fanden. Erst in den 1990er Jahren begannen sie, um Anerkennung ihres unerhörten Leids zu ringen. Zur Leipziger Buchmesse erschien auch unser 102-seitiger Report Deutschlands vergessene Wolfskinder brauchen unsere Hilfe! Darin schilderten wir auch die bisher ablehnenden Reaktionen der Politik auf Bitten um finanzielle Ausgleichszahlungen. (Hier können Sie die Dokumentation lesen: Deutschlands vergessene Wolfskinder brauchen unsere Hilfe!) Und wir veröffentlichten unseren Appell an die Bundesregierung, den „Wolfskindern“ wenigstens jetzt noch Wiedergutmachung zu gewähren. Wir erreichten, dass zahlreiche Prominente unseren Appell unterzeichneten.

Am 20. Juni 2017 erhöhten wir den öffentlichen Druck auf die Entscheidungsträger: Wir erinnerten mit einer Mahnwache vor dem Deutschen Historischen Museum in Berlin an die vergessenen Wolfskinder und Kinderhausinsassen und appellierten an Bundesinnenminister Thomas de Maizière, das Schicksal dieser unschuldigen Kriegsopfer offiziell anzuerkennen und ihnen endlich eine Wiedergutmachung zu gewähren. Am 12. Juli 2017 übergaben wir dem Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Hartmut Koschyk eine wissenschaftliche Stellungnahme vom Historiker und Autor Dr. Spatz über die Zwangsarbeit der Wolfskinder und Kinderhausinsassen. Das hatte Erfolg: Im August 2017 teilte Hartmut Koschyk uns mit, dass die Wolfskinder und ehemalige Kinderhausinsassen bis Ende 2017 einen Antrag auf Entschädigung stellen können.

2017 arbeiteten wir weiter zu dem Verdacht, dass Roma-Flüchtlinge im Kosovo durch die Unterbringung in Flüchtlingslagern der Vereinten Nationen (UN) von 1999 bis 2012 auf bleiverseuchtem Grund gesundheitliche Langzeitschäden davongetragen haben sollen. Wir hatten schon kurz nach der Errichtung der Lager immer wieder auf die Verseuchung hingewiesen und ihre Schließung gefordert. Jetzt starteten wir nach der Erklärung der UN mit der Begründung, dass humanitäres Engagement kein Ersatz für Gerechtigkeit und individuelle Wiedergutmachung sein dürfe, eine Kampagne für Entschädigung der Betroffenen. Wir initiierten Im August 2017 eine umfangreiche Befragung unter den ehemaligen Bewohnern der bleivergifteten Lager im Kosovo, die den Verdacht erhärtete, dass die Gesundheit der ehemaligen Lagerinsassen durch den Aufenthalt in den Camps schwer gelitten hatte. Daraufhin schlossen sich Human Rights Watch, European Roma Rights Center in Genf, der Advancing Together und das RAD Documentation Center im Kosovo unserer Kampagne an.