25.08.2006

Gute und böse Indianer

Kommentar

aus: bedrohte völker_pogrom 237, 3/2006
Es ist eine, bis heute praktizierte amerikanische Methode, die kulturelle Vielfalt und soziale Vielschichtigkeit des eigenen Landes, wie auch der Welt, aus Gründen des besseren Überblicks und der besseren Einordnung und der besseren Kontrolle in Gut und Böse einzuteilen. Und so spricht man von guten Indianern und bösen Indianern. Die "Guten", das waren in der Vergangenheit jene, die mit sich reden ließen: die bereit waren, gegen Ihresgleichen auszusagen und die Waffe zu ziehen; die eine radikale kulturelle Transformation über sich ergehen ließen und bereit waren, ihre Spiritualität gegen die Bibel einzutauschen, und damit ihre Identität gegen die der Eroberer. Während die "Bösen" sich nicht änderten, also weiterhin darauf beharrten, Indianer zu bleiben. Nach diesem Muster erfolgte die Indianerpolitik bis in die frühen Siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts.

Plötzlich rührten sich die Reservatsbewohner, die man als stumm und taub abgelegt hatte, stellten sich quer, weil sie, bei aller Apathie, doch noch wahrnahmen, wie ihre Kinder drohten, vom Strudel der Assimilation mitgerissen zu werden und in einem Loch zu verschwinden. Damit begann die große Zeit des indianischen Widerstands. Eine Serie medienwirksamer Aufstände führte der Welt vor Augen, dass sich in Washington nichts geändert hatte, bis auf die Namen: Die Guten hießen jetzt progressives: die Fortschrittlichen – die Bösen traditionals: die Traditionalisten. Das Militär rückte aus gegen die Traditionalisten, die Progressiven wurden zitiert, wie sie sich distanzierten. Washington hatte sein festes Denkmuster: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Das Schema der Indianerpolitik stand Pate für das Schema der Weltpolitik.

Dann stellte sich Ende der Siebziger Jahre eine unerwartete Nuance ein: Die Reservatsbewohner wollten Geld. Diesmal schickte Washington kein Militär. Denn: Über Geld ließ sich reden. Und: Wer Geld wollte, war ja eigentlich auf dem richtigen Weg, dem American Way of Life: Everything money can buy. Die Sprache des Geldes war eine gemeinsame Sprache. Für gestohlenes Land sollte es jetzt Wiedergutmachungszahlungen geben, und die Stämme, die auf Rohstoffen saßen, sollten davon auch profitieren. Das Bild des neuen Indianers erschien auf den Wirtschaftsseiten der großen Tageszeitungen und war Thema an der Wall Street. Der Krieger und Jäger als Geschäftspartner. Der Häuptling im Anzug mit Aktenkoffer. Ein Kürzel machte schnell von sich reden: CERT – Congress of Energy Resources Tribes. Ein indianischer Kongress jener Stämme, die über Rohstoffe verfügten, mit denen sich Energie erzeugen ließ. Die Rohstoffe waren in erster Linie Kohle und Uran. Die Initiative ging damals von den Navajo aus, jenem Stamm der USA, dessen Reservat mit 275 000 Einwohnern sich auf die drei Staaten New Mexico, Arizona und Utah ausdehnt, und die größten Vorkommen an Kohle und Uran verfügte.

Vor wenigen Monaten machte der Stammesrat der Navajo erneut von sich reden, und zwar mit dem Dine Resources Protection Act, einem Gesetz, das künftig den Abbau von Uran auf ihrem Land verbietet. Damit hatte Business-America nicht gerechnet. Zu einem Zeitpunkt, da die Nation sich ihrer eigenen Energieressourcen besinnen sollte, wie es die National Energy Bill von Präsident George W. Bush vorsah, und 30 Millionen Dollar für die Exploration neuer Uranreserven bereitgestellt wurden, unterzeichnete nun der Stammesratsvorsitzende Joe Shirley den Dine Resources Protection Act. Eine klare Antwort – und ein klarer Gegenentwurf.

Eine neue Generation hat Einzug gehalten in Window Rock, Arizona, dem Sitz der Navajoregierung. Eine neue Generation, die mehr Selbstvertrauen hat als die Generation vor ihr. Eine neue Generation, die begriffen hat, dass Umweltzerstörung keine politischen Grenzziehungen kennt. Eine neue Generation, die begriffen hat, dass ihr indianisches Erbe eine Verantwortung gegenüber den Ungeborenen beinhaltet. Eine neue Generation, die den Mut hat, ihre eigene Vision der Zukunft zu entwickeln.

Die Entscheidung des Stammespräsidenten ist das Finale eines jahrzehntelangen Widerstands, der von der Außenwelt kaum wahr genommen wurde. Seit der Navajo Schafhirte Paddy Martinez im Sommer 1950 in der Nähe von Grants, New Mexico, schimmerndes Urangestein entdeckt hatte, war das Colorado Plateau von einem Boom ohne gleichen erfasst worden. Die öde Wüstenkleinstadt Grants gab sich den Titel Uranium Capitol of the World – Uranhauptstadt der Welt – , und noch heute bietet das Uranium Café in Grants in seiner Hamburger-Palette den Hit von damals, den Uranium Burger – mit viel Chillis. Die Männer der Navajo überließen die Schafherden ihren Frauen und Kindern und gingen unter die Erde. Ohne Schutz vor der Alpha-Strahlung, die beim Abbau frei wird. Zwanzig Jahre später kamen die ersten Fälle von Lungen- und Hautkrebs. Die Medizinmänner waren ratlos. Sie sahen die Ursache in dem Monster, das nach ihrer Mythologie im Berg Tsoodzil, dem südlichen ihrer vier heiligen Berge begraben liegt. Tsoodzil, auf den amerikanischen Landkarten Mount Taylor genannt, gehört zu den vier Eckpfeilern, innerhalb derer Dinètah liegt, das Universum der Dine, wie sich die Navajo selbst bezeichnen. Von 1979 bis 1990 war im heiligen Berg die größte Tagebau-Uranmine Nordamerikas. Die Ältesten gaben dem Monster Yeetso einen neuen Namen: Leetso – das gelbe, dreckige Monster.

Die offenen Abraumhalden neben den still gelegten Minen, gut 1000 an der Zahl, sorgen, Wind und Regen preis gegeben, nach wie vor für Verseuchung. Zudem tragen die Indianer noch immer an den Folgen des größten Unfalls in der Geschichte der Uranförderung: 1979 war bei Church Rock der Damm eines Stausees gebrochen, der angelegt worden war, um strahlenden Abraum zu sichern. 400 Liter verseuchtes Wasser und tausend Tonnen radioaktiver Schlamm kontaminierten die Region. Trotzdem tolerierten die sich abwechselnden Stammesregierungen die Urangewinnung; die Profite dienten der Rechtfertigung.

Kaum eine Familie der Navajo, die heute nicht Angehörige zu beklagen hat. Inzwischen gibt es in Washington eine Gesetzesgrundlage für Entschädigungen, doch das Geld wird immer wieder durch bürokratische Hindernisse aufgehalten. Papiere sollen die Witwen vorlegen: Papiere, die nachweisen, dass sie mit den Toten verheiratet waren, Papiere, die nachweisen, dass die Toten auch wirklich Bergleute waren. Es scheint, als vermute die korruptionsgesättige Regierungswelt Betrüger unter jenen Menschen, die sie ohne viel Aufhebens für den nuklearen Fortschritt geopfert hat. Bis heute müssen die Hinterbliebenen um die Summen kämpfen, die ihr hartes Leben etwas erträglicher machen würden in einer Gegend, in der bis heute elektrischer Strom und fließendes Wasser nicht zur Infrastruktur gehören.

Nun hatte die Firma Hydro Resources Inc. aus Texas bereits die Genehmigungen aus Washington eingeholt, um 2007 wieder Uran zu fördern, diesmal in situ: Ohne Stollen in den Berg zu treiben, sollte künftig das Uran aus dem Fels gelöst werden. Über Bohrschächte werden bei der In Situ-Methode Säuren in den Boden und ins Grundwasser zum Erzvorkommen gebracht, um dort das Uran vom Gestein zu trennen. Dass die Chemikalien das spärliche Grundwasser ungenießbar machen würden, ist kein Thema. Da hier seit über 30 Jahren die Peabody Coal Company Grundwasser benützt, um ihre geförderte Kohle als Schlamm zu den Kraftwerken des Südwestens zu befördern, hat die Trinkwasservernichtung sozusagen Tradition. Nun haben die Navajo ihre begrenzte Souveränität als indianische Nation zum Einsatz gebracht und neuen Zugriffen vorgebeugt.

Etwa zeitgleich trug sich, ebenfalls von den Medien ignoriert, im Norden des US-Staates New York ein vergleichbar einschneidendes Ereignis zu: Die Onondaga, zentrale Nation der sechs Nationen der Irokesen, die sich selbst Haudenosaunee nennen, gingen vor Gericht. Sie fordern einen etwa 30 Kilometer breiten Landstreifen zurück, der von Pennsylvania bis hoch zur kanadischen Grenze reicht. Im 18. Jahrhundert war fast alles Onondaga Land unter fragwürdigen Umständen in den Besitz von New York State übergegangen. Ein Gesetz verbietet es jedoch einem Bundesstaat, Indianerland in Besitz zu nehmen. Vor diesem Hintergrund fordern die Onondaga jetzt ihr Land zurück. Anlass ist der durch verschiedene Industrien verursachte, Besorgnis erregende ökologische Zustand, dessen Verschlechterung sie nicht mehr hinnehmen wollen. Allein der See, der ihren Namen trägt, gilt als nicht mehr zu retten.

Die Klage beginnt in einer Sprache, die für ein weißes Bundesgericht recht verwirrend sein dürfte: "Das Volk der Onondaga möchten mit dieser Klage einen Prozess der Heilung einleiten: Heilung zwischen denen, die schon immer hier waren und denen, die neu dazu gekommen sind. Die Nation der Onondaga hat eine besondere spirituelle, kulturelle und historische Beziehung zu diesem Land, für das Gayanashagowa, das Große Gesetz des Friedens der Haudenosaunee gilt. Diese Beziehung geht weit über die juristischen Rechte von Landbesitz und Eigentum im Rechtswesen der USA hinaus. Wir, die Menschen der Onondaga sind eins mit dem Land und betrachten uns als seine Hüter. Es ist die Pflicht unserer Häuptlinge, sich um das Land zu kümmern, auf dass es heilen und an die kommenden Generationen weiter gegeben werden kann. Die Onondaga Nation reicht diese Klage bei Gericht ein, um den Prozess der gegenseitigen Versöhnung zu beschleunigen und Gerechtigkeit, Frieden und Respekt zu allen zu bringen, die auf diesem Land leben und von ihm leben."

Wie erfolgreich Navajo und Onondaga mit ihren juristischen Waffen letztlich sein werden, wird die Zukunft zeigen. Doch um die Tragweite ihrer Entscheidungen zu beurteilen, müssen wir nicht warten. In einer Ära, in der die Erde in die Angriffsziele der amerikanischen Regierung mit aufgenommen wurde, wie allein die geplante Ausbeutung der Wildnis von Alaska beweist, in einer Ära, in der nichts mehr heilig ist, schon garnicht die Schöpfung, und in der in den Schulen der USA vielfach nicht mehr die Lehre der Evolution verbreitet werden darf, in einer solchen Ära müssen die Navajo und Onondaga als Verbündete gefeiert werden. "Der Krieg der Zukunft", so prophezeite in den Siebziger Jahren der Irokesen-Philosoph John Mohawk Sotsisowa, "wird zwischen den Zerstörern der Natur und den Verteidigern der Natur ausgetragen werden." So gesehen, hat die Zukunft schon begonnen.

[ Quelle ]

Der Kommentar wurde

vom Bayerischen Rundfunk am

24. Juli 2005 gesendet