07.09.2006

Hasankeyf: Einem mehrere Jahrtausende alten Erbe der Menscheit droht der Untergang

Interview mit Aref Arslan

Aref Arslan

 

Wie stehen die Menschen in Hasankeyf zu dem geplanten Bau des Staudamms?

Sie sind dagegen. Das Projekt zur Stauung des Tigris an dieser Stelle, dessen Pläne seit mindestens 24 Jahren auf dem Tisch liegen, konnte auf Grund des Widerstandes in der Region bisher nicht verwirklicht werden. Der damalige Kenntnisstand für die Evaluierung des Projektes ist längst überholt. Die Entwürfe von damals werden der heutigen Situation nicht gerecht.

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Mindestens 60.000 Menschen werden ihre Dörfer und ihr Land verlassen müssen. Sie werden regelrecht vertrieben. Insgesamt sollen 201 kleine Ortschaften und Dörfer inklusive Hasankeyf in den Fluten des Stausees hinter dem Ilisu-Damm versinken. Außerdem sollen rund 100 archäologisch wahrscheinlich bedeutende Orte – Städte und Dörfer -, überflutet werden, die noch nicht erforscht worden sind

Der Stausee wird 300 Kilometer lang und 100 Kilometer breit sein.

Die 60.000 Vertriebenen werden in die großen Städte Diyarbakir und Batman gehen, wo es schon jetzt große Slumviertel gibt. Einige werden sogar nach Europa kommen, weil sie keine Heimat mehr haben.

Seit 1984 wurden mehr als 3000 Dörfer im Südosten der Türkei zerstört. Diyarbakir und Batman haben für die Aufnahme von noch mehr Menschen keine Kapazitäten. Diyarbakir hat 1,5 Mio und Batman 400.000 Einwohner. Denn sie müssten mit vielen sozialen Problemen wie Arbeitslosigkeit, Krankheiten, Obdachlosigkeit und mehr rechnen.

Bis jetzt wurden in Südostanatolien 22 Staudämme gebaut. Die Menschen, die ihre Dörfer verlassen mussten, bekamen nur geringe Entschädigungen. Im Grunde sind sie leer ausgegangen. Eine Familie, die aus sechs bis zwanzig Mitgliedern besteht, bekommt z.B. 5000,- Euro Entschädigung. Der Großteil der Entschädigungen wird zudem an Großgrundbesitzer und nicht an einfache Menschen gezahlt. In der Region Batman warten Zehntausende seit zwanzig Jahren auf eine Entschädigung, die ihnen beim Bau eines anderen Staudammes versprochen wurde.

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Von der Vertreibung sind Frauen besonders betroffen, denn sie haben in den Großstädten keine Chance, Arbeit zu finden. Die Frauen nehmen in ihren Dörfern eine wichtige Rolle ein. In den Städten hingegen, werden sie arbeitslos und somit eine Last für die Familie.

Bedenklich sind zudem die zu erwartenden Umweltbelastungen.

 

Gibt es in der Türkei eine kritische Berichterstattung dazu?

Ministerpräsident Erdogan hatte in Batman mehrfach versprochen, dass Hasankeyf nicht überflutet wird. Doch er hat seine Meinung geändert und ist entschlossen, das Projekt durchzuführen. Den Grund für diesen Kurswechsel kennen wir nicht.

Ich möchte betonen, dass die gesamte türkische Presse gegen den Bau dieses Staudammes ist. Hasankeyf wird als Weltkulturerbe bezeichnet, das unbedingt erhalten bleiben muss. Jetzt ist Europa am Zug, da die europäischen Länder eine Chance haben, das Projekt zu verhindern. Obwohl am 6.8.2006 die Grundsteinlegung stattgefunden hat, wurde mit dem Bau des Staudammes noch nicht begonnen. Wenn die Europäer keine Kredite gewähren, ist Hasankeyf noch zu retten.

Als Beispiel möchte ich Staudämme erwähnen, die im Westen und Norden der Türkei gebaut werden sollten. Die Öffentlichkeit konnte damals auf dem Rechtsweg verhindern, dass Allianoi, Bergama und das Firtina-Tal mit seinen alten Ruinen überflutet wird. Nichtregierungsorganisationen in Europa und Amerika haben dazu beigetragen, dass diese Altertümer gerettet wurden.

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Auch für Südostanatolien besteht noch Hoffnung.

 

Kann die GfbV durch Postkartenaktionen oder Ähnliches in der Türkei die Stimmung bzw. politische Entscheidungen beeinflussen?

Ja, davon bin ich überzeugt. Man sollte auch den Druck auf Siemens und Züblin erhöhen, damit diese sich nicht am Bau dieses Projektes beteiligen.

 

Gibt es Gruppen, die ein Gerichtsverfahren gegen den Staudamm eingeleitet haben?

Es liegt eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und beim höchsten Gericht in Ankara vor. Zudem hat die Rechtsanwaltskammer in Diyarbakir und in Batman gegen den Bau geklagt. An diesen Verfahren sind ca. 100 Rechtsanwälte beteiligt. Weitere Klagen gegen den Bau werden folgen.

 

Wie ist der Kontakt zur UNESCO? Hätten die Menschen Interesse daran, dass die GfbV sich bei der UNESCO gegen den Bau des Staudammes einsetzt?

Wir selbst als NGOs, die gegen den Bau protestieren, können die UNESCO nicht dazu bewegen, Hasankeyf in die Liste des Weltkulturerbes aufzunehmen. Dafür stellen normalerweise Tourismus- und Kulturministerien die Anträge. Da in diesem Fall der Staat selbst den Bau durchsetzt, wird es keinen Antrag geben.

Ich bin mir nicht sicher, aber vielleicht kann die GfbV einen Antrag bei der UNESCO stellen und die Stadt retten.

 

Welche Firmen sind zu welchem Anteil am Bau beteiligt?

Aus Deutschland beteiligt sich die Siemens AG sowie die Züblin AG, in Österreich VA TECH und Andritz AG, in der Schweiz Alstom und in der Türkei Nurol und Cengiz.

 

Was wünschen sich die Menschen, die vom Bau betroffen sind, von einer Organisation wie der GfbV?

Wenn unsere Stadt Hasankeyf überflutet wird, sind wir entwurzelt. Wir werden kein Gedächtnis und keine Vergangenheit mehr haben. Wir werden zu Menschen gemacht, die nicht mehr wissen, woher sie stammen. Wir schauen nach Europa, wir rufen die Europäer dazu auf, uns zu helfen, um unsere Stadt zu retten. Die GfbV hat weltweit sehr viele Ziele erreicht. Wir glauben, dass die GfbV auch Hasankeyf helfen wird. Die Öffentlichkeit hat es damals geschafft, britische Firmen von einer Beteiligung am Staudammbau abzubringen. Wir erwarten von der GfbV, dass sie die deutsche Öffentlichkeit mobilisiert und die Regierung und Banken unter Druck setzt, damit diese keine Kredite für den Bau gewähren. Wir hoffen auf die Hilfe der GfbV und andere Nichtregierungsorganisationen.

Göttingen, 25.08. 2006

Das Interview führte und übersetzte GfbV-Nahostreferent Dr. Kamal Sido unter Mitarbeit von Niels Wiere