06.09.2006

ILO 169 - Das Wichtigste in Kürze (FAQ)

Was ist die ILO?

Das Kürzel ILO steht für International Labour Organisation (ILO) bzw. Internationale Arbeitsorganisation. Die ILO wurde 1919 gegründet, hat ihren Sitz in Genf und ist heute den VN (Vereinten Nationen) angegliedert. Sie hat 173 Mitgliedsstaaten und will vor allem die soziale Sicherheit, die Lebens- und die Arbeitsbedingungen der Bürger dieser Staaten verbessern.

Was ist die Konvention ILO 169?

Die Konvention zu indigenen und in Stämmen lebenden Völkern C 169 ist die bislang einzige internationale Norm, die den Ureinwohnervölkern rechtsverbindlichen Schutz und Anspruch auf eine Vielzahl von Grundrechten garantiert. Die Konvention wurde am 27. Juni 1989 verabschiedet und trat am 5. September 1991 in Kraft. Ratifiziert wurde sie bislang von 17 Staaten (Argentinien, Bolivien, Brasilien, Costa Rica, Dänemark, Ekuador, Fiji, Guatemala, Honduras, Domenica, Kolumbien, Mexiko, Niederlande, Norwegen, Paraguay, Peru und Venezuela) darunter mit Norwegen, Dänemark und den Niederlanden auch drei europäische.

Wer sind indigene Völker?

Die Ureinwohner eines bestimmten Gebietes werden bei den VN und von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) auch als "indigene Bevölkerungen" bzw. "indigene Völker" bezeichnet. Der Begriff "indigen" wurde 1995 von der VN-Arbeitsgruppe zu Indigenen Bevölkerungen (UNWGIP) geprägt und soll für Völker gelten, die ein bestimmtes Territorium als erste besiedelt und genutzt haben, die aus freien Stücken eine kulturelle Besonderheit bewahren, welche die Sprache, Sozialorganisation, Religion, Spiritualität, Produktionsweisen, Gesetze oder Institutionen einschließen kann oder die über ein Selbstverständnis als von anderen verschiedene, geschlossene Gruppe verfügen und als solche von anderen Gruppen oder staatlichen Institutionen auch anerkannt werden.

Warum ist die Konvention ILO 169 für die indigenen Völker so wichtig?

Die Konvention wendet ausdrücklich den Begriff "Völker" an und erkennt damit ausdrücklich auch Kollektivrechte indigener Völker an. Das ist neu, denn die internationalen Menschenrechtsstandards basieren üblicherweise ansonsten auf dem Individualrecht [das internationale Recht kennt ansonsten durchaus Rechte von Staaten etc., also Kollektivrechte]. Den Regierungen, welche die Konvention ratifiziert haben, erlegt sie in insgesamt 44 Artikeln Mindeststandards im Umgang mit Ureinwohnern und in Stämmen lebenden Völkern auf. Besonders wichtig sind:

 

- Recht auf kulturelle Identität und auf gemeinschaftliche Strukturen u. Traditionen (Art. 4)

- Recht auf Land und Ressourcen (Art. 13-19)

- Recht auf Beschäftigung und angemessene Arbeitsbedingungen (Art. 20)

- Das Konsultationsverfahren als solches und das Recht, an der Art der Entwicklung auf dem jeweiligen Territorium beteiligt zu werden (Art. 6 und 7).

Besonderen Schutz genießen die ursprünglich besiedelten Territorien bis hin zum Recht auf Rückforderung von Land, die kulturelle Identität, die natürliche Umwelt sowie die auf indigenen Territorien vorkommenden Rohstoffe. Außerdem erlaubt eine Ratifizierung der Konvention den Zugriff auf die Kontrollmechanismen der ILO. Das bedeutet:

- Staaten, welche die Konvention ratifiziert haben, müssen alle fünf Jahre Berichte über die Umsetzung des Abkommens vorlegen.

- Regierungen, Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen können Klagen oder Beschwerden einreichen, wenn ein Unterzeichnerstaat gegen die Konvention verstößt.

Wie verhält sich Europa zur Konvention ILO 169?

Auf Ebene der EU wird die Konvention als Wegweiser für die Planung und Durchführung von Entwicklungsprojekten betrachtet.

1994: Das Europäische Parlament fordert die EU-Regierungen (mit Entschließungsantrag A3-0059/94) auf, der ILO-Konvention beizutreten.

1998: Die EU-Kommission verabschiedete mit ausdrücklichem Bezug auf die ILO-Konvention 169 ein Strategiepapier zur verbesserten, zukünftigen Entwicklungszusammenarbeit zwischen EU und indigenen Völkern. Im selben Jahr verabschiedete auch der Ministerrat eine entsprechende Resolution (13461/98).

Was ist in der Bundesrepublik bislang geschehen, um eine Ratifizierung in die Wege zu leiten?

1996: Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) spricht sich in einem Strategiepapier ausdrücklich für die Berücksichtigung der ILO-Konvention 169 in der bundesdeutschen Außen-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik aus. Bei dieser zustimmenden Haltung ist das Ministerium bis heute geblieben.

Im selben Jahr setzt sich die damalige Regierung Kohl im Rahmen einer Anfrage mehrerer SPD-Abgeordneter sowie der SPD-Fraktion detailliert mit der Konvention 169 der ILO auseinander (Drucksache 12/5367). In der Beantwortung dieser Anfrage heißt es unter anderem, dass "Menschenrechte, Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit und die Beteiligung der jeweiligen Bevölkerung am politischen Entscheidungsprozess (geeignet sind) Art und Umfang der Entwicklungszusammenarbeit mit einem Partnerland auch von der Situation indigener Bevölkerungsgruppen abhängig zu machen." Völkerrechtliche bedenken machte

 

die Regierung Kohl ausdrücklich nicht geltend. Dennoch kam es nicht zur Ratifizierung, da man davon ausging, dass die Konvention sich nur an Staaten wende, in deren Grenzen indigene Völker beheimatet seien.

2002: Am 3. 12. hat der Deutsche Bundestag mit der Resolution "Menschenrechte als Leitlinie der deutschen Politik" (Drucksache 15/136) auf Antrag der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen die Bundesregierung aufgefordert die ILO-Konvention 169 zu ratifizieren.

2005: Als die Bundesregierung keinerlei Initiative erkennen lässt, dieser Resolution folgend das Ratifizierungsverfahren in Gang zu setzen, plant die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen das Einbringen einer neuerlichen Resolution, in der die Bundesregierung noch eindringlicher und dezidierter aufgefordert wird, endlich aktiv zu werden. Doch angesichts der vorzeitigen Auflösung der Regierung im Mai und der Ankündigung von Neuwahlen unterbleibt diese Initiative. Sie soll nun in der neuen Legislaturperiode erneut aufgegriffen werden.

Was hat das alles mit uns zu tun?

Mit ihrer Außen-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik beeinflusst auch die Bundesrepublik Deutschland die Lebensbedingungen von Angehörigen indigener Völker und Gemeinschaften unmittelbar. Beteiligung deutscher Firmen und Banken am Staudammbau oder an Öl-Pipeline-Projekten sind dafür ebenso Beispiele wie die Einfuhr von Erdöl oder Erdgas. Deshalb ist Deutschland gefordert, Verantwortung für die Folgen solcher Projekte zu übernehmen.

Ein Projekt, das 2005 besonderes Aufsehen erregte ist die Ostseepipeline, die noch von Altkanzler Schröder mit dem russischen Präsidenten Putin vereinbart wurde. Deutsche Firmen verdienen an dem Pipelineprojekt kräftig mit. Das Gas, für dessen Export sie gebaut wird, stammt von Ureinwohnerland aus Sibirien. Der Altkanzler selbst wird als Mitglied im Aufsichtsrat des entsprechenden Konsortiums den Bau der Pipeline gewährleisten. Doch wo immer bisher in diesem Teil der Erde Rohstoffe gefördert wurden, geschah dies ohne Rücksicht auf die Lebens- und Wirtschaftsweise der indigenen Völker Sibiriens und hinterließ allzu oft biologisch tote Gebiete sowie sozial und kulturell zerstörte Gemeinschaften.

Was scheint gegen eine Ratifizierung der ILO 169 zu sprechen?

1. Es gibt innerhalb des Innenministeriums Bedenken, dass die Möglichkeit der Selbstidentifikation (als 'in Stämmen lebend') zu einem unkalkulierbaren Risiko hinsichtlich der Inanspruchnahme innerhalb Deutschlands führen könnte. Dadurch könnten finanzielle Belastungen für den Bundeshaushalt entstehen. Angespielt wird hier insbesondere auf die ethnische Minderheit der Roma.

Die in Deutschland lebenden und bekannten Minderheiten sind aber bereits durch das Grundgesetz und durch die von Deutschland ratifizierten Übereinkommen mit weit mehr Rechten ausgestattet, als die ILO-Konvention 169 bieten könnte:

- Europäische Charta für Regional- oder Minderheitensprachen (2002)

- Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten (1998)

- Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1965) inkl. dem Beschwerdeverfahren nach Artikel 14 dieser Konvention (2003)

Materielle Folgekosten in Bezug auf Schule, Gerichte oder Arbeitsverhältnisse, die durch eine Ratifizierung der ILO-Konvention entstehen könnten, sind daher kaum zu befürchten. Abgesehen davon ist es wenig überzeugend, einen Grundrechtekatalog wie es die Konvention ILO 169 für die indigenen Völker ist deshalb nicht anzuerkennen, weil er unter Umständen sogar in Anspruch genommen werden könnte.

2. 2. Veränderungen in der Minderheitenpolitik Deutschlands, die bisher stark auf Integration ausgerichtet ist, werden mit großen Bedenken versehen. Durch die Umsetzung der ILO 169 wird ein 'Richtungswechsel' hin zu einer Politik der Segregation durch vermeintlichen "Sonderregelungen" (Stichwort: positive Diskriminierung) befürchtet.

Die ILO-Konvention 169 zielt darauf ab, Diskriminierung zu verhindern. Dies geschieht durch Anerkennung spezifischer Mindestrechte für besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen, damit sie überhaupt in die Lage kommen, sich gleichwertig in der nationalen Gesellschaft zu behaupten - mit Blick auf eine bessere Integration, worunter auch das gegenseitige Lernen von anderen Kulturen zu verstehen ist. Integration also - allerdings nicht im Sinne von Assimilierung!

Diese Ziele haben bislang alle Bundesregierungen verfolgt, zuletzt dokumentiert in der Zustimmung zur Durban-Erklärung (2001), dem Abschluss-Dokument der Weltkonferenz gegen Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängende Intoleranz, in Durban. Außerdem gibt es einen nationalen Aktionsplan für spezifische Fördermaßnahmen für Minderheiten in Deutschland.

Warum sollte die Bundesregierung die ILO-Konvention 169 ratifizieren?

Den genannten Bedenken gegenüber steht die außerordentliche Gelegenheit, Glaubwürdigkeit und Image einer an Menschenrechten orientierten Politik zu unterstreichen.

Die Menschenrechtsabteilung der ILO fordert international einflussreiche Staaten unabhängig davon, ob eine innerstaatliche Anwendbarkeit vorliegt oder nicht, ausdrücklich dazu auf, die Konvention 169 zu ratifizieren, da ein Menschenrechtsstandard nur bei größtmöglicher weltweiter Akzeptanz seine Wirkung entfalten kann. Deutschland hat sich auch in der Vergangenheit bereits in diesem Sinne solidarisch erwiesen, wie die Ratifizierung der Konvention gegen die Todesstrafe oder gegen Rassismus und Apartheid durch die Bundesregierung belegen. Daher spricht auch nichts gegen eine Ratifizierung der Konvention 169 der ILO, auch wenn keine indigene Bevölkerung innerhalb unserer Staatsgrenzen lebt.

Allein die Tatsache, dass ein so bedeutsames Land wie Deutschland die Konvention ratifiziert, würde den indigenen Partnern signalisieren, dass gleichberechtigte Partnerschaften angestrebt werden. Zu diesen neuen Partnerschaften hatten sich alle UN-Mitgliedsstaaten zu Beginn der ersten UN-Dekade für die Indigenen Völker der Welt 1994 verpflichtet. Die Bundesregierung kann davon ausgehen, dass ein solcher Schritt nachhaltig registriert wird; nicht zuletzt von den Staaten, die die Ratifizierung bereits geleistet haben und aufgrund ihrer inneren Verhältnisse ein tatsächliches Wagnis eingegangen sind.

Aber auch über die solidarischen Gründe hinaus ist eine Ratifizierung der ILO 169 sachlich zu raten. Bisher haben vorwiegend Länder Lateinamerikas die Konvention ratifiziert, zum einen bedingt aus historischen Gründen, zum anderen aufgrund des dortigen Regelungsbedarfs. Allerdings zeichnet sich ab, dass demnächst auch auf dem afrikanischen Kontinent mit Unterschriften zu rechnen ist. So meldeten Kamerun, Kenia, Marokko und Südafrika Interesse an der ILO-Konvention 169 an. In Europa verdichten sich die Anhaltspunkte für eine Ratifizierung durch Spanien.

Das Übereinkommen Nr. 169 wird zu einem wesentlichen Bezugspunkt indigener Rechte, zu einem international anerkannten Grundgesetzt der indigenen Völker, das umgekehrt auch entsprechende Instrumentarien von Ländern und Unternehmen einfordert, die in diesen Ländern tätig werden wollen. Das Übereinkommen leistet dadurch einen wesentlichen Beitrag die Rechtssicherheit, Verfahrenssicherheit und eine rationale Kostenkalkulation für mögliche Investoren - auch aus Deutschland - zu verbessern.

Was ist der Koordinationskreis ILO 169?

Im Koordinationskreis ILO 169 haben sich Organisationen zusammengeschlossen, die sich für eine Ratifizierung der Konvention ILO 169 durch die Bundesregierung einsetzen. Zurzeit (September 2004) gehören ihm an: Adivasi-Koordination in Deutschland e.V. (Kassel), Agencia Latinoamerica de Sevicios Espeiciales de Información (ALASEI, Bonn), amnesty international (Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V. (ai Berlin/Bonn), Bundes, Arbeitskreis Indianer heute (Reichenhall i.V.), Abteilung Menschenrechte beim Diakonischen Werk (Stuttgart), Brot für die Welt (Stuttgart), Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko (München), Fakultät für Soziale Arbeit (Eichstätt-Ingolstadt, Prof. Dr. Christian Beck), FoodFirst Informations- und Aktionsnetzwerk (FIAN, Herne), Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV, Göttingen), Institut für Ökologie und Aktions-Ethnologie (infoe, Köln), Klima-Bündnis e.V. (Büro Frankfurt/Main), Lateinamerikareferat des Missionswissenschaftlichen Institutes Missio e.V. (Aachen), Ökumenischer Ausschuss für Indianerfragen in Amerika (München), Menschenrechte 3000 (Freiburg), Südostasien-Informationsstelle (Asienhaus, Essen), Missionszentrale der Franziskaner e.V. (Bonn), urgewald (Sassenberg), Vamos e.V. (Münster),

Text: Yvonne Bangert

Quellen: www.ilo169.de; www.gfbv.de; Theodor Rathgeber, Gutachten zur potenziellen innerstaatlichen Wirkung der ILO-Konvention 169, im Auftrag der Diakonie Stuttgart, Abteilung Menschenrechte, 2005