20.06.2005

ILO-Konvention 169

Warum Deutschland die ILO-Konvention nicht unterzeichnet

Die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO) wurde bereits 1989 gemeinsam mit Vertretern indigener Völker abgefasst und anschließend verabschiedet. Als einzige völkerrechtlich bindende Norm über eingeborene und in Stämmen lebende Völker stellt sie die derzeitige Grundlage für deren Schutz dar. Sie beinhaltet unter anderem Artikel über die vollständige Gewährleistung der Menschenrechte, die Gleichheit vor Justiz und Verwaltung, über die Rechte auf kulturelle Identität und Traditionen, politische Partizipation und die Gestaltung der eigenen Zukunft, auf Land mitsamt dessen Ressourcen, Beschäftigung und angemessene Arbeitsbedingungen und auf Ausbildung und Zugang zu Kommunikationsmitteln.

Bislang wurde die ILO-Konvention 169 von 23 Staaten ratifiziert, darunter bisher nur fünf europäische Staaten: Norwegen (1990), Dänemark (1996), die Niederlande (1998), Spanien (2007) und unlängst Luxemburg (2018).

In den vergangenen Legislaturperioden wurden immer wieder Anträge zur Ratifizierung der Konvention in den Deutschen Bundestag eingebracht, meist von den Parteien Bündnis 90/Die Grünen und SPD, wobei die Linke die Vorhaben in Abstimmungen und Statements immer unterstützt hat. Hauptargument einiger Parteien gegen die deutsche Unterzeichnung ist, deutsche Unternehmen vor Haftungs- und Prozessrisiken bei Verstößen gegen die Konvention schützen zu wollen. Derzeit ist es nicht möglich, deutsche Unternehmen, die in Ländern des Globalen Südens gegen die Statuten der ILO-Konvention verstoßen, in Deutschland dafür zu belangen. Dabei hält das Leitprinzip 15 der Vereinten Nationen wirtschaftliche Unternehmen dazu an, sich grundsätzlich der Achtung der Menschenrechte zu verpflichten und appelliert an die UN-Mitgliedsstaaten ein Verfahren zur Einhaltung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht einzuführen.

Im Vergleich zu seinen Nachbarländern ist Deutschland weit abgeschlagen, wenn es um gesetzliche Regelungen zu menschenrechtlicher Sorgfalt von Unternehmen geht: In Frankreich und Großbritannien existieren bereits Gesetze, die Unternehmen im kompletten Produktionsprozess dazu verpflichten, die Menschenrechte zu schützen; die Niederlande sind dabei, eine Sorgfaltspflicht von Unternehmen in Bezug auf Kinderarbeit zu verabschieden; in der Schweiz ist eine Verfassungsänderung hinsichtlich einer Sorgfaltspflicht auf den Weg gebracht worden, über die Ende 2019 abgestimmt werden soll; sogar das Europäische Parlament strebt nach einer generellen Sorgfaltsprüfungspflicht auf EU-Ebene. Amnesty International, Germanwatch, Brot für die Welt und Oxfam haben bereits ein 80-seitiges Gutachten verfasst, welches die Möglichkeiten der Einführung einer Sorgfaltspflicht in Deutschland darstellt.

Es gibt allerdings gute Aussichten: Erstmals steht nun in einem Koalitionsvertrag, dass die Ratifikation der ILO-Konvention 169 zum Schutz indigener Völker angestrebt wird. Der ILO-169 Koordinationskreis begrüßt die Bemühungen der regierenden Parteien, sich für den Schutz von Menschenrechten, explizit indigener Völker, einzusetzen. Am Ende der aktuellen Kampagne soll durch Bewusstseinsschaffung und Lobbyarbeit die Ratifizierung der ILO-Konvention 169 durch Deutschland stehen.

Für die Ratifizierung der Konvention 169 sprechen einige Punkte. Es ist wichtig, dass die traditionell lebenden Gemeinschaften, die überall auf der Welt verteilt sind, besonders geschützt werden, leisten sie doch einen wichtigen Beitrag zum Schutz der Wälder. Es gilt, ihr über Jahrhunderte erworbenes Wissen auf kultureller wie auch wissenschaftlicher Ebene zu schützen und für die Zukunft zu bewahren. Immer häufiger dringen große Unternehmen in die Territorien der indigenen Gemeinschaften ein, wo sie auf der Suche nach Rohstoffen, Energierohstoffen und vielem mehr sind. Sie gefährden und zerstören damit den Lebensraum von Pflanzen, Tieren und indigenen Völkern – und das in den oft leicht korrumpierbaren Staaten Lateinamerikas meist mit der Zustimmung der örtlichen Regierungen. Durch Großprojekte wie etwa Staudamm-Bauten oder Bergbau kommt es sehr oft zu Menschenrechtsverletzungen gegenüber Indigenen und schwerwiegenden Umweltkatastrophen, deren Opfer sie sind. Die ILO-Konvention 169 kann helfen, ihnen eine Stimme zu geben, um sich gegen diese Menschenrechtsverletzungen zu wehren. Dies kann zum Beispiel durch die in der Konvention vorgeschriebene Verpflichtung zu einem sogenannten consimiento libre, previo e informado (free prior informed consent/FPIC) geschehen, welche Eingriffe in die Einzugsgebiete Indigener nur unter vorhergehender Konsultation und Zustimmung der betroffenen Bevölkerung zulassen.

Ein weiteres, starkes Argument für die ILO-Konvention ist die aktuelle Klimawandel-Problematik. Das traditionelle Wirtschaften der Indigenen ist auf den Erhalt der natürlichen Umwelt ausgerichtet: Im Einklang mit ihrer Umwelt verwenden die Indigenen Völker nur gerade so viel, wie sie benötigen. Mit diesem Verhalten tragen sie beispielweise in den Regenwäldern Amazoniens aktiv zu dem Erhalt der Lunge unserer einen Erde bei.

Da bisher nur 23 Staaten weltweit, die meisten davon in Lateinamerika, die Konvention 169 ratifiziert und in nationales Recht umgewandelt haben, fehlt es ihr bislang an Stärke. Teilweise beruft sich Deutschland sogar auf die Konvention, obwohl es sie bislang nicht ratifiziert hat, so etwa in der Absichtserklärung mit Norwegen und Peru zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen aus Waldschädigung und Waldvernichtung im peruanischen Amazonasgebiet aus dem Jahr 2014. Gerade deshalb ist es unverständlich, weshalb der Deutsche Bundestag die ILO-Konvention 169 noch nicht unterzeichnet hat.

Zuletzt könnte die Ratifizierung durch Deutschland - abgesehen von der Einführung einer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht von Unternehmen - Deutschlands Position als Vorreiter in Sachen Klimaschutz stärken und womöglich weitere Staaten zu einer Ratifizierung motivieren.