24.04.2020

Jahrestag der Entscheidung des Yezidischen Hohen Rates

Die vergessenen Kinder des Genozids (Pressemitteilung)

Bild: Gisela Prieß

Am 27. April 2019 entschied der Yezidische Hohe Rat im Irak über das Schicksal von Kindern, die von Kämpfern des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS) in Vergewaltigungen gezeugt wurden: Vorerst dürfen seitdem nur ihre yezidischen Mütter – nicht aber die Kinder – in die Gemeinschaft zurückkehren. „Am ersten Jahrestag dieses Beschlusses möchten wir an das fortwährende Leid der yezidischen Gemeinschaft erinnern. Diese Gemeinschaft hat Undenkbares erlebt und wartet immer noch auf Gerechtigkeit“, erklärt Lina Stotz, Referentin für Minderheiten und Nationalitäten bei der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). Am 3. August 2014 hatte der IS einen Völkermord an der yezidischen Gemeinschaft verübt, in dessen Zuge neben Ermordungen und Massenvertreibung auch 6.000 yezidische Frauen und Mädchen vom IS entführt und zwangsverheiratet wurden. Viele der Frauen wurden daraufhin schwanger. Es geht um hunderte von Kindern. 

Die von einer radikalen Auslegung des Korans geprägten irakischen Gesetze, einige von Traditionen beeinflussten Regeln sowie schwere Traumata und mangelnde Rechte der Gemeinschaft in ihrer Heimat erklärten diese Haltung. Für die Kinder aber sei die Entscheidung fatal. Seitdem stünden Frauen, die sich aus IS-Gefangenschaft befreien und Kinder haben, vor der Wahl: entweder sie behalten ihre Kinder oder sie kehren in ihre yezidischen Familien zurück. Das Ergebnis seien viele staatenlose Waisenkinder mit ungewisser Zukunft. 

„Den Kindern von Vergewaltigungsopfern kann nur geholfen werden, wenn der ganzen yezidischen Gemeinschaft als solcher geholfen wird“, so Stotz. Helfen müsse die irakische Regierung: Die irakische Verfassung sei auf dem islamischen Scharia-Recht aufgebaut, weshalb die Kinder von vergewaltigten Yezidinnen als Muslime gelten und als solche registriert würden. Ihre yezidischen Mütter dürften hiernach die Kinder nur behalten, wenn sie selbst zum Islam konvertieren, da „islamische Kinder“ von Nicht-Muslimen nicht versorgt werden dürften.  Diese Gesetzgebung würde als große Hürde zur Aufnahme der Kinder empfunden und unterstützt fatalerweise indirekt die genozidalen Absichten des IS.

Außerdem warteten hunderttausende yezidische Vertriebene noch darauf, zurückkehren zu können in ihre Heimat im Nordirak. Sie leben seit über fünf Jahren in Flüchtlingslagern. Die irakische Regierung müsse dringend für Sicherheit und Wiederaufbau in dieser Region sorgen, damit sie zurückkehren können. Ein Leben mit gleichen Rechten und Pflichten sei für die Gemeinschaft immer noch in weiter Ferne.
Auch Deutschland sei in der Pflicht: Die Kinder und ihre Mütter bräuchten dringend speziell auf sie zugeschnittene humanitäre Hilfe. Zudem sollten besonders bedürftige Kinder und ihre Mütter nach Deutschland gebracht werden, um hier dringend nötige psychologische Betreuung zu erfahren. Dies ist in ihrer Heimat nicht möglich. 

„Kinder, die in Vergewaltigung gezeugt wurden – etwa im Nachkriegseuropa, Bosnien und Ruanda – waren und sind mit Ausgrenzung und Hass konfrontiert. Wir hoffen, dass so etwas nicht wieder geschieht und dass die yezidische Gemeinschaft unterstützt wird, sodass diese Kinder eine Zukunft haben“, so Stotz.