20.06.2016

Menschenrechtler mahnen mit Aktion in Berlin: Abschiebung langjährig geduldeter Flüchtlinge ist Vertreibung!

Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung (20.Juni) (Pressemitteilung)

"Angesichts ihrer unerträglichen Situation und eingedenk der Verfolgung und Vernichtung der Sinti und Roma durch das NS-Regime fordern wir die Bundesregierung und die Bundesländer auf, die nur rund 4.400 langjährig in Deutschland geduldeten Roma aus dem Kosovo als Kontingent bei uns aufzunehmen und so ein Zeichen des guten Willens für diese existenziell bedrohte Minderheit zu setzen." Tilman Zülch, Präsident der GfbV International

Während der Feierstunde der Bundesregierung zum Gedenken an die Opfer von Flucht und Vertreibung im Deutschen Historischen Museum am Montag in Berlin hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) gemeinsam mit langjährig geduldeten Roma aus dem Kosovo gegen die geplante Abschiebung dieser Minderheitenangehörigen protestiert. „Das Schicksal der deutschen Vertriebenen beklagen wir. Doch wir müssen ihr Vermächtnis ernst nehmen: Jeder Mensch, der gewaltsam aus seinem Zuhause gerissen wird, wird entwurzelt und für sein Leben gezeichnet. Deshalb müssen wir die hier geborenen und aufgewachsenen Roma-Kinder vor einer Abschiebung bewahren. Deutschland ist ihre Heimat, sie dürfen nicht vertrieben werden!“, forderte der GfbV-Generalsekretär, Tilman Zülch, während der Mahnwache.

In einem Appell an Innenminister Thomas de Maizière kritisierte der Menschenrechtler, dass zwar mehr als einer Million Flüchtlingen die Tür nach Deutschland geöffnet wurde. Doch die Innenminister und –senatoren verwehrten den hier schon lange ansässigen Flüchtlingskindern und Jugendlichen das Bleiberecht. Für die nur noch rund 4.400 langjährig in Deutschland geduldeten Roma aus dem Kosovo müsse es eine Kontingentlösung geben. Sie dauerhaft aufzunehmen wäre ein Zeichen des guten Willens für diese existenziell bedrohte Minderheit. Kosovo sei für die hier aufgewachsenen Roma-Kinder ein fremdes, abweisendes Land. Dort bekämen Roma keine Arbeit, im Krankheitsfall fänden sie so gut wie keine medizinische Hilfe und ihre Kinder würden in Schulen gehänselt und ausgegrenzt.

Zülch erinnerte daran, dass Deutschland nicht nur eingedenk der Verfolgung und Vernichtung der Sinti und Roma durch das NS-Regime, sondern auch durch seine Beteiligung an der Nato-Sicherheitstruppe im Kosovo (KFOR) eine besondere Verantwortung für die Roma-Flüchtlinge hat. „Mehr als 100.000 Angehörige der Roma-Minderheiten wurden während und nach dem Krieg im Kosovo 1998/1999 vor den Augen auch deutscher Bundeswehrsoldaten, die zur KFOR gehörten, von nationalistischen Albanern vertrieben. 70 von 75 ihrer Dörfer und Stadtteile wurden geplündert und zerstört. Nur ganz wenige ihrer Häuser wurden wiederaufgebaut“, heißt es in dem GfbV-Appell. „Wir appellieren an Sie, bitte sorgen Sie dafür, dass diese Flüchtlingskinder und ihre Angehörigen endlich in ihrer Heimat – Deutschland – bleiben dürfen und wie die russlanddeutschen und jüdischen Aussiedler schnell eingebürgert werden.“


Sie können den vollständigen Appell hier online lesen oder sich herunterladen: Appell an Innenminister Thomas de Maizière (pdf)

Göttingen/Berlin, den 20. Juni 2016

Abschiebung langjährig geduldeter Flüchtlinge ist Vertreibung! „Unsere“ Roma-Kinder dürfen nicht entwurzelt werden!

Sehr geehrter Herr Minister de Maizière ,

die Bundesregierung begeht heute mit einer Feierstunde im Deutschen Historischen Museum in Berlin den Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung weltweit, insbesondere für die deutschen Vertriebenen. Es ehrt Sie und die anderen Politikerinnen und Politiker unseres Landes, dass die Bundesregierung seit 2015 so an den Weltfüchtlingstag der Vereinten Nationen am 20. Juni anknüpfen und auch das Schicksal der Vertriebenen erinnert.

Unverständlich ist jedoch, dass das Schicksal der langjährig geduldeten Roma-Flüchtlinge und Vertriebenen aus dem Kosovo völlig ausgeblendet wird: Die Angehörigen dieser Volksgruppe werden bei Nacht und Nebel abgeschoben, ihren hier geborenen und aufgewachsenen Kindern wird die Zukunft genommen.

Das Schicksal der deutschen Vertriebenen beklagen wir. Doch wir müssen ihr Vermächtnis ernst nehmen: Jeder Mensch, der gewaltsam aus seinem Zuhause gerissen wird, wird entwurzelt und für sein Leben gezeichnet. Deshalb appellieren wir dringend an Sie, die hier geborenen und aufgewachsenen Roma-Kinder und ihre Familien vor der Abschiebung zu bewahren. Deutschland ist ihre Heimat, sie dürfen nicht vertrieben werden!

Diese Flüchtlingskinder leben bei uns seit sechs, acht, fünfzehn oder zwanzig Jahren. Sie sind hier geboren oder aufgewachsen, sprechen Deutsch als Muttersprache. Unsere deutsche Gesellschaft hat sie längst kulturell zu Deutschen gemacht. Ihre Eltern sind meist in den 90er Jahren zu uns geflohen. Für ihre Integration haben sich viele unserer Bürger engagiert und materiell sowie ideell unendlich viel geleistet. Soll dieses eingesetzte Kapital jetzt verschleudert werden?

Es erfüllt uns mit großer Scham, dass durch Abschiebungen Väter von Müttern, Eltern von Kindern oder Geschwister voneinander getrennt werden, dass selbst Schwerstkranke, Alte und traumatisierte Kriegsopfer ins Nichts „deportiert“ werden. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel mehr als einer Million Flüchtlingen die Tür geöffnet hat, versagen Innenminister und –Senatoren den hier schon lange ansässigen Flüchtlingskindern und Jugendlichen das Bleibrecht.

Nach der Vernichtung von 500.000 Sinti und Roma im Dritten Reich – unsere Menschenrechtsorganisation hatte seinerzeit Bundespräsident Karl Carstens und Bundeskanzler Helmut Schmidt zu einer Entschuldigung und die Bundesregierungen zu Wiedergutmachungsregelung bewegt – weigern sich Bund und Länder, den nur ca. 4.400 langjährig geduldeten Roma aus dem Kosovo endlich eine Heimat zu geben. Deutsche Gesetze haben diesen Flüchtlingen lange genug die Arbeitsaufnahme erschwert, die Weiterbildung der Jugendlichen behindert, die Freizügigkeit auf den jeweiligen Landkreis beschränkt.

Mehr als 100.000 Angehörige der Roma-Minderheiten wurden während und nach dem Krieg im Kosovo (1998/1999) vor den Augen auch deutscher Bundeswehrsoldaten, die zur Nato-Sicherheitstruppe KFOR gehörten, von nationalistischen Albanern vertrieben. 70 von 75 ihrer Dörfer und Stadtteile wurden geplündert und zerstört. Heute ist Roma im Kosovo der Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt, nur ganz wenige ihrer zerstörten Häuser wurden wiederaufgebaut. Roma finden im Krankheitsfall so gut wie keine medizinische Hilfe, ihre Kinder werden in Schulen gehänselt und ausgegrenzt. Verschiedenen Schätzungen zufolge gibt es im Kosovo heute bis zu 38.000 Roma, Aschkali und Kosovo-Ägypter. Bis zu 8.000 von ihnen sind Roma. Vor dem Krieg lebten dort etwa 150.000 Angehörige dieser Minderheiten.

Angesichts ihrer unerträglichen Situation und eingedenk der Verfolgung und Vernichtung der Sinti und Roma durch das NS-Regime fordern wir die Bundesregierung und die Bundesländer auf, die nur rund 4.400 langjährig in Deutschland geduldeten Roma aus dem Kosovo als Kontingent bei uns aufzunehmen und so ein Zeichen des guten Willens für diese existenziell bedrohte Minderheit zu setzen.

Wir appellieren an Sie, bitte sorgen Sie dafür, dass diese Flüchtlingskinder und ihre Angehörigen endlich in ihrer Heimat – Deutschland – bleiben dürfen und wie die russlanddeutschen und jüdischen Aussiedler schnell eingebürgert werden.

Herzlichen Dank!

Tilman Zülch, Präsident der Gesellschaft für bedrohte Völker International

Weiterlesen