27.06.2011

Neue Verhaftungen in Tibet – Rund 500 Massenproteste pro Tag in China

China: Wen Jiabao’s Traum von der Harmonie in der Volksrepublik bleibt ein Wunschtraum

"Wenn die Bundesregierung gegenüber Chinas Premierminister Wen Jiabao nur prominente Einzelfälle wie den Künstler Ai Weiwei anspricht, so wird sie der katastrophalen Lage der Menschenrechte in der Volksrepublik nicht gerecht", kritisierte die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) am Montag in Göttingen. Täglich finden in China rund 500 Massenproteste statt, auf die die Behörden mit brutaler Gewalt und Willkür reagieren. "Chinas Behörden müssen gedrängt werden, wenigstens ihre eigenen Gesetze zu beachten. So müssen zum Beispiel den unterdrückten Tibetern, Uiguren und Mongolen endlich die Autonomie-Rechte eingeräumt werden, die ihnen nach chinesischem Recht zustehen."

"Chinas staatlich propagierte Harmonie hat massive Risse", erklärte GfbV-Asienreferent Ulrich Delius. "Manche Regionen gleichen einem Pulverfass, in dem ein Funke ausreicht, um die viel beschworene Stabilität massiv zu erschüttern." Nach Demonstrationen in tibetischen Siedlungsgebieten in der Provinz Sichuan sind in den letzten zehn Tagen mindestens 60 Kritiker der chinesischen Regierungspolitik festgenommen worden. Unter den Verhafteten befinden sich mindestens neun buddhistische Mönche aus acht verschiedenen Klöstern sowie fünfzehn Nonnen. Die Tibeter hatten auf Marktplätzen Flugblätter verteilt und für Religionsfreiheit sowie für den Dalai Lama öffentlich demonstriert.

Auch in Urumtschi, der Hauptstadt der benachbarten Region Xinjiang (Ostturkestan), wurde die Präsenz von Sicherheitskräften massiv verstärkt, da neue Proteste von einheimischen Uiguren befürchtet werden. Vor fast zwei Jahren kam es dort zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Han-Chinesen und der muslimischen Minderheit, bei denen mehr als 200 Menschen getötet wurden. Aus Angst vor neuen Konflikten wurden in den letzten zwei Jahren 40.000 neue Überwachungskameras in Xinjiang installiert, um Proteste von Uiguren im Keime ersticken zu können.

In einer weiteren Minderheitenregion, der Inneren Mongolei, wurden bei Protesten von Mongolen Ende Mai/Anfang Juni 2011 mehr als 110 Studenten, Lehrer und Universitätsprofessoren aus politischen Gründen inhaftiert. Ihr Verbleib ist zumeist bis heute unbekannt.

Nicht nur die Minderheiten Chinas fordern ihre Rechte ein. Immer mehr Chinesen lehnen sich gegen Machtmissbrauch und Willkür lokaler Parteifunktionäre öffentlich auf. Nach Schätzungen chinesischer Wissenschaftler kam es im Jahr 2010 zu 180.000 Massenprotesten in der Volksrepublik und damit doppelt so vielen wie im Jahr 2006.