24.01.2019

Nordirak: Christen in Bedrängnis

Assyrer/Aramäer/Chaldäer befürchten demographischen Wandel auf ihre Kosten und fordern mehr Mitsprache (Pressemitteilung)

Christliche Kirche in Bartalla, Nordirak. Foto: Kamal Sido/GfbV 2012.

Nach der Vertreibung des „Islamischen Staates“ (IS) aus der nordirakischen Provinz Mossul entstehen für die dort lebenden Christen neue Probleme, berichtete die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) am Donnerstag in Göttingen. „Repräsentanten der Assyrer/Chaldäer/Aramäer befürchten eine schleichende „demographische Veränderung“ auf Kosten ihrer christlichen Volksgruppe, insbesondere in der Ninive-Ebene nördlich und östlich der Stadt Mossul. Dort lassen sich immer mehr Muslime nieder“, sagte der GfbV-Nahostexperte Kamal Sido. „Wenn verhindert werden soll, dass Spannungen zwischen den Volksgruppen zunehmen, dann müssen die irakische Zentralregierung und die Regionalregierung Kurdistan endlich die verwaltungsmäßige Zugehörigkeit dieses und anderer umstrittener Gebiete klären und den dort lebenden Gemeinschaften Mitsprache für die Gestaltung der Zukunft einräumen.“

Die Ninive-Ebene ist seit jeher von Christen besiedelt und war eines der letzten Gebiete des Irak, in dem sie in relativer Ruhe und Frieden leben konnten – bis zum IS-Angriff 2014. Die Christen hofften, dort eine eigene autonome Verwaltung aufbauen und so die Abwanderung von Angehörigen ihrer Glaubensgemeinschaft in Richtung Europa aufhalten zu können. Die Zahl der Christen im ganzen Irak ist seit dem Jahr 2015 von 275.000 auf nur noch etwa 150.000 zurückgegangen.

Vor allem in der früher nur von Christen bewohnten Ortschaft Bartalla 15 Kilometer östlich von Mossul fühlen sich die Christen von Muslimen bedrängt. Die heute rund 30.000 Einwohner zählende Stadt hatte nach dem Sturz von Saddam Hussein 2003 rund 10.000 vor allem christliche Flüchtlinge aus dem arabischen Irak aufgenommen. Seit 2013 soll in Bartalla ein neues Stadtviertel mit dem Projektnamen „Sultan City“ entstehen. 182 Wohneinheiten sind geplant. Nur Muslime könnten es sich leisten, dort eine sehr teure Wohnung zu erwerben, klagen einheimische Christen, die ihr Vermögen durch den Krieg verloren haben. „Die Christen fordern, dass vor allem christliche Familien dort einziehen, denn die Gebäude würden doch auch auf ihrem Land errichtet, das schließlich immer Christen gehört habe“, sagte Sido. Es gäbe bereits Berichte, dass Grundbücher gefälscht werden, um diese Kritik zurückweisen zu können. Eine Wohnung in der „Sultan City“ soll durchschnittlich rund 75 Millionen irakische Dinar – umgerechnet etwa 55.000 Euro – kosten.

Rund 80 Prozent der christlichen Einwohner von Bartalla gehören der syrisch-orthodoxen Kirche an, die restlichen 20 Prozent sind syrisch-katholisch. Sie alle sprechen Aramäisch.  In den vergangenen Jahren haben sich in der Stadt auch Angehörige der Shabak-Minderheit angesiedelt. Die Shabak sind mehrheitlich schiitische Muslime und sprechen einen kurdischen Dialekt. Auch die Shabak mussten vor dem IS aus Mossul fliehen. Im gesamten Irak leben heute rund 300.000 von ihnen, die meisten von ihnen in der Provinz Mossul.

Headerbild: Kamal Sido/GfbV 2012