24.01.2013

"Sagt eurer Regierung, unserer kein Geld zu geben"

Äthiopien

Aus bedrohte völker_pogrom 273, 5/2012

Von Elizabeth Hunter

Seit Tausenden von Jahren leben Hirtenvölker mit ihren Tieren im Südwesten Äthiopiens entlang des Omo. Der Fluss entspringt in den gebirgigen Regionen südwestlich der Hauptstadt Addis Abeba, fließt durch das Hochland von Abessinien, eine der eindrucksvollsten Landschaften Afrikas, und mündet in Kenias Turkana-See. In einer lebensfeindlichen und abgeschiedenen Umgebung aus Hochland, Mooren und Savanne ist das fließende Gewässer für die Menschen und die Artenvielfalt überlebenswichtig. Die indigenen Völker des Omo-Tals leiden jedoch seit Generationen unter dem fortschreitenden Verlust ihres Landes. Schon in den 1960er und 1970er Jahren haben sie nach der Gründung von zwei Nationalparks wichtige Ressourcen verloren. Jetzt sind die Völker, deren Überleben von der natürlichen Überflutung der Uferregionen abhängt, durch den Bau eines Staudamms bedroht.

Die jährlichen Überflutungen nähren die Vielfalt der Region und garantieren Nahrungssicherheit, wenn die Niederschläge gering sind. Der Schlamm, der nach dem langsamen Rückzug des Wassers am Flussufer zurück bleibt, ermöglicht Völkern wie den Mursi eine Subsistenzwirtschaft mit dem Anbau von Hirse, Bohnen und Mais. Bei den Dassanach wird im August das weite Grasland überflutet, auf dem, wenn sich das Wasser zurückgezogen hat, das Vieh während der Trockenzeit weidet. Doch wegen des Baus des Staudamms Gibe III 200 Kilometer flussaufwärts droht den indigenen Völkern, die am unteren Teil des Omo leben, Gefahr. Wenn er 2013 fertig gestellt ist, wird Gibe III das höchste Wasserkraftwerk Afrikas sein, den natürlichen Zyklus der Überflutungen unterbrechen, auf den so viele Völker angewiesen sind, und fatale Auswirkungen auf ihre Lebensgrundlage haben. Der Damm ist Teil eines Regierungsprojekts, das dem Staat und ausländischen Investoren aus Europa und Asien ermöglichen soll, großflächig Baumwolle, Zuckerrohr, Palmöl und Jatropha – nützlich bei der Produktion von Biotreibstoff – anzubauen. Er wird den Fluss regulieren und dafür sorgen, dass Bewässerungskanäle den Plantagen anhaltend Wasser liefern können.

Während eines Besuchs bei Fluss-Anrainergemeinden sind mir Anfang dieses Jahres die schlimmen Folgen für das Leben der Völker des unteren Omo-Tals deutlich vor Augen geführt worden. Die Betroffenen verurteilen die autokratische Regierung, die Angst, Einschüchterung und Gewalt anwendet, um jegliche Form des Protests zu unterdrücken. Alle Gemeinschaftsorganisationen sind zerschlagen worden und kaum jemand traut sich, offen zu reden. Der äthiopische Staat hat die indigenen Gemeinden weder konsultiert noch etwas unternommen, um ihre freie, vorherige und informierte Zustimmung zum Staudamm oder dem Plantagen-Projekt zu bekommen. Es wurde keine unabhängige Studie zu den sozialen und ökologischen Folgen für die Gemeinden durchgeführt. Sogar örtliche Beamte sind besorgt. Einer von ihnen sagte: „Die Zukunft der Region ist in Gefahr. Wenn die Regierung beginnt, das Land an Investoren abzugeben, wird es schlimme Konflikte geben.“

Tagelang rissen gewaltige Bulldozer, deren Fahrer aus dem Hochland von der Armee geschützt wurden, das Grasland und die Bäume am Ufer des Flusses nieder, um das Land für die Plantagen vorzubereiten. Jede Opposition wird brutal zum Schweigen gebracht. Dutzende Bodi, Mursi und Suri wurden inhaftiert. Anfang 2012 wurden drei Bodi während ihrer Haft zu Tode geprügelt. Sie hatten versucht, etwas gegen die Bulldozer zu unternehmen. Frauen wurden von Soldaten vergewaltigt. Trotz der Angst rebellieren viele. Ein älterer Bodi sagte zu mir: „Die Regierung kann kommen, uns zerschneiden und wie Tiere einpferchen, wir sind aber bereit für unser Land zu sterben.“ Zu den am stärksten betroffenen Gruppen gehören die Kwegu, ein kleines Jäger- und Sammler-Volk, das hauptsächlich auf den Fischfang angewiesen ist, weil es kein Vieh besitzt. „Der Wasserspiegel sinkt immer tiefer. Der Fluss ist schlammig geworden und die Fische sind verschwunden“, sagte ein Kwegu. Durch die Umleitung des Omo in einen Kanal, der die Bewässerung der Plantagen ermöglichen soll, werden die Anwohner des Flusses stark benachteiligt. Die Kwegu klagen, dass „das Flussbett noch nie so tief war. Normalerweise reicht das Wasser beim Überqueren bis zu den Knien. Jetzt könnte man ohne nasse Füße ans andere Ufer gelangen“.

Das erklärte Ziel der Regierung ist die Vertreibung der Bodi, Suri und Mursi. Die Umsiedlung, die mit der Abgabe des Viehs verbunden ist, soll bis Ende 2013 abgeschlossen sein. Drei Lager für die Bodi sind bereits vorbereitet: Das Land wurde gerodet und jetzt entstehen dort Häuser. Häufig vergleichen Hirtenvölker des Omo-Tals ihr Vieh mit einem Bankkonto, insbesondere während Hungersnot und Dürre. Das sozioökonomische System von Völkern wie den Mursi und Suri basiert auf die Verteilung und dem Austausch von Vieh. Ihre Existenzgrundlage wird vernichtet, wenn ihnen die Tiere weggenommen werden. Die Regierung braucht die Menschen nicht umzubringen oder festzunehmen: Sie kann ihnen schlicht das Vieh nehmen, um ihre Identität, den sozialen Zusammenhalt und ihre Unabhängigkeit zu zerstören. Hinter all diesen Problemen verbirgt sich Rassismus und Verachtung. 2011 hatte der damalige Präsident Meles Zenawi in einer Rede am Äthiopischen Tag der Hirtenvölker – der immer am 25. Januar gefeiert wird – gesagt: „Diese Region ist wegen seiner Rückständigkeit in Bezug auf Zivilisation bekannt, dennoch soll sie ein Beispiel schneller Entwicklung werden.“ Aber Entwicklung für wen und zu welchem Preis? Es ist bittere Ironie, dass in einem Land, das mit Ernährungsunsicherheit konfrontiert ist, ausgerechnet die Völker, die am unabhängigsten leben und sich am besten selbst versorgen können, in die schlimmste Armut fallen werden. Dieses Jahr wird es kein Hochwasser geben, da mit dem Auffüllen des Stausees begonnen wurde. Die indigene Bevölkerung soll als Entschädigung Nahrungsmittelhilfe bekommen. Staatliche Agenturen für internationale Zusammenarbeit zahlen Milliarden Dollar – das Geld der Steuerzahler –, um eine Regierung zu unterstützen, die entschlossen ist, einzigartige indigene Völker zu zerstören. Eine Mursi sagte zu mir: „Sagt eurer Regierung, unserer kein Geld zu geben. Erzählt der Welt von unserer Wut und unseren Tränen.“

[ Zur Autorin ]

Elizabeth Hunter arbeitet an der Äthiopien-Kampagne bei Survival International, eine Organisation, die sich für die Rechte indigener Völker weltweit einsetzt.

Mehr über die Völker im Omo-Tal unter www.survivalinternational.de/omo

pogrom im Online-Shop der GfbV bestellen.