16.12.2021

Stichwahlen in Chile (19.12.)

Richtungsentscheidung für die Zukunft des Landes

Am 19. Dezember 2021 entscheidet eine Stichwahl, wer künftig als Präsident die Geschicke Chiles leiten wird. Die Kandidaten könnten unterschiedlicher kaum sein. Die Wahl wird damit zur Richtungsentscheidung für das südamerikanische Land, in dem derzeit eine neue Verfassung ausgearbeitet wird. Besonders für die indigenen Mapuche, die zehn Prozent der Bevölkerung des Landes ausmachen, steht viel auf dem Spiel, wie die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) berichtet: „Die Wahl macht die tiefe Zerrissenheit des Landes deutlich. Auf der einen Seite steht mit José Antonio Kast ein Kandidat der neoliberalen, erzkonservativen Machtelite, die das Erbe der Pinochet-Diktatur fortsetzen will. Auf der anderen Seite steht der von einem Linksbündnis unterstützte Gabriel Boric, der im Falle seines Sieges auf die Unterstützung von Sozialisten und Kommunisten angewiesen sein wird“, erklärt Yvonne Bangert, GfbV-Referentin für indigene Völker. Beide gehen mit einem denkbar knappen Stimmenunterschied von knapp 28 Prozent für Kast und knapp 26 Prozent für Boric aus den Vorwahlen in die Stichwahl.

Allem Anschein nach wolle Kast die Linie von Amtsinhaber Sebastian Piñera fortsetzen, der die Mapuche-Gebiete im Süden zu Notstandsgebieten erklärte und die militarisierte Polizei entsandte. Das habe die Fronten zwischen Mapuche Bürgerrechtlern und den neoliberalen Wirtschaftsinteressen weiter verhärtet. Den verfassungsgebenden Prozess, der seit Oktober 2020 unter der Leitung der Mapuche Elisa Loncon läuft, hält er für verzichtbar. Gabriel Boric dagegen steht für den Wandel. Er will die Ergebnisse der Verfassungsgebenden Versammlung respektieren und die Umsetzung der neuen Verfassung fördern, steht also für den endgültigen Bruch mit der Pinochet-Diktatur. Boric fordert eine Gleichberechtigung der ethnischen Gruppen des Landes, ein öffentliches Gesundheits- und Bildungssystem, die Anerkennung der Indigenen in Chile und den Dialog mit ihnen.

„Gerade die ärmeren Teile der Bevölkerung, zu denen auch die meisten Mapuche zählen, setzen große Hoffnungen in die verfassungsgebende Versammlung. Die aktuelle Verfassung stammt noch aus der Pinochet-Zeit. Sie schreibt eine weitestgehende Privatisierung des Gesundheits- und Bildungssystem sowie der Strom- und Wasserversorgung fest. Das schließt große Teile der Bevölkerung vom Zugang zu diesen Systemen weitgehend aus“, so Bangert. Vom Ausgang der Stichwahl hinge der Erfolg für den Prozess der Verfassungsnovelle und damit die Chance ab, ein neues Chile zu schaffen.

„Europäische Regierungen sollten nach der Wahl darauf drängen, dass die Verfassungsgebende Versammlung respektiert und die neue Verfassung umgesetzt wird. Der Notstand in den Mapuche-Regionen muss beendet werden. Nur mit einem ernsthaften und fairen Dialog, der Vertrauen bilden kann, und mit einer wirksamen Landreform haben die Mapuche eine Chance, wieder im und von ihrem eigenen Land zu existieren“, schließt Bangert. „Das ist eine Grundvoraussetzung für Frieden in Chiles Süden und langfristig zielführender als eine Militarisierung dieser Region.“