18.05.2016

„Das ist unsere Erde. Wir wollen hier nicht weg.“

Interview mit Abu Al-Majd, Angehöriger der christlichen Miliz in Nordsyrien

© Forrest Cavale via unsplash [Symbolbild]

Nach lokalen und internationalen Presseberichten ist es am Dienstag, den 17. Mai 2016, zu heftigen Kämpfen zwischen der kurdischen paramilitärischen Polizeieinheiten Asayisch und den Truppen der syrischen Armee in der nordöstlichen Stadt Al-Hasakeh gekommen. Dabei sollen mindestens drei Menschen verletzt worden sein. Grund für die neuen Kämpfe sind anscheinend die Versuche des Regimes, einige kurdische Studenten zu verhaften, um diese für die syrische Armee zu rekrutieren.

In Al-Hasakeh, wo vor 2011 etwa 175.000 Menschen lebten, wie auch in Qamischli ist das syrische Regime teilweise präsent. Aus allen anderen mehrheitlich von Kurden bewohnten Städten im Norden Syriens zog sich das Regime 2012 zurück. Al-Hasakeh war einer der ersten Orte, an denen die syrische „Revolution“ ausbrach. Die Stadt war damit der erste kurdische Ort, der sich auf Seiten der Rebellen positionierte. Nach mehreren Zusammenstößen zwischen islamistischen Gruppierungen und den kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG im Juli 2013, waren kurdische Aktivisten sehr enttäuscht von der arabischen sunnitischen Opposition in Al-Hasakeh, die mit den Radikalislamisten sympathisierten. Ab 2013 zogen sich die Regierungstruppen auf vereinzelte Kasernen zurück. Durch den erfolgreichen Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) im Raum Al-Hasakeh war es der YPG gelungen, ihre Position in dieser Region zu festigen.

Im März 2016 besuchte unser Nahostreferent Dr. Kamal Sido Nordsyrien und hielt sich zwei Tage in Al-Hasakeh auf. Dort führte er in der Zentrale der Sutoro-Einheit ein Interview mit Abu Al-Majd. Die Sutoro ist eine christliche Miliz, die mit der YPG verbündet ist.

Abu Al-Majd von der christlichen Miliz Sutoro in Al-Hasakeh stand unserem Nahostreferenten Rede und Antwort. Foto: Kamal Sido für GfbV

Kamal Sido: Die Sutoro ist eine christliche Miliz. Setzt sie sich denn auch aus Mitgliedern aller christlichen Konfessionen, d.h. syrisch-orthodox, katholisch-orthodox, assyrisch etc., zusammen?

Abu Al-Majd: Ja, wir haben Mitglieder verschiedener Konfessionen, darunter natürlich auch Angehörige unseres Volkes der Assyrer/Aramäer/Chaldäer (Suryoye).

KS: Und wie viele Angehörige hat die Sutoro?

Abu Al-Majd: Ich kann keine genauen Angaben machen. Auch wenn ich welche hätte, würde ich sie nicht verraten. Es handelt sich um militärische Geheimnisse.

KS: Die Sutoro hat sowohl politische als auch militärische Verbindung zur YPG. Zudem ist Al-Hasakeh eine mehrheitlich kurdische Stadt. Werden Sie von der YPG oder anderen kurdischen Organisationen gezwungen, Kurdisch zu lernen?

Abu Al-Majd: Nein, absolut nicht. Sie sind doch heute in Al-Hasakeh unterwegs gewesen und haben gesehen, dass die staatlichen Behörden der autonomen Selbstverwaltung in der Regel in drei Sprachen beschriftet sind: Arabisch, Kurdisch und Aramäisch. Diese Gleichberechtigung ist sehr wichtig, besonders für Aramäisch. Unsere Sprache, die bedroht ist, findet dadurch wieder Beachtung. Auch wenn wir zahlenmäßig sehr wenige sind, ist Aramäisch als amtliche Sprache in der Region eingeführt worden. Überall, wo unsere Dörfer sind, steht alles auf Aramäisch, auch die Straßenschilder werden nach und nach dreisprachig. Und das ist das Recht unseres Volkes, für das wir jahrzehntelang in Syrien gekämpft haben.

KS: Für diese Rechte setzte sich auch die 2005 gegründete assyrisch/aramäische Syriac Union Party (SUP) ein. Seit dem Beginn des Bürgerkrieges in Syrien 2011 tritt sie als Opposition zum Assad-Regime auf. Welche Beziehung hat die Sutoro zur SUP?

Abu Al-Majd: Wir haben gute Beziehungen zu dieser Partei.

KS: In Syrien gibt es auch die Assyrische Demokratische Organisation (ADO), die ebenfalls die Interessen des assyrischen Volkes vertritt. Wie steht die Sutoro zur ADO?

Abu Al-Majd: Die ADO und wir vertreten unterschiedliche Positionen, daher arbeiten wir nicht zusammen.

Kamal Sido (zweiter von links) gemeinsam mit Kämpfern der Sutoro in Al-Hasakeh

KS: Viele machen Ihnen den Vorwurf, dass Ihre christliche Miliz mit dem Regime zusammenarbeitet.

Al-Majd: Die Sutoro, die YPG und andere militärische Verbände gehören zum Dachverband „Syrian Democratic Forces“ (SDF). Die Hauptaufgabe der SDF ist der Kampf gegen den IS und der Schutz der Zivilbevölkerung in dieser Region. Da auch das Regime hier gegen den IS kämpft, wird uns von der sogenannten Auslandsopposition vorgeworfen, mit dem Regime zu kooperieren. Wir sagen aber, dass wir eigene Ziele verfolgen.

KS: Welche Ziele sind das?

Al-Majd: Wir wollen ein demokratisches, pluralistisches, dezentrales, säkulares System in Syrien, das die Rechte alle Minderheiten garantiert. Wichtig ist uns eine Trennung von Staat und Religion. Einen Scharia-Staat, wie ihn die islamistische Opposition fordert, lehnen wir strikt ab.

KS: Warum fürchten Christen einen Scharia-Staat?

Al-Majd: Wir haben keine Angst vor einem islamischen Staat. Aber für uns hat ein Religionsstaat keine Chancen in dieser Zeit. Wir befinden uns in einer Zeit der Moderne und die Staatssysteme müssen modern sein. Das gilt sowohl für die islamische Religion als auch das Christentum. Wie gesagt, es muss zu einer Trennung zwischen Religion und Staat kommen. Das, was die Islamisten tun, hat mit dem Islam wenig zu tun.

Während seiner dreiwöchigen Reise durch Nordsyrien sprach GfbV-Nahostreferent Kamal Sido mit vielen verschiedenen Bewohnern der Region. In Al-Hasakeh traf er unter anderem auf eine alte Armenierin, deren Eltern den Völkermord 1915 überlebt haben. Sie jetzt den Islamischen Staat.

KS: Draußen habe ich mich einem Mann vorgestellt und gesagt, dass ich aus Deutschland stamme. Daraufhin sagte er, dass wir in Deutschland die Islamisten in Syrien unterstützen würden. Was meint er damit?

Al-Majd: Die überwiegende Mehrheit der Christen in Syrien ist sehr wütend auf westliche Regierungen, weil sie radikale religiöse Gruppen in Syrien und im ganzen Nahen Osten unterstützen. Sie hätten doch wissen müssen, dass, wenn diese Gruppen die Macht übernehmen, sie die Christen ausrotten werden. Das war der Grund für die Reaktion des Mannes. Wir bitten die deutsche Bundesregierung und andere EU-Staaten, jegliche Unterstützung der „syrischen nationalen Koalition“ einzustellen, weil diese faktisch radikal-islamistische Gruppen in Syrien fördert. Wir bitten Europa auch, dass sie uns hier in Syrien helfen. Wenn uns hier geholfen wird, dann werden unsere Menschen das Land nicht verlassen und dann wird es in Europa zu keinen Problemen mit den Flüchtlingen kommen. Wir wollen nicht nach Europa und in den überfüllten Asylunterkünften leben. Wenn die Fluchtursachen bekämpft werden, dann kommt keiner von uns zu euch. Und hier werden auch viele Gerüchte in die Welt gesetzt, dass Europa ein Paradies sei, in dem Milch und Honig fließen. Damit muss aufgehört werden. Uns muss hier vor Ort geholfen werden. Der SDF muss geholfen werden, damit sie noch erfolgreicher den IS bekämpfen, damit wir den radikalen islamitischen, faschistischen Terror besiegen können. Wir sind entschlossen, diese Bestien zu bekämpfen und zu besiegen. Das ist unsere Erde, die Erde unserer Vorfahren. Wir wollen hier nicht weg.

Ich möchte das wiederholen, was der Mann Ihnen gesagt hat: Die Bundesregierung und andere europäische Staaten unterstützen die Islamisten in Syrien.

KS: Welche Beweise haben Sie dafür?

Al-Majd: Der Beweis dafür ist die finanzielle, politische und diplomatische Unterstützung der „syrischen nationalen Koalition“. Sie nimmt die islamistischen bewaffneten Gruppen wie z.B. die Al-Nusra-Front offen in Schutz. Faktisch verfolgen sie mit den Radikalislamisten die gleichen Ziele: die Errichtung eines „islamischen Staates“ in Syrien. Die Türkei ist NATO-Mitglied und die ganze Welt weiß, dass die meisten Dschihadisten über die Türkei nach Syrien kommen, so wie das Geld und die Waffen. Es gibt genug Beweise. Es wurde zu spät zur Kenntnis genommen, dass diese Islamisten auch für Europa eine Gefahr werden. Wer einen tollwütigen Hund versorgt, wird von ihm irgendwann selbst gebissen.

 

Das Interview wurde am 25.03.2016 in Al-Hasakeh von Dr. Kamal Sido geführt.