20.12.2020

Tigray kommt auch 50 Tage nach Beginn der Militärintervention nicht zur Ruhe

--- (Göttingen, den 20. Dezember 2020) --- Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat gefordert, UN-Menschenrechtsexperten nach Äthiopien zu entsenden, um Berichte über Menschenrechtsverletzungen während der MIlitärintervention Äthiopiens in der Provinz Tigray zu untersuchen. Dringend müsse den Berichten Geflüchteter nachgegangen werden, die Massaker, Erschießungen von Zivilbevölkerung und Plünderungen beklagten. Auch Kirchengemeinden und Gläubige sollen davon betroffen gewesen sein. Doch eine unabhängige Überprüfung der oft glaubwürdig erscheinenden Erzählungen sei für Nichtregierungsorganisationen nicht  möglich, da ihnen der Zugang zu Tigray verwehrt werde. "Fast 50 Tage nach Beginn der Militärintervention ist ein Ende der Kämpfe noch nicht absehbar. Die humanitäre Bilanz des Militärschlags ist katastrophal und es droht eine Ausweitung der Kämpfe auf andere Regionen Äthiopiens", erklärte der GfbV-Direktor Ulrich Delius am Sonntag in Göttingen.
Rund 950.000 Menschen seien aufgrund der Militärintervention in Tigray auf der Flucht, erklärte die Menschenrechtsorganisation. 52.000 von ihnen hätten im benachbarten Sudan Zuflucht gesucht. Fast alle Ankömmlinge berichteten von Menschenrechtsverletzungen. Menschen aus der zeitweise von äthiopischen Truppen belagerten Provinzhauptstadt Mekelle erzählten von heftigem Artilleriebeschuss und vielen Toten unter der Zivilbevölkerung. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes konnte die Notversorgung von 500 Schwerverletzten und mehr als 1.000 Verletzten unterstützen. "Alles deutet darauf hin, dass dies kein sauberer Krieg war, wie Premierminister Abiy Ahmed behauptet, sondern alle Konfliktparteien Menschenrechtsverletzungen begangen haben.", erklärte Delius. Geflüchtete, die in ihre Dörfer zurückkehrten, würden von Milizen für den Kampf zwangsrekrutiert. Auch würden noch immer Dörfer beschossen und Regionen seien umkämpft, in denen die TPLF-Führung der Provinz vermutet werden. Auf Hinweise zu ihrer Ergreifung sei ein Kopfgeld in Höhe von 205.000 Euro ausgelobt worden.   
Die seit langem geplante Militärintervention verursacht eine Hungernot, da sie unmittelbar vor der Erntezeit erfolgte. Felder seien verwüstet worden, bäuerliche Bevölkerung vertrieben und tausende Tiere von Milizen in die Nachbarprovinz entführt worden. "Hunderttausende Menschen sind daher jetzt auf Nothilfe angewiesen. Ein menschengemachtes Desaster mit katastrophalen Folgen", warnte Delius.Die EU stellte am letzten Freitag 29 Millionen Euro an Nothilfe für Tigray zur Verfügung.


Scharf kritisierte die GfbV Äthiopiens Krisen-Management. "Wenn Äthiopiens Minister für Demokratisierung Zadig Abraha behauptet, es habe keine zivilen Opfer bei der Militäroperation gegeben, dann ist dies ein Hohn. Auch seine Ablehnung jeder unabhängigen internationalen Untersuchung der Menschenrechtslage macht deutlich, dass von einer Demokratisierung Äthiopiens nichts mehr zu erwarten ist", erklärte Delius. In Interviews mit der Deutschen Welle und der BBC hatte sich der Minister gegen europäische Bedenken zur Menschenrechtslage verwahrt und eine internationale Untersuchung abgelehnt. "Wenn vorsätzlich eine Hungerkatastrophe verursacht wird, UN-Konventionen und humanitäres Völkerrecht mißachtet werden, ist es an der Zeit mit Äthiopiens Regierung Klartext zu reden", forderte Delius. 
Nachdrücklich warnte die GfbV vor neuen Konflikten an der Grenze zum Sudan sowie im Süden Äthiopens. So schürten Hassreden in der Provinz Benishangul Gumuz Spannungen zwischen ethnischen Gruppen. Dringend müssten Minderheiten dort wirksamer geschützt werden.