29.06.2005

Vietnam

Der Landraub durch Kaffeebauern

Göttingen
Die 53 ethnischen Minderheiten stellen heute rund 12 Millionen Menschen. Manche dieser ethnischen Gruppen umfassen wie die Odu nur 200 Menschen, andere zählen wie die Tay mehr als 1,5 Millionen Angehörige. Drei Viertel dieser ethnischen Gemeinschaften leben im Bergland Nordwestvietnams oder Zentralvietnams. Da die meisten dieser indigenen Gemeinschaften in Bergregionen leben, bezeichnet man sie seit der französischen Kolonialzeit auch als "Montagnards", Bergbewohner.

Nirgendwo ist in Vietnam die Armut größer als unter der indigenen Bevölkerung: Während 1998 nur 31 Prozent der Mehrheitsbevölkerung nach amtlichen Statistiken unter der Armutsgrenze lebten, klagten 75 Prozent der Ureinwohner über ärmliche Lebensbedingungen. In ihren Siedlungsgebieten fehlt es an Schulen, Krankenhäusern, Straßen und Kommunikationseinrichtungen. Die Analphabetenrate ist vergleichsweise sehr hoch. Der Lebensstandard der Minderheiten ist bei einem Durchschnittseinkommen von 50 US-Dollar deutlich geringer als das der Mehrheitsbevölkerung (370 US-Dollar).

Wachsende Unruhe unter indigenen Völkern

Angesichts ihrer fortschreitenden Verarmung und Marginalisierung, des Landraubes durch Kaffeebauern und staatliche Entwicklungsplaner, der Zerstörung ihrer natürlichen Lebensgrundlagen, der religiösen Verfolgung und der staatlichen Politik der Assimilierung wuchs Ende der 90er Jahre die Unzufriedenheit unter der Urbevölkerung. Die Verzweiflung der Ureinwohner über ihre wachsende Bedrohung und Entrechtung entlud sich im Februar 2001 in öffentlichen Protesten in verschiedenen Städten des Hochlands. Monatelang hielt die Repression an und auch noch Ende des Jahres 2001 wurden Ureinwohner wegen ihrer Beteiligung an den Protesten zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Während des Oster-Wochenendes lehnte sich am 10. und 11. April 2004 erneut die Urbevölkerung auf. Tausende Demonstranten forderten in den Provinzen Dak Lak, Gia Lai und Dak Nong ein Ende der religiösen Verfolgung, Bewegungsfreiheit und die Anerkennung ihrer Landrechte. Bis heute ist das wahre Ausmaß der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste nicht bekannt, da die vietnamesischen Behörden jede unabhängige Untersuchung des Vorfalls ablehnen. Wieder einmal wurde das Bergland de facto unter Kriegsrecht gestellt und systematisch durch Soldaten, Artillerie und Panzern von der Außenwelt isoliert.

Während die Führung in Hanoi nur auf eine materielle Verbesserung der Lebensbedingungen der Urbevölkerung hinarbeitet und an ihrer schnellen Assimilierung interessiert ist, fordern die indigenen Völker ihre Rechte ein. So wollen sie insbesondere ihre Landrechte und ihr Recht auf freie Religionsausübung endlich respektiert sehen. Der totalitäre Machtapparat in Hanoi ist jedoch von jeder maßgeblichen Konzession in dieser Frage der Rechte indigener Völker noch weit entfernt, so dass der Konflikt weiter zu eskalieren droht. Solange der Staatsführung nichts anderes einfällt, als bei der Analyse der Ursachen der Unzufriedenheit der Ureinwohner jede eigene Verantwortung auszuschließen und "feindliche ausländische Kräfte" zu verdächtigen, das Regime destabilisieren zu wollen, ist mit einer baldigen friedlichen Lösung des Konflikts nicht zu rechnen.

Flüchtlinge sind in Kambodscha nicht sicher

Nach beiden Aufständen flohen mindestens 2.000 Ureinwohner vor der Repression in das benachbarte Kambodscha. Doch aus politischer Rücksichtnahme auf das Nachbarland verweigert Kambodscha immer wieder Flüchtlingen aus der Bergregion Zentralvietnams die Aufnahme als politische Flüchtlinge. Kambodscha, Vietnam und der UNHCR unterzeichneten am 25. Januar 2005 ein Abkommen, das die "freiwillige Rückführung" von Flüchtlingen vorsieht, die in Kambodscha nicht anerkannt wurden. Vietnam und Kambodscha vereinbarten am 11. April 2005 eine Verstärkung der Sicherheitsmaßnahmen an der gemeinsamen Grenze. Sie wollen nicht nur die "illegale Einwanderung" bekämpfen, sondern auch Informationen über die "Tätigkeit feindlicher Kräfte" austauschen.

Bitterer Kaffee aus Vietnam

Der Lebensstandard der indigenen Bevölkerung bessert sich kaum, weil sie aufgrund der Ansiedlung von Millionen Tieflandbewohnern in ihren Regionen in immer unwirtlichere Gebiete verdrängt werden. Mehr als zehn Millionen Menschen wurden seit 1976 von staatlicher Seite in ihren Gebieten angesiedelt oder ließen sich auf eigene Initiative seither in der Bergregion nieder. Stellten die Montagnards 1940 noch einen Bevölkerungsanteil von 99 Prozent in der Region, so bilden sie heute nur noch knapp 30 Prozent der Gesamtbevölkerung im Hochland. Angezogen vom Kaffeeboom haben sich seit 1996 mehr als 400.000 Angehörige der Mehrheitsbevölkerung Vietnams in der Provinz Dak Lak niedergelassen.

Die traditionell von der Subsistenzwirtschaft lebenden Bauern werden immer mehr von den neuen Siedlern aus den Tieflandregionen verdrängt, die sich die fruchtbarsten Felder aneignen. Denn seit Vietnam mit Unterstützung der Weltbank und der internationalen Geberländer seit den 90er-Jahren in den Hochlandgebieten systematisch die landwirtschaftliche Produktion für den Export ausbaut und dort riesige Kaffee-, Cashewnüsse- und Pfefferplantagen anlegen lässt, müssen sich viele Ureinwohner in noch unwirtlichere Regionen zurückziehen.

Das größte Kaffeeanbaugebiet Vietnams liegt heute in der Hochland-Provinz Dak Lak im Zentrum des Landes. Die Provinz Dak Lak verdient mit den Landwirtschaftsexporten täglich 800.000 US-Dollar, doch nur die wenigsten dieser Einnahmen kommen der indigenen Bevölkerung zugute. Kaffee zählt zu den zehn wichtigsten Exportgütern des Landes. In der Ernteperiode 2005/2006 will Vietnam diesen Ernteertrag sogar auf 1 Million Tonnen Kaffee steigern. Auch sollen sich die Exporterlöse aus der Ausfuhr landwirtschaftlicher Produkte im Jahr 2005 auf 4,5 Milliarden US-Dollar erhöhen. Die Kaffee-Ausfuhr brachte Vietnam im Jahr 2004 Einnahmen von 594 Millionen US-Dollar, eine Steigerung von 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Vietnams Berglandprovinzen exportieren Kaffee in 59 Staaten. Deutschland und die USA sind die wichtigsten Absatzmärkte für vietnamesischen Kaffee.

Vietnams Billigproduktion zerstört Weltkaffeemarkt

Mit der systematischen Förderung der Kaffee-Billigproduktion in Vietnam haben die Weltbank sowie europäische Geberländer dem Weltkaffeemarkt einen Todesstoß versetzt. Da Vietnam mit sehr billigeren Löhnen kalkulieren kann und seit Ende der 90er Jahre vor allem den Markt der Kaffeesorte Robusta mit großen Mengen überschwemmt, ist die Existenz von 25 Millionen überwiegend indianischen Kaffeeanbauern und -pflückern in den traditionellen Kaffee-Exportnationen Süd- und Mittelamerikas gefährdet.

Zwar verständigte sich die internationale Kaffee-Industrie in Zusammenarbeit mit NGO's im Herbst 2004 auf einen freiwilligen Verhaltenskodex für die Kaffeewirtschaft, doch die Rechte indigener Völker sind darin nicht ausdrücklich geregelt.

Katastrophale ökologische Folgen des Kaffeebooms

Der Kaffeeboom hat zu einer schwerwiegenden Schädigung des ökologischen Gleichgewichts im Bergland Zentralvietnams geführt. In den letzten 50 Jahren reduzierte sich der ursprüngliche Primärwald in Vietnam von 43 auf 29 Prozent. Die Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Böden sind aufgrund von Rodungen, Erosion und intensivem, nicht Umwelt schonendem Anbau ausgelaugt. Die sehr fortgeschrittene Bodenerosion hat dazu geführt, dass immer mehr Naturkatastrophen viele Menschenleben fordern.

Auch ist der Kaffeeanbau auf eine regelmäßige Bewässerung angewiesen. Dies hat nicht erst seit der nun Monate andauernden Dürre in Zentralvietnam zur Folge, dass immer mehr Staudämme und Bewässerungsbecken gerade auch in der Nähe der Kaffeeanbaugebiete errichtet werden. Immer häufiger werden deshalb Ureinwohner umgesiedelt.

Aus dem Dossier: "Für Glaubensfreiheit und Landrechte – Vietnams Minderheiten fordern ein Ende der Verfolgung"von Ulrich Delius, GfbV-Deutschland