19.06.2005

Völkermord in Darfur geht weiter

Sudanesische Flüchtlinge berichten über schwerste Menschenrechtsverletzungen. Eine Vorabversion

Während sich die internationale Staatengemeinschaft nicht zu ernsthaften Sanktionen gegen den Sudan oder zu einer humanitären Intervention durchringen kann, um den Genozid in Darfur zu beenden, suchen immer mehr West-Sudanesen Schutz in den Flüchtlingslagern. Denn die Täter, sowohl die Janjaweed-Milizen, als auch Einheiten der sudanesischen Armee setzen ihre Angriffe fort und begehen ständig neue schwere Menschenrechtsverletzungen gegen die Zivilbevölkerung. Mit ständigen Beteuerungen, die Lage beruhige sich, versucht die Regierung des Sudan die Situation zu verharmlosen. Auch der Koordinator für humanitäre Hilfe der Vereinten Nationen für den Sudan, Manuel Aranda Da Silva, bestätigte am 12. 0ktober, die fortgesetzten Angriffe und die Behinderung der Hilfeleistung. Die Zahl der Flüchtlinge nehme weiter zu (Reuters, 12.10.2004). Allein am 26. September 2004 sind mehr als 5.000 Menschen aus ihren Dörfern in der Region Taaisha (Bundesstaat Süd-Darfur) geflüchtet, nachdem Janjaweed und 300 Soldaten ihre Siedlungen überfallen, geplündert und Dorfbewohner ermordet hatten (Caritas / dpa, 28.9.2004 / Catholic Agency for Overseas Development, 29.9.2004). Lebten noch am 26. August im Lager Greda nur 10.000 Flüchtlinge, so wurden am 7. September bereits 40.000 Menschen in dem Camp gezählt. Die sprunghafte Zunahme der Flüchtlingszahl macht deutlich, wie wenig die Zivilbevölkerung den BeteuerungenKhartums Glauben schenkt und wie groß die Furcht vor den Überfällen von Milizen und Armee ist. So nimmt auch im Nachbarland Tschad die Zahl der Flüchtlinge kontinuierlich zu. Zur Zeit sind 200.000 Menschen aus Darfur offiziell als Flüchtlinge im Tschad registriert. Doch Tausende haben sich gar nicht erst als Flüchtlinge registrieren lassen und haben bei Verwandten im Nachbarland Aufnahme gefunden. Nach dem Ende der Regenzeit im Herbst rechnen Hilfsorganisationen mit einer weiteren Zunahme des Flüchtlingsstromes. Bis Ende des Jahres 2004 rechnet man mit neuen rund 100.000 Flüchtlingen im Tschad.

Angesichts der alarmierenden Zunahme der Flüchtlingszahlen im Sommer 2004 hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) im August eine dreiköpfige Untersuchungskommission in den Tschad entsandt, um durch Befragungen einer möglichst repräsentativen Anzahl von Flüchtlingen, den Umfang der Menschenrechtsverletzungen in Darfur festzustellen. Die Menschenrechtsverletzungen wurden mit Hilfe von Fragebögen in arabischer und englischer Sprache ermittelt. Die Flüchtlinge wurden nach eigenen Erlebnissen befragt, nach den Hintergründen und dem Verlauf ihrer Flucht, und sie wurden gebeten, das Schicksal ihrer Verwandten und ihrer unmittelbaren Familie zu schildern. Auch wurden sie aufgefordert, soweit bekannt, Namen der Täter zu benennen. Außerdem hat die Kommission die Versorgungs- und Sicherheitssituation in den Flüchtlingslagern des Tschad untersucht..

Insgesamt wurden 308 Flüchtlinge in fünf verschiedenen Lagern im Tschad befragt. Die Flüchtlinge stammten aus 130 verschiedenen Dörfern und Städten in den drei Bundesstaaten Darfurs.

Janjaweed werden bei Überfällen von Soldaten unterstützt

93,5 Prozent der Befragten beobachteten Überfälle auf ihre Dörfer, an denen sowohl Janjaweed als auch die sudanesische Armee mit Soldaten beteiligt waren. So berichteten fast alle Interviewten, an den Übergriffen hätten auch Soldaten in Militäruniformen mitgewirkt. Darüber hinaus wurden viele Plünderungen und Brandschatzungen von Luftangriffen der sudanesischen Luftwaffe eingeleitet, um die Zivilbevölkerung einzuschüchtern und zu terrorisieren. Über den Einsatz vonFlugzeugen bei dem Überfall auf ihr Dorf berichten 81,4 Prozent der Befragten.

Um 4 Uhr morgens griffen Janjaweed und Soldaten das Dorf Labus an, berichtet die 35 Jahre alte Fatima Ibrahim Abdalkarim. Bereits am Abend zuvor hatten Flugzeuge die Siedlung bombardiert und Häuser sowie Brunnen zerstört, erklärt die Mutter von neun Kindern. Fünf ihrer Söhne wurden bei den Angriffen getötet. Unterstützt von Soldaten der regulären Armee seien die Janjaweed in das Dorf gestürmt und hätten mehr als 140 Menschen getötet, erklärt Fatima. Besonders Männer seien erschossen worden, Frauen wurden vergewaltigt, aber auch vor der Ermordung von Kindern hätten die Angreifer nicht zurückgeschreckt. Zwanzig Dorfbewohner seien von den Angreifern verschleppt worden. Nachdem ihre Häuser und Brunnen zerstört worden seien, seien alle überlebenden Einwohner aus Labus geflohen. Auch sie habe dort nicht mehr leben können, berichtet Fatima, nachdem ihre Ernte zerstört und ihre 45 Kamele, 75 Ziegen, 2 Esel und 150 Schafe von den Eindringlingen getötet wurden. Nur wenige Stunden nach dem Überfall floh sie mit ihren überlebenden vier Kindern zu Fuß in den Tschad. Drei Wochen dauerte die entbehrungsreiche Flucht, auf der viele Nachbarn Fatimas an Hunger und Krankheiten starben.

Das Janjaweed und sudanesische Soldaten gemeinsam Dörfer angreifen wird auch von Sharief Aldin Alzubier Ismail bestätigt. Der Bauer unterhielt eine recht große Viehherde in dem Dorf Karniek, bis Flugzeuge das Dorf bombardierten und später Milizionäre und Soldaten in den Ort einfielen. Grausam hätten die Angreifer in der Siedlung gewütet, Mädchen und Frauen vergewaltigt, berichtet der Vater von neun Kindern. Seine sechs Söhne seien dabei getötet worden. Mehr als 400 Menschen seien von den Angreifern niedergemetzelt worden, unter ihnen mehr als 200 Kinder und 118 Frauen. Sechs Menschen hätten die Eindringlinge verschleppt. Der Bauer verlor bei den Bombardements und dem sich anschließenden Gemetzel sein gesamtes Habe: 111 Kamele, mehr als 400 Schafe, sowie Esel, Ziegen und Pferde seien zugrunde gegangen. Die Ernte sei vernichtet worden. Nach den schrecklichen Erlebnissen habe keiner der Dorfbewohner in dem Ort zurückbleiben wollen. Ein Überleben sei dort auch nicht mehr möglich gewesen, da die Angreifer die Brunnen vergiftet hätten. Zu Fuß sei er dann mit seiner Familie in elf Tagen in den Tschad geflohen.

Nur 1,6 Prozent der Interviewten erklärten, von den Rebellenbewegungen Justice and Equality Movement (JEM) oder Sudan Liberation Army (SLA) angegriffen worden zu sein. Dies unterstreicht den Eindruck vieler internationaler Helfer, die zwar auch über Menschenrechtsverletzungen der SLA und JEM berichten, die jedoch sowohl zahlenmäßig als auch von ihrem Umfang her in keinem Verhältnis zu den von denJanjaweed und der sudanesischen Armee zu verantwortenden Übergriffen stehen würden. So werden den Rebellen vor allem Angriffe auf Hilfstransporte, sudanesische Helfer und Journalisten zur Last gelegt.

Vergewaltigung als Waffe, um muslimische Gesellschaft zu zerstören

57,8 Prozent aller Befragten erklärten, mit eigenen Augen bei einem Überfall eine Vergewaltigung beobachtet zu haben. Von Vergewaltigungen hatten aus dem Kreis der Nachbarn und Freunde sogar 92 Prozent gehört. Manche berichteten, Frauen seien verschleppt worden, um als Sexsklaven zu dienen oder würden wie Vieh mit Brandmarken zur Kennzeichnung versehen.

Die 27 Jahre alte Aziza Ahmed Tuy wurde von ihren Peinigern bei einem Angriff auf das Dorf Tina vergewaltigt. Auch hier waren Janjaweed wiederum mit Unterstützung der sudanesischen Armee in den Ort eingedrungen, zerstörten Brunnen und brannten Häuser nieder. Schließlich gelang der Bäuerin mit ihren drei Mädchen doch die Flucht aus dem Dorf. Zurück blieben die Kadaver von 40 abgeschlachteten Kamelen, 15 Ziegen, 20 Pferden, einem Esel und 270 Schafen, die Aziza gehört hatten. Die Tiere und ihre letzten Ernteerträge waren von den Angreifern vernichtet worden. Zu Fuß und schließlich mit dem Auto flohen sie in drei Wochen in das Nachbarland. In ihrem Heimatdorf blieb niemand lebend zurück.

Frau Halima Khamis Issac musste mit ansehen, wie ihrer Tochter Gewalt angetan wurde. Die 45 Jahre alte Bäuerin aus Karji verlor bei dem Angriff von Milizionären und Soldaten auch ihren Sohn. Zwei Verwandte wurden entführt, zehn Menschen erschossen die Eindringlinge. Wieder einmal kamen zunächst die Flugzeuge, bevor um sechs Uhr morgens die Bewaffneten in das Dorf einfielen. Systematisch zerstörten sie alle Häuser, Brunnen, Viehherden und Erntebestände. Auch Halima verlor mit der Niedermetzelung ihrer Schafe, Ziegen und Kamele ihr gesamtes Hab und Gut. So blieb ihr nur noch die Flucht ins benachbarte Ausland. Zu Fuß, mit Tieren und Autos floh sie in den Tschad, wo sie vierzehn Tage später eintraf.

Herr Malik Omer Bashir wurde Zeuge, wie Verwandte vergewaltigt wurden. Der 30 Jahre alte Vater eines Mädchens berichtete über Massenerschießungen in dem Ort Nuorbi. Alle Menschen seien von dort vertrieben worden, nachdem mehr als 300 Dorfbewohner von Angreifern niedergemetzelt worden seien. Sechs Verwandte Maliks wurden entführt. Auch hier wurden die Janjaweed wieder von regulären Soldaten der sudanesischen Armee unterstützt, berichtete der Augenzeuge.

Anders als in Ruanda, wo während des Völkermordes 1992 die meisten Vergewaltigten von ihren Peinigern getötet wurden, überleben in Darfur rund 90 Prozent die Gewaltverbrechen. Nicht wenige der Opfer baten ihre Vergewaltiger nach dem Verbrechen, sie zu töten. Ihnen war bewusst, dass die Gewalttat ihr Leben grundlegend verändern würde. Denn das Verbrechen hat die vergewaltigten Mädchen und Frauen nicht nur traumatisiert, sondern für ihr Leben gezeichnet. So gelten sie in der muslimischen Gesellschaft im Westen des Sudan fortan als "unrein" und als unwürdig zu heiraten. Tausende muslimische Frauen wurden bei Überfällen der Janjaweed und der Armee, sowie beim Feuerholz holen außerhalb der Flüchtlingslager, in den letzten 19 Monaten gezielt vergewaltigt. Viele Vergewaltigungsopfer wagen aus Angst vor dem Tabu des Sexualverbrechens nicht über ihr Schicksal und die Identität der Täter zu berichten. Wagen sie den Schritt in die Öffentlichkeit,sind die Frauen ihr Leben lang gezeichnet und mit einem gesellschaftlichen Makel behaftet. Nur wenn sie weit entfernt von ihrer Familie, ihren Freunden und ihrer traditionellen Umgebung ein neues Leben beginnen, können sie eventuell ein neues Leben ohne gesellschaftliche Missachtung beginnen. Dies ist umso bitterer für die Frauen, da sie gerade nach dem Verbrechen besonders auf die Unterstützung ihrer Freunde und Familie angewiesen sind, um die schrecklichen Erlebnisse zu verarbeiten. So erschüttern die systematischen Vergewaltigungsverbrechen die muslimische Gesellschaft in ihren Grundfesten und führen zu Schäden, die noch über Generationen spürbar sein werden.

Milizionäre schlagen Dorfbewohner

Die Janjaweed und sudanesischen Soldaten sind es gewohnt, Gewalt gegen die unbewaffnete Zivilbevölkerung auszuüben. So gaben 61,4 Prozent der Interviewten an, bei den Überfällen geschlagen worden zu sein.

Vor den Augen seiner acht Kinder wurde Mohmed Ahmed Haruan in dem Ort Kuondla von Milizionären und Soldaten brutal zusammengeschlagen. Der 25 Jahre alte Bauer musste auch mit ansehen, wie Nachbarsfrauen vergewaltigt wurden. Seine Viehherden wurden vernichtet und sein Haus in Brand gesteckt.

Auch Osman Alzin Rahma Iah wurde von mehreren Angreifern geschlagen. Der 35 Jahre alte Vater von zwei Kindern aus Schuio hatte zuvor miterleben müssen, wie mehrere Frauen vergewaltigt und drei Verwandte verschleppt wurden. Fünfundzwanzig Dorfbewohner wurden vor seinen Augen von Milizionären und Soldaten erschossen.

Ähnlich erging es Munierah Adam Ibrahim. Der 35 Jahre alte Bauer aus Kadimy musste untätig zusehen, wie zwanzig Männer und zwei Frauen von den Angreifern erschossen wurden und zahlreichen Mädchen und Frauen Gewalt angetan wurde. Soldaten und Janjaweed schlugen ihn schließlich nieder. Als die Angreifer sich mehrere Stunden später zurückzogen, floh er in den Tschad, wo er 15 Tage später ankam.

Auch der 25 Jahre alte Mohmed Hamad Abakar Adam aus Hashaba berichtete, er sei von Milizionären immer wieder geschlagen worden. Mehr als 180 Menschen hätten die Janjaweed und Soldaten in seinem Dorf ermordet. Zahllose Frauen seien vergewaltigt worden. Drei Verwandte hätten die Angreifer verschleppt. Vier Wochen lang habe er sich daraufhin mit seinen drei Kindern zu Fuß bis in den Tschad durchgeschlagen.

Zivilbevölkerung soll vertrieben werden

Mit den Überfällen soll die Zivilbevölkerung nicht nur eingeschüchtert, sondern dauerhaft vertrieben werden. So berichten 92,5 Prozent der Befragten, ihr Brunnen sei von den Angreifern vergiftet worden. Ohne frisches Trinkwasser ist ein Überleben in den meist sehr kargen Regionen Darfurs unmöglich. Dass es den Angreifern vornehmlich darum ging, die Zivilisten zum Verlassen ihrer Heimat zu zwingen, wird auch daran deutlich, dass die Ernten zumeist nicht geplündert, sondern zerstört wurden. 95,1 Prozent aller Interviewten erklärten, ihre Ernten seien gezielt vernichtet worden. Der 31 Jahre alte Bauer Atia Hassen Atia aus Zaqawah betont, dass die Eindringlinge offenkundig kein großes Interesse für sein Vieh gezeigt hätten, sondern es ihnen anscheinend nur darum gegangen sei, die 44 Ziegen und 170 Schafe zu töten. Damit vernichteten sie sein gesamtes nennenswertes Hab und Gut. Auch vergifteten sie seinen Brunnen, so dass ihm keine andere Möglichkeit blieb als zu fliehen.

Der 45 Jahre alte Händler Mohmed Naser Nur Mabagi wurde gezwungen, einer Massenerschießung von 75 Männern, 18 Frauen und 45 Kindern beizuwohnen, nachdem Janjaweed und Milizen den Ort Altena eingenommen hatten. Seine Eltern waren bei dem Angriff getötet worden. Auch zwei seiner sechs Kinder kamen dabei zu Tode.

Auch Adam Atim Muosa verlor bei einem Überfall drei seiner fünf Kinder sowie seine Mutter. Darüber hinaus steckten Soldaten und Milizionäre sein Haus in Brand, vernichteten seine Ernte, töteten sein Vieh und forderten ihn auf, unverzüglich den Ort zu verlassen und nicht mehr wieder zu kommen.

Doch die Angreifer gaben sich mit der Zerstörung der Nahrungsmittelvorräte und der Vergiftung der Brunnen nicht zufrieden. 94,5 Prozent der Befragten gaben an, ihr Haus sei niedergebrannt worden. Ihr Vieh wurde entweder getötet oder von den Angreifern weggetrieben.

Dabei verlor Ibrahim Jumma Ali seine über Jahre aufgebaute Existenz. Der 35 Jahre alte Bauer aus Jabal war stolz auf sein Kamel, seine 40 Ziegen, sein Pferd, seine drei Esel und 81 Schafe, die ihm, seinen zwei Kindern und seiner Frau ein bescheidenes Auskommen sicherten.

Ähnlich dramatisch ist die Lage von Ibrahim Idriss Adam. Der 30 Jahre alte Baueraus Tabal verlor bei einem Überfall der Janjaweed und Soldaten seinen gesamten Besitz. Nach dem Verlust seiner drei Kamele, 46 Ziegen, seines Pferdes, der drei Esel und 56 Schafe blieb ihm nur noch die Flucht aus seiner Heimat, um wenigstens das Leben seiner sechsköpfigen Familie zu retten.

Zivilisten werden vor allem Opfer der Kämpfe

Kaum eine Familie in Darfur dürfte keine Todesfälle oder schwerste Menschenrechtsverletzungen zu beklagen haben. 96,3 Prozent der Befragten berichten, sie seien Augenzeugen von Erschießungen gewesen. Weitere 69,4 Prozent der Flüchtlinge erklärten, ein Verwandter sei bei den Übergriffen entführt worden. Zumeist haben die Flüchtlinge seither keinen Kontakt mehr zu ihren verschleppten Angehörigen.

Der 67 Jahre alte Abass Omer Mohmed aus Kaomsth beklagt die Entführung seiner zwei Verwandten Mohmed Adam Yaquob und Ibrahim Arbab durch Milizionäre und Soldaten. Die Verwandten wurden verschleppt, nachdem die Angreifer 37 Menschen – unter ihnen 15 Kinder – in dem Dorf erschossen hatten. Später zerstörten sie noch alle Brunnen und steckten die meisten Häuser in Brand. Dabei wurde auch das Haus von Abass zerstört. Auch der 20 Jahre alte Händler Ahmed Ebrahim Ali aus Anjmy weiß nichts über den Verbleib seiner verschleppten Verwandten. Sharif Aldin, Abdulkarim Hassen und Al Hafis Ali wurden von Janjaweed bei einem ihrer Vernichtungsschläge entführt. 35 Menschen wurden bei dem Überfall erschossen.

Tausende sterben auf der Flucht

90,9 Prozent der Befragten berichteten, während ihrer Flucht hätten sie andere Menschen sterben sehen. Als häufigste Todesursachen nannten sie Hunger, Durst und Massaker. Die meisten Flüchtlinge finden in Lagern innerhalb des Sudan Zuflucht.

Der 40 Jahre alte Händler Ibrahim Mana Nian Ali war mit seiner Frau und seinen fünf Kindern nur eine Woche zu Fuß und mit dem Auto auf der Flucht. Doch auch während dieser sieben Tage sahen sie Menschen aufgrund von Hunger, Durst, Erschöpfung und Krankheiten sterben.

Die meisten Flüchtlinge sind länger unterwegs, um rettende Camps in Darfur oder im Tschad zu erreichen. So war der 25 Jahre alte Bauer Jumma Khamis Abdullah aus Habila 45 Tage zu Fuß auf der Flucht, nachdem in seinem Dorf ein Verwandter entführt und fünf Männer und drei Frauen von Janjaweed und Soldaten erschossen worden waren. Auch er sah unzählige Flüchtlinge elendig zugrunde gehen.

Tschad ist überfordert mit Betreuung der Flüchtlinge

Sudans Nachbarland hat in den letzten 17 Monaten Enormes geleistet, um die Darfur-Flüchtlinge angemessen zu versorgen. Zur Zeit leben die 200.000 Flüchtlinge in zehn Lagern, ein elftes Camp ist im Bau. Die tatsächliche Zahl der Flüchtlinge dürfte weitaus höher liegen, da viele Menschen aus Darfur, die in grenznahen Gebieten lebten, bei Verwandten im Tschad Aufnahme gefunden haben, ohne jemals offiziell in Flüchtlingsstatistiken geführt zu werden.

Mit einer enormen Großzügigkeit hat die Bevölkerung im Nordosten des Tschad die Flüchtlinge in den ersten Monaten aufgenommen und versorgt. Doch inzwischen haben die Spannungen zwischen der lokalen Bevölkerung und den Flüchtlingen immer mehr zugenommen. Konflikte um Brennholz, Wasser und Weideland eskalieren immer mehr zwischen beiden Gruppen, wie unsere Untersuchungsmission nun feststellen musste. Wenn 200.000 Flüchtlinge dreimal täglich Brennholz zum Kochen suchen, dann hat dies natürlich auch spürbare Folgen für den Baumbestand. Inzwischen sind viele dieser Konflikte eskaliert, Flüchtlinge werden bedroht und verjagt, ihr Vieh beschlagnahmt und ihre Wasserlöcher zerstört. Seit der Ankunft der ersten Flüchtlinge hat sich die Bevölkerung in den Dörfern des Nordost-Tschad verdreifacht, die Preise auf den lokalen Märkten haben sich vervier- oder verfünffacht. Anfang Oktober 2004 starben bei Auseinandersetzungen mit der lokalen Bevölkerung drei Flüchtlinge aus Darfur.

Auch ist in einigen Lagern entlang der Grenze zum Sudan trotz Schutzmaßnahmen französischer Soldaten die Sicherheit der Flüchtlinge nicht gewährleistet. Oft dringen Milizionäre in Flüchtlingslager ein und bedrohen die Lagerinsassen. Immer wieder kommt es zu Überfällen bewaffneter Janjaweed im Grenzgebiet. Vermutlich will die sudanesische Führung mit diesen Überfällen den Tschad nachdrücklich vor jeder Unterstützung der Aufständischen in Darfur warnen. Anfang Oktober 2004 stahlen Reitermilizen aus Darfur auf einem belebten Markt in der Grenzstadt Toukoul Toukouli im Tschad von einem Wochenmarkt 1.000 Rinder. Im September wurde der Sohn des Unter-Präfekten in der Nähe der Stadt Adre von Bewaffneten getötet. Die Spur der Täter führte wie so oft in den Sudan. Lokale Viehzüchter bewaffnen sich daher nun, um den Viehraub zu stoppen. Rund 3.000 sudanesische Flüchtlinge, die in der Umgebung von Adre gefährdet sind, werden nun in das Lager Farchana im Landesinneren transferiert.

Doch dies ist keine angemessene Antwort auf die prekäre Sicherheitslage und die Versorgungsprobleme der Flüchtlinge im Tschad. In vielen Camps operiert der sudanesische Geheimdienst offen mit Unterstützung der Behörden des Tschad, stellte unsere Untersuchungsmission bei ihrem Besuch und in Gesprächen mit Lagerinsassen fest. So will der Sudan nicht nur Informationen über die Flüchtlinge sammeln, sondern vor allem Druck auf die Lagerinsassen ausüben, um sie zu einer schnellen Rückkehr in den Sudan zu veranlassen und international den Eindruck zu erwecken, die Lage in Darfur normalisiere sich und eine sichere Rückkehr sei bereits heute möglich.

Im Mai 2004 brach ein Militärputsch im Tschad aus. In der Armee herrscht große Unruhe angesichts der beschwichtigenden Politik des Staatspräsidenten Idriss Deby gegenüber dem Sudan. Aufständische Soldaten, die wie der Präsident dem Zagawa-Volk angehörten, forderten ein entschiedenes Auftreten des Tschad gegenüber dem Sudan. Nicht nur die Staatsführung im Tschad verfolgt diese Entwicklung mit großer Sorge, da sie einen Ausbruch ethnischer Konflikte befürchtet. Auch die einflussreiche "Schutzmacht" Frankreich sieht ihre Interessen in dem zentralafrikanischen Staat bedroht und warnt vor einer Ausweitung der Kämpfe in Darfur auf den Tschad. Frankreich hat seit 1986 seine militärische Präsenz im Tschad kontinuierlich ausgebaut und unterhält derzeit drei militärische Stützpunkte mit 1.000 Soldaten. Für die Unterstützung der humanitären Helfer im Tschad hat Frankreich bereits Transportflugzeuge und Hubschrauber zur Verfügung gestellt. Ein dauerhaftes militärisches Engagement in der Darfur-Krise will Frankreich aber auf jeden Fall vermeiden und favorisiert daher das Krisenmanagement der Afrikanischen Union (AU).

Darfur-Flüchtlinge brauchen dringend mehr Hilfe

Eine angemessene Versorgung der Darfur-Flüchtlinge ist im Tschad noch nicht einmal bis zum Jahresende gewährleistet, da das Ausland bislang nur 54 Prozent der benötigten Hilfe zugesagt hat. Zu viele Staaten haben zwar umfangreiche Hilfslieferungen versprochen, lassen jedoch keine Taten folgen. Dabei fehlt es schon heute in vielen Lagern an Zelten und Decken für die kalten Nächte, sowie an sauberem Trinkwasser. Nach UN-Standards benötigt jeder Mensch 15 Liter pro Woche, in manchen Camps können aber bereits heute nur sechs Liter ausgegeben werden. Dieses Missverhältnis wird noch weiter zunehmen, wenn nach dem Abebben der Regenzeit im Herbst bis zu 100.000 weitere Flüchtlinge im Tschad eintreffen werden.

Durch verunreinigtes Wasser konnte sich seit Ende Juni 2004 Hepatitis E unter den Flüchtlingen ausbreiten. Bislang infizierten sich 1.442 Menschen mit dem Virus, der sich unter anderem über Trinkwasser überträgt, das mit Fäkalien verunreinigt ist. Bereits 46 Menschen sind an der akuten Leberentzündung im Tschad gestorben.

Hatten die UN ursprünglich 54 Millionen US-Dollars als Katastrophenhilfe für die Flüchtlinge im Tschad vorgesehen, so benötigen sie nun mindestens 166 Millionen US-Dollars. Auch das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) ist aufgrund ungenügender Finanzmittel hoffnungslos überfordert. So benötigt das WFP allein 44 Millionen US-Dollars zur Versorgung von 55.000 Kleinkindern und Schwangeren, doch nur 28 Millionen wurden bislang vom Ausland zur Verfügung gestellt.

Schwerste Menschenrechtsverletzungen dauern weiter an

Mehr als 1,6 Millionen Menschen flohen in den letzten 15 Monaten aus den ländlichen Gebieten Darfurs, nachdem Reitermilizen und sudanesische Soldaten systematisch ihre Dörfer überfallen, geplündert und niedergebrannt hatten. Ganze Landstriche wurden entvölkert, Hunderttausende vertrieben. Mindestens 70.000 Menschen fielen dem Völkermord in Darfur bereits zum Opfer. Weitere 10.000 Menschen könnten jeden Monat im Herbst / Winter 2004 sterben, warnen internationale Hilfsorganisationen (Independent, 20.10.2004). Bis zu 350.000 Menschen könnten in dem Konflikt zu Tode kommen, befürchten ausländische Helfer.

Auch im Bundesstaat Nord-Darfur fällt die Landbevölkerung weiter Angriffen zum Opfer. Rund 5.000 Menschen suchten dort Mitte September 2004 in der Stadt El Fasher Zuflucht, nachdem Milizionäre ihre Siedlungen überfallen und Frauen vergewaltigt hatten.

Sogar in Flüchtlingslagern am Rande der größeren Städte Darfurs sind die Vertriebenen vor ihren Häschern nicht sicher. Zu Hunderten werden Mädchen und Frauen beim Brennholzsuchen vergewaltigt. Denn ihre Peiniger waren von den sudanesischen Behörden durch einen bloßen Uniformwechsel zu Polizisten gemacht und mit der Bewachung der Camps betraut worden.

Immer schwieriger wird auch die Lage der Zivilbevölkerung, die bislang nicht vor dem Milizen-Terror floh. So sind rund 200.000 Menschen von jeder Versorgung mit Hilfsgütern abgeschnitten, warnten Hilfsorganisationen im November 2004. Da die Sicherheitslage immer schwieriger wird, müssen internationale Helfer immer häufiger ihre Arbeit einstellen.

Monatelang haben die sudanesischen Behörden mit immer neuen Tricks und Schikanen die Arbeit internationaler Hilfsorganisationen massiv behindert und damit das Leben zehntausender Menschen gefährdet. Statt internationale Hilfsorganisationen bei ihrer Arbeit zu unterstützen und aktiv Leben zu retten, tun die sudanesischen Behörden alles, um eine wirksame Versorgung der Bevölkerung zu verhindern. Sudans Staatspräsident Omar Hassan al Bashir bezeichnete denn auch jüngst die internationalen Hilfsorganisationen als den "tatsächlichen Feind" des Sudan.

Sudan verübt Völkermord in Darfur

Die befragten Flüchtlinge aus Darfur berichteten glaubhaft, wie Janjaweed und sudanesische Soldaten systematisch ihre wirtschaftliche Lebensgrundlage zerstören, in dem sie planmäßig bei ihren Überfällen auf Dörfer der schwarzafrikanischen Bevölkerung Viehherden und Ernten vernichten. Auch entziehen sie diesen ethnischen Gruppen gezielt die Lebensgrundlage, in dem sie ihre Brunnen vergiften oder bombardieren, ihre Häuser niederbrennen, Massenerschießungen vornehmen und Mädchen und Frauen systematisch vergewaltigen. Die schweren Menschenrechtsverletzungen der sudanesischen Armee und der Janjaweed in Darfur muss sich die sudanesische Regierung auch zurechnen lassen, da mehr als 90 Prozent der Befragten erklärten, die Gewalttaten seien gemeinschaftlich von Soldaten und Milizionären begangen worden.

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation, die am 15. Oktober 2004

veröffentlicht wurden, sind seit dem 1. März 2004 bis zu 70.000 Menschen in Darfur alleine aufgrund der katastrophalen Lebensbedingungen, die ihnen auferlegt wurden, gestorben (Media Briefing Notes, World Health Organisation, 15.10.2004). Die meisten Menschen seien Durchfallerkrankungen zum Opfer gefallen, die sich aufgrund akuter Unterernährung besonders katastrophal auswirkten. Zu verantworten haben diese Lebensbedingungen die Janjaweed-Milizen und die sudanesische Armee, die mit ihren Überfällen systematisch die Lebensgrundlage der schwarzafrikanischen Bevölkerung Darfurs zerstörte und mit ihrem Terror Hunderttausende aus ihren Dörfern vertrieb. Darüber hinaus behinderten und teils blockierten sudanesische Behörden zwischen April 2003 und August 2004 gezielt die humanitäre Versorgung der Zivilbevölkerung in weiten Teilen Darfurs. Die meisten der im Sudan tätigen internationalen Hilfsorganisationen berichteten wochenlang regelmäßig über die Beschlagnahme von technischem Gerät, die Blockierung von Hilfsgütern durch den sudanesischen Zoll, den Mangel an geeigneter Transportkapazität, sowie über die schleppende Ausstellung von Visa. Entgegen ihren Zusagen und den Auflagen des Weltsicherheitsrates entwaffneten die sudanesischen Sicherheitskräfte bislang nicht die Milizen. Somit ist die sudanesische Führung unmittelbar verantwortlich für die Zerstörung der Lebensgrundlage der Zivilbevölkerung im Westen des Sudan.

Darfur erlebe eine Hungerkatastrophe, die alle vorangegangenen Katastrophen in der Region in den Schatten stelle, warnte das Internationale Rote Kreuz (dpa, 19.10.2004). Denn während der Hungersnöte in den 80er und 90er-Jahren habe es zumindest keine bewaffneten Auseinandersetzungen und Sicherheitsprobleme gegeben. Angesichts dieser massiven Warnungen räumte auch der sudanesische Außenminister Mustafa Osman Ismail ein, es gebe zur Zeit ein Hungerproblem. Doch der Minister zeigte sich zuversichtlich, dass dies bald behoben werde (dpa, 19.10.2004). Eine Zuversicht, die internationale Hilfsorganisationen nicht teilen. So wandten sich am 15. November sechs bedeutende internationale Hilfsorganisationen (CARE, Oxfam, Save the Childrens Fund, Christian Aid, International Rescue Committee, Tearfund) mit einem ungewöhnlich scharf formulierten Appell an den Weltsicherheitsrat und forderten eine massive Verstärkung des Druckes auf die sudanesische Führung.

Wer systematisch die Versorgung der Not leidenden Zivilbevölkerung behindert oder unterbindet, muss sich dem Vorwurf des Völkermordes gemäß den Artikeln 2b und 2c der Internationalen Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1948 stellen. Gemäß Artikel 2 wird als Völkermord angesehen, wenn Handlungen in der Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören, durch die Tötung von Mitgliedern der Gruppe (Absatz a), durch die Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe (Absatz b) oder durch die vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen (Absatz c). Die in Darfur verübten Gewalttaten erfüllen somit den Tatbestand des Genozids gemäß Artikel 2a, b und c der Völkermord-Konvention.

"Was dort die Menschen und vor allem die Frauen zu erleiden haben, ist unglaublich schrecklich", erklärte die Hollywood-Schauspielerin Angelina Jolie nach einem Besuch Darfurs im Oktober 2004 (AFP, 27.10.2004). Das Hauptproblem sei der mangelnde Zugang zur Zivilbevölkerung, fehlende Infrastruktur und Sicherheit, beklagte Jolie. "Dringend muss dem UNHCR (Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen) der Zugang zu den Heimatdörfern der Vertriebenen gestattet werden", forderte die Goodwill-Botschafterin des UNHCR (AP / UNHCR, 27.10.2004).

"Vor allem die Kinder sind in einer verzweifelten Lage", warnte der UN-Sondergesandte für den Sudan, Jan Pronk, in einem Bericht an den Weltsicherheitsrat am 8. November 2004 (UNICEF, 8.11.2004). Die sanitären Einrichtungen in den Flüchtlingslagern seien noch immer nicht ausreichend, auch fehle es an Schutz vor Übergriffen und Kinder würden als Soldaten zwangsrekrutiert. "Ich befürchte, dass diese Kinder kaum eine Zukunft haben werden nach allem, was sie bereits an Verzweiflung erleben mussten", warnte Pronk.

Angesichts der katastrophalen Nachrichten aus dem Westen des Sudan bewertete US-Außenminister Colin Powell die Tragödie in Darfur im Auswärtigen Ausschuss des UN-Senates am 9. September 2004 erstmals als "Völkermord"(AFP. 9.9.2004). Zuvor hatten Mitarbeiter mehr als eintausend Interviews mit Flüchtlingen ausgewertet, die ein erschreckendes Bild von der Lage in Darfur zeichneten. Der sudanesische Außenminister Ismail wies den Genozid-Vorwurf zwar sofort zurück, doch seine Ankündigung, wenn alles gut gehe, würde bis zum Ende des Jahres 2004 ein umfassendes Friedensabkommen für Darfur unterzeichnet und im Jahr 2005 würde überall im Sudan Frieden herrschen, war realitätsfremd und verfehlte ihr Ziel zu beschwichtigen (misna, 13.9.2004).

Die US-Einschätzung hob sich deutlich vom Urteil einer Untersuchungskommission der Europäischen Union (EU) ab, die im August 2004 zu dem Schluss gekommen war, in Darfur werde kein Völkermord verübt. Der massive Missbrauch der humanitären Hilfe als Waffe im Krieg und die gezielte Vertreibung weiter Bevölkerungsteile wurde bei der Bewertung weitgehend ignoriert. Statt die unzähligen leeren Versprechungen Khartums in den vergangenen anderthalb Jahren zu untersuchen, sind die Analysten bei der Klärung des Völkermord-Vorwurfs meist darauf fixiert, Massaker und Massengräber zu ermitteln. Doch dass eine Blockade der humanitären Hilfe noch viel wirksamer sein kann, um ethnische Säuberungen voranzutreiben, weiß man in Khartum bereits seit langem. Der Missbrauch der humanitären Hilfe als Waffe im Krieg gegen die Zivilbevölkerung hat im Sudan Tradition. Mehr als zwei Millionen Südsudanesen fielen dieser Verletzung grundlegendster Regeln des humanitären Völkerrechts in den letzten 38 Jahren des Bürgerkrieges im Südsudan zum Opfer.

Viele Worte, wenig Taten

Während Regierungen zögern, den Konflikt bei dem Namen zu nennen, den er verdient, warnen immer mehr Nichtregierungsorganisationen und bedeutende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens vor einem Völkermord in Darfur "Wenn das kein Genozid ist, was um Himmels Willen in der Welt, ist es dann", fragt Lord Alton, der britische Gründer der Menschenrechtsorganisation Jubilee Campaign" (Independent, 18.10.2004). Der britische Lord hatte zuvor Flüchtlingslager im Westen des Sudan besucht und zeigte sich erschüttert von seinen Eindrücken und Gesprächen.

Vor allem in den USA laufen Bürgerrechtsorganisationen Sturm und drängen zu einem massiveren Vorgehen der internationalen Staatengemeinschaft gegen die sudanesische Führung. Der ehemalige kanadische UN-General Romeo Dallaire, der vergeblich 1994 versuchte, die UN zu einem entschiedenen Vorgehen gegen den Völkermord in Ruanda zu drängen, erinnerte an die Parallelen zwischen Ruanda 1994 und Darfur 2004. Die AU-Beobachtertruppe sei nicht dazu in der Lage wirksam den Genozid einzudämmen, warnte Dallaire (New York Times, 4.10.2004). Friedensnobelpreisträger und Holocaust-Überlebender Elie Wiesel warf der internationalen Staatengemeinschaft Untätigkeit vor (27.10.2004). "Wir haben den UN-Generalsekretär getroffen, und ihm unseren Kummer, unsere Ängste und unsere Wut ausgedrückt, die wir angesichts der Lage in Darfur empfinden", erklärte Wiesel nach einem Gespräch, das er gemeinsam mit religiösen Führern von mehr als 100 Millionen Christen, Muslimen und Juden mit Kofi Annan geführt hatte (AFP, 27.10.2004). Hannah Rosenthal vom Jewish Council for Public Affairs forderte, jenseits diplomatischer Zurückhaltung und des Ringens um Definitionen müsse vor allem doch gefragt werden, wie viele Menschen getötet, ausgehungert und vergewaltigt wurden (AP, 28.10.2004). Der Vizepräsident von World Vision in den USA, Atul Tandon, sprach von einem "totalen Krieg", der in Darfur ausgebrochen sei, so dass mindestens jeder vierte Bewohner der Region auf der Flucht sei (World Vision, 27.10.2004). Dringend müsse nach einer Friedenslösung gesucht und die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung gestoppt werden, forderte Tandon.

Angesichts der vielen Appelle von Nichtregierungsorganisation kam auch Bewegung in die US-amerikanische Politik: Der US-Kongress bezeichnete das Massensterben als Genozid, John Kerry, George W. Bush, die Führer der Demokraten und Republikaner im US-Senat und US-Kongress, der Bürgerrechtler Jesse Jackson und der "Congressional Black Caucus", das Lobby-Bündnis "schwarzer" Kongressabgeordneter, forderten mehr Druck auf die sudanesische Führung und ein sofortiges Ende des Genozids (AP, 27.8.2004 / New York Times, 14.11.2004). Der ehemalige US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, Richard Holbrooke, warf den Vereinten Nationen, der US-Regierung und der internationalen Staatengemeinschaft vor, zu wenig zu tun, um die Darfur-Krise zu beenden (AP, 31.8.2004).

Auch in den Sonderorganisationen der Vereinten Nationen wird Kritik am Krisenmanagement der Internationalen Staatengemeinschaft laut. Wenn Mädchen und Frauen in Darfur systematisch von Soldaten und Milizionären vergewaltigt würden, so sei dies ein Kriegsverbrechen, erklärte die UNICEF-Beraterin für Gewalt und sexuelle Ausbeutung, Pamela Shifman (UN News Service, 19.10.2004).

Der amtierende Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zur Lage der Menschenrechte im Sudan, Emmanuel Akwei Addo, erklärte Ende Oktober 2004 vor der UN-Vollversammlung, es würden überzeugende Indizien dafür vorliegen, dass im Sudan Kriegsverbrechen (darunter Mord, Folter, Vergewaltigung und ein gezieltes Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung) begangen würden (UN-Vollversammlung, 29.10.2004). Sein Amtsvorgänger, der ehemalige deutsche Bundesinnenminister Baum, spricht bereits seit Monaten von einem Genozid in Darfur und fordert ein entschlossenes Vorgehen der internationalen Staatengemeinschaft.

Der UN-Sonderbeauftragte für den Sudan Jan Pronk warnt sogar vor einer "Anarchie" in Darfur, weil die Gewalt sowohl auf Seiten der Regierung und der ihr nahe stehenden Milizen als auch auf Seiten der "Rebellenbewegungen" immer mehr zunehme (NZZ, 5.11.2004). Einhellig verurteilte die UN die gewaltsame Schließung von Flüchtlingslagern und Zwangsumsiedlung der Lagerinsassen, die am 2. November 2004 in der Nähe der Stadt Nyala weltweit für Aufsehen sorgte. Selbst UN-Generalsekretär Kofi Annan, der im Frühsommer 2004 noch die Tragödie in Darfur beschönigte, drängt inzwischen den Weltsicherheitsrat zu einem schnellen und harten Durchgreifen (Le Monde, 4.11.2004). Doch angesichts der Kräfteverhältnisse im Weltsicherheitsrat und Partikularinteressen einzelner Vetomächte sind vom Weltsicherheitsrat kaum nennenswerte Beschlüsse zu erwarten.

Leere Versprechungen Khartums

Monatelang hat die internationale Staatengemeinschaft weitgehend untätig dem Genozid zugeschaut. Zwar protestierten Weltsicherheitsrat und Europäische Union gegen die schweren Menschenrechtsverletzungen und appellierten höflich an alle Konfliktparteien, die Zivilbevölkerung zu schonen und nach einer politischen Lösung der Krise zu suchen. Auch leistet man großzügig humanitäre Hilfe, doch vor massiverem Druck auf die sudanesische Führung schreckt man bislang zurück. Wider besseres Wissen ließ man sich von leeren Versprechungen Khartums blenden. Geschickt bemüht sich die sudanesische Führung, mit ständig neuen Zusicherungen Zeit zu gewinnen und vor Ort in Darfur Fakten zu schaffen. Doch den vielen Worten folgten keine Taten, so dass wir bis heute vergeblich auf die vor einem Jahr versprochene Entwaffnung der Janjaweed-Milizen warten.

Blockade im Weltsicherheitsrat

Der Weltsicherheitsrat und die Europäische Union zaudern und weichen vor einem verstärkten Druck auf den Sudan zurück. Im höchsten Gremium der Vereinten Nationen blockieren vor allem Russland und China, aber auch muslimische Staaten wie Pakistan, ein entschlossenes Vorgehen. Russland ist der wichtigste Waffenlieferant des Sudan. Nicht ganz ernst zu nehmen war der Einwurf des russischen Präsidenten Wladimir Putin, der im Oktober versicherte, sein Land würde in Zukunft keine Waffen mehr an die Janjaweed liefern. Natürlich hatte Russland auch bislang nur Waffen an die sudanesische Regierung verkauft, erst im August 2004 erwarb der Sudan 12 MiG-29 Kampfflugzeuge aus russischer Produktion (MENL/Moskau, 21.10.2004). Auf Drängen Khartums wurde dieser Kauf fünf Monate früher abgewickelt als ursprünglich geplant war. Im Jahr 2003 hatte Russland 48 Panzer und 32 Haubitzen sowie drei Artilleriesysteme großen Kalibers geliefert (IPS, 5.11.2004). Auch wurden seit dem Jahr 2002 neue Mi-24 Kampfhubschrauber und umfangreiche Waffen- und Munitionsbestände aus Russland eingeführt (Moscow News, 25.10.2004). Die sudanesische Armee verteilt die Waffen dann nach eigenem Belieben weiter. Da der Sudan aufgrund seiner Einnahmen aus der Erdölförderung über große Geldsummen verfügt, ist er bei Rüstungslieferanten ein gern gesehener Kunde. Trotzdem hätte ein Waffenembargo gegenüber dem Sudan nur eine sehr begrenzte Wirkung auf den Darfur-Konflikt, da die Janjaweed für ihren Terror nur über eine sehr geringe Bewaffnung verfügen müssen und dazu auch veraltete Waffen genügen.

Chinas Öl-Durst tötet im Sudan

Noch massiveren Widerstand gegen jede Form von Sanktionen und gegen eine humanitäre Intervention der internationalen Staatengemeinschaft in Darfur leistet die Volksrepublik China. Grundsätzlich befürwortet China nur selten den Einsatz von Friedenstruppen, da es fürchtet selbst einmal Ziel einer Intervention zu werden, sollten die Konflikte in Tibet und Ostturkestan / Xinjiang weiter eskalieren. In Sachen Sudan ist die Führung in Peking jedoch besonders zurückhaltend, da Chinas staatlicher Öl-Konzern China National Petroleum Corporation (CNPC) an der Ölförderung im Süden des Sudan massiv beteiligt ist. So ist die CNPC mit 40 Prozent der bedeutendste Anteilseigner an dem Ölkonsortium Greater Nile Petroleum Operating Company (GNPOC),dasdie zwei wichtigsten Ölfelder in der Provinz Western Upper Nile kontrolliert. Von Sommer 2005 an wird die CNPC darüber hinaus auch Öl im Melut-Becken östlich des Nils fördern. Chinesische Firmen bauen bereits an einer 1.392 Kilometer langen Pipeline vom Melut-Becken zum Verladehafen Port Sudan, sowie an einem 215 Millionen US-Dollars teuren Umschlagterminal für Öl-Exporte in der Hafenstadt am Roten Meer. Im Oktober 2004 kaufte die chinesische Ölfirma Sinopec einen weiteren 6 Prozent-Anteil and Ölblöcken drei und sieben im Sudan, in denen im Jahr 2005 die Ölförderung aufgenommen werden soll (Engineering News, 22.10.2004). Seit 1999 hat China rund drei Milliarden US-Dollars in die Erschließung von Ölfeldern im Sudan investiert (The Independent, 15.10.2004).

Chinas Öl-Durst hat im Herbst 2004 weltweit zu einer Verknappung der Ölreserven sowie zu einer deutlichen Erhöhung der Rohstoffpreise geführt. Allein im Jahr 2004 wird Chinas Energiebedarf voraussichtlich um 15 Prozent steigen. In den ersten sieben Monaten des Jahres 2004 waren die chinesischen Ölimporte gegenüber dem Vorjahr um rund 40 Prozent gestiegen. Der Sudan wird dabei zu einem immer wichtigeren Rohstofflieferanten der Volksrepublik. Schon heute stammen sechs Prozent der Ölimporte Chinas aus dem afrikanischen Staat. Dieser Anteil soll in den kommenden Jahren noch deutlich erhöht werden. So kündigte das sudanesische Energieministerium am 14. November 2004 an, die tägliche Fördermenge bis zum zweiten Halbjahr 2005 von 312.000 Barrel Öl auf 500.000 Barrel steigern zu wollen(KUNA / Khartum, 14.11.2004). Der Öl-Export ist heute der wichtigste Devisenbeschaffer des Sudan und bringt jährlich rund zwei Milliarden US-Dollars in die sudanesischen Staatskassen. Ein von den Vereinten Nationen verhängtes Öl-Embargo wäre daher recht effektiv, um den Druck auf die sudanesische Führung deutlich zu erhöhen. Es würde auch kaum die Lebensverhältnisse der sudanesischen Zivilbevölkerung beeinträchtigen, da die Einnahmen zu einem Großteil für die Finanzierung des Krieges aufgewendet werden. Doch angesichts der massiven Öl-Interessen Chinas dürfte ein Öl-Embargo im Weltsicherheitsrat nicht durchzusetzen sein.

Uneinige Europäer

Wieder einmal sind die Europäer in ihrer Außenpolitik gegenüber dem Sudan uneins. Während Deutschland und Schweden für eine Verstärkung des Druckes auf die sudanesische Führung eintreten, plädieren Frankreich und Großbritannien für ein behutsames Vorgehen. Im Juli 2004 drohte Frankreich sogar an, den gemeinsamen Konsens aller EU-Staaten in der Sudan-Frage zu ignorieren, als der französische Staatssekretär im Außenministerium, Renaud Muselier, erklärte, sein Land lehne UN-Sanktionen gegen den Sudan ab. Seit Monaten beschäftigen sich die europäischen Außenminister bei jeder ihrer Rats-Tagungen mit der Lage in Darfur, ohne bislang Sanktionen beschlossen zu haben. So bleibt es bei viel warmer Luft und Äußerungen der Betroffenheit über die sich verschlechternde Lage in Darfur.

Folgenlos blieb auch der Besuch des deutschen Außenministers Joschka Fischer und der Staatsministerin Kerstin Müller im Juli 2004 im Sudan. Zwar kritisierten sie nachdrücklich die Menschenrechtsverletzungen und forderten eine Auflösung der Milizen, doch die mangelnde Kooperationsbereitschaft der sudanesischen Führung hatte bislang keine weiteren Folgen für die deutsche Außenpolitik. Dabei hatte Staatsministerin Müller bei dem Besuch in Fernsehinterviews angekündigt, dass Berlin Konsequenzen ziehen müsse, wenn sich die Lage in Darfur nicht bessere und die Konfliktparteien nicht aktiv an einer Friedenslösung arbeiteten. Doch außer der Zuteilung von noch mehr humanitärer Hilfe und weiteren Erklärungen der Betroffenheit wurde öffentlich der Druck auf den Sudan nicht erhöht.

Einige europäische Politiker zeigten sich sogar optimistisch. So überraschte der britische Außenminister Jack Straw bei seinem Sudan-Besuch im August 2004 mit der Einschätzung, die humanitäre Lage in Darfur habe sich gebessert (Xinhua, 25.8.2004). Der EU-Beauftragte für Außen- und Sicherheitspolitische Fragen, Javier Solana, sah bei seiner Sudan-Reise Ende Oktober 2004 sogar eine Verbesserung der Sicherheitslage und der humanitären Versorgung der Not leidenden Zivilbevölkerung. Eine skandalöse Beschönigung der katastrophalen Lage angesichts der zahllosen Warnungen von Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen, die über eine weitere Eskalation der Gewalt berichteten und zehntausende Flüchtlinge mit ihren Hilfslieferungen nicht mehr erreichen können, weil immer mehr Gebiete für ausländische Helfer zu gefährlich werden. Mit seinem im Oktober 2004 während einer Sudan-Reise verkündeten Fünf-Punkte-Plan verschaffte der britische Premierminister Tony Blair der sudanesischen Führung erneut einen Zeitaufschub bis Januar 2005, um seit Monaten gegebene Versprechungen zu verwirklichen. Mit immer neuen Ultimaten, die keine negativen Folgen für die sudanesische Führung mit sich bringen, verspielt die EU in der Sudan-Politik ihre Glaubwürdigkeit.

Zögerliche USA

Die US-Administration war zwar weltweit die erste Regierung, die die schweren Menschenrechtsverletzungen in Darfur als Völkermord brandmarkte. Auch waren es immer wieder US-Initiativen, die zu einer Debatte der Lage im Sudan im Weltsicherheitsrat führten. Doch trotz der geringen verbalen Zurückhaltung hat die US-Regierung bislang wenig Konkretes unternommen, um den Genozid zu stoppen. Angesichts der Verstrickung amerikanischer Streitkräfte in den Krieg im Irak machten die Amerikaner auch deutlich, dass von ihnen kein militärisches Engagement in Darfur zu erwarten ist. Die USA leistet jedoch bei weitem die bedeutendste humanitäre Hilfe für Darfur und die sudanesischen Flüchtlinge im Tschad.

Auch im US-Wahlkampf war die Lage im Sudan Thema zahlreicher Debatten. Nicht nur die sehr konservative Anhängerschaft von US-Präsident George Bush interessiert sich traditionell sehr für die Lage der Christen im Sudan. Auch die schwarze Bevölkerungsgruppe fordert mehr Solidarität mit den Verfolgten und Vertriebenen im Westen des Sudan. Doch ihre Appelle und Proteste für eine sofortige humanitäre Intervention in Darfur blieben bislang unbeantwortet.

Arabische Welt deckt Genozid

Viel Unterstützung erhält Khartum aus der arabischen Welt, die aus falsch verstandener Solidarität jede Verstärkung des Druckes auf die arabische Führung in Khartum ablehnt. So warnte die Arabische Liga am 9. August 2004 vor einer ausländischen Militäraktion in Darfur. Trotz der Eskalation der Gewalt in der Krisenregion und der leeren Versprechungen änderte die Arabische Liga nicht ihre Haltung. Als der Weltsicherheitsrat Mitte September eine äußerst moderate Resolution zur Darfur-Krise verabschiedete, in der angedroht wurde, möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt Sanktionen zu verhängen, äußerten die arabischen Staaten ihre Bestürzung. Der Sprecher der Liga, Hussam Zaki, erklärte, "die Verhängung von Sanktionen wird nicht helfen, den Konflikt zu lösen oder die Konfliktparteien veranlassen, ihn zu beenden". Zu "überstürzt" sei die Resolution verabschiedet worden, kritisierte die Arabische Liga. Ein absurder Vorwurf angesichts der dramatischen Lage im Westen des Sudan und der windelweichen Formulierung der Resolution. Auch Jordaniens König Abdullah und Libyens Revolutionsführer Muamar Ghadafi lehnten Ende August 2004 jede ausländischeIntervention im Sudan ab. Ägyptens Staatspräsident Hosni Mubarak sicherte der sudanesischen Führung am 14. September 2004 seine volle Solidarität zu und zeigte sich zuversichtlich, dass Khartum es gelingen werde, "die Lage in der Region Darfur zu normalisieren". Der Jemen vermutete sogar ein anti-arabisches Komplott hinter dem Druck auf den Sudan. Doch nicht nur Regierungen deckten mit ihrem blinden Vertrauen den Genozid der sudanesischen Führung. So warf ein führender muslimischer Geistlicher in Ägypten, Scheich Yussef al-Qaradawi, westlichen Hilfsorganisationen sogar vor, in Darfur für den christlichen Glauben zu missionieren. Wieder einmal versagt die arabische Welt bei der Durchsetzung von menschenrechtlichen Mindeststandards in den eigenen Reihen.

Dabei vernichten in Darfur arabische Muslime ihre eigenen Glaubensbrüder. Der Genozid hat keinen religiösen Hintergrund, sondern die Menschen in Darfur haben aufbegehrt, weil ihre Region jahrzehntelang vernachlässigt wurde. Auch im Osten und Norden des Sudan wird in ähnlich verwahrlosten Gebieten der Widerstand gegen die korrupte Führung in der Hauptstadt Khartum immer größer. Wie in Darfur, so fordert man auch dort eine gerechtere Verteilung des Wohlstands und eine gezielte Förderung der lange ignorierten Regionen.

Papiertiger Afrikanische Union

Währenddessen schafft die sudanesische Regierung mit ihrer Vernichtungspolitik in Darfur Fakten. Die von der Europäischen Union so sehr geförderte Beobachtermission der Afrikanischen Union (AU) kann dem nur wenig entgegensetzen. Wochen benötigte die AU, um nach dem Beschluss ihres Einsatzes im April 2004 wenigstens einige Dutzend Beobachter für den Darfur-Einsatz bereitzustellen und sie in die Krisenregion zu transportieren. Drei Monate nach Beschluss der Mission waren noch nicht einmal einhundert AU-Beobachter mit ihrer militärischen Begleitung im Westen des Sudan, um in einem Gebiet von der Größe Frankreichs die Einhaltung des Waffenstillstands zu überwachen. Sie verfügte dabei nur über einen Hubschrauber, für den jedoch wochenlang kein Treibstoff zur Verfügung stand.

Angesichts dieser katastrophal vorbereiteten und wenig professionell durchgeführten Mission wurden schon bald Zweifel an der Effektivität des AU-Einsatzes laut. Doch in den europäischen Hauptstädten wird die AU-Mission weiterhin als regionale Friedensinitiative gepriesen. Die Europäische Union und Kanada unterstützen den Einsatz finanziell und zum Teil mit Transportlogistik. Zwar wurde die Zahl der AU-Beobachter und ihrer militärischen Begleiter inzwischen auf über 3.000 Mann erhöht, doch kritisieren Hilfsorganisationen wie die Deutsche Welthungerhilfe noch immer die Ineffektivität des Einsatzes. Tatsächlich hat die Gewalt seit Beginn des AU-Einsatzes nur noch weiter zugenommen, so dass inzwischen auch die Arbeit von internationalen Hilfsorganisationen akut gefährdet ist. Zwar sichert die sudanesische Führung der AU öffentlich ihre Unterstützung für die Mission zu, polemisiert andererseits aber auch gegen die AU. So fordern die sudanesischen Behörden, die ruandesischen AU-Soldaten müssten sich vor ihrem Einsatz zunächst einen Aids-Test unterziehen. Vergeblich warteten internationale Helfer auf eine Ausweitung des Mandates der AU-Beobachter. Hilfsorganisationen zeigen sich enttäuscht von der AU-Mission. So erklärte die Deutsche Welthungerhilfe am 11. November 2004, der Einsatz der Truppen der AU sei "bislang ohne sichtbare Wirkung geblieben". Immer wieder hatten Menschenrechtler in den letzten Monaten gefordert, die AU auch mit dem Schutz der Zivilbevölkerung zu betrauen. Doch bis heute wurde eine Ausweitung des Mandates abgelehnt. Hilflos muss die mit zu wenig Personal, zu schlechter Ausrüstung und unzureichendem Mandat ausgestattete AU-Mission zuschauen, wie vor ihren Augen die Zivilbevölkerung terrorisiert wird. Zu gering ist der politische Einfluss der AU, um wirksam dem Sudan mit ernst zu nehmenden Sanktionen drohen zu können, sollte der Terror der Janjaweed-Milizen nicht gestoppt werden.

Internationaler Druck muss verstärkt werden

Während westliche Politiker noch darüber streiten, ob in Darfur Völkermord verübt wird, werden in Darfur bereits die Spuren der Massaker beseitigt. Noch vor dem Eintreffen einer Untersuchungskommission der Vereinten Nationen wurden Anfang November im Nordwesten Darfurs Massengräber ausgehoben und Leichen beseitigt. "Jeder Tag der Untätigkeit kostet mehr Menschenleben und hilft den Killern und Folterern bei ihrer unmenschlichen Arbeit", warnte jüngst der Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel. Der Überlebende des Holocausts fordert ein entschlossenes Vorgehen der internationalen Staatengemeinschaft, um den Völkermord zu stoppen und den Sudan zu einer politischen Lösung der Darfur-Krise zu drängen. Denn 38 Jahre Völkermord im Südsudan haben gezeigt, dass die sudanesische Führung nur auf glaubwürdigen internationalen Druck reagiert und das Leiden der Zivilbevölkerung endlich beendet. Wenn eine Staatsführung internationaleHilfsorganisationen, die ein Überleben seiner Not leidenden Zivilbevölkerung gewährleisten, öffentlich als "tatsächliche Gefahr" für den Sudan bezeichnet, dann verletzt sie alle grundlegenden Regeln des humanitären Völkerrechts und stellt sich außerhalb der internationalen Staatengemeinschaft (AFP, 28.10.2004). Wenn ein Staat wie der Sudan systematisch Teile seiner eigenen Bevölkerung in einem Genozid vernichten lässt, dann darf die internationale Staatengemeinschaft es nicht mit immer neuen Erklärungen der Betroffenheit bewenden lassen. Massiv muss der Druck auf die sudanesische Staatsführung erhöht werden, um den Völkermord unverzüglich zu stoppen.

Empfehlungen

Die Gesellschaft für bedrohte Völker fordert von der deutschen Bundesregierung, der Europäischen Union und den Vereinten Nationen:

  • Einsatz für eine Erweiterung des Mandats der Beobachtergruppe der Afrikanischen Union. Die AU-Truppe sollte auch mit dem Schutz der Zivilbevölkerung betraut werden sowie materiell besser ausgestattet werden, um die von den Konfliktparteien jüngst beschlossene Einrichtung von Flugverbotszonen auch wirksam durchzusetzen.
  • Die internationale Staatengemeinschaft sollte sich für eine weitere personelle und materielle Aufstockung der AU-Beobachtergruppe einsetzen.
  • Verhängung eines Öl- und Waffenembargos
  • Einfrierung der ausländischen Konten der sudanesischen Führung
  • Ernennung eines Sonderbeauftragten der EU für den Sudan, um die Aktivitäten der europäischen Staaten besser zu koordinieren und wirksamer Druck auf die sudanesische Führung ausüben zu können.
  • Androhung einer humanitären Intervention, wenn nicht unverzüglich die monatelang wiederholten Versprechen Khartums eingelöst werden, die Milizen entwaffnet, die Sicherheit der Zivilbevölkerung garantiert sowie ernsthafte Verhandlungen über eine politische Lösung des Konflikts aufgenommen werden. Die bisherigen Verhandlungen unter Vermittlung des nigerianischen AU-Präsidenten, des nigerianischen Staatschefs Olusegun Obasanjo, waren nicht sehr erfolgreich, da Khartum schon mit der Auswahl seiner niederrangigen Verhandlungsdelegation sein Desinteresse an einer dauerhaften Friedenslösung signalisierte.