01.08.2016

Westsibirien: 40 indigene Personen mit Verdacht auf Milzbrand im Krankenhaus

Hitzewelle auf der Jamal-Halbinsel gefährdet indigene Rentierhirten und ihre Tiere (News)

Auf der in Westsibirien gelegenen Halbinsel Jamal leiden die Rentiere unter der starken Hitzewelle, mehr als 1.500 von ihnen sind sogar schon an den Folgen der Hitze gestorben. [Symbolbild] Foto: ctpress via pixabay

Eine starke Hitzewelle auf der in Westsibirien gelegenen Halbinsel Jamal hat gefährliche Konsequenzen für die dort lebenden Menschen und Tiere: Mit Temperaturen teils über 30 Grad Celsius taut der Permafrostboden auf. Dabei ist ein vor mindestens 75 Jahren verstorbenes Rentier freigelegt worden, das wahrscheinlich Milzbrandbakterien verbreitet hat. Das ist möglich, da die Milzbranderreger unter Umständen  Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte überleben. Durch die aktuelle Hitze können sie sich vermehrt ausbreiten, denn sie werden erst bei Temperaturen über Null Grad aktiv, bei Minustemperaturen sind sie hingegen Sporen. Demnach besteht überall, wo der Permafrostboden auftaut, diese Gefahr.

Milzbrand oder Anthrax ist eine Infektionskrankheit, die meist Paarhufer befällt. Auch Menschen können befallen werden, wenn sie hohen Dosen des Erregers ausgesetzt sind. Auf Jamal mussten bereits 40 Angehörige des indigenen Volkes der Nenzen, über die Hälfte von ihnen Kinder, in Krankenhäuser eingeliefert werden.

Die Nachricht über den mutmaßlichen Ausbruch von Milzbrand kommt wenige Wochen nach der Bekanntgabe, dass im Altai Gebirge in Südsibirien die Beulenpest ausgebrochen sei. Bislang konnten die Ärzte nicht bestätigen, dass es sich um Milzbrand handelt, doch viele Anzeichen sprechen dafür. Spezialisten aus Medizin und Militär sind vor Ort. Zuerst müsse der Infektionsherd identifiziert und unschädlich gemacht werden, betont die zuständige Gesundheitsministerin. Wenn sich der Verdacht auf einen Ausbruch von Milzbrand bestätigt, ist es der erste seit 65 Jahren.

Die 40 Kranken gehören zu ein paar Dutzend Familien, die ihr Lager bei Tarko-Sale Faktoria am See Yaro To aufgebaut hatten. Die anderen Familienangehörigen, die keine Krankheitsanzeichen aufwiesen, wurden in ein rund 60 Kilometer entferntes Gebiet evakuiert.

Florian Stammler, Professor des Arktiszentrums der Universität von Lappland, warnt vor dem Risiko der Verbreitung des Milzbrands, da der Infektionsherd eine sehr beliebte Stelle für Rentierzüchter ist, an der das ganze Jahr lang Rentierhirten mit ihren Herden lagern würden. Im Frühjahr machen die Gruppen Halt auf dem Weg in den Norden, im Sommer angeln sie im Yaro To See und im Herbst kommen die Rentiere auf dem Weg in den Süden wieder hier entlang. Aber auch im Winter gibt es Rentierhirten, die hier am Handelspunkt in Tarko Sale ihre Vorräte auffüllen. Daher muss extrem aufgepasst werden, dass der Milzbrand sich nicht auf ganz Jamal ausbreitet, warnt der Experte, der selbst schon mit den Rentierherden gezogen ist und Tarko Sale gut kennt.

Durch die momentane Hitzewelle sind die Rentiere stark geschwächt, mehr als 1.500 von ihnen sogar schon an den Folgen der Hitze gestorben. Der genaue Grund für das Rentiersterben kann aber noch nicht mit Sicherheit benannt werden. Neben den großen Erdgasreserven ist diese Region auch wichtig für den Export von Rentierfleisch. Die Behörden geben an, dass die Wildfleischexporte momentan aber nicht in Gefahr seien. Die meisten Exporte von Rentierfleisch gehen nach Deutschland, Schweden, Finnland und Großbritannien.

Eine solche Hitzewelle hatte es auf der Jamal-Halbinsel noch nie gegeben. Als Grund wird der Klimawandel gesehen, der sich in der Arktis viel stärker bemerkbar macht als in anderen Regionen. Die rund 6.000 Nenzen, die auf der Halbinsel Jamal leben, spüren die Auswirkungen als Erste. Ihr Alltag hat sich stark verändert. Bislang versuchen sie an ihrem Nomadenleben, das sie noch ganzjährig pflegen, festzuhalten. Doch sowohl der Klimawandel als auch die vermehrte Förderung von Erdgas auf Jamal seit den 1990er Jahren haben massive Auswirkungen auf das Leben der Rentierhirten. Ihre Routen werden durch Eisenbahnlinien, Straßen und Pipelines durchschnitten. Sie sind gezwungen, immer öfter von ihren traditionell überlieferten Routen abzuweichen.

Die aktuelle Hitzewelle und der mutmaßliche Ausbruch von Milzbrand unter den Rentierhirten macht dramatisch klar, wie gefährdet sie, ihre Rentiere, ihre gesamte Kultur heute sind.