08.12.2011

Zivilbevölkerung zwischen Terror und dem staatlichen Versuch, die Sicherheitslage zu verbessern

Kabardino-Balkarien

Allgemein

Kabardino Balkarien liegt am Nordabhang des Kaukasus. Der höchste Berg des Hochgebirges, der Elbrus, liegt auf dem Gebiet der islamisch geprägten Republik. Hier leben rund eine Million Menschen, die zu etwa 50 Prozent den Kabardinern, zu elf Prozent den Balkaren sowie zu 25 Prozent den Russen und weiteren Minderheiten angehören. Das Gebiet wird seit Generationen von Konflikten zwischen der Bevölkerungsmehrheit der kaukasischen / tscherkessischen Kabardiner und der Minderheit der Balkaren geprägt. Letztere sind ein Turkvolk. Bis heute erwachsen Spannungen aus der Deportation der Balkaren 1944 unter Stalin, die - wie bei den übrigen deportierten Völkern auch - mit einer angeblichen Kollaboration mit Hitler-Deutschland begründet worden war. Die Republik ist eine der ärmsten innerhalb der Russischen Föderation und von Zuschüssen aus Moskau abhängig. Während der Tschetschenienkriege galt Kabardino-Balkarien, das im Westen an Karatschai-Tscherkessien, im Osten an Nordossetien-Alanien, im Norden an die Region Stawropol und im Süden an Georgien angrenzt, als sicherer Ort auch für die Flüchtlinge aus der Kriegsregion. Mittlerweile aber hat sie sich zu einem Krisenherd entwickelt.

Krisenherd seit 2009

2010 hatte sich die Anzahl der Anschläge auf Sicherheitskräfte in Kabardino-Balkarien im Vergleich zu 2009 mindestens verdoppelt: Es gab nach Behördenangaben fast 200 Überfälle auf Polizisten. Extremisten töteten 42 Gesetzeshüter und 31 Zivilisten. Seit Jahresbeginn 2011 hat es bis Mitte Oktober 75 terroristische Verbrechen gegeben, die neun Zivilisten und 25 Polizisten das Leben kosteten. Der Mitteilung des Presseamtes des republikanischen Innenministeriums zufolge haben die Sicherheitskräfte bei Anti-Terror-Einsätzen 69 bewaffnete Terrorverdächtige getötet und fast 100 weitere festgenommen. Zudem seien bei den Razzien zehn Terroristenlager und 30 illegale Waffenlager ausgehoben sowie drei Labors entdeckt worden, in denen offenbar Bomben hergestellt worden seien. Das Ministerium warnte vor möglichen Terroranschlägen auf „Bürger und wichtige Lebenssicherungsanlagen“.

Die russische Regierung hatte im Februar 2011 mit Anti-Terror-Operationen in der Hauptstadt Naltschik und in anderen Regionen Kabardino-Balkariens begonnen, nachdem kurz zuvor auf der Zugstrecke Pjatigorsk-Tyrnyaus Moskauer Touristen Opfer eines Anschlages geworden waren. Nach Aussage der Regierung wurde in der darauffolgenden Zeit ein Großteil der Anführer der Terroristen liquidiert. Am 5. Oktober 2011 sprach Russlands Innenminister zwar von einer Halbierung terroristischer Straftaten in 2011 im Vergleich zum gleichen Zeitraum in 2010 und einem Rückgang von verletzten Zivilisten um 75 Prozent, dennoch sei die Lage „kompliziert“.

Die russische Menschenrechtsorganisation Memorial berichtet, dass die Zivilbevölkerung von Rebellen erpresst wird. Eine „Kriegssteuer“ soll den Kampf gegen die „Ungläubigen“ finanzieren, kommt aber auch den Familien der Kämpfer zugute.

Im Gegensatz zu der in Tschetschenien offen praktizierten Sippenhaft, bei der Eltern für die mutmaßlichen oder tatsächlich begangenen Taten ihrer Kinder bestraft werden, ist die Haltung von Regierungsseite gegenüber den Familien der Kämpfer ambivalent. Der kabardino-balkarische Präsident Arsen Kanokov ist auf der einen Seite bereit, mit diesen Familien zu interagieren. So sollen Eltern nur zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie selbst auch tatsächlich gegen Gesetze verstoßen haben. Auf der anderen Seite ist es aber möglich, die Eltern auszuweisen und anzuklagen, wenn sie ihre Kinder „nicht richtig erzogen haben“.

Die Zivilbevölkerung leidet unter der schlechten Sicherheitslage in der Republik, unter dem Druck des bewaffneten Untergrunds und den Gegenreaktionen der Regierung wie den Anti-Terror-Einsätzen. So kam es in den vergangenen Monaten immer wieder zu Operationen gegen mutmaßliche Rebellen, bei denen Häuser von Zivilisten Schaden genommen haben. Nach diesen Einsätzen ist es oft schwierig, die Behörden zur Übernahme der Reparaturkosten zu bewegen.

Auch sind durch den Kampf gegen den Terrorismus Einnahmen durch den Tourismus, an dem viele Menschen verdient haben, zurückgegangen. Ministerpräsident Herter versprach allerdings, den Betroffenen eine einmalige Entschädigung auszuzahlen. Bisher wurden von der Regierung 1,5 Mio. Rubel bereitgestellt.

Reaktion der Regierung

Das Internetportal Kavkaz Uzel berichtete am 24. Oktober 2011, dass der Operationsstab in Kabardino-Balkarien mitteilt, für die außerhalb des Gesetzes stehenden kriegerischen Gruppierungen werden alle Bedingungen für die Rückkehr in ein normales Leben geschaffen. Zu diesem Zweck werden Menschen in der betroffenen Region, aber vor allem Angehörige der Kämpfer, angehalten, diese zu einer Abkehr von ihren terroristischen Aktivitäten zu bewegen. Gerechte Ermittlungen sollen denen garantiert werden, die sich selber den Sicherheitskräften stellen. Auch Menschenrechtsorganisationen werden um Mithilfe und um konstruktive Vorschläge zur Rehabilitierung der Kämpfer gebeten.

Bereits im Frühjahr dieses Jahres wandte sich der Präsident der Republik an die Untergrundkämpfer mit der Bitte, die Waffen niederzulegen, sich freiwillig zu melden und ins zivile Leben zurückzukehren. Dabei konstatierte er, dass die Anführer der Kämpfer in seiner Republik getötet worden seien.

Darüber hinaus unterzeichnete Innenminister Sergej Wassiljew mit den Vertretern der drei großen Religionen und den Beauftragten für Menschenrechte in der Republik einen Kooperationsvertrag. Wassiljew betonte die Notwendigkeit, gegen die subjektive Auslegung der Religionen zu wirken, mit denen die Rebellenführer ihre verbrecherischen Aktivitäten rechtfertigten.

Am 11. März wandten sich elf Einwohner der Stadt Baksan an ihre Söhne, mit der Bitte die Waffen niederzulegen und sich den Ordnungskräften zu stellen. Vorher sicherten sie sich das Versprechen der Regierung, das Leben der Söhne zu schützen sowie faire Untersuchungen und Gerichtsverfahren durchzuführen. Zurzeit sollen ca. 30 Gruppen im bewaffneten Untergrund in Kabardino-Balkarien aktiv sein. Ihre genaue Mitgliederzahl ist unbekannt.