Frida hat Jean Baptiste verzeihen können. Dabei hat die Kommission für Gerechtigkeit und Frieden geholfen, die Versöhnungsworkshops in Fridas Dorf durchgeführt hat. In ganz Ruanda gibt es lokale Projekte, die dem Versöhnungsprozess gewidmet sind. Bild: Trocaire via Flickr

Wie können Menschen friedlich wieder miteinander umgehen, nachdem Völkermord eine Gesellschaft auseinandergerissen hat?

 

Von Sandy Naake

„Alle, die ihr uns zuhört, erhebt euch, sodass wir alle für unser Ruanda kämpfen können. Wir müssen den Tutsi ein Ende bereiten, sie auslöschen, aus dem Land herausfegen“, verkündete 1994 ein Moderator des Radiosenders Radio-Télévision Libre des Mille Collines. Damals ermordeten radikale Hutu innerhalb von drei Monaten mehr als 800.000 Tutsi und Hutu, die nicht bereit waren, Freunde und Nachbarn zu töten.

Der Versöhnungsprozess dauert bis heute an. Helfen sollen dabei auch Dörfer der Versöhnung, die mit Hilfe der NGO Prison Fellowship Rwanda (PFR) entstanden sind. Mittlerweile gibt es sieben dieser Dörfer in Ruanda: Rweru, Mbyo, Mwili, Kageyo, Kabarondo, Ngoma und Kimonyi. 4.000 Menschen leben dort. Opfer und Täter leben und arbeiten Seite an Seite. In den Dörfern gibt es 15 landwirtschaftliche und handwerkliche Kooperativen. So sind die Menschen in der Lage, ihr eigenes Einkommen zu erwirtschaften.

Sie haben sich entschieden, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und zu vergeben. Auch Gratien Rwamirindi, der in einem dieser Dörfer lebt, hat dem Mörder seiner Familie verziehen: „Es hat einfach seine Zeit gebraucht. Nach allem, was er mir und meinen Angehörigen angetan hatte, konnte ich ihm einfach nicht sofort vergeben. Doch jetzt leben wir beide nur einen Steinwurf voneinander entfernt und kommen gut miteinander klar. Das ist das beste Zeugnis für das neue Ruanda“, wird er in einem Artikel der Stiftung Hoffnungsträger aus Deutschland zitiert. Die Stiftung unterstützt seit vielen Jahren den Versöhnungsprozess in Ruanda und hilft mit, solche Dörfer aufzubauen.

Mathias Sendegeya und Jacqueline Mukamana waren bereits 1994 Nachbarn. Heute leben sie in Mbyo. Mathias tötete damals Jacquelines Vater und vier weitere Angehörige. Als er im Gefängnis saß, trat er über Prison Fellowship Rwanda mit Jacqueline in Kontakt. „Er bekannte sich schuldig und bat um Vergebung. Er hat mir die Wahrheit erzählt. Wir haben ihm vergeben. Nun gibt es kein Problem mehr zwischen uns“, sagt Jacqueline. (New York Times online, 25.4.2017)

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In den Dörfern gibt es 15 landwirtschaftliche und handwerkliche Kooperativen. So sind die Menschen in der Lage, ihr eigenes Einkommen zu erwirtschaften. Foto: Rwanda Green Fund via Flickr

Hintergrund: Wie konnte es zu dem Völkermord in Ruanda kommen?

Der Ursprung des Konflikts reicht in die koloniale Geschichte Ruandas zurück. Bei der Berliner Kongo-Konferenz 1884/85, bei der die europäischen Kolonialmächte ihre Einflusssphären in Afrika absteckten, wurde Ruanda dem Deutschen Kaiserreich zugesprochen. 1916 kam Ruanda unter belgische Kolonialherrschaft, bis das Land 1962 unabhängig wurde. In vorkolonialer Zeit waren Tutsi und Hutu keine verschiedenen Ethnien: Sie sprachen dieselbe Sprache und gehörten der gleichen Religion an. Mit den Begriffen Tutsi und Hutu wurden vielmehr soziale Gegensätze beschrieben: Tutsi waren wohlhabende Rinderzüchter und gehörten der aristokratischen Schicht an. Hutu lebten indes vom Ackerbau und waren oft von den Tutsi abhängig, weil sie für sie arbeiteten.

Die deutschen und belgischen Kolonialherren führten dieses Abhängigkeitsverhältnis weiter und festigten die Vorherrschaft der Tutsi-Minderheit. Sie beriefen sich dabei auf die Hamitentheorie, die besagt, dass die hamitische „Rasse“ der schwarzafrikanischen Bevölkerung überlegen sei. Der Begriff „Hamiten“ geht auf die biblische Gestalt Ham, ein Sohn Noahs, zurück. Forscher glaubten, die im Vergleich zu den Hutu hellhäutigeren Tutsi seien im 15. Jahrhundert aus Äthiopien nach Ruanda eingewandert und Nachfahren der Hamiten. Diese Rassentheorie hatte zur Folge, dass zwei Ethnien in Ruanda konstruiert wurden. Tutsi und Hutu hatten sich zuvor nur durch ihre Besitzverhältnisse unterschieden. 1935 setzte Belgien diese Differenzierung verwaltungstechnisch um: Tutsi sei, wer mehr als zehn Rinder besitze, wer nicht, sei Hutu. Diese Identifikationsmerkmale wurden nun auch in die Pässe der Ruander eingetragen.

Mit der Unabhängigkeit Ruandas kamen Hutu an die Macht. Nun rächten sie sich nach jahrzehntelanger Unterdrückung an den Tutsi: Massaker und Vertreibungen waren an der Tagesordnung. Viele Tutsi flohen ins Ausland. Im ugandischen Exil organisierten sie den Widerstand gegen die ruandische Regierung und bauten die Rebellenarmee Ruandische Patriotische Front (RPF) auf. 1990 rückte die RPF in Ruanda ein und eroberte weite Teile des Nordens. Der am 4. August geschlossene Friedensvertrag von Arusha besiegelte das Ende des Bürgerkriegs. Das Abkommen sah unter anderem eine Regierungsbeteiligung der RPF vor. Radikale Hutu sahen darin eine erneute Machtergreifung der Tutsi. Bereits mit dem Einfall der RPF schürten extremistische Hutu den Hass gegen die Tutsi-Minderheit. Am 6. April 1994 wurde Präsident Juvénal Habyarimana, der den Hutu angehörte, ermordet. Er saß zusammen mit Cyprien Ntaryamira, Präsident von Burundi, und dem Stabschef der ruandischen Armee in einem Flugzeug, das am Landeanflug auf den Flughafen der ruandischen Hauptstadt abgeschossen wurde. Habyarimana kam zurück von Verhandlungen mit der RPF. Bis heute ist unklar, wer hinter dem Attentat steckt. Der Abschuss der Präsidentenmaschine gilt als Auslöser des Völkermords.

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Odette Mukamusonera lebt in dem Versöhnungsdorf Rweru.
Bild: Rwanda Green Fund via Flickr

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