Maung Zarni. Bild: GfbV
Maung Zarni ist ein burmesischer Wissenschaftler und Aktivist. In den 1990ern gründete und leitete er, während seiner Zeit als Student an der Universität von Wisconsin, die Free Burma Coalition, eine der größten Menschenrechtsbewegungen im Internet. Er ist Mitautor des Buches „The slow burning genocide of Myanmar's Rohingya” und setzt sich für die Rohingya ein. Doch dieser Weg war lang, denn er war in jungen Jahren selbst ein Rassist, der gegen Rohingya hetzte. GfbV-Mitarbeiter Hanno Schedler hat mit Zarni über seine einstige rassistische Einstellung sowie sein Engagement für die muslimische Minderheit gesprochen.
Warum setzt du dich für die Rohingya ein, obwohl du selbst kein Rohingya bist?
Die Leute denken oft, du musst Muslim oder Christ oder Buddhist sein, um diese Ursachen zu bekämpfen. Ich denke, man muss nichts anderes sein als ein Mensch. Im Wesentlichen bin ich Atheist, wurde aber als Buddhist erzogen und glaube nicht daran, dass die Schöpfung allein im Christentum oder im Hinduismus repräsentiert wird. Doch ich würde niemals wegschauen, wenn auf Gläubige anderer Religionen Jagd gemacht wird. Die wichtigste Sache ist für mich nicht, dass ich Buddhist oder Burmese bin, sondern mehr, dass ich mitfühlend bin. Egal, welche Hautfarbe oder welchen Besitz ein Mensch hat, eine Rolle spielt nur, dass es eine Gemeinschaft gibt, die schlechter behandelt wird als Tiere. Hunde, Katzen und Kühe werden in Europa besser behandelt als die Rohingya. Doch neben meinem Mitgefühl fühle ich mich als Burmese verantwortlich für diese Gemeinschaft einzustehen, weil es sowohl mein Land als auch ihr Land ist. Die Rohingya unterscheiden sich nicht von Burmesen, sie sind alle gleich. Wir trinken dasselbe Wasser und wachsen auf demselben Boden auf.
Ein paar der Leute, die diese Verfolgung in den vergangenen 40 Jahren aufgebaut haben, kenne ich persönlich. Zum Beispiel den Mann, der Ministerpräsident vom Rakhine-Staat war, einen ehemaligen Generalmajor, kenne ich seit er 19 war. Ich war damals 14 und sein jüngerer Bruder war mein bester Freund. Oder der Mann, der verantwortlich war für die Sicherheit in Rakhine, er war mein Patenonkel. Er steckte mich vor langer Zeit in ein Flugzeug, damit ich in den USA studiere. Oder der Mann, der die Organisation gründete, die das Hauptinstrument zur Verfolgung und Unterdrückung der Rohingya darstellt. Und ohne die Geschichte oder die Identität der Rohingya zu kennen arbeitete ich mit diesem Mann vor fast 15 Jahren zusammen. Ich arbeitete mit ihm zusammen, um auf eine Öffnung des Landes zu drängen, Das müsste 2004 gewesen sein. Damals akzeptierte ich die Rohingya nicht als burmesische Leute, ich wusste nicht, dass sie wie unsere eigenen Leute waren, ich kannte ihre Geschichte nicht. Erst eine Forscherin aus London zu diesem Thema lehrte mich zu den Rohingya. Sie zeigte mir: Das sind deine Leute, das ist was dein Land macht. Damit beschämte sie mich.
War es eine plötzliche Erkenntnis, dass die Rohingya deine Leute sind, oder ein langsamer Prozess?
Es war ein langsamer Prozess. Ich kannte früher Menschen, die dem Islam angehörten. Doch ich beschimpfte ich sie mit dem schlimmsten Schimpfwort für Rohingya. Es war eine rassistische Reaktion und diese Reaktion ist konditioniert. Du hörst das Wort Rohingya und schon heißt es: Sie sind Terroristen, sie sind gefährlich, sie gehören nicht zu Burma. Und ich war nicht anders. Als ein Burmese reagierte ich rassistisch auf das Wort Rohingya, doch das veränderte sich schrittweise, denn ich bin nicht nur Burmese, sondern auch Wissenschaftler. Also wenn du konfrontiert bist mit unwiderlegbaren Beweisen, musst du sie in Frage stellen.
Du akzeptierst sie entweder oder hörst auf Wissenschaftler zu sein.
Ja genau. Ich habe in den vergangenen drei Jahren mehr als hundert buddhistische Mönche und andere an Orten wie Thailand oder Kambodscha zu diesem Thema trainiert. Und man präsentiert ihnen Beweise und Dokumente, die zeigen, was mit den Rohingya passiert. Sie wissen also, dass diese Dinge passieren und dass die Rohingya burmesische Leute sind, doch sie können es gefühlsmäßig nicht akzeptieren. Und deshalb ist der Rassismus so tief verwurzelt, dass es Jahre dauern würde, ihn zu verarbeiten. Ich habe bewusst daran gearbeitet, als ich entdeckte, dass ich in mir drin so ein hässlicher Rassist war. Und obwohl ich für 27 oder 28 Jahre außer Landes gelebt und die beste Bildung der Welt erhalten habe, habe ich manchmal immer noch Vorurteile gegenüber den Muslimen auf der Welt und den Rohingya. Und dann sind in dem Land 50 Millionen Menschen, die das Land nie verlassen haben, die meisten sprechen kein Englisch, sie verarbeiten nicht ihren eigenen Rassismus, niemand fordert sie auf, weniger rassistisch zu sein. Selbst ich habe Jahre gebraucht, um tolerant zu sein, wenn meine Tochter mit einem muslimischen Mann nach Hause käme. Aber der Rassismus sitzt tief. Diese Sache kann nicht nur auf politischer Ebene bekämpft werden, sondern es muss sich auch die individuelle Einstellung ändern.
Und wie machst du das? Wie änderst du die Einstellungen der Menschen?
Es ist nicht genug, ihnen nur einen Vortrag über das Einfühlungsvermögen Rohingya gegenüber zu geben. Es ist ein konstanter Kampf. Alles was ich tun kann, alles was ich getan habe, ist zu versuchen, Zweifel in den Gedanken der Menschen zu säen. Die Kontaktstunden sind 12 bis 14 Stunden pro Tag, wir sprechen zusammen, wir trainieren, wir machen Witze. Im Wesentlichen sehen sich die Menschen als gut, selbst Mörder und Nazis sehen sich selbst als gut. Das Beste was wir tun können ist den Zweifel zu säen, dass sie nicht so gut sein mögen, wie sie denken. Und dann liegt es an ihnen zu versuchen gut zu werden.
Die Leute über die du gesprochen hast, dein Patenonkel zum Beispiel, deine Freunde die du schon lange kennst, wie haben sie auf das reagiert, was du sagst und predigst?
Der Patenonkel, über den ich gesprochen habe ist schon länger tot und deshalb ist er ahnungslos, was ich mache. Manche meiner Freunde sehen mich als jemanden, der sich leidenschaftlich für Gerechtigkeit einsetzt und der aufsteht für die Minderheiten, die sie nicht verstehen. Doch diejenigen in der Regierung, diejenigen die die Politik machen, um die Verfolgung stattfinden zu lassen, sehen mich als einen nationalen Verräter. Ich bin auf der schwarzen Liste, nicht nur von dem burmesischen Militär, sondern auch von Aung San Suu Kyi. Während des Treffens eines Ausschusses in London in der School of Economic nach den Gewaltausbrüchen von 2012 realisierte ich, dass Aung San Suu Kyi nicht nur dem Thema ausweicht, sondern, dass sie selbst rassistisch gegenüber Muslimen ist. Als sie das zweite Mal nach London kam, 2013, wurde sie von einer berühmten Radiomoderatorin interviewt und gefragt: „Verurteilen Sie die Gewalt gegenüber den muslimischen Leuten, den Rohingya?“ Sie antwortete nicht ausdrücklich: „Ja, ich verurteile die Gewalt gegen die Rohingya.“ Du wirst bemerken, dass sie niemals das Wort Rohingya in den Mund nimmt. Stattdessen sagte sie: „Ich verurteile Gewalt gegen jeden.“ Sie erklärte es tatsächlich: „Nicht nur die Rohingya leiden, auch die Buddhisten leiden. Weil es ist eine militärische Diktatur, jeder leidet.“
Natürlich war es eine Diktatur, aber eine Diktatur verübt keinen Genozid an jeder Gruppe. Das burmesische Militär hat Genozid nur an einer Gruppe verübt. Es gab verschiedene Arten von Menschenrechtsverletzungen, aber das ist auf der Ebene von Genozid. Und sie sagte, dass Buddhisten auch Muslime auf der Welt fürchteten. Dass die burmesischen Buddhisten nicht anders als andere Menschen wären, weil sie die generellen Befürchtungen teilten. Das waren ihre Worte. Sie versuchte zu normalisieren, was die Burmesen fühlen. Aung San Suu Kyi ist rassistisch und vergisst ihre moralische Verpflichtung, sich zu dem Thema zu äußern. Um ehrlich zu sein, ich werde sie niemals wählen können, sie niemals unterstützen können.
Im Vergleich zu ihr bin ich nur ein kleines Licht, ich habe nicht so großen Einfluss wie sie. Sie hat enorme globale Macht und Einfluss. Sie nutzte nicht ihre moralische Autorität, um die Verfolgung zu beenden. Sie hätte eine Menge Dinge tun und sagen können, dass die Taten rassistisch sind und internationales Recht verletzen. Es hätte nur zwei Minuten gebraucht. Sie hätte im Radio ihre Stimme gegen die Verfolgung der Rohingya erheben können und die Leute wären ermutigt gewesen, ihr zu folgen, da sie große Macht hat. Aber sie hat es nicht getan. Vor der Wahl [November 2015] entschuldigten die Leute es mit wahltaktischen Gründen. Dass sie pragmatisch sein müsse und dass sie die buddhistischen Wählerstimmen verlieren werde, wenn sie für die Rohingya eintritt. Sie lehnte auch glaubwürdige Beweise für einen Genozid ab. Es ist völlig inakzeptabel, dass jemand mit so einer hohen moralischen Autorität wie sie Beweise für Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Genozid leugnet. Das ist, warum ich nicht nur der Feind des Militärs bin, sondern auch der Feind der Opposition oder der neuen Regierung.
Wie fühlt sich das an?
Es macht mich traurig, weil ich ein stolzer Buddhist und ein stolzer Burmese war. Aber jetzt bin ich zurückhaltend zu sagen, dass ich Buddhist bin oder aus Burma, weil ich so beschämt bin, dass dies die Kultur und die Gesellschaft ist, aus der ich stamme.
Maung Zarnie hat sich von der Widerstandskämpfern Sophie und Hans Scholl sowie ihren Freunden, die gegen Nationalsozialisten in den 1940ern aufbegehrten, inspirieren lassen.
Eines der Dinge, die mich motivierten weiterzumachen ist, dass die Mehrheit der deutschen Gesellschaft mit Hitler mitmachte und sie mit ihrem Bruder und ihren Freunden aber gegen den Nationalsozialismus aufstand. Sie scheiterten, sie wurden hingerichtet. Wir können nicht sagen, dass alle Deutschen Rassisten waren, weil dies auch Deutsche waren. Es gab gute Deutsche, die gegen den Nationalsozialismus aufbegehrten. Vielleicht bin ich einer der wenigen Burmesen, die sich für die Rohingya einsetzen. Aber irgendwann werden wir alle tot sein und in 20 Jahren vielleicht wird jemand sagen: „Schau, es gab ein paar Buddhisten, die sich für die Rohingya einsetzten, deshalb kann man nicht sagen, dass alle Burmesen Rassisten waren und alle Buddhisten böse.“ Du verstehst, was ich meine?
Ja.
Ich denke nicht, dass alle meiner Zeitgenossen schätzen, was ich mache. Aber ich tue es für die Gesellschaft und für die Verfolgten. Sie können mich hassen. Natürlich möchte niemand gehasst werden, besonders nicht von seiner Gesellschaft. Aber wenn sie mich hassen, bin ich darauf vorbereitet. Ich zeige das an einer persönlichen Geschichte. Meine Mutter ist Mitte 70 und gelähmt. Sie kann sich nicht wirklich artikulieren. Wenn ich mit ihr telefoniere, kann ich kein Wort verstehen von dem, was sie sagt. Sie sagt oft zu mir: „Ich möchte dich sehen.“ Ich sage dann: „Mama, du bist Buddhist, ich bin Buddhist. Du vermisst mich, ich vermisse dich. Aber erinnere dich daran, dass du mich erzogen hast eine gute Person zu sein und ich bin eine gute Person. Es ist absolut nicht sicher für mich zurückzukehren, weil ich nicht weiß, wer versuchen würde, mir zu schaden. Ich habe die ganze Gesellschaft gegen mich aufgebracht.“ Aber ich bedauere es nicht. Wenn ich die Wahl hätte, würde ich es genauso wieder machen.
Batriska Lukas hat das Interview transkribiert und aus dem Englischen übersetzt.
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