Eine Frau betet während der Papstmesse am 29. November 2017 in Yangon, Myanmar. Noch nie zuvor hatte ein Papst das Land besucht. Als missionierende Religion hat sich das Christentum über die ganze Welt ausgebreitet. In Myanmar machen Katholik*innen jedoch nur circa ein Prozent der Bevölkerung aus. Foto: © picture alliance/ZUMAPRESS.com | Jack Kurtz

Liebe Leserin, lieber Leser,


auf dem Gelände einer ehemaligen Schule in Kanada hält Papst Franziskus inne, faltet die Hände, schließt die Augen zum stillen Gebet für die Kinder, die in dieser Schule gelitten haben. Anschließend bittet er die anwesenden Vertreter*innen Indigener Völker um Verzeihung – unter ihnen sind Überlebende des brutalen Internatssystems. 

Ab Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1990er-Jahre betrieb die kanadische Regierung ein Internatssystem für indigene Kinder: sie wurden zwangsweise aus ihren Familien gerissen und in die Internate gesteckt, ihnen wurde der christliche Glaube aufgezwungen, ihre indigene Sprache war verboten. Die Kinder durchlitten physische und psychische Gewalt, sexuellen Missbrauch und Hunger. Tausende Kinder überlebten diese Schulzeit nicht, wurden in anonymen Gräbern verscharrt. Viele dieser Schulen standen unter katholischer Leitung von Nonnen und Priestern, Missionar*innen.

Mit den Folgen der Entfremdung von ihrer eigenen Kultur und Religion sowie den Traumata kämpfen die Angehörigen Indigener Völker in Kanada bis heute. Die sechstägige Reise des Papstes im Juli 2022 bedeutete vielen Überlebenden und ihren Angehörigen daher viel. Dass die katholische Kirche ihre konkreten Verfehlungen und Verbrechen heute benennt, bereut und um Vergebung bittet, ist ein Schritt zur Versöhnung.

Bekehrung um jeden Preis ist dennoch auch heute noch ein großes Problem – und auch heute noch zahlen Menschen dafür einen hohen Preis. Missionar*innen bestimmter evangelikaler Organisationen haben es sich zum Beispiel als ein Hauptziel gesetzt, Indigene Völker, die in freiwilliger Isolation leben, zwangsweise zu kontaktieren und zu bekehren. Sie bringen ihnen nicht nur die Zerstörung ihrer Kultur, sondern auch Krankheiten. Beto Marubo, indigener Vertreter aus dem brasilianischen Amazonasgebiet, berichtet in dieser Ausgabe über das rücksichtslose Vorgehen.

Verläuft ein Wechsel des Glaubens dagegen nicht gewaltsam, sondern aus eigenem, freiem Willen, kann er viel Freude schenken. Unser Autor Issa Issa etwa beschreibt, wie seine Konversion ihn gar in seiner Identität als Kurde gestärkt hat. Das verdeutlicht: Der Glaube eines Menschen ist eine sehr intime Angelegenheit. Es geht um tiefe Überzeugungen. Die Freiheit zu glauben, nicht zu glauben und den eigenen Glauben zu wechseln, ist deswegen auch ein Menschenrecht.

Liebe Leserin, lieber Leser, in dieser Ausgabe ist der „Wechsel“ aber nicht nur das Hauptthema unserer Artikel, er bahnt sich auch auf einer anderen Ebene an: Diese Ausgabe ist meine letzte als leitende Redakteurin der Zeitschrift „Für Vielfalt“. Ab April widme ich mich einer neuen beruflichen Herausforderung. Deswegen möchte ich Ihnen an dieser Stelle danken: für die vergangenen sieben Jahre – oder anders ausgedrückt: 42 Ausgaben –, in denen ich durch jeden Artikel so viel dazulernen durfte. Ihr Interesse und Ihre Treue machen diese Zeitschrift überhaupt nur möglich. Vielen Dank dafür!

Ich wünsche Ihnen alles erdenklich Gute und zum Abschied noch einmal eine spannende Lektüre!

Herzliche Grüße
Johanna Fischotter
 

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