Walter López, Präsident des Verbands ASOMASHK, in seinem traditionellen Heilkundigen-Gewand. Foto: © Walter López

Indigene verfügen über ein unglaubliches Heilwissen. Von Generation zu Generation haben sie es weitergegeben und angereichert. Trotzdem begegnet die konventionelle Medizin diesem Wissen mit einem falschen Überlegenheitsdenken. Zeit, dass sich das ändert.

Von Theodor Bormann und Vincent Clement

Wikipedia; gemeinfrei
Bearbeitung: studio mediamacs Bozen

„Wir möchten unseren großen Traum verwirklichen und für die Shipibo-Konibo ein interkulturelles Krankenhaus errichten”, teilte Walter López im vergangenen Jahr in einem Interview[1] mit, „ein Krankenhaus, in welchem wir alle arbeiten können – die angesehenen wissenschaftlichen Ärzte genauso wie die angesehenen onanyabo.”

Walter López ist Präsident des Verbands ASOMASHK (Onanyabo Médicos Ancestrales Shipibo-Konibo)[2], einem Zusammenschluss von mehr als hundert onanyabo, also Heilkundigen, des peruanischen indigenen Volkes Shipibo-Konibo-Xetebo. Seit vielen Jahren setzt López sich für einen Dialog der unterschiedlichen medizinischen Systeme ein, für eine Zusammenführung indigenen Heilwissens und klassischer Medizin.

Gegenwärtig gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen indigenen Heilkundigen und universitär ausgebildeten Ärzten noch immer sehr schwierig. Ein Großteil des indigenen Wissens wird nach wie vor geringgeschätzt. Bevor indigenes Wissen anerkannt wird, wird es zunächst einmal spezifiziert, dekontextualisiert und validiert. Die moderne ayahuasca-Forschung ist dafür ein gutes Beispiel.

 


[1] Das vollständige Interview mit Walter Lopéz (auf Spanisch) kann man hier anschauen: https://bit.ly/2YBiv6p

[2] https://ayahuasca-timeline.kahpi.net/asomashk-shipibo-conibo-shamanic-organization/

Dieser Indigene hat Schmerzen im Knie.
Foto: © Walter López

Die Liane der Seelen – zersetzt in ihre Einzelteile

Ayahuasca wird – wenn auch auf unterschiedliche Weisen – in vielen Völkern des Amazonasgebiets konsumiert. Der Name des Pflanzensuds leitet sich aus der Quechua-Sprache ab und lässt sich als „Liane der Seelen“ übersetzen. Durch ayahuasca können Menschen in Kontakt mit Pflanzenseelen, Geistern oder Ahnen treten und dadurch Informationen und Orientierungshilfen erhalten.

In Deutschland ist ayahuasca spätestens seit den Berichten Alexander von Humboldts bekannt, der im 19. Jahrhundert die psychedelische Wirkung des Pflanzengemischs beschrieb. Im Laufe der Zeit haben Forscherinnen und Forscher ermittelt, dass ayahuasca sich im Regelfall aus der Liane Banisteriopsis caapi und verschiedenen Dimethyltryptamin-haltigen Pflanzen zusammensetzt.

Durch die in der Liane enthaltenen Harman-Alkaloide wird die Monoaminooxidase gehemmt und der Abbau des halluzinogenen Dimethyltryptamin verlangsamt. Dadurch werden die bekannten psychedelischen Erfahrungen hervorgerufen. Derzeit wird in der medizinischen Forschung untersucht, inwiefern sich die im ayahuasca enthaltenen Substanzen für die Behandlung von Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen, Depressionen oder ähnlichen psychischen Beschwerden anwenden lassen.  

Die medizinische Forschung ignoriert dabei weitestgehend das ontologische Fundament, auf welchem ayahuasca-Behandlungen im Amazonasgebiet aufbauen. Die Pflanzenseelen werden durch die Forschung in unbelebte, chemische Substanzen verwandelt, welche als die Primärursachen für Heilungsprozesse angesehen werden. Diese Sichtweise steht im krassen Gegensatz zur vorherrschenden indigenen Perspektive. Bei dieser spielen die medikamentöse Behandlung und physische Prozesse eine untergeordnete Rolle. 

„Ich weiß, dass sich die konventionelle Medizin viel mit dem Immunsystem beschäftigt und viel mit den körperlichen und organischen Aspekten“, meint López, welcher in seinen Therapien auch mit ayahuasca arbeitet, „aber sie beschäftigt sich nur wenig mit Emotionen und Gefühlen und nur wenig mit unseren spirituellen Anteilen. In diesem Gebiet kann das medizinische Wissen unserer Vorfahren genutzt werden, um die moderne Wissenschaft zu ergänzen und um aufzuzeigen, dass jeder Mensch sowohl ein physisches Leben als auch psychisches Leben besitzt.“  

Müssen Patienten länger bleiben, steht ihnen ein Bett mit Sichtschutz zur Verfügung und medizinische Betreuung.
Foto: © Walter López

Kolonialisierung des Wissens entgegenwirken

Aus sozialethischer Perspektive ist die Dekontextualisierung indigenen Wissens zutiefst problematisch. Durch sie werden bestehende Machtasymmetrien verstärkt und das große Kolonialisierungsprojekt des zweiten Jahrtausends wird auf fast unscheinbare Weise weitergeführt. Ähnlich wie andere Ressourcen wird Wissen aus seinem ursprünglichen Kontext gerissen und im Anschluss systematisch ausgebeutet – meist sogar zum Nachteil derjenigen, die das Wissen geschaffen und gehütet haben.

Vor diesem Hintergrund kristallisiert sich die Idee eines interkulturellen Krankenhauses als ein zukunftsweisendes Projekt heraus. Es wäre laut Lopéz das erste Krankenhaus seiner Art: das erste Krankenhaus, in dem sich moderne und anzestrale Medizin (auf die Vorfahren zurückgehende Medizin; Anm. d. Red.) auf Augenhöhe treffen könnten, um sich gemeinsam um das Wohlergehen der Patientinnen und Patienten zu kümmern. Hervorzuheben ist dabei, dass das Projekt ganz konkret dem Volk der Shipibo-Konibo dient. Dadurch wird eine kapitalistische Ausbeutung des indigenen Wissens erschwert.

Nachdem in den vergangenen Jahrzehnten die interkulturelle Erziehungs- und Bildungsarbeit wieder an Bedeutung gewonnen hat, wäre es nun zu begrüßen, wenn diese Fortschritte auch auf den medizinischen Bereich ausgedehnt würden. Eine interkulturelle Gesundheitsfürsorge sollte allerdings nicht darin bestehen, indigenes Wissen in das naturalistische Gebilde moderner Medizin zu zwängen, zum Beispiel indem ayahuasca in seine chemischen Bestandteile zerlegt wird. Ganz im Gegenteil sollte sich die moderne Medizin öffnen, um verschiedenen Seinsvorstellungen eine Heimat und Überlebenschance bieten zu können.

 

[Die Autoren]
Theodor Borrmann promoviert in Oxford am Lehrstuhl für Internationale Entwicklung. In seinem Forschungsprojekt untersucht er den Einfluss von Wesen jenseits des Menschen (wie Tiere, Pflanzen, Geister) auf die Entstehung und Weitergabe von Umweltethik im Amazonasgebiet.

Vincent Clement ist Psychologe, Psychotherapeut und Neurowissenschaftler. Er forscht an der Universität Peruana Cayetano Heredia in Lima, der peruanischen Hauptstadt.

 

[Info]
Walter Lopéz freut sich über ideelle und finanzielle Unterstützung für das interkulturelle Krankenhaus. Bei Interesse bitte an Vincent Clement (vincent.clement@upch.pe) wenden.



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