12.04.2024

Offener Brief an Bundeskanzler Scholz

Keine „chinesische Welt“ auf Kosten der Menschenrechte unterstützen!

Offener Brief der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) an Herrn Bundeskanzler Olaf Scholz anlässlich seines Besuchs in der Volksrepublik China am 14. April 2024

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) bedauert sehr, dass Sie im Vorfeld Ihrer China-Reise ein Gespräch mit den zivilgesellschaftlichen Organisationen offensichtlich nicht für wichtig genug erachtet haben und uns nicht mit unseren brennenden Themen wie Menschen- und Minderheitenrechte, Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes und der Umweltstandards eingebunden haben. Im Gegenteil: Sie nutzen sogar die chinesische Plattform Tiktok, die dafür bekannt ist, Inhalte über die Menschenrechtssituation in China zu zensieren. Nicht nur die „russische Welt“ sucht auch außerhalb der Ukraine Territorien, auf denen es sich noch ausweiten und verfestigen kann. Auch China demonstriert seine Stärke und nimmt auf dem Westbalkan eine immer größere Rolle ein. Dort werden die neuen Technologien massiv für skrupellose Kämpfe genutzt, um die Dominanz im wirtschaftlichen Bereich unter Beweis zu stellen. Die Dominanz auf dem Wirtschaftsmarkt macht „kleine“ Staaten zu Vasallen, denen Menschen- und Minderheitenrechte der Einzelnen egal sind. Fortlaufend verlangen wir, dass die Bundesregierung unmissverständlich ein Ende der Menschenrechtsverletzungen der chinesischen Regierung gegenüber Uigur*innen, Tibeter*innen, Mongol*innen auf bi- und multilateraler Ebene unmissverständlich einfordert. Das Anti-Spionage-Gesetz und die Nationale Sicherheitskommission Chinas unterbinden Recherchen und die Weitergabe von Informationen, die dem globalen Image Chinas schaden könnten. Damit wird die Einhaltung der Sorgfaltspflichten der Unternehmen erschwert und die Überprüfung von Menschenrechts- und Umweltstandards fast unmöglich gemacht. Wir möchten Sie bitten, Herr Bundeskanzler, auf UN-Ebene eine*n Sonderberichterstatter*in für China zu fordern, der*die in der Lage wäre, Erkenntnisse über die Menschenrechtssituation zu sammeln. Unverständlich ist es, dass die deutsche Bundesregierung bei den drastischen Maßnahmen nach dem Spionagegesetz und dem Perfektionieren des Systems der transnationalen Repression, zu dem auch Entführungen und Verschwindenlassen gehören, tatenlos bleibt. Es ist inakzeptabel, dass sich eine demokratische Regierung der Methoden eines autokratischen Regimes bedient und aus rein wirtschaftlichen Interessen nicht nur unkritisch bleibt, sondern sogar nach dessen Regeln mitspielt. Bei dem letzten Besuch des chinesischen Ministerpräsidenten in Berlin wurde den Demonstrant*innen einer Koalition von Menschenrechtsorganisationen ein Standort am Rand zugeteilt, während jubelnde und flaggenschwingende Chines*innen einen zentralen Platz bekamen. Das Nichtzulassen von Fragen von Journalist*innen war ein negativer Höhepunkt. Wir hoffen, dass Sie diese Reise dazu nutzen werden, Rechtsstaatlichkeit und freien Journalismus zu verteidigen. Wir bitten Sie, ein Dialogformat zur Lage der Menschenrechte, zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und Umweltschutz auf der Bundesebene zu etablieren und gemeinsam mit den zuständigen chinesischen Stellen dafür zu sorgen, einen sicheren Austausch zwischen den zivilgesellschaftlichen Organisationen, Think Tanks, Universitäten zu ermöglichen. Wir wünschen Ihnen eine produktive und erkenntnisreiche Reise!


Mit freundlichen Grüßen

Jasna Causevic 
Für die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV)

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