Foto: Dschinderes/Afrin/Nordsyrien, Quelle: Privat

Helfen Sie mit Ihrer Spende den Erdbebenopfern von Afrin!
Ein Brief unseres Nahost-Referenten Kamal Sido

 

Sehr geehrte*r Leser*in,

Mehr als eine Woche hat es gedauert, bis erste Hilfslieferungen zu den Erdbebenopfern in Syrien „durchsickerten“. Tagelang haben die Überlebenden dort mit bloßen Händen verzweifelt nach ihren verschütteten Angehörigen gegraben. Oft gelang eine Rettung nicht, weil schweres Gerät zum Anheben der tonnenschweren Trümmer fehlte.

Meine Geschwister, Freund*innen, Nachbarn und Bekannten in meiner Heimatregion Afrin haben mir am Telefon geschildert, was sie bisher durchmachen mussten. Ständig erhalte ich Nachrichten, Videos, herzzerreißende Bilder.

 

Zerstörte Häuser in Afrin und Dschinderes, Quelle: Privat

 

Die Überlebenden stehen jetzt weitgehend allein da mit ihrem Schmerz und ihrer Angst, wie sie die nächsten Tage und Wochen in dieser Eiseskälte ohne Dach über dem Kopf, ohne sauberes Wasser, Medikamente und ausreichend Nahrungsmittel durchstehen sollen. Denn die Hilfe, die nun durchkommt, reicht hinten und vorne nicht.

In meine große Traurigkeit und meinen Kummer mischen sich zunehmend auch Wut und Verzweiflung: Ja, das Erdbeben ist eine Naturkatastrophe. Doch diese Katastrophe nutzen Politiker*innen kaltherzig und skrupellos für ihre Ziele. Schon wieder trifft es die Kurd*innen sowie ethnische und religiöse Minderheiten wie Alevit*innen, Yezid*innen oder Christ*innen. Und es trifft die vielen Flüchtlinge, Überlebende des Krieges, die aus ganz Syrien im Kurdengebiet Schutz gesucht hatten. Jetzt haben viele von ihnen ihr Leben verloren.

Die internationale Hilfe ist sehr schnell angelaufen. Auch in Deutschland engagieren sich viele. Dafür sind die Notleidenden dankbar – wenn sie die Hilfe denn erreicht. In meiner syrischen Heimat Afrin kamen die ersten Konvois viel zu spät an und so viele Menschen mussten auch deshalb sterben! Warum?

Die Verantwortung lasten viele allein dem syrischen Gewaltherrscher Assad an. Er habe niemandem erlaubt, die Grenzen nach Syrien zu überschreiten. Doch tatsächlich kontrolliert sie die Türkei! Es ist der türkische Präsident Erdogan, der die Grenzübergänge zum Kurdengebiet im Nachbarland schon seit Jahren geschlossen hält. Allerdings nicht für sein Militär und sein „Personal“. Erdogans Armee hat Afrin besetzt und jeden Morgen kommen Soldaten und Beamte aus der Türkei zu ihren „Arbeitsplätzen“ in Syrien. Auch islamistische Söldner können ungehindert die Grenze überqueren – genauso wie türkische Panzer.

Die Versorgung der vielen Flüchtlinge und Einheimischen in Nordsyrien war wegen des Bürgerkrieges und fortgesetzter Angriffe des syrischen Militärs sowie der Luftwaffe seines Verbündeten Putin, aber dann auch der türkischen Armee schon lange unzureichend. Durch das Erdbeben ist die Lage der Bevölkerung jetzt verheerend! Auch die Bundesregierung muss sich vorwerfen lassen, dafür mitverantwortlich zu sein. Denn auch ihre Rücksichtnahme auf den Nato-Partner Türkei hat maßgeblich dazu beigetragen, dass humanitäre Hilfe das vom Erdbeben zerstörte Kurdengebiet in Syrien viel zu spät erreichte.

Spätestens jetzt – angesichts der unbeschreiblichen Not nach dem Erdbeben – muss Deutschland eine andere Gangart gegenüber Erdogan einlegen: Die Bundesregierung muss darauf bestehen, dass die Menschen dort tatkräftig unterstützt und nicht länger bedroht und schikaniert werden.

Unsere Gesellschaft für bedrohte Völker ist eine politische Menschenrechtsorganisation. Wir wissen Sie an unserer Seite. Wir tun alles dafür, die politischen Rahmenbedingungen für ein Leben zum Beispiel in der von Kurd*innen und Minderheiten besiedelten Erdbebenregion zu verbessern. Wir konfrontieren die politisch Verantwortlichen mit ihren Fehlern, die jetzt dazu beitragen, dass friedliche Menschen nicht versorgt werden. Und wir verlangen laut und vernehmlich, dass sich Deutschland endlich gegen Erdogans Politik stellt.

Dr. Kamal Sido
Nahost-Experte der Gesellschaft für bedrohte Völker


Bitte unterstützen Sie unsere Menschenrechtsarbeit mit Ihrer Spende!

Herzlichen Dank für Ihr Engagement!


Diese Kampagne wurde im Februar 2023 lanciert.