Schon 2015, als dieses Foto entstand, hatte Mohammed Angst vor einem neuen Krieg in Afrin. 2018 marschierte die türkische Armee in sein Dorf ein. Er musste fliehen und seine Schafe zurücklassen. Als er starb, durfte er nicht in seinem Dorf begraben werden. Denn es ist zu einer türkischen Militärbasis geworden. Foto: Kamal Sido/GfbV

 

Keine schmutzigen Deals mit Erdogan – Minderheiten in Nordsyrien schützen!

Raketen, Artillerie, Kampfdrohnen: Angst und Schrecken bestimmen das Leben vieler Kurden und anderer Minderheiten in Nordsyrien. Die Menschen fühlen sich hilflos. Das türkische Militär und dessen Söldner greifen christliche Kirchen und muslimische Moscheen an, zerstören Friedhofe, öffentliche Gebäude, selbst Olivenhaine.

Handel und Landwirtschaft erlahmen. Seit Beginn des Bürgerkriegs sind 1,5 Millionen Nordsyrer geflohen. Erst vor der Armee von Syriens Diktator Assad, dann vor dem systematischen Terror des türkischen Autokraten Erdogan. Doch wohin die kurdischen, christlichen, alevitischen und yezidischen Vertriebenen auch fliehen, sie finden keine Ruhe. Denn im Schatten des Ukraine-Krieges verschärft Erdogan seine völkerrechtswidrigen Angriffe – und wie schon mehrmals zuvor schweigen die meisten Nato-Staaten dazu.

Erdogans „Militäraktionen“ angeprangert haben Finnland und Schweden. Deshalb hat Ankara deren Aufnahme in die NATO lange blockiert und skandalöse Forderungen gestellt. NATO-Generalsekretar Jens Stoltenberg hatte dafür „Verständnis“. Und betonte die so wichtige geostrategische Lage der Türkei.

Das darf nicht so bleiben! Die Bundesregierung und die übrigen NATO-Staaten müssen endlich die Verbrechen der türkischen Armee in Nordsyrien mit einheitlicher Stimme verurteilen. Und Erdogan darf keinen weiteren Einfluss auf die Demokratien in Europa nehmen. Handeln wir dafür!

Bitte unterstützen Sie unsere Menschenrechtsarbeit mit Ihrer Spende. Damit wir Öffentlichkeitsarbeit leisten können für Schutz und Freiheit der brutal verfolgten Minderheiten in Nordsyrien und anderswo.

Bilanz des Schreckens

Laut der „Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ (London) wurden bei Angriffen in Nordsyrien allein 2021 mindestens 89 Zivilisten durch Angriffe der türkischen Armee und der verbündeten islamistischen Milizen getötet, 139 verletzt. Während 47 Bodenoffensiven wurde die türkische Besatzungszone ausgeweitet. 58 Dorfer und zwei Städte wurden angegriffen, mehrere Hundert Zivilisten verschleppt, Dutzende von Scharfschützen beschossen, 22 archäologische Statten geplündert und zerstört, zahlreiche Friedhofe geschändet und sogar Leichen verschleppt.

Die türkische Armee handelt skrupellos. Es gibt keinen Schutz vor Kampfdrohnen, die plötzlich und unvorhersehbar erscheinen. Mal töten sie Autoinsassen, mal gefährden sie spielende Kinder oder deren Eltern auf dem Feld. Niemand ist sicher, niemals. Foto: Anonym/GfbV

Ein Skandal mit langer Geschichte

Die Umbrüche in der Region beginnen 2011 mit den Volksaufständen in Syrien. Optimistisch stimmt in 2012 die Gründung des autonomen Gebiets Rojava/Nordsyrien im Norden und Nordosten. Dort leben vor allem Kurden, aber auch Assyrer/Aramaer, Armenier und Araber sowie religiöse Minderheiten wie Yeziden, Christen oder Aleviten. Weltweit geschätzt werden die dort etablierten demokratischen Strukturen, geprägt von kultureller Vielfalt, Gleichberechtigung der Geschlechter sowie Toleranz unter Ethnien und Religionen. Dann greift die Türkei 2016 dieses autonome Gebiet an, zerstört Städte und Dörfer, hält es teilweise besetzt, verfolgt die dort lebenden Minderheiten und treibt Abertausende in die Flucht. Das ist eindeutig ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg. Finnland und Schweden bekennen Farbe und verurteilen die bisherigen türkischen Kriegsverbrechen in kurdischen Gebieten, leisten humanitäre Hilfe und gewähren Erdogan-Gegnern Schutz. Der schäumt und schimpft.

Ein Autokrat wittert Morgenluft

Als Finnland und Schweden der NATO beitreten wollten, blockierte der türkische Präsident ihre Aufnahme ins Verteidigungsbündnis. Er warf ihnen vor, sie seien „Keimzellen für Terroristen“. Zustimmen wollte er erst, wenn die Skandinavier kurdische Organisationen kriminalisieren und kontrollieren. Außerdem sollten sie zahlreiche Personen ausliefern. Unter seinem „Terrorismusverdacht“ stehen zum Beispiel der linksliberale Verleger Ragip Zarakolu, der sich für die Rechte der Kurden einsetzt und deshalb bereits mehrmals in der Türkei im Gefängnis saß. Und der Journalist Bülent Kenes, einige Zeit Chefredakteur der Zeitung „Zaman“ von Prediger Fethullah Gülen; der soll laut Erdogan für den gescheiterten Putsch in der Türkei von 2016 verantwortlich sein.

GfbV-Nahostexperte Dr. Kamal Sido hat erstmals auf seinen alljährlichen Besuch in seiner Heimat verzichtet: „Ich erkunde jetzt das Umland von Göttingen viel intensiver, denn meine Heimat Afrin habe ich verloren.“ Foto: Kamal Sido

Keine schmutzigen Deals mit Erdogan!

Die türkische Regierung wettert auch gegen Deutschland. So erhob Außenminister Mevlut Cavu?o?lu im Mai den Vorwurf, türkische Oppositionsparteien würden auf Befehl Deutschlands handeln. Jenseits der öffentlichen Bühne kann sich die Türkei jedoch auf die deutschen Behörden „verlassen“: Juristisch verfolgen sie kurdische Aktivistinnen und Aktivisten schon für das Zeigen einer Flagge oder das Organisieren von Demonstrationen; und senden Informationen über sie direkt an türkische Sicherheitsbehörden. Das führt regelmäßig zu Festnahmen und langjährigen Haftstrafen. So wurde die kurdische Sängerin Hozan Cane inhaftiert, auch weil sie für die nordsyrische Region Afrin gesungen hatte. Die GfbV hat jahrelang – und schließlich erfolgreich – für ihre Freilassung gekämpft.

Jetzt befürchten viele, dass die Türkei auf finnische und schwedische Behörden Einfluss nimmt. Doch die NATO muss sich geschlossen zu Demokratie und Menschenrechten bekennen! Weitere Zugeständnisse an Erdogan würden für Hunderttausende Verfolgung, Flucht, Krankheit, Armut und Tod bedeuten.

Neue militärische Angriffe in Nordsyrien

Die Zeit drängt. Erdogan will jetzt die noch Verbliebenen aus ihren traditionellen Gebieten in Nordsyrien vertreiben, um dort eine Million arabische Geflüchtete, die zuvor aus Syrien in die Türkei geflohen waren, anzusiedeln – auch gegen deren Willen. Dann wären ethnische und religiöse Vielfalt ausgelöscht. Die Angriffe der türkischen Armee werden heftiger, auch auf die zivile Infrastruktur.

Erdogan muss in seine Schranken verwiesen werden, damit das Leiden der Kurden und anderer Minderheiten in Nordsyrien nicht drastisch verschärft wird. Dafür trägt auch die NATO Verantwortung!

Mit unseren Mahnwachen halten wir den völkerrechtswidrigen Angriff auf Afrin im Bewusstsein der Öffentlichkeit. Und verlangen ein Ende des Tötens. Foto: GfbV

Wofür die GfbV jetzt eintritt

Menschenleben zählen – in der Ukraine, in Syrien, in Kurdistan und überall auf der Welt. Das Entsetzen über Putins Krieg gegen die benachbarte Ukraine ist groß. Doch über die Kriegsverbrechen der Türkei wird geschwiegen. Das muss sich jetzt ändern.

Unsere Forderungen:

  • Die NATO-Staaten dürfen die Umsiedlungspolitik des türkischen Präsidenten in Nordsyrien auf keinen Fall unterstützen.
  • Sie müssen den sofortigen Abzug der türkischen Besatzungsarmee und ein Ende ihrer Unterstützung für radikalislamistische Milizen herbeiführen.
  • Sie müssen die Rückkehr der Vertriebenen in ihre Heimat ermöglichen.
  • In Nordsyrien müssen Menschen- und Minderheitenrechte sowie Frauenrechte gewährleistet werden.

Was wir jetzt tun:

  • Wir stehen weiterhin im täglichen Kontakt mit den Betroffenen, sammeln ihre Berichte und machen sie regelmäßig öffentlich.
  • Zudem intensivieren wir unsere Kooperation mit der „Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ und dokumentieren gemeinsam Erdogans Kriegsverbrechen noch akribischer. So entsteht Stück für Stück die „Ermittlungsakte Erdogan“. Damit erhöhen wir den Druck auf die politischen Akteure und bekräftigen unsere Forderungen.
  • Unseren anhaltenden Protest gegen Erdogans Politik zeigen wir mit öffentlichkeitswirksamen Mahnwachen und Veranstaltungen und unterstützen so Erdogans Opfer: Zusammen mit der Sängerin Hozan Cane werden wir ein Konzert veranstalten.
  • Wir lassen nicht locker, bis die Bundesregierung sich endlich als Vermittlerin für eine friedliche Lösung einsetzt.
  • Im Vorfeld ihrer Türkei-Reise haben wir die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock in einem Brief aufgefordert, die Außenpolitik der Türkei deutlich zu kritisieren und die Lage der Minderheiten im Land anzusprechen. Der Brief kann hier eingesehen werden.

Kampagne: Machen Sie mit!

Ihre Spende ist wichtig. Und das können Sie auch noch tun: Bestellen Sie unsere Aktionspostkarte kostenlos in unserem Onlineshop (unter "Aktionsmaterial") und senden Sie die Karte unterschrieben an uns zurück. Wir sammeln die Karten, schicken sie ans Kanzleramt und schon bekommt Bundeskanzler Olaf Scholz ein großes Paket mit der Forderung, sich für Minderheiten in Nordsyrien einzusetzen!




Diese Kampagne wurde im Juli 2022 lanciert.