Foto: Hawre Khalid

Was ist aus der kleinen Familie auf unserem Foto geworden? Es sind Christen aus der Ninive-Ebene im Irak. 2014 mussten sie ihr ganzes Hab und Gut zurücklassen und vor den Terrormilizen des Islamischen Staates (IS) fliehen. Angst und Verzweiflung stehen Vater, Mutter und den beiden Kindern ins Gesicht geschrieben. Ob sie wieder nach Hause zurückkehren konnten? Ein einfacher Buchstabe des arabischen Alphabets mit starker Symbolkraft: Für Christen im Irak und in Syrien bedeutet das Zeichen an ihrer Haustür Terror und Verfolgung.

Abu Hanna ist das gelungen. Auch er ist Christ und ein Flüchtling. Der 68-Jährige wollte unbedingt zurück nach Mosul, in die Stadt seiner Vorfahren – trotz Minen, heimtückischer Sprengfallen und nicht explodierter Bomben. "In meinem Haus lagen Leichen. Es waren IS-Kämpfer, die bei der Befreiung von Mosul erschossen wurden“, berichtet er. „An meiner Haustür war noch das arabische "N"  zu erkennen. Als ich das zum ersten Mal sah, wusste ich, dass ich um mein Leben laufen muss." Das "N" machte die Hausbewohner zur Zielscheibe der Islamisten. Der Buchstabe steht für "Nasara". Das bedeutet "Christen". Sie mussten damals alle aus Mosul fliehen. Wer jetzt die Rückkehr wagt, muss tapfer sein.

 

Flüchtlinge in Erbil - zur Untätigkeit verdammt. Foto: Mazur/cathholicnews.co.uk

Radikaler Islam ist noch immer eine große Gefahr

Die meisten vertriebenen Christen aus dem Irak sehnen sich danach, wieder zuhause leben zu können. Die ersten dieser Assyrer/Chaldäer/Aramäer kehren jetzt auch zurück. Denn der IS ist militärisch zerschlagen. Doch jederzeit und überall können wieder Islamisten auftauchen. In Mosul gibt es viele "Schläfer". Diese ehemaligen IS-Kämpfer haben sich unter die Einwohner gemischt und warten nur darauf, ihre radikalen Vorstellungen durchsetzen zu können. Sie würden vor nichts zurückschrecken. Das wissen alle, die die Verhältnisse unter dem IS erlebt haben. Es gab Attentate, Morde, Verschleppungen und rigorose Strafen für Verstöße gegen die Vorschriften der Extremisten. Nach diesen schlimmen Erfahrungen zweifeln viele daran, dass im Irak wieder ein freies christliches Leben möglich sein wird. 

Andere sind zuversichtlicher und träumen davon, dass alle irakischen Bürgerinnen und Bürger wieder unbehelligt ihrem Glauben nachgehen können. So ist Abu Hanna davon überzeugt, dass sich Mosul zu einem Modell des Zusammenlebens entwickeln könnte. "Aber", fügt er hinzu, "dafür benötigen wir dringend Unterstützung gerade auch von Kirchen, Politikern und Regierungen - aus Deutschland, ganz Europa und Amerika."

Betende Christen im Irak. Foto: Mazur/cathholicnews.co.uk

Selbstbestimmung kann Christen Hoffnung geben

Während die Rückkehr der vertriebenen Christen erst zögernd beginnt, lassen sich in ihrem Hauptsiedlungsgebiet, der Ninive-Ebene nördlich und östlich von Mosul, immer mehr muslimische Familien nieder. Das erfüllt viele Assyrer/Chaldäer/Aramäer mit Sorge. Sie befürchten, dass Christen in ihrer eigenen Heimat schleichend zur Minderheit gemacht und schließlich ganz verdrängt werden.

Die Ninive-Ebene war seit jeher von Christen besiedelt und gehörte zu den letzten Gebieten des Irak, in dem sie in relativer Ruhe und Frieden leben konnten. Schon vor dem IS-Angriff 2014 hofften viele Christen, dort eine eigene autonome Verwaltung aufbauen und so die Abwanderung von Angehörigen ihrer Glaubensgemeinschaft aufhalten zu können. Schon ist die Zahl der Christen im Irak von 275.000 im Jahr 2015 auf nur noch etwa 150.000 zurückgegangen. Autonomie für die Ninive-Ebene wäre jetzt wichtiger denn je. Damit würde den Christen signalisiert, dass sie ihre Zukunft in ihrer Heimat mitgestalten können. Viele würden dann wohl doch im Irak bleiben.

Das Schicksal dieser Kinder ist ungewiss: Wie lange müssen sie noch in diesem trostlosen Flüchtlingslager ausharren? Werden sie je wieder in ihre Heimat zurückkehren können? Foto: GfbV (2014)

 

Angst vor Islamisten auch in Syrien

Auch in Syrien haben Christen berechtigte Angst vor radikalen Islamisten. Als unser Nahostexperte Kamal Sido 2016 den an den Irak angrenzenden Nordosten Syriens besuchte, traf er eine armenische Seniorin. Sie berichtete, dass sie beinahe in die Hände der Extremisten gefallen wäre. Heute ist sie 83. Sie lebt ganz allein in Al-Hasakeh. "Meine Eltern sind aus der Türkei geflohen, sie haben den Völkermord von 1915 überlebt. Ich bin hier geboren und will hier auch bleiben", sagte Bahiya Gergis Daoud schon damals. „Aber mein Neffe Ibrahim hat es nicht mehr ausgehalten. Er wollte im Sommer 2015 über das Mittelmeer nach Europa fliehen, nach Deutschland. Seitdem haben wir nichts mehr von ihm gehört.“

GfbV-Nahost-Experte Kamal Sido im Gespräch mit einer Armenierin. Foto: Kamal Sido/GfbV

Nun wird Al-Hasakeh auch noch vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan bedroht. Seine Armee und Luftwaffe beschießen Dörfer in der benachbarten syrischen Provinz immer wieder. Es werden Raketenwerfer, schwere Artillerie und Panzer eingesetzt. Erdogan bekämpft die Kurden dort, denn sie haben eine Selbstverwaltung aufgebaut und könnten Vorbild sein für die Kurden in der Türkei. Mit aller Gewalt soll das verhindert werden. Genauso wie alle anderen Zivilisten sind die wenigen Armenier und Assyrer/Aramäer, die es noch in Al-Hasakeh gibt, dem Beschuss ausgeliefert. 

Aus Afrin, einer anderen, früher ebenfalls von Kurden kontrollierten Region in Nordsyrien, wurden fast alle Christen vertrieben. 2018 ist dort die türkische Armee einmarschiert. Hier treiben jetzt die mit ihr verbündeten Islamisten ihr Unwesen. Die jüngste christliche Gemeinde, der rund 1.200 konvertierte Muslime angehörten, wurde zerschlagen. In Afrin herrscht jetzt faktisch das islamische Scharia-Recht. Das trifft besonders Frauen und Andersgläubige hart. Doch wer sich dem nicht unterwirft, wird drakonisch bestraft.

Glaubensfreiheit für alle! - Die GfbV in Aktion. Foto: GfbV (2011)

 

Unser Einsatz für die Christen im Nahen Osten

Die Christen im Irak brauchen mehr Sicherheit vor radikalen Islamisten und die Gewissheit, ihre Zukunft mitgestalten zu können. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass die irakische Zentralregierung und die Regionalregierung Kurdistan endlich klären, wer von beiden für das Hauptsiedlungsgebiet der Christen im Irak, die Ninive-Ebene, die Verantwortung trägt und dort für Sicherheit sorgen muss. 

Die Forderung der Assyrer/Chaldäer/Aramäer im Irak nach Selbstbestimmung wollen wir durchsetzen helfen. Dafür bemühen wir uns um „Verbündete“: Wir wollen erreichen, dass der Evangelische Kirchentag im Juni in Dortmund eine Resolution verabschiedet, Christen und auch Yeziden im Irak beizustehen. Auch die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee deutscher Katholiken wollen wir überzeugen, eine Resolution zu verfassen. Wir werden uns an die Religionsbeauftragten von Parteien und Regierung wenden und die Kirchensynode mit Schreiben und in Gesprächen für das Thema sensibilisieren.

Für den Wiederaufbau christlicher Siedlungen im Irak muss die humanitäre Hilfe schnell verstärkt werden. Das gilt auch für yezidische Ortschaften. Schneller Wiederaufbau stärkt die Rückkehrbereitschaft der Vertriebenen und kann verhindern, dass Christen in ihrer eigenen Region zur Minderheit werden. 

Der Bundestag soll unsere Regierung dazu bewegen, den Abzug türkischer Truppen aus dem syrischen Afrin zu verlangen. Darüber hinaus muss eine drohende türkische Militärintervention in die anderen kurdisch kontrollierten Gebiete Nordsyriens verhindert werden. Wir werden unsere Anstrengungen verstärken, um dies zu erreichen.

Um Politiker, Kirchenvertreter und Öffentlichkeit über die ganz aktuelle Gefährdung der christlichen, aber auch der yezidischen Glaubensgemeinschaften im Nahen Osten zu informieren und sie davon zu überzeugen, wie wichtig es ist, nicht länger zu warten, sondern jetzt zu handeln, werden wir für eine Delegation Betroffener u.a. Gespräche im Bundestag, in Ministerien und mit einzelnen Politikern organisieren. 

Dem UN-Menschenrechtsrat werden wir ein schriftliches Statement über die Lage der christlichen Religionsgemeinschaft vorlegen und zum Handeln auffordern.


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Diese Kampagne wurde im März 2019 lanciert.