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Bosniaken (Bosnische Muslime)

- Europa -

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) setzt sich seit 1969 für die verfolgten ethnischen und religiösen Minderheiten in Europa ein. 

 

Zum Begriff: BOSNIAK*INNEN (bosnisch BOŠNJAK , Pl.: Bošnjaci)

... ist ein historischer Name für ein Volk  in Bosnien und Herzegowina (nachfolgend BiH), das neben Serb*innen, Kroat*innen und anderen in diesem Land leben. Der ursprüngliche Name Bošnjanin (in lateinischen Quellen Sing. Bosnensis) kennzeichnet ein Mitglied eines mittelalterlichen bosnischen politischen Gemeinwesens.

Ilija Garašanin schreibt in Na?ertanije (1844) über die Bevölkerung Bosniens als „Bosniaken dreier Glaubensrichtungen“ (Muslime, Orthodoxe, Katholiken).  

Der Name Bošnjanin wird zuerst um 1166 im Kaisertitel des byzantinischen Kaisers Manuel I. Komnenos (1118-1180) erwähnt, später tauchte er in einer Vielzahl verschiedener Dokumente, die im mittelalterlichen Bosnien entstanden, auf und wurde kontinuierlich von alten südslawischen Schriftstellern während der osmanischen Herrschaft verwendet, wenn sie neben anderen südslawischen Völkern erwähnt wurden.

Laut der Volkszählung von 2013 in BiH betrug die Zahl der Bosniak*innen in BiH 1.769.592 oder 50,1% der Gesamtbevölkerung. Dieser legitime und historische Name wird gelegentlich aus ideologischen oder politischen Gründen kontrovers gedeutet. Im sozialistischen Jugoslawien zum Beispiel war ihr Name politisch umstritten und sie wurden offiziell Muslim*innen genannt (mit dem „berühmten“ großen Anfangsbuchstaben M), um damit zu suggerieren, dass ihre nationale Identität umstritten war - weil m / muslim (geschrieben mit dem Kleinbuchstaben „m“ weltweit eine Bezeichnung der Religionszugehörigkeit (Zugehörigkeit zum Islam) ist.

Für die Bosniak*innen die Bezeichnung Muslim*innen zu verwenden, zielte hauptsächlich darauf ab, sie als ethnische Kroat*innen und / oder Serb*innen islamischen Glaubens darzustellen, was nicht den historischen Fakten über Bosniak*innen als autochthones europäisches Volk entspricht, dessen erheblicher Teil den Islam als seine Religion annahm. So fand im sozialistischen Jugoslawien eine ideologische Verfälschung von Geschichte und Wirklichkeit statt. Das Gesetz sah vor, dass mit dem  großen „M“ (MuslimInnen, bosnisch: Musliman) die nationale Zugehörigkeit und mit dem Kleinbuchstaben m (bosnisch: musliman) die Religionszugehörigkeit ausgedrückt wird. Dieses ambivalente Konstrukt war unzutreffend und sorgte für große Verwirrung. Die Bosniak*innen selbst fühlten sich durch eine solche Verleugnung oder durch die Problematisierung ihrer nationalen Identität vom Standpunkt der Ideologien Großserbiens und Großkroatiens und insbesondere hinsichtlich historischer Fakten und ihres Rechts auf nationale Zugehörigkeit verletzt. Die Ernennung ethnischer Bosniaken zu Muslimen war ein ideologischer Zwang. Dessen Folgen manifestierten sich besonders stark in den 1990er Jahren, als Völkermord an Bosniak*innen in Bosnien und Herzegowina begangen wurde, weil die Staatsprojekte von Großkroatien und Großserbien darauf abzielten, Bosnien und Herzegowina aufzuteilen und Bosniak*innen entweder zu töten oder zu vertreiben. Gleichzeitig beharren die Aggressoren in BiH auf deren Behauptung, die Bosniak*innen seien als muslime ein „Störfaktor“ und müssten zum „Glauben ihrer Vorfahren“ (Christentum) zurückkehren. Das Problem für diese Ideologien und ihre Projekte ist, dass Bosniak*innen ein staatsbildender Faktor sind, aber es aus Sicht dieser Ideologien und ihrer Projekte notwendig wäre, sie auf eine Religionsgemeinschaft zu reduzieren, die als solche kein staatsbildender Faktor sein könne.

Summa summarum: Es handelt sich um zwei Identitäten eines Volkes: ethnische Identität (Bosniake/Bošnjak) und religiöse Identität muslim, wobei zu beachten ist, dass nicht jeder Bosniak*innen auch muslim ist, weil sich einige von ihnen als Atheist*innen, Agnostiker*innen und dergleichen fühlen.

Neben den Begriffen Bosniak*in (Bošnjak) und muslim gibt es auch den Begriff Bosanac, dt. Bosnier*in, der weder ethnische noch religiöse, sondern nationale Zugehörigkeit als Staatszugehörigkeit bezeichnet. Die Anfechtung dieser Bezeichnung impliziert die Anfechtung des Staates / der Staatlichkeit von BiH. Bosnier*innen (Bosanci) sind all diejenigen, die die Staatsbürgerschaft von BiH besitzen, d.h.  diejenigen, die in BiH leben, das seit einer sehr langen historischen Periode Bosnien genannt wird. Somit sind Bosnier*innen auch ethnische Kroat*innen, ethnische Serb*innen, ethnische Bosniak*innen und die Angehörigen anderer Völker, die Staatsbürger*innen von Bosnien und Herzegowina sind. Während des letzten Krieges in Bosnien und Herzegowina (1992-1995), aber auch danach, wird versucht, unter den Bosniak*innen selbst Verwirrung zu stiften, indem ihnen empfohlen oder sogar aufgezwungen wird, sich ausschließlich entweder als Bosniak*innen oder als Bosnier*innen zu erklären. So hört man manche Bosniak*innen sagen, sie seien nur Bosniak*innen, aber keine Bosnier*innen. Dies ist zum Teil eine Folge jahrzehntelanger Frustration, die bei ihnen durch die Anfechtung des Namens Bosniak*in ausgelöst wurde.

Aus wissenschaftlicher und historischer Sicht ist festzustellen: Bosniak*in ist eine Bezeichnung der ethnischen Zugehörigkeit; muslim ist eine Bezeichnung der Religionszugehörigkeit; Bosnier*in ist eine Bezeichnung der nationalen / staatlichen Zugehörigkeit. Dies sind drei Arten oder drei Aspekte von Identität, da eine Nation (ein Volk) sowie ein Individuum mehrere Identitäten haben kann (ethnische, nationale, religiöse, kulturelle, geschlechtliche usw.). Diese Identitäten schließen sich nicht gegenseitig aus, sind aber auch nicht unbedingt kompatibel, da ein Individuum (wie auch eine Gemeinschaft), zugleich ein*e Bosniak*in, die muslim ist, auch eine Bosnier*in sein kann, da sie in Bosnien lebt. Sie kann aber auch eine Bosniakin sein, die Atheistin ist und beispielsweise die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt.

Bosniak*innen nennen ihre Sprache Bosnisch. Dies versucht man ihnen heute mancherorts streitig zu machen, obwohl es bereits 1890 die Grammatik der bosnischen Sprache von Franjo Vuletic gab. Während der österreichisch-ungarischen Herrschaft wurde diese Sprache so genannt, und viele prominente kroatische und serbische Intellektuelle und Schriftsteller (Miroslav Krleža, Isidora Sekulic usw.) nannten sie Bosnisch. Bereits 1631 hatten die Bosniak*innen ein bosnisch-türkisches Wörterbuch, das von Muhamed Hevai Uskufi verfasst wurde.

[Anmerkung: Alle Substantive werden im Bosnischen  kleingeschrieben: 1. „musliman“  mit kleinem „m“ (= dt. Muslim im religiösen Sinne; Religionszugehörigkeit zum Islam) 2. Muslim (mit großem „M“ = Muslim im nationalen Sinne, nationale Zugehörigkeit)]

 

Von

Prof. Dr. Esad Durakovic
Mitglied der Akademie der Wissenschaften und Künste von Bosnien und Herzegowina (ANUBiH), Sarajevo
esad_d@hotmail.de

Übersetzung aus dem Bosnischen und Kontakt:

Jasna Causevic
Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV)
Genozid-Prävention und Schutzverantwortung
j.causevic@gfbv.de

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