24.06.2005

100 Jahre Völkermord an Herero und Nama

Inhalt

Zusammenfassung+++Empfehlungen der Gesellschaft für bedrohte Völker+++100 Jahre Völkermord an Herero und Nama+++Rache an skrupellosen Händlern+++Herero kämpfen um ihr Überleben+++Konflikte zwischen Herero und Nama+++Blutige Niederschlagung des Aufstands der Herero+++Herero sterben in Konzentrationslagern+++Deutsche Proteste gegen Vernichtungskrieg+++Tragische Bilanz des Aufstandes+++Vernichtungskrieg war Völkermord+++Auch die Nama begehren auf+++Schwere Verluste für Schutztruppe und Nama+++Ende der Kolonialherrschaft bringt keine Besserung+++100 Jahre Völkermord an Herero und Nama – Was geht uns das an?+++Berlin tut sich schwer mit der Herero-Frage+++Kein Kurswechsel unter rot-grüner Bundesregierung+++Appell an Parlamentarier findet keine Unterstützung+++Kirchen stellen sich der Verantwortung+++Schadensersatzklagen haben wenig Aussicht auf Erfolg+++Namibias Innenpolitik und die Schadensersatzfrage+++Schwieriges Gedenken in Namibia+++Reizthema Landreform+++Anmerkungen+++Ausgewählte Bücher zum Weiterlesen

Zusammenfassung

Am 12. Januar 2004 jährt sich zum 100. Mal der Beginn des Aufstandes der Herero in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, der heutigen Republik Namibia. Die Herero begehrten auf, denn deutsche Siedler verstießen ständig gegen die Bestimmungen des "Schutzvertrages". Darin hatten sich die Kolonialherren verpflichtet, die bestehenden Sitten und Gebräuche zu respektieren. Die Erhebung des Nomadenvolkes gegen den fortschreitenden Verlust ihres Landes und gegen ihre Entrechtung durch die Kolonialregierung wurde zum Auslöser für den ersten von Deutschen verübten Völkermord, in dessen Verlauf rund 65.000 Herero und 10.000 Angehörige des Nama-Volkes von wilhelminischen Soldaten und Siedlern umgebracht wurden.

Der von Berlin zur Niederschlagung des Aufstands entsandte Kommandeur der Deutschen Schutztruppe, Generalleutnant Lothar von Trotha, ordnete nach der Niederlage der Herero in der Schlacht am Waterberg (11.August 1904) die Vernichtung der Herero an. Gegenüber Gouverneur Leutwein, der einen Vernichtungsfeldzug gegen die Herero ablehnte, machte v. Trotha unmissverständlich deutlich, dass für ihn Völkermord die angemessene Reaktion war: "Ich kenne genug Stämme in Afrika. Sie gleichen sich alle in dem Gedankengang, dass sie nur der Gewalt weichen. Diese Gewalt mit krassem Terrorismus und selbst mit Grausamkeit auszuüben war und ist meine Politik. Ich vernichte aufständische Stämme mit Strömen von Blut und Strömen von Geld." Von Trotha bezeichnet den Aufstand als den "Anfang eines Rassenkampfes".

Der Tatbestand des Genozids wurde somit erfüllt, denn die Schutztruppe setzte den Vernichtungsbefehl v.Trothas um. Die Soldaten drangen immer weiter in die wasserlose Omaheke vor, in die die Herero nach der Schlacht am Waterberg mangels anderer Alternativen geflohen waren. Mit einem 250 Kilometer langen Überwachungsring wurden von der Schutztruppe alle Ausgänge aus der Wüste abgeriegelt. Angebote zur Aufgabe wurden ignoriert, Verdurstende "von ihrem Leiden erlöst". Tausende Männer, Frauen und Kinder wurden umgebracht oder verdursteten, das gesamte Vieh der Herero ging zugrunde.

Im Oktober 1904 erhob sich das Volk der Nama, nachdem viele deutsche Siedler gefordert hatten, mit den Herero auch gleich die Nama auszurotten. Diese vermieden jedoch offene Schlachten und begannen einen Guerillakrieg. Die deutsche Regierung reagierte darauf mit einer Politik der "verbrannten Erde". Der Besetzung und Vergiftung von Wasserstellen fielen Tausende Nama zum Opfer.

In Berlin sah man das brutale Vorgehen als gerechtfertigt an. Generaloberst von Schlieffen erklärte, ein "Rassenkrieg" könne nur mit der Vernichtung einer der beteiligten Parteien enden. Es gab jedoch auch Widerstand von Reichstagsabgeordneten gegen diesen "barbarischen Akt der Kriegsführung" und so wurde v. Trotha im Dezember 1904 angewiesen, die Vernichtung zu stoppen und "Konzentrationslager für die einstweilige Unterbringung und Unterhaltung der Reste des Hererovolkes" einzurichten. Doch auch dort setzte sich die Politik der Vernichtung fort. Die Gefangenen wurden zu Zwangsarbeit eingesetzt. Zumindest die Deportation der Herero in die Konzentrationslager auf der Haifischinsel und in Swakopmund und ein leben unter elendsten Bedingungen sollten den Tod der meisten Häftlinge herbeiführen.

Die Bilanz des Vorgehens kaiserlicher Truppen war verheerend und ist bis heute in Namibia spürbar. Lebten vor dem Krieg 80.000 Hereros unter deutscher Herrschaft, so waren es 1911 noch 15.130. Weitere 3.000 Herero hatten in einer benachbarten britischen Kolonie Zuflucht gesucht. Die Hälfte von einst 20.000 Nama starb im gleichen Zeitraum. Das Land der Herero und Nama wurde beschlagnahmt und später an europäische Siedler verkauft. Auch nach dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft 1915 erhielten die Herero und Nama ihr geraubtes Land nicht zurück. Heute leben wieder 122.000 Herero und 61.000 Nama in Namibia. Trotz ihrer beeindruckenden Bevölkerungszahl ist ihre soziale und wirtschaftliche Lage sehr schwierig.

Zwar kündigte nach der Unabhängigkeit Namibias im Jahr 1990 die neue Regierung an, sich besonders für die bislang benachteiligten Bevölkerungsgruppen einsetzen zu wollen. Doch viele Versprechungen wurden bislang nicht gehalten. Vergeblich warten die Nachkommen der Überlebenden bis heute auf eine offizielle Entschuldigung Deutschlands für die im deutschen Namen begangenen Verbrechen. Immerhin bezeichnete Bundespräsident Roman Herzog bei einem Staatsbesuch in Namibia im März 1998 den Krieg gegen beide Völker als "ein besonders dunkles Kapitel" in der Geschichte der bilateralen Beziehungen und als eine schwere Bürde, die auf dem Gewissen jedes Deutschen laste, der die Geschichte seines Landes kenne. Außenminister Joschka Fischer äußerte zwar sein Bedauern über den Kolonialkrieg, lehnte aber jede offizielle Entschuldigung ab, da diese entschädigungsrelevant für die in den USA anhängigen Schadens¬ersatzklagen der Herero gegen deutsche Unternehmen und die Bundesrepublik Deutschland sein könne. Diese Klagen auf Wiedergutmachung sind jedoch nahezu aussichtslos, da es an völkerrechtlich relevanten Anspruchsgrundlagen fehlt. Die Bundesregierung sollte daher nicht länger die Schadensersatzklagen der Herero als billige Entschuldigung benutzen, um sich einer Aufarbeitung der in der Kolonialzeit in Namibia begangenen Verbrechen zu entziehen.

Dieses in deutschem Namen begangene Unrecht ist ein Teil deutscher Geschichte, der einer breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt ist. So lange in deutschen Geschichtsbüchern über diesen Genozid nicht oder nur entstellend (Hottentotten-Kriege) berichtet wird, sollte die Aufarbeitung des Völkermordes nicht einem kleinen Kreis von Historikern vorbehalten bleiben. Alle in den letzten vier Jahren von der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) und anderen Menschenrechtsorganisationen an die Bundesregierung gerichteten Appelle, sich offiziell bei den Hinterbliebenen der Opfer zu entschuldigen und den 100. Jahrestag des Völkermordes würdig zu begehen, verhallten in Berlin ungehört. Ignorieren und Aussitzen ist jedoch keine angemessene Antwort bei Völkermord.

Während die Bundesregierung ihrer Verantwortung in der Frage des Völkermordes in Namibia nicht gerecht wird, leisten die Kirchen einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung ihrer Verstrickung in die deutsche Kolonialpolitik und in den Genozid. Mit großem Engagement setzen sie sich im Rahmen der Gedenkfeiern für die Versöhnung zwischen den Bevölkerungsgruppen in Namibia ein. Die Bundesregierung hat eine Chance vertan, in dem Gedenkjahr in Namibia aktiv einen Beitrag zur Versöhnung zwischen den Bevölkerungsgruppen zu leisten. Wie brisant die Folgen des Völkermordes bis heute sind, zeigt die sich verschärfende Auseinandersetzung um die Landreform in Namibia. Zwar ist Deutschland wichtigstes Geberland Namibia und unterstützt die Landreform. Doch angesichts des Genozids und der hitziger werdenden Debatten um die Landreform, sollte die Bundesregierung noch einmal einen besonderen Beitrag zu ihrem Gelingen leisten. Ein Scheitern der Reform hätte katastrophale Folgen für die Stabilität im Südlichen Afrika und könnte zu Landvertreibungen wie in Zimbabwe führen.

Empfehlungen der Gesellschaft für bedrohte Völker

  • Hundert Jahre nach dem Völkermord an Herero und Nama sollte sich die deutsche Bundesregierung offiziell für das in deutschem Namen begangene Unrecht entschuldigen. Sie sollte die in den USA anhängigen Schadensersatzklagen der Herero nicht länger als billige Entschuldigung benutzen, um sich einer Aufarbeitung der in der Kolonialzeit in Namibia begangenen Verbrechen zu entziehen.
  • Auch in Deutschland sollte der Opfer der deutschen Kolonialherrschaft gedacht werden. So sollte in der "Zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland" in Berlin (Unter den Linden) auch ausdrücklich der während des Völkermordes zu Tode gekommenen Herero und Nama gedacht werden.
  • Gerade in diesem Gedenkjahr sollte die Bundesregierung in einer besonderen Anstrengung gezielt die Landreform in Namibia unterstützen und sicherstellen, dass die Herero und Nama sowie andere besonders benachteiligte Bevölkerungsgruppen landwirtschaftlich nutzbares Land zur Verfügung gestellt bekommen. Dies wäre nicht nur eine angemessene Antwort auf den Völkermord, sondern auch eine bedeutende Investition in die Zukunft, um Stabilität im Südlichen Afrika zu garantieren. Ohne zusätzliche Hilfen droht die Landreform zu scheitern und es könnte so - wie in Zimbabwe - auch in Namibia zu gewaltsamen Landbesetzungen kommen.

100 Jahre Völkermord an Herero und Nama

Am 12. Januar jährt sich zum hundertsten Mal der Beginn des Aufstandes der Herero gegen die deutsche Kolonialherrschaft in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Das Aufbegehren der Herero und die wenige Monate später beginnende Rebellion der Nama wurden von den Soldaten des Kaiserreiches, der Deutschen Schutztruppe, niedergeschlagen und mündeten in einen Völkermord deutscher Soldaten an Herero und Nama. Die Nama waren zur Kolonialzeit auch unter dem Namen "Hottentotten" (das bedeutet "Stotterer") bekannt, eine Bezeichnung, die sie selbst als diskriminierend ablehnen.

Die deutschen Siedler und Soldaten waren überrascht, als am 12. Januar 1904 Herero den Ort Okahandja einnahmen und die Stadt Omaruru belagerten. Während Herero in Zentralnamibia zahlreiche Farmen weißer Siedler überfielen, waren die meisten deutschen Soldaten im Süden der Kolonie mit der Niederschlagung eines Aufstandes der Bondelzwarts, einer Nama-Gruppe, beschäftigt. Mit ihrem gewaltsamen Protest wandten sich die Bondelzwarts gegen Rechtsverstöße der deutschen Kolonialverwaltung.

Rache an skrupellosen Händlern

Die meisten deutschen Siedler, die während des Aufstandes der Herero zu Tode kamen, starben in den ersten Tagen der Revolte bei Überfällen der Herero. Darin entlud sich jahrelang aufgestaute Wut über Landraub und Entrechtung. 116 deutsche Zivilisten verloren so ihr Leben, 111 Männer und fünf Frauen. Opfer der Übergriffe waren vor allem die wegen ihres Wuchers verhassten Händler und Farmer, die von der Verelendung der Herero besonders profitiert hatten. "An den Herero hat sich das deutsche Volk versündigt", erklärte Pastor Waldmann der Rheinischen Mission in einem Brief an die Synode Moers im Februar 1906 (1). "Die Missionare haben gewarnt, den Schwarzen auszubeuten, aber sie haben ihnen nicht den Hass gegen die Deutschen beigebracht. Das besorgten die erbarmungslosen Händler und Ausbeuter, die skrupellosen Weißen, die ihnen Weib und Kinder schändeten." Deutsche Zeitungen übertrieben das Ausmaß der Übergriffe der Herero auf die Siedler und warfen den Aufständischen Gräueltaten vor. Vergeblich bemühten sich Missionare darum, ein realistisches Bild der Kämpfe im Deutschen Reich zu vermitteln und über die Hintergründe des Überlebenskampfes der Herero zu informieren. In den meisten zeitgenössischen deutschen Zeitungen wurde nicht darüber berichtet, dass Herero-Kämpfer in vielen Fällen Frauen und Kinder deutscher Siedler sowie Missionare schonten oder ihnen sogar Schutz boten. So wurde in der Öffentlichkeit im Kaiserreich der Ruf nach Vergeltung lauter.

Herero kämpfen um ihr Überleben

Hätten die Kolonialbehörden, die Siedler und die Schutztruppe sich mehr für die Lage der Herero interessiert, hätte sie die Rebellion nicht überrascht. Denn seit 1890 hatten sich die Lebensumstände der Herero dramatisch verschlechtert. Mit dem Ausbruch der Rinderpest 1897 verloren die vor allem von der Viehzucht lebenden Herero ihre Lebensgrundlage. Wirtschaftlich wurden sie immer stärker von den Kolonialherren abhängig. Mit dem Verlust ihrer Viehherden nahm ihre Verschuldung bei skrupellosen Wanderhändlern zu. Viele der Händler verkauften ihre überteuerten Waren an Herero mit Gewinnspannen von mehr als 600 Prozent. Wenn die Herero nicht zahlen konnten, ließen die Händler ihr Vieh pfänden oder die Herden von Verwandten beschlagnahmen. De facto führte diese Politik zu einer Enteignung der Herero und zu einer Zerstörung ihrer Lebensgrundlage und Identität. Denn ein Leben ohne Vieh und Land war für sie nicht vorstellbar.

Doch auch die Herero, die nicht verschuldet waren, konnten ihre traditionelle Wirtschafts- und Lebensweise kaum aufrechterhalten, da ihnen immer mehr Weideland durch den Landkauf deutscher Einwanderer verloren ging. Zwar ging die Landnahme durch deutsche Siedler aufgrund immer neuer Unruhen nur schleppend voran: Im Jahre 1903 lebten nur 2.998 Deutsche und 1.704 Buren in der Kolonie, die 4,4 Prozent des Landes kontrollierten (2). Nach dem Willen der kaiserlichen Regierung sollte die Besiedlung jedoch forciert werden. Privaten Landgesell¬schaften wurden beauftragt, mehr als ein Drittel des Landes an Siedler zu veräußern. Die neuen Farmer aus Europa zäunten ihr Land ein und verboten den Herero, Wasserstellen zu nutzen. Die meisten Herero verfügten nicht über ausreichend Geld, um sich den Zugang zu den Brunnen zu erkaufen.

Auch beklagten die Herero Willkür und Rechtlosigkeit in der Kolonie. Ständige Übergriffe auf Herero-Mädchen und –Frauen belasteten das Verhältnis zwischen der afrikanischen Bevölkerung und den Neusiedlern. Meist blieben die deutschen Täter straflos, obwohl in dem am 21. Oktober 1885 unterzeichneten Schutzvertrag zwischen den Herero und dem Deutschen Reich ausdrücklich Respekt vor der Kultur und den Traditionen zugesichert worden war. Die Herero fühlten sich als Menschen dritter Klasse behandelt, da es für sie keine Gleichheit vor dem Gesetz gab. Als demütigend empfanden sie die häufige Anwendung der Prügelstrafe. Noch schlimmer war jedoch, dass vor Gericht Straftaten von deutschen Siedlern entweder gar nicht oder nur mit sehr geringen Strafen geahndet wurden. Selbst der deutsche Gouverneur Major Theodor Leutwein räumte ein, die europäischen Beisitzer hätten in den Gerichten das Sagen: "Letztere sind naturgemäß geneigt, zu Gunsten der eigenen Rasse zu urteilen als umgekehrt. Der Rassenhass hatte sich so bis an die Schranken des Gerichts verpflanzt" (3).

Als 1890 der Herero-Führer Maharero starb, sah sein Sohn Samuel die Chance, sich mit Hilfe der geballten Macht der Deutschen Schutztruppe zum oberster Führer der Herero machen zu lassen, obwohl nach den Gesetzen der Herero andere Personen das Amt hätten übernehmen sollen. Gouverneur Leutwein war gerne bereit, den treuen Gefolgsmann der Rheinischen Missionsgesellschaft trotz des Widerstandes breiter Kreise der Herero als Führer dieser Bevölkerungsgruppe einsetzen zu lassen. Nach der Devise "Teile und Herrsche", die von vielen Kolonialmächten befolgt wurde, war es Leutweins Interesse, Zwist und Streitigkeiten in der Herero-Führung zu erzeugen. Außerdem musste Samuel Maharero im Gegenzug Leutwein Land für deutsche Siedler im Süden der Kolonie bereitstellen.

Mit dem Bau neuer Bahnlinien zur Erschließung des Inlands verloren die Herero immer mehr Land, da sie weiträumig Gebiete entlang der Bahntrasse unentgeltlich an die Bahngesellschaft abtreten mussten. 1903 wurde mit dem Bau der 576 Kilometer langen Otavi-Bahn zur Erschließung der Kupfervorkommen in der Otavi-Mine begonnen. Weiteres Unheil sahen viele Herero in der geplanten Schaffung von Herero-Reservaten. So fürchteten sie, in noch unwirtlichere Regionen abgedrängt zu werden.

Angesichts ihrer fortschreitenden Verelendung sowie der Vernichtung ihrer Lebensgrundlagen und Identität war für die Herero die Revolte von 1904 ein letztes Aufbäumen gegen die drohende Zerstörung des gesamten Volkes. Da ihre Lage hoffnungslos erschien, dachten die Herero, in einer bewaffneten Auseinandersetzung mit den Kolonialherren nur gewinnen zu können, eine katastrophale Fehleinschätzung, wie schon wenige Monate nach Ausbruch der Unruhen deutlich wurde. Ungeachtet der Wut der Herero auf die Kolonialmacht und die neuen Siedler war es keine spontane Erhebung, sondern eine seit Monaten geplante Rebellion. Vergeblich hatten sich dabei die Herero um Unterstützung anderer afrikanischer Bevölkerungsgruppen in der Kolonie bemüht. Vor allem hatten sie auf Hilfe von den Nama im Süden des Landes gehofft, die unter ihrem Führer Hendrik Witbooi erbitterten Widerstand gegen die deutsche Kolonialherrschaft geleistet hatten. Doch Hendrik Witbooi stellte der deutschen Schutztruppe ein Kontingent von Nama-Kämpfern zur Niederschlagung der Herero-Revolte zur Verfügung und betonte, er halte an dem am 15. September 1894 geschlossenen Schutzvertrag zwischen den Nama und dem Deutschen Reich fest.

Konflikte zwischen Herero und Nama

Das Verhältnis zwischen Herero und Nama war nicht unproblematisch. Mehrfach hatten beide Gruppen im 19. Jahrhundert gegeneinander Krieg um die Kontrolle von Vieh und Weideland geführt. Aus Enttäuschung über den mangelnden Schutz des Deutschen Reiches gegen Übergriffe der Nama hatten die Herero am 3. Oktober 1888 ihren Schutzvertrag mit der Kolonialmacht gekündigt. Im November 1892 schlossen die Nama und Herero schließlich Frieden, da der Nama-Führer Hendrik Witbooi in den deutschen Kolonialherren die größere Gefahr für das Fortbestehen der Nama sah. Am 12. April 1893 kam es zu ersten Kämpfen zwischen kaiserlichen Truppen und Nama. Mehrere Schlachten folgten, doch die deutschen Soldaten vernichteten die Nama-Kämpfer nicht, da Hendrik Witbooi nach Einschätzung der Kolonialverwaltung mit seinem großen Einfluss bei den afrikanischen Bevölkerungsgruppen hilfreich für die Stabilisierung der deutschen Herrschaft sein konnte. So schlossen Witbooi und das Deutsche Reich am 15. September 1894 einen Friedensvertrag, der zehn Jahre lang von den Nama beachtet wurde. So wur¬den sie zu einer bedeutenden Stütze der deutschen Kolonialherrschaft im Süden der Kolonie.

Blutige Niederschlagung des Aufstands der Herero

Die 769 Soldaten der Deutschen Schutztruppe und die rund 2.000 wehrfähigen Siedler konnten den rund 7.500 Herero-Kämpfern kaum nennenswerten Widerstand entgegensetzen. So forderte der Gouverneur Leutwein, der auch Kommandant der Schutztruppe war, Verstärkung in Berlin an. Leutwein wollte die Herero nicht vernichten, sondern sie für den Arbeitsmarkt in der Kolonie nutzen. Ihre Viehherden sollten die wirtschaftliche Entwicklung der Kolonie fördern. Bereits im Februar 1904 wurde der nach Ansicht vieler Siedler und Militärs nicht entschieden genug auftretende Gouverneur entmachtet und der Generalstab in Berlin übernahm das Kommando der Schutztruppe. Hatte Leutwein in kritischen Momenten auf Verhandlungen und einen Ausgleich mit afrikanischen Bevölkerungsgruppen gesetzt, so verfolgte der am 17.Mai 1904 ernannte neue Oberbefehlshaber der Schutztruppe, Generalleutnant von Trotha, nur eine militärische Lösung. Rund 1.250 berittene Offiziere und Soldaten sowie umfangreiche Artillerie wurden im Frühjahr 1904 aus dem Deutschen Reich in die Kolonie verlegt (4).

In der entscheidenden Schlacht bei Hamakari am Waterberg am 11. August 1904 hatten die Herero gegen die waffentechnisch überlegene deutsche Schutztruppe keine Chance. Gezielt konzentrierte v. Trotha seine stärksten Verbände im Westen des Waterbergs, um eine Flucht der Herero zu verhindern. Die schwächsten deutschen Kontingente wurden in den Südosten verlegt, da hinter ihnen nur die wasserlose Omaheke-Wüste lag, die für jeden Flüchtenden den Tod bedeutete. Mit der Ausdünnung der Truppen im Südosten signalisierten die deutschen Soldaten den Herero-Kämpfern, dass sie nur an dieser Stelle entkommen könnten. Der Durchbruch in die Omaheke-Sandwüste sollte für Tausende Herero zum Verhängnis werden. Statt ihre Gegner vor dem Verdursten zu bewahren, setzte v. Trotha mehrmals nach, um die Herero vernichtend zu schlagen und die restlichen Überlebenden noch weiter in die Wüste zu vertreiben. Als im Oktober fast alle Herero in die Omaheke ausgewichen waren, ordnete v. Trotha an, einen 250 Kilometer langen Absperrgürtel um die Wüste zu ziehen. Er sollte den Herero jedes Entkommen unmöglich machen. Nur wenigen gelang es auszubrechen. Am 2. Oktober 1904 wandte sich v. Trotha mit einem Erlass an die Herero:

"Ich, der große General der deutschen Soldaten, sende diesen Brief an das Volk der Herero. Herero sind nicht mehr deutsche Untertan. Sie haben gemordet, gestohlen, haben verwundeten Soldaten Ohren und Nase und andere Körperteile abgeschnitten und wollen jetzt aus Feigheit nicht mehr kämpfen. Ich sage dem Volke: Jeder, der einen der Kapitäne (Anmerkung der Redaktion: Herero-Führer) an einer meiner Stationen als Gefangenen abliefert, erhält 1000 M; wer Samuel Maharero bringt 5000 M. Von dem Volk der Herero muss jeder das Land verlassen. Wenn das Volk dies nicht tut, so werde ich es mit dem groot Rohr (Anmerkung der Redaktion: Gewehr) dazu zwingen. Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen. Ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen. Das sind meine Worte an das Volk der Herero.

Dieser Erlass ist bei den Appells den Truppen mitzuteilen, mit dem Hinzufügen, dass auch der Truppe, die einen Kapitän fängt, die entsprechende Belohnung zuteil wird, und das Schießen auf Weiber und Kinder so zu verstehen ist, dass über sie hinweg geschossen wird, um sie zum Laufen zu zwingen. Ich nehme mit Bestimmtheit an, dass dieser Erlass dazu führen wird, keine männlichen Gefangenen mehr zu machen, aber nicht zu Greueltaten gegen Weiber und Kinder ausartet. Diese werden schon fortlaufen, wenn zweimal über sie hinweg geschossen wird. Die Truppe wird sich des guten Rufes der deutschen Soldaten bewusst bleiben.

Das Kommando gez. v. Trotha, Generalleutnant." (5)

Die erzwungene Flucht in die wasserlose Sandwüste Omaheke hatte für die Herero katastrophale Folgen. Tausende verdursteten, nur wenigen gelang die Flucht in das benachbarte Britisch-Betschuanaland. Bis März 1905 hatten nur rund 500 Herero die Wüste durchquert und fast verhungert und verdurstet in der britischen Kolonie um Aufnahme gebeten, unter ihnen der Herero-Führer Samuel Maharero (6). Bis zum Dezember 1906 fanden 3.000 Herero in Britisch-Betschuanaland Aufnahme (7). Patrouillen der Schutztruppe setzten den flüchtenden Herero in der Wüste nach und töteten die Männer. Kaiserliche Soldaten überfielen darüber hinaus die Siedlungen der Herero, die Werften, töteten viele Männer und verschleppten die übrige Bevölkerung in Konzentrationslager. Kommandant v. Trotha berichtet dem Reichskanzler von 30 Angriffen der Schutztruppe auf Herero-Siedlungen (8).

Herero sterben in Konzentrationslagern

Viele der Überlebenden des Exodus in die Omaheke wurden in fünf Internierungslager eingewiesen, die nach britischem Vorbild im Burenkrieg eingerichtet worden waren. Auch offiziell wurden diese Camps als Konzentrationslager bezeichnet. Eines der schlimmsten Lager war die Haifischinsel in der Lüderitzbucht. Die unwirtliche Felseninsel wurde für Hunderte Herero und später auch für dort internierte Nama zur Todesfalle. Schon im Mai 1905 berichtete der deutsche Missionar Heinrich Vedder über eine "unglaublich" hohe Zahl von Todesfällen unter den internierten Frauen und Kindern (9). Wie "vergiftete Fliegen" würden die Menschen sterben, erklärte der auf die Insel entsandte Herero-Geistliche Samuel Kariko. Besonders hoch sei die Todesrate unter kleinen Kindern und alten Menschen. Die durch die Flucht und die mangelhafte Ernährung geschwächten Herero wurden unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten und mussten oft Zwangsarbeit leisten. Obwohl bis zu 2.000 Menschen auf der Haifischinsel festgehalten wurden, waren aufgrund von schlechter Ernährung, Erkrankungen und mangelnder medizinischer Versorgung oft nur wenige Dutzend arbeitsfähig. Auch bis auf die Knochen abgemagerte Frauen und junge Kinder mussten auf Baustellen Zement und andere schwere Lasten tragen. Eingesetzt wurden die Zwangsarbeiter vor allem beim Bau von Eisenbahnen oder Häfen. So mussten nach Angaben der Kolonialverwaltung 2014 Internierte beim Bau der Lüderitzbuchtbahn zwischen Januar 1906 und Juni 1907 mitarbeiten (10). Die meisten Gefangenen waren diesen Strapazen nicht gewachsen: 1 359 Internierte starben beim Bau der Eisenbahn. Das sind fast 70 Prozent der Zwangsarbeiter. Den Herero-Gefangenen wurde 1908 zum Geburtstag des Kaisers offiziell die Freiheit geschenkt. Die meisten gefangenen Herero mussten zu dieser Zeit jedoch bereits Zwangsarbeit auf Farmen leisten und erfuhren nichts von der Geste des deutschen Staatsoberhaupts.

Deutsche Proteste gegen Vernichtungskrieg

Nicht nur sozialdemokatische Reichstagsabgeordnete wie August Bebel, der grundsätzlich die deutsche Kolonialpolitik scharf kritisierte, wandten sich gegen v. Trothas Vernichtungskrieg. Bebel hatte schon in einer Rede im Reichstag am 9. Mai 1904 die deutsche Kolonialmacht für den Ausbruch des Herero-Aufstands verantwortlich gemacht und detailliert die vielfältigen Ursachen für das Aufbegehren in der Kolonie dargelegt. Auch in der Reichsregierung mehrte sich im Herbst 1904 die Kritik an der Kriegführung v. Trothas. So kritisierte Reichskanzler Bernhard Fürst von Bülow in einem Schreiben an Kaiser Wilhelm II. am 24. November 1904 die Ver¬nich¬tungsstrategie v. Trothas und erklärte: "Die Absicht des Generals von Trotha…, steht im Widerspruch mit den Prinzipien des Christentums und der Menschlichkeit" (11).

Es waren jedoch nicht nur humanitäre Überlegungen, die in Berlin Kritik am Vernichtungskrieg hervorriefen. Die deutsche Kolonialverwaltung sah die wirtschaftliche Entwicklung Deutsch-Südwestafrikas mit der Vernichtung einer bedeutenden afrikanischen Bevölkerungsgruppe gefährdet. Die Herero wurden als Arbeitskräfte zum Ausbau der Infrastruktur und auf den Farmen dringend benötigt. So kollidierte das militärische Ziel der möglichst effektiven und schnellen Niederschlagung des Aufstands mit wirtschaftlich-politischen Zielsetzungen der Kolonialverwaltung, die zur Förderung der Wirtschaft der Kolonie an billigen und schnell verfügbaren Arbeitskräften interessiert war.

Auch fürchteten militärische Kreise im Deutschen Reich, nach Britisch-Betschuanaland geflohene Herero-Führer wie Samuel Maharero könnten von dort aus einen zermürbenden Guerilla-Krieg gegen die deutsche Kolonialmacht beginnen. Ein neuer, aufwendiger Krieg, konnte ihrer Meinung nach nur verhindert werden, wenn den unterlegenen Herero die Gelegenheit gegeben werde, ihre Niederlage einzugestehen und sich der deutschen Herrschaft zu unterwerfen. Dem stand jedoch der Schießbefehl v. Trothas vom 2. Oktober 1904 entgegen, der den Herero nicht die Möglichkeit gab, sich zu ergeben und die Herrschaft des Deutschen Reiches anzuerkennen. So empfahl der Generalstab dem Kaiser, höhere Prämien für die Ergreifung der Führer des Herero-Aufstandes auszuloben und Herero, die sich ergeben, nicht hinrichten zu lassen. Kaiser Wilhelm II. folgte den Empfehlungen und v. Trotha meldete auch, am 9. Dezember 1904 eine neue Bekanntmachung an die Herero herausgegeben zu haben. Doch seinen Schießbefehl wollte er nicht aufheben und wandte ein, er wisse nicht, wie er die neue Proklamation unter den Herero bekannt machen könne (12). Auch lehnte er jede Verantwortung für die Annahme des Angebots der Kolonialmacht und für die Ansiedlung der Herero ab (13). Erst im Januar 1905 gab v. Trotha seinen Widerstand gegen die Aufhebung des Schießbefehls auf die Herero auf. Ein Umdenken hatten die neuen Anordnungen aus Berlin bei dem deutschen Kommandanten jedoch nicht bewirkt. Auch weiterhin hielt v. Trotha die Vernichtung der Herero für angemessen und lehnte das Angebot der Rheinischen Mission ab, zwischen Herero und der Kolonialmacht zu vermitteln und einen dauerhaften Frieden zu erreichen. Die aufständischen Herero konnten eine grundlegende Änderung der deutschen Politik auch nicht feststellen. Denn v. Trotha befolgte mit Rückendeckung des Generalstabschefs Schlieffen nur den Wortlaut der neuen Anordnungen des Kaisers und legte er das Gnadenangebot sehr eng aus.

Tragische Bilanz des Aufstandes

Rund 80.000 Herero lebten vor den Unruhen in Deutsch-Südwestafrika. Im Jahr 1911 werden in einer Volkszählung 15.130 Herero registriert (14). Hinzu kommen rund 3.000 Menschen, die durch ihre Flucht nach Britisch-Betschuanaland der Vernichtung entgingen. Somit sind mehr als drei Viertel der Herero-Bevölkerung bei der Niederschlagung des Aufstands getötet worden. Das Land und alles übrige Eigentum der Herero wurden beschlagnahmt, ihr Grundbesitz wurde zum Regierungsland erklärt. Mit der Enteignung des Landes brach eine neue Epoche in der Kolonisierung Südwestafrikas an. Dringend zur Ansiedlung von Deutschen benötigte landwirtschaftliche Flächen standen nun endlich zur Verfügung, ohne auf eine Verschuldung der Herero und eine Zwangsvollstreckung warten zu müssen. Immer mehr Farmen gingen in das Eigentum deutscher Siedler über. Waren es 1906 nur 44 Farmen, so wechselten 1907 schon 240 Farmen den Eigentümer.

Vernichtungskrieg war Völkermord

Bis heute streiten Historiker und Nachkommen deutscher Siedler oder Soldaten über die Frage, ob es sich bei dem Vernichtungskrieg v. Trothas um Völkermord handelt. Während die meisten Historiker von einem Genozid ausgehen, werden auch zum 100. Jahrestag der Vernichtung der Herero und Nama die Stimmen nicht leise, die jede Tötungsabsicht deutscher Soldaten leugnen und einen Völkermord verneinen. So veröffentlichte der in Südafrika lebende Publizist Claus Nordbruch erst im Dezember 2003 sein von der deutschen rechtsextremen "National Zeitung" gepriesenes Buch "Völkermord an den Herero in Deutsch-Südwestafrika? Widerlegung einer Lüge". Der Autor kommt darin zum Schluss, die deutsche Kolonialpolitik sei im Vergleich zu der anderer Kolonialmächte vorbildlich gewesen und Gräueltaten deutscher Soldaten habe es nicht gegeben. Er bezweifelt die Ernsthaftigkeit des Schießbefehls v. Trothas und bezeichnet die Lager für Zwangsarbeiter als "normale" Kriegsgefangenenlager. Der pathetische Wortlaut des Schießbefehls mache bereits deutlich, dass v. Trotha nur mit markigen Worten die Herero habe einschüchtern wollen, behauptet Nordbruch. Der Zusatzbefehl, über Frauen und Kinder hinweg zu schießen, spreche auch für den Abschreckungscharakter des Schießbefehls, der vom Generalstab schon nicht ernst gemeint sein könne, da er dem Ehrenkodex preußischer Offiziere widerspreche. Nordbruch wiederholt damit Thesen, die bereits früher von Gert Sudholt (15) und Gunther Spraul (16) vorgebracht wurden, um den Völkermord zu leugnen.

Der Schießbefehl und das Vorgehen v. Trothas in der Kolonie sind nur zu verstehen, wenn man mehr über seine Persönlichkeit weiß. Der 1848 als Sohn eines preußischen Offiziers geborene Adrian Dietrich Lothar von Trotha trat bereits 1865 in die Armee ein und diente sich bis 1888 zum Bataillonskommandanten hoch. Von 1894 bis 1897 wurde der Oberstleutnant in den Dienst des Auswärtigen Amtes versetzt und amtierte als Stellvertreter des Gouverneurs von Deutsch-Ostafrika und als Kommandeur der dortigen Schutztruppe. Im August 1900 wurde dem inzwischen zum Generalmajor beförderten v. Trotha das Kommando der 1. Ostasiatischen Infanteriebrigade übertragen, das den Boxeraufstand in China blutig niederschlug. Aus seiner Verachtung für die Aufständischen in Deutsch-Südwestafrika machte v.Trotha keinen Hehl. So erklärte er in einem Schreiben an Gouverneur Leutwein: "Ich kenne genügend Stämme in Afrika. Sie gleichen sich alle in dem Gedankengang, dass sie nur der Gewalt weichen. Diese Gewalt mit krassem Terrorismus und selbst mit Grausamkeit auszuüben, war und ist meine Politik. Ich vernichte die aufständischen Stämme mit Strömen von Blut und Strömen von Geld" (17). Auf Leutweins Bitte, das Volk der Herero zu erhalten, reagierte v. Trotha distanziert, er werde den Krieg "nach eigenem Ermessen" führen und verweigerte jede Zusage, die Herero zu schonen. Da v. Trotha ein sehr erfahrener Offizier war und bei Auslandseinsätzen bereits deutsche Truppen gegen Aufständische geführt hatte, mussten seine Ankündigungen sehr ernst genommen werden und durften nicht als Prahlerei oder Großmannssucht abgetan werden. Als er später wegen seiner Kriegführung kritisiert wurde, erklärte v. Trotha: "Ich kenne die Stämme Afrikas länger als irgendeiner der lebenden sogenannten Afrikaner, habe lange Zeit alleine mit ihnen gelebt, verhandelt und fast gar keine Kriege geführt, sie aber alle als das selbe treulose Gesindel kennengelernt, deren einziges Gesetz die Macht ist. Sie führen im Innern so lange untereinander Krieg, bis einer am Boden liegt. Dies musste auch hier einmal geschehen. Daß ein Krieg in Afrika sich nicht nur nach den Gesetzen der Genfer Konvention führen lässt, ist selbstverständlich" (18) (Anmerkung der Redaktion: Die Genfer Konvention setzt humanitäre Mindeststandards für den Umgang von Konfliktparteien in bewaffneten Auseinandersetzungen sowie für den Schutz der Zivilbevölkerung)

Der Generalleutnant wusste, was er tat, und er war auch tief davon überzeugt, das Richtige zu tun. Er war Sozialdarwinist und glaubte, dass nur der Stärkere überleben könne. In den Windhuker Nachrichten beschwor er die Thesen Darwins und erklärte, jede Regierung, die Land in Besitz nehme, müsse einmal das Herrenbewusstsein der Einwohner gewaltsam brechen (19). Von Trotha betrachtete die Rebellion als einen "Rassenkampf", der von den Deutschen nur zu gewinnen sei, wenn sie die Herero mit "roher Gewalt" bekämpften (20).

Für den Kommandanten der Deutschen Schutztruppe stand fest, dass der Stärkere die Auseinandersetzung zwischen kaiserlichen Soldaten und Herero für sich entscheiden werde. Der Generalleutnant hegte nicht den geringsten Zweifel daran, dass die Schutztruppe sich durchsetzen würde. Entweder würden sich die Herero bedingungslos den Deutschen unterwerfen oder sie müssten zerschlagen werden. Da die Aufständischen Widerstand leisteten, hielt v. Trotha ihre Vernichtung für angemessen. "Ich glaube, dass die (Anmerkung der Redaktion: Herero) Nation als solche vernichtet werden muß, oder, wenn dies durch taktische Schläge nicht möglich war, operativ und durch die weitere Detailbehandlung aus dem Land gewiesen wird", erklärte v. Trotha in einem Brief an den Chef des Generalstabs am 4. Oktober 1904 (21). Wie ernst es dem Kommandanten mit dem Schießbefehl war, macht auch sein massiver Widerstand gegen die von Kaiser Wilhelm II. angeordnete Aufhebung des Befehls deutlich. Gegenüber Generalstabschef Schlieffen begründete v. Trotha den Schießbefehl mit dem Willen, den Krieg möglichst schnell zu beenden, in dem er das Volk der Herero zerstöre (22).

Der Schießbefehl wurde auch von deutschen Soldaten nicht als leere Drohung gegenüber den Aufständischen empfunden. So berichtete der Missionar Kuhlmann von der Rheinischen Mission, Soldaten hätte ihm erzählt, ihnen sei befohlen worden, niemand gefangen zu nehmen (23).

Die deutschstämmige Direktorin des Namibischen Staatsarchivs, Brigitte Lau, verneint einen Völkermord unter Hinweis auf die Flucht von Herero durch die Omaheke-Wüste nach Britisch-Betschuanaland. Statt sich der deutschen Kolonialmacht zu unterwerfen, hätten die Herero in einem nationalen Exodus in der benachbarten britischen Kolonie Zuflucht gesucht. Dass bei der Flucht viele Menschen gestorben seien, könne nicht der Deutschen Schutztruppe angelastet werden, behauptet Lau. Diese These berücksichtigt jedoch nicht, dass immer wieder Herero versuchten, aus der Wüste zu entfliehen und den Sperrgürtel der Schutztruppe zu überwinden. Viele dieser Herero wurden bei ihrem letzten Aufbäumen gegen die Vernichtung getötet. Zwar sind einige Herero-Führer durch die Omaheke in die britische Kolonie geflohen. Doch sie wussten genau, dass die Wüste mit ihren wenigen Wasserstellen sich nicht für den Exodus eines ganzen Volkes eignete.

Zahlreiche afrikanische Augenzeugen berichten in dem jüngst veröffentlichten Britischen Blaubuch über die Gräueltaten deutscher Soldaten in Namibia (24). So schildert Jan Cloete aus Omaruru Gräueltaten kaiserlicher Soldaten, die er als Augenzeuge miterlebte, als er für die 4. Kompanie unter Hauptmann Richardt während der Schlacht am Waterberg als Führer arbeitete: "Ich war in Hamakari, als die Herero in der Schlacht besiegt wurden. Ohne Pardon wurden nach der Schlacht alle verwundeten oder unverletzten Männer, Frauen und Kinder, die in die Hand der Deutschen fielen, getötet. Die Deutschen verfolgten die Überlebenden, und alle Nachzügler am Straßenrand oder in den Feldern wurden niedergeschossen oder mit Bajonetten erstochen. Die große Mehrheit der Herero-Männer war unbewaffnet und konnte nicht kämpfen. Sie versuchten nur mit ihrem Vieh zu fliehen. Wir lagerten in einiger Entfernung von Hamakari an einem Wasserloch. Dort fand ein deutscher Soldat einen ungefähr neun Monate alten kleinen Jungen, der im Gestrüpp lag. Das Kind weinte. Er brachte es in das Lager, in dem ich war. Gleich umringten die anderen Soldaten das Baby und begannen, das Kind hin und her zu werfen, als ob es ein Ball wäre. Der Junge war außer sich vor Angst und weinte immer mehr. Nach einer Zeit fanden die Soldaten das Werfen langweilig und einer der Soldaten machte sein Bajonett auf das Gewehr, um das Baby aufzuspießen, wie er erklärte. Das Kind wurde zu ihm in die Luft geworfen und das Bajonett durchdrang seinen Körper. In wenigen Minuten starb das Kind unter dem Gelächter der Deutschen, die anscheinend das Ganze für einen großen Witz hielten. Ich fühlte wie mir schlecht wurde und wandte mich angewidert ab, obwohl ich wusste, dass sie Befehle bekommen hatten, alle zu töten, hatte ich gedacht gehabt, dass sie zumindest mit dem Kind Mitleid hätten." (25)

Das Zitat ist eine von vielen erschütternden Aussagen von afrikanischen Zeitzeugen des Vernichtungsfeldzuges, die in dem 1918 von Großbritannien veröffentlichten Blaubuch über die deutsche Kolonialzeit zusammengetragen wurden. Das 212 Seiten umfassende Buch war von deutscher Seite als typisches Beispiel britischer Kriegspropaganda abgewertet worden, ist jedoch aufgrund dieser Zeugenaussagen von großer Bedeutung. Großbritannien hatte alle Exemplare des umstrittenen Buches 1926 vernichtet, um Deutschlands internationalen Ruf nicht länger zu beeinträchtigen. Auch fanden die Briten, dass das Buch insgesamt dem Ansehen der Europäer in der Welt schade. Nur einige Exemplare des Blaubuches entgingen der Vernichtung. Vor einigen Monaten wurde diese einmalige Dokumentation des Völkermordes an den Herero und Nama in den Niederlanden wieder aufgelegt und neu gedruckt.

Die Glaubwürdigkeit der im Blaubuch enthaltenen Berichte wird auch nicht dadurch beeinträchtigt, dass Großbritannien mit der Veröffentlichung des Buches im August 1918 auch eigene politische Ziele verfolgte und viele Einschätzungen deutscher Politik in dem Buch von der Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg geprägt sind. Deutsche Missionare berichten ebenfalls von Übergriffen deutscher Soldaten. Der Inspektor der Rheinischen Mission Spiecker beklagte das "Hinmorden der Hereros" und erklärte: "So lange man alle niederschießt und die Gefangenen nicht recht gut behandelt, kann man nicht erwarten, dass die Herero ihre Feindseligkeiten einstellen" (26). Was die von Nordbruch und anderen Autoren immer wieder betonte Ehre der deutschen Soldaten anging, so war diese in den Augen vieler Soldaten durch die Hinrichtungen von Herero-Kämpfern nicht beeinträchtigt. Denn mit solchen Aufgaben wurden vorzugsweise die Hilfstruppen der Nama und anderer afrikanischer Bevölkerungsgruppen betraut.

So besteht kein Zweifel, dass v. Trotha beabsichtigte, die Herero zu vernichten. Dies muss sich die Regierung des Kaiserreiches auch zurechnen lassen, da sie v. Trotha mit quasi diktatorischen Vollmachten ausgestattet und ihm freie Hand bei der Niederschlagung des Aufstands eingeräumt hatte. Entscheidend war für Berlin nur, dass die Rebellion möglichst bald beendet werden sollte. Von Trotha wurden dazu großzügig Finanzmittel und Soldaten zur Verfügung gestellt. Für Details seiner Kriegführung interessierte man sich in Berlin lange nicht, wusste aber sehr wohl von seinen Vernichtungsplänen. So erklärte der Chef des Generalstabs gegenüber Reichskanzler von Bülow am 23. November 1904: "Daß er die ganze Nation vernichten oder aus dem Lande treiben will, darin kann man ihm beistimmen. Ein Zusammenleben der Schwarzen mit den Weißen wird nach dem, was vorangegangen ist, sehr schwierig sein, wenn nicht erstere dauernd in einer Art von Sklaverei erhalten werden. Der entbrannte Rassenkampf ist nur durch Vernichtung oder vollständige Knechtung der einen Partei abzuschließen….Die Absicht des Generals v. Trotha kann daher gebilligt werden (27). Dass der Schießbefehl am 9. Dezember 1904 modifiziert wird, um eine Begnadigung von einfachen Herero-Kämpfern zu ermöglichen, kann auch nicht als grundsätzlicher Sinneswandel angesehen werden, der die weitere Vernichtung der Herero stoppen sollte. Denn Berlin kümmerte sich monatelang nicht darum, ob v. Trotha die neuen Anordnungen auch befolgte und änderte vor allem in keiner Weise seine brutale Internierungspolitik. Trotz zahlloser Appelle von Missionaren und Berichten der Kolonialverwaltung über die katastrophale gesundheitliche Lage der internierten Herero, verbesserte Berlin nicht die medizinische Versorgung der Gefangenen, stoppte auch nicht die Zwangsarbeit oder löste die Internierungslager auf. In diesen Konzentrationslagern wurde der Völkermord fortgesetzt, der mit der Abriegelung der Omaheke-Wüste und dem Schießbefehl begonnen hatte.

Auch die Nama begehren auf

Während der Aufstand der Herero mit ihrer vernichtenden Niederlage in der Schlacht am Waterberg und den nachfolgenden Gemetzeln in der Omaheke zusammenbrach, erhoben sich die Nama im Süden der Kolonie. Am 6. Oktober 1904 griffen Hendrik Witboois Gefolgsleute die Station Kuis am Fischfluß an. Wieder einmal war die Deutsche Schutztruppe überrascht. Nach zehn Jahren der Kollaboration mit der deutschen Kolonialverwaltung wandte sich der Nama-Führer Hendrik Witbooi im Oktober 1904 erneut gegen die deutsche Kolonialherrschaft. Witbooi hatte sich in den vergangenen zehn Jahren nicht verstellt, aber unter dem Eindruck immer neuer bedrohlich erscheinender Nachrichten schien dem Nama-Führer nur noch der Griff zu den Waffen sinnvoll.

Noch wenige Monate zuvor hatte er Appelle der Herero-Kämpfer für ein gemeinsames Vorgehen gegen die Kolonialherren ignoriert. Doch nun musste Witbooi nicht nur um die ihm verbliebene geringe politische Unabhängigkeit fürchten, sondern auch um sein Überleben. Gerüchten zufolge sollte die traditionelle Führungsstruktur der afrikanischen Bevölkerungsgruppen abgeschafft werden. Nichts Gutes verhießen auch die Berichte von 19 nach der Schlacht am Waterberg aus den Diensten der Schutztruppe desertierten Nama über den Vernichtungskrieg gegen die Herero. Immer deutlicher wurde den Nama, dass sie ein ähnliches Schicksal ereilen könnte. Unter den deutschen Siedlern wurde offen darüber gesprochen, dass nach den Herero nun auch die Nama ihr Land verlieren und entwaffnet werden müssten. Schon Gouverneur Leutwein hatte in einem Bericht an das Reichskolonialamt die Entwaffnung aller Nama angeregt und vorgeschlagen, die verschiedenen Nama-Gruppen gegeneinander auszuspielen: "Je nach Individualität der Kapitäne (Anmerkung der Redaktion: der Führer der einzelnen Nama-Gruppen) und ihrer Stammesmitglieder muß verschieden verfahren werden, soll ein allgemeiner Hottentottenaufstand verhindert werden ….Es muß daher versucht werden, einen Stamm gegen den anderen auszuspielen, was mit Hilfe der Kosten, welche wir bei Vermeidung eines allgemeinen Hottentottenaufstandes sparen, wohl gelingen dürfte…." (28).

Die Unzufriedenheit unter den Nama hatte in den vorangegangenen Monaten stark zugenommen. Zehn Jahre Schutz- und Freundschaftsvertrag mit der Kolonialmacht hatten sich nicht ausgezahlt. Die Siedler ignorierten oft die Bestimmungen des Schutzvertrages, insbesondere respektierten sie nicht die Kultur und Traditionen der Nama. Übergriffe auf Nama-Frauen und -Mädchen wurden kaum geahndet, vor Gericht wurde Nama meist Gerechtigkeit verweigert. Wirtschaftlich hatte sich ihre Lage drastisch verschlechtert. So hatten sie sich in dem Vertragswerk 1894 verpflichtet, keine benachbarten Völker mehr zu überfallen oder ihr Vieh zu rauben. Deshalb verarmten die Nama immer mehr. Noch drastischer wirkte sich der fortschreitende Landverlust aus. Ihre Schulden gegenüber deutschen Händlern konnten die Nama nur mit Landverkäufen begleichen. Von den 20.000 Quadratkilometern, die ihnen 1894 von der Kolonialverwaltung zugestanden worden waren, verkauften sie das beste Ackerland innerhalb weniger Jahre. Bereits 1902 hatten sie fünfzig Farmen mit einer Größe von jeweils rund 15.000 Hektar aufgrund ihrer hohen Verschuldung veräußern müssen (29).

Die meisten Nama-Gruppen schlossen sich dem Aufruf Hendrik Witboois zur Rebellion gegen die deutsche Kolonialherrschaft an. Innerhalb weniger Tage überfielen Nama im Oktober 1904 die Farmen deutscher Siedler und Polizeistationen. Die Männer töteten sie, Frauen und Kindern boten sie jedoch freies Geleit bis zu Posten der Deutschen Schutztruppe an. Den rund 2.000 bewaffneten Nama standen anfangs nur wenige kaiserliche Soldaten gegenüber, da die meisten deutschen Verbände rund um die Omaheke-Wüste im Zentrum der Kolonie gegen die Herero vorgingen. Nach der Niederlage der Herero waren die Nama Ende des Jahres 1905 mit einer Truppenstärke von rund 14.000 deutschen Soldaten konfrontiert. Angesichts der Übermacht der Kolonialtruppen vermieden die Nama jede offene Schlacht und gingen zu einer Guerilla-Kriegführung über. Fünf Jahre dauerte die Rebellion der Nama an. Sie endete erst im Februar 1909, als in die britische Kap-Provinz geflohene Aufständische an die Deutschen Kolonialbehörden ausgeliefert und in Südwestafrika zum Tode verurteilt wurden.

Schwere Verluste für Schutztruppe und Nama

Der Aufstand der Nama war für die Deutsche Kolonialmacht viel verlustreicher als die Rebellion der Herero. Rund 1.500 der 14.000 eingesetzten kaiserlichen Soldaten kamen zu Tode. Viele starben nicht in Kämpfen, sondern fielen Krankheiten und den extremen Witterungsbedingungen zum Opfer (30).

Noch dramatischer waren die Verluste unter den Nama. Rund 10.000 der 20.000 Nama waren bei der blutigen Niederschlagung der Rebellion sowie in Gefangenenlagern gestorben. Damit hatte sich innerhalb von fünf Jahren die Bevölkerungszahl der Nama halbiert. Allein in dem berüchtigten Internierungslager auf der Haifisch-Insel starben mindestens 1.203 Nama. Die geschwächten und schlecht ernährten Deportierten ertrugen Nässe, Kälte und körperlich anstrengende Zwangsarbeit nicht. In manchen Monaten starben durchschnittlich acht Internierte pro Tag. Obwohl die deutsche Kolonialverwaltung bereits spätestens seit Frühjahr 1905 von den katastrophalen Zuständen in dem Konzentrationslager in der Lüderitzbucht wusste, wurden nach den Herero auch 2.000 Nama auf die Insel deportiert. Vergeblich setzten sich Missionare der Rheinischen Mission für einen menschenwürdigen Umgang mit den Deportierten ein und verlangten deren Verlegung auf das Festland. Auch nach Hilferufen des Oberkommandierenden der Wachmannschaft, Oberstleutnant v. Estorff, verhindern der stellvertretende Gouverneur Hintrager und der Kommandant Oberst v. Deimling mit immer neuen Einwänden die dringend notwendige Verlegung des Gefangenenlagers. Erst als der Kommandant abgelöst wird, kann sein Nachfolger v. Estorf im April 1907 die Überlebenden von der Tod bringenden Insel evakuieren. Doch auch in den vier übrigen Gefangenenlagern auf dem Festland gehörte der Tod zum Alltag der Internierten. So starben im Lager Swakopmund zwischen Februar und April 1905 mindestens 179 Menschen (31). Regelmäßig wurden die Gefangenen Farmern und Unternehmen gegen Gebühren zur Zwangsarbeit ausgeliehen.

Im November 1904 wurden 119 Nama – unter ihnen vor allem Soldaten, die in der Deutschen Schutztruppe gedient hatten – nach Togo deportiert. Schon nach kurzer Zeit erkrankten viele aufgrund der ungewohnten Witterungsbedingungen. Nachdem auch ein Weitertransport in die deutsche Kolonie Kamerun weitere Menschenleben forderte, durften die überlebenden 42 Nama im Juni 1906 nach Südwestafrika zurückkehren. Im Juni 1910 wurden 93 weitere Nama nach Kamerun deportiert, unter ihnen auch 40 Frauen und 27 Kinder. Die Deportation endete in einem Debakel: 55 Menschen starben. Erst als die Rheinische Mission Reichstagsabgeordnete um Hilfe für die Deportierten bat, durften die Überlebenden im Oktober 1913 zurückkehren.

Die Nama verloren nicht nur die Hälfte ihrer Bevölkerung, sondern auch ihre Rechte. So wurden im August 1907 "Eingeborenenverordnungen" erlassen, die den Nama untersagten, Land zu kaufen und die ihnen den Status von Sklaven gaben. So wurden ihre traditionellen Führungsstrukturen abgeschafft und dafür deutsche Kommissare eingesetzt, die quasi die Vormundschaft über jeden Nama übernahmen. Das Verbot von Mischehen, die Passpflicht und die "Verordnungen über Dienst- und Arbeitsverhältnisse" führten de facto zu einem der Sklaverei ähnlichen Status der Nama und Herero. Da sie sowohl ihr Vieh, als auch ihr Land verloren hatten, mussten die Afrikaner sich in Farmen als Zwangsarbeiter verdingen.

Ende der Kolonialherrschaft bringt keine Besserung

Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs versuchte Großbritannien sich die Diamantenminen in der Lüderitzbucht zu sichern und Deutsch-Südwestafrika in sein südafrikanisches Kolonialreich einzugliedern. Am 9. Juli 1915 ergaben sich die deutschen Truppen und Deutsch-Südwestafrika ging in die Hände Südafrikas über. Der Völkerbund übertrug Südafrika offiziell am 17.12.1920 die Verwaltung der ehemaligen deutschen Kolonie. Die Herero und Nama blieben weitestgehend rechtlos. Vergeblich hatten sie auf eine Rückgabe ihres geraubten Landes gehofft. Südafrika machte unmissverständlich deutlich, dass es nicht an eine Verbesserung der Lage der schwarzafrikanischen Bevölkerung dachte. Als die Bondelszwarts-Nama sich 1922 nach einem Streit um eine Hundesteuer erhoben, ließ Südafrika die Zivilbevölkerung aus Kampfflugzeugen bombardieren. Auch gegen die Herero wurden Militärflugzeuge zur Einschüchterung eingesetzt. "Wir dachten, wir würden frei sein", erklärte eine Herero-Delegation in einem Memorandum, das sie der südafrikanischen Eingeborenenverwaltung am 28. September 1925 übergab. In dem Schriftstück drückten sie ihre Enttäuschung über ihre anhaltende Rechtlosigkeit und Marginalisierung aus.

100 Jahre Völkermord an Herero und Nama – Was geht uns das an?

Hundert Jahre nach dem Völkermord an den Herero und Nama ist die Bundesrepublik Deutschland nicht bereit, sich offiziell bei den Nachkommen der Opfer zu entschuldigen. In Namibia wird so eine Chance vertan, zur Versöhnung zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen beizutragen. Denn gerade die jüngste deutsche Geschichte zeigt, dass Gewaltherrschaft und schwerste Menschenrechtsverletzungen nicht tabuisiert werden sollten. Nur wenn eine breitere Öffentlichkeit von allen dunklen Kapiteln deutscher und europäischer Geschichte erfährt, kann daraus für die Zukunft gelernt werden und können Wunden verheilen. In ihren Reden zum Holocaust an der jüdischen Bevölkerung betonen dies auch seit Jahren deutsche Politiker.

Für einen in Afrika begangenen Völkermord in deutschem Namen sollte nichts anderes gelten. Zumal in der ehemaligen deutschen Kolonie eine deutsche Minderheit lebt, deren Integration in das moderne Namibia erleichtert würde, wenn sie sich engagierter mit dem Genozid auseinandersetzen und sich noch mehr bemühen würde, die bis heute spürbaren Spätfolgen des Völkermords zu bewältigen. Bis heute warten Herero und Nama sowie andere besonders benachteiligte Bevölkerungsgruppen auf die Rückgabe eines angemessenen Teiles ihres geraubten Landes. Mit Blick auf die jüngste Vertreibung von Farmern im benachbarten Zimbabwe wird deutlich, wie brisant heute die ungelöste Landfrage im südlichen Afrika ist. Auch in Namibia droht eine Radikalisierung der Landreform-Bewegung. Da der junge Staat Schwerpunktland deutscher Entwicklungshilfe ist und viele Deutsche dort leben oder intensive Beziehungen zu Namibia unterhalten, wünscht niemand gewaltsame Auseinandersetzungen in der Landfrage. Mit ihrem Schweigen zum Völkermord hat die deutsche Bundesregierung eine Chance vertan, den Landreform-Prozess in Namibia zu fördern.

Während andere europäische Kolonialmächte begonnen haben, sich kritisch mit ihrer Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen in Afrika auseinanderzusetzen, besteht in Deutschland noch einiger Nachholbedarf. Wenn in Schulbüchern die Vernichtung der Herero und Nama entweder überhaupt nicht erwähnt wird oder von den "Hottentotten-Kriegen" die Rede ist, dann zeigt dies, wie wenig die breite Öffentlichkeit sich mit der deutschen Kolonialgeschichte beschäftigt hat. Die Auseinandersetzung mit diesem Thema sollte nicht Historikern vorbehalten bleiben, da die Kolonialgeschichte Bestandteil der jüngeren Geschichte Deutschlands ist. Auch ist sie ein wichtiges Element, um ein realistisches Verständnis von anderen Völkern und Kulturen zu bekommen. Herero und Nama lehnten sich nicht aus "Blutgier" – wie es in zeitgenössischer Literatur oft dargestellt wird - gegen die deutsche Herrschaft auf, sondern kämpften um ihr Überleben. Jeder Konflikt hat seine Hintergründe. Auch die vielen Krisenherde in Afrika, über die tagtäglich in unseren Medien berichtet wird. Wer ein realistisches Afrika-Bild vermitteln möchte, sollte auch eine breitere Öffentlichkeit über diese Hintergründe informieren.

Berlin tut sich schwer mit der Herero-Frage

Wenige Monate bevor Namibia im März 1990 ein unabhängiger Staat wurde, bekräftigte der Deutsche Bundestag in einem Beschluss vom 15. März 1989 die "besondere Verantwortung Deutschlands" für die ehemalige Kolonie. Die Parlamentarier sprachen sich darin für eine finanzielle Förderung des Unabhängigkeitsprozesses, für eine Verwirklichung der Menschenrechte und für rechtsstaatlich-demokratische Verhältnisse aus und appellierten an die in Namibia lebenden Deutschen, den Unabhängigkeitsprozess aktiv mitzugestalten. Das Schicksal der Herero und Nama fand keine besondere Erwähnung.

Bundeskanzler Helmut Kohl besuchte im September 1995 Namibia. Während er einen Empfang für die deutsche Minderheit gab, hat er mit den Herero nicht einmal gesprochen. Ihre Forderungen nach Wiedergutmachung ignorierte er. Mehr als 200 Nachkommen der Opfer des Völkermordes demonstrierten damals vor der Deutschen Botschaft in Windhuk und übergaben eine an den Bundeskanzler gerichtete Petition. Ihr bedeutendster Führer, Paramount Chief Kuaima Riruako, kritisierte auch die namibische Regierung, weil sie sich nicht für ein Treffen zwischen dem Staatsgast und den Herero eingesetzt habe (32).

Auch Bundespräsident Roman Herzog sorgte sich beim ersten Besuch eines deutschen Staatsoberhauptes im unabhängigen Namibia im März 1998 mehr um das Schicksal der deutschen Minderheit als um den Völkermord. Zuvor hatte er bei seiner Ankunft Wiedergutmachungsforderungen der Herero abgelehnt. Der Konflikt zwischen der Deutschen Kolonialverwaltung und den Herero sei ein besonders düsteres Kapitel in den bilateralen Beziehungen, erklärte Herzog (33). "Wir sind uns natürlich bewusst, dass die Auseinandersetzung zwischen der deutschen Kolonialverwaltung und den Hereros nicht in Ordnung war", erklärte der Bundespräsident (34). Ungeachtet der moralischen Verantwortung jedes Deutschen für die Geschichte seines Landes, bestünden jedoch keine juristischen Ansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland, da Völkerrechtsbestimmungen zum Schutz der Zivilbevölkerung und der Aufständischen erst nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt worden seien.

Roman Herzog empfing bei seinem Besuch in Namibia den Herero-Führer Kuaima Riruako sowie eine von sechs Königen vertretene Gruppe der Herero-Mbanderu zu einem kurzen Gespräch. Während die Herero-Mbanderu heute nur eine Entschuldigung und eine Anerkennung des Grundsatzes von Entschädigung fordern, hat Riruakos Hosea Kutako-Stiftung Schadensersatzklagen gegen die Bundesrepublik Deutschland und deutsche Unternehmen einreichen lassen. Die Gemetzel in der Omaheke-Wüste und in den Herero-Werften als "nicht in Ordnung" zu bezeichnen, ist selbst in diplomatischen Kreisen eine Untertreibung, die eines Genozids nicht angemessen ist. Bei den Herero und Nama löste die Äußerung auch nur Verständnislosigkeit aus. Der Bundespräsident lehnte es jedoch ab, sich förmlich für das Unrecht zu entschuldigen, da es von einer anderen Generation begangen worden sei (35). Doch mit der Gnade der "späten Geburt" sollte bei Völkermord nicht argumentiert werden.

Fragwürdig ist auch die juristische Argumentation Herzogs, die im übrigen der Darstellung des Auswärtigen Amtes entspricht. Denn als der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages eine an das Parlament gerichteten Petition zur Herero-Frage der Namibia-Expertin der GfbV, Susanne Hagemann, an das Gremium überweist, beruft er sich am 7. Dezember 2000 auf eine ähnlich formulierte Stellungnahme des Auswärtigen Amtes: " Ein völkerrechtlicher Anspruch der Hereros und Namas gegen die Bundesrepublik Deutschland auf finanzielle Wiedergutmachung könne allerdings nicht anerkannt werden. Völkerrechtliche Normen zum Schutz von Aufständischen und der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten seien erst in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt worden. Ebenso sei der Begriff des Völkermordes erst später geprägt und in der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. Dezember 1948 völkerrechtlich definiert worden."

Zwar wurde die juristische Ahndung des Völkermordes erst nach Inkrafttreten der Völkermord-Konvention vom 9. Dezember 1948 möglich, doch heißt es in der Präambel der Konvention: "In Anerkennung der Tatsache, dass der Völkermord der Menschheit in allen Zeiten der Geschichte große Verluste zugefügt hat, …sind die Vertragschließenden Parteien hiermit wie folgt übereingekommen:…" Auch wenn Völkermord erst seit 1948 juristisch geahndet wird, so bedeutet dies nicht, dass es ihn zuvor nicht gegeben hat. Das schrecklichste Beispiel dafür ist der wenige Jahre zuvor verübte Holocaust, der Völkermord an der jüdischen Bevölkerung sowie an den Sinti und Roma. Auch dieser Holocaust fand zu einer Zeit statt, in der es nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes Völkermord noch nicht gab. Kein angesehener deutscher Politiker bestreitet den Holocaust heute, obwohl die Völkermord-Konvention erst später in Kraft trat. Doch laut einem Bericht aus dem Göttinger Tageblatt vom 5. Januar 2004 hat Deutschland nach Angaben des Jewish Claims Conference mehr als 100 Milliarden Dollar an Entschädigung an die Überlebenden des Holocaust und ihre Nachfahren gezahlt. Gedenkstätten für die Opfer dieser nationalsozialistischen Gewaltverbrechen sind in Berlin im Bau. Dies soll hier auch nicht in Frage gestellt werden. Diese deutsche Politik hat Zeichen gesetzt, so dass immer mehr europäische Nachbarstaaten auch Kriegsverbrechen der eigenen Länder bedauern. Es ist nur überraschend, mit welcher Leichtigkeit das Auswärtige Amt gleichzeitig die Wiedergutmachungs-Forderungen aus Afrika unter Hinweis auf das Völkerrecht vom Tisch wischt. Liegt es daran, dass Herero und Nama in Deutschland kaum eine Lobby haben? Wenn in deutschem Namen Unrecht verübt wurde, so sollte nicht mit zweierlei Maß gemessen werden.

Kein Kurswechsel unter rot-grüner Bundesregierung

Auch unter der neuen Bundesregierung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gab es kein grundsätzliches Umdenken in der Herero-Frage. So wandte sich die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) gemeinsam mit dem Herero-Führer Kuaima Riruako am 4. Oktober 2000 an den Bundestag und appellierte an die Parlamentarier, sich für eine offizielle Entschuldigung Deutschlands für den Völkermord einzusetzen.

Vor der Weltrassismus-Konferenz in Durban im September 2001 wiederholte die GfbV nochmals Ihren Appell an den Deutschen Bundestag und an Außenminister Joschka Fischer, Deutschland solle sich offiziell für den Genozid entschuldigen. Außenminister Fischer ging in seiner Rede auf der Konferenz am 1. September 2001 nur sehr allgemein auf die Verantwortung Deutschlands für in der Kolonialzeit begangene Verbrechen ein, als er im Zusammenhang mit der "Ausbeutung Afrikas durch den Kolonialismus" erklärte: "Vergangenes Unrecht lässt sich nicht ungeschehen machen. Aber Schuld anzuerkennen, Verantwortung zu übernehmen und sich seiner historischen Verpflichtung zu stellen, kann den Opfern und ihren Nachkommen zumindest die ihnen geraubte Würde zurückgeben. Ich möchte dies deshalb hier und heute für die Bundesrepublik Deutschland tun."(36) Mit dieser Erklärung des Bedauerns habe sich der Außenminister jedoch nicht offiziell entschuldigen wollen, betont das Auswärtige Amt. Das Forum Menschenrechte, ein Zusammenschluss deutscher Menschenrechtsorganisationen, forderte daraufhin in einem Gespräch mit dem Minister am 5. Oktober 2001" entsprechende Konsequenzen für die deutsche Namibiapolitik" (37). Jochen Motte von der Vereinten Evangelischen Mission appellierte für das Forum Menschenrechte an den Minister, "die historische Mitverantwortung der Deutschen für die ungleiche Verteilung von privatem Land in Namibia anzuerkennen und die dort notwendige Landreform aktiv mit zu unterstützen". Auch solle "Deutschland die historische Verantwortung für die Verbrechen gegenüber dem Volk der Herero (Völkermord 1904) eingestehen", forderte das Forum Menschenrechte. Die GfbV wandte sich erneut am 1.Oktober 2001 an den Minister und rief ihn nochmals dazu auf, den Genozid auch als Völkermord beim Namen zu nennen.

Der Außenminister hat dies bis heute nicht getan. Auch nicht bei seinem eintägigen Blitzbesuch in Namibia am 29.Oktober 2003. Auf der Durchreise in das wirtschaftlich interessantere Südafrika machte der Minister kurz in Windhuk Station. Fischer selbst schnitt die Herero-Frage nicht an, auf Nachfrage von Journalisten lehnte er eine formelle Entschuldigung für die Niederschlagung des Aufstands ab. "Wir sind uns unserer geschichtlichen Verantwortung in jeder Hinsicht be¬wusst, sind aber auch keine Geiseln der Geschichte. Deshalb wird es eine entschädigungsrelevante Entschuldigung nicht geben", erklärte Fischer (38). Vergeblich hatte sich die GfbV am 27. Oktober 2003 nochmals an den Minister gewandt und um eine deutliche Stellungnahme zum Völkermord an Herero und Nama während seiner Namibia-Reise gebeten.

Auch andere Vertreter der Bundesregierung äußerten sich in den letzten Jahren in ähnlicher Weise. Die damalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin zeigte sich bei ihrem Besuch in Namibia im Februar 2002 darüber "verwundert", dass Herero in den USA einen Schadenersatz¬prozess gegen Deutschland angestrengt hätten. Die Anrufung eines US-Gerichts erstaune sie vor allem deshalb, weil dadurch eine "dritte Partei" eingeschaltet worden sei, obwohl das Verhältnis zwischen der deutschen und namibischen Regierung ein sehr "enges und direktes" sei, erklärte die Ministerin (39). Offenkundig hatte sich die Justizministerin sehr wenig mit der Entschädigungsfrage beschäftigt, da ihr die innenpolitische Brisanz des Themas in Namibia entgangen war. So wusste sie nicht, dass die namibische Regierung nicht nur aus Sorge um deutsche Entwicklungshilfegelder die Schadensersatzforderungen der Herero nicht unterstützt, sondern sich auch mit dieser Frage schwer tut, weil die Herero nicht zu ihrer Wählerklientel zählen, sondern seit längerem den Oppositionsparteien nahe stehen.

Für Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, der immer wieder die Bedeutung des Holocausts hervorhebt, war die Vernichtung der Herero und Nama bei seinem dreitägigen Namibia-Besuch im April 2003 kein Thema (40).

Die Afrika-Beauftragte der Bundesregierung und Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Uschi Eid, lehnte bei einem Besuch im April 2003 sowohl die Zahlung von Reparationen an die Herero ab als auch Finanzhilfen für diese Bevölkerungsgruppe beim Aufkauf von Farmland. "Die Herero waren nicht die einzige Volksgruppe in Namibia, die unter der deutschen Fremdherrschaft gelitten haben", erklärte Eid (41). Aus diesem Grunde wäre es nicht korrekt, wenn die deutsche Regierung die Herero für eine Wiedergutmachung "aussondern" würde. Alle Volksgruppen Namibias sollten gleichermaßen von der Entwicklungshilfe Deutschlands profitieren, betonte die Staatssekretärin. Das Auswärtige Amt behauptet hingegen in allen Erklärungen zur Herero-Frage, die Herero würden in der deutschen Entwicklungshilfe mit Projekten besonders gefördert. Dies scheint der Parlamentarischen Staatssekretärin im dafür zuständigen BMZ nicht nur unbekannt zu sein, sondern der Grundsatz einer Hervorhebung der Herero wird von ihr auch ausdrücklich abgelehnt. Ihre Einschätzung der Folgen der deutschen Kolonialherrschaft für die verschiedenen Bevölkerungsgruppen Namibias kann allerdings nur verwundern. Nicht die heute maßgeblich in Windhuk regierenden Ovambo, sondern die Herero und Nama hatten die meisten Opfer zu beklagen. Darin sind sich Historiker heute einig. Eine andere Frage ist es, ob es Sinn macht einzelne Bevölkerungsgruppen heute bei Entwicklungshilfeprojekten zu bevorzugen und welche Folgen dies für das Zusammenleben im heutigen Namibia haben könnte. Insbesondere die Kirchen fürchten, dass eine Bevorzugung einzelner Gruppen zu neuen Spannungen in Namibia führen könnte. Doch unbestritten ist, dass den am meisten benachteiligten Bevölkerungsgruppen besondere Hilfe zuteil werden muss. Dies entspricht auch dem Regierungsprogramm der seit der Unabhängigkeit regierenden South West African People’s Organization (SWAPO). Die Herero und Nama zählen mit den San (Buschleuten) zu den besonders benachteiligten Bevölkerungsgruppen.

Appell an Parlamentarier findet keine Unterstützung

Ein Jahr vor dem 100. Jahrestag des Völkermordes an Herero und Nama wandte sich die GfbV am 10. Januar 2003 an Außenminister Fischer und am 14. Januar 2003 an alle Parlamentarier des Deutschen Bundestages mit der Bitte, das Jahr zu nutzen, um ein würdiges Begehen des Jahrestages im Jahr 2004 zu ermöglichen. Die Parlamentarier bat die Menschenrechtsorganisation, einen Appell der GfbV an die Bundesregierung zu unterstützen, sich offiziell für das begangene Unrecht zu entschuldigen und sich zu der besonderen Verantwortung Deutschlands für die Hinterbliebenen zu bekennen. Nur zwei Abgeordnete von Bündnis 90 / Die Grünen, Cornelia Behm und Hans-Christian Ströbele, unterzeichneten den Appell. Andere Abgeordnete ließen über ihre zuständigen Sprecher mitteilen, dass sie die Haltung der Bundesregierung unterstützten. Eine traurige Haltung, die deutlich macht, wie wenig die Öffentlichkeit in Deutschland über den Völkermord an Herero und Nama weiß und wie gering die Unterstützung für eine Aufarbeitung dieses düsteren Kapitels deutscher Kolonialvergangenheit bislang ist.

Kirchen stellen sich der Verantwortung

Anders als die deutsche Bundesregierung stellt sich die historisch mit Namibia seit langem verbundene Rheinische Landeskirche und die Vereinte Evangelische Mission ihrer Verantwortung für das Unrecht in der früheren deutschen Kolonie. Ihre Vorgängerinstitution, die Rheinische Missionsgesellschaft, war an der Kolonisierung Namibias maßgeblich beteiligt. Bereits 1842 kamen mit Hahn und Kleinschmidt ihre ersten Missionare in das Land. Schon 1868 forderten sie erstmals die preußische Regierung auf, Südwestafrika unter deutschen Schutz zu stellen. Doch in Berlin war man zu dieser Zeit an Kolonien nicht interessiert. Auch als die Missionsgesellschaft diese Forderung 1880 erneut erhob, war das Deutsche Reich nicht bereit, Südwestafrika zur Kolonie zu erklären. Erst als der Bremer Kaufmann Lüderitz drängte und die kolonialpolitische Bewegung im Deutschen Reich stärker wurde – der damalige Missionsinspektor Fabri war einer ihrer treibenden Kräfte – stellte das Deutsche Reich die Erwerbungen von Lüderitz in Südwestafrika im April 1884 unter seinen Schutz. Die Rheinische Missionsgesellschaft hatte nicht nur für den Beginn der deutschen Kolonialherrschaft in Berlin geworben, sie war in den folgenden drei Jahrzehnten auch festes Element der Kolonialpolitik. Sie betrieb die Missionierung der "Eingeborenen" und beriet die deutsche Kolonialverwaltung in allen Fragen der Kolonisierung.

Doch so sehr die Rheinische Missionsgesellschaft auch in die Kolonisierung Namibias verstrickt war, so waren es ihre Missionare, die zuerst und sehr entschieden gegen eine Vernichtung der Herero und Nama protestierten. Immer wieder wurden sie bei der Kolonialverwaltung und in Berlin vorstellig, um gegen v. Trothas Vernichtungsstrategie zu protestieren. Sie informierten über die Hintergründe der Aufstände der Herero und Nama und warben um Verständnis für ihre Notsituation. Mit ihrem Plädoyer gegen v. Trothas totalen Krieg machten sie sich auch viele Feinde im Deutschen Reich und unter deutschen Siedlern. Innerhalb weniger Jahrzehnte hatte sich ihre Stellung grundlegend verändert: Vom Motor der Kolonisierung Südwestafrikas waren sie zum Mahner der Menschenrechte für besonders benachteiligte Bevölkerungsgruppen geworden. Als Namibia ein unabhängiger Staat wurde, bekannten sich die Vereinte Evangelische Mission und ihre deutschen Mitgliedskirchen in einer Erklärung zu ihrer Mitschuld an Kolonialismus, Rassismus und Apartheid in Namibia.

Rheinische Partnerkirchenkreise der Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Republik Namibia haben einen gemeinsamen Antrag zum Genozid vor 100 Jahren für die kommende Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland vorbereitet. Am 30. Januar 2004 werden sie mit einem Gedenkgottesdienst und Veranstaltungen unter dem Titel "100 Jahre Beginn des antikolonialen Befreiungskrieges in Namibia – An Verbrechen und Schuld erinnern, um Zukunft gemeinsam zu gestalten" in Wuppertal der Opfer der Aufstände erinnern. Mit einer umfangreichen Dokumentation informieren sie in Kirchenkreisen über das wechselvolle Engagement der rheinischen Missionare und wenden sich auch an eine breitere Öffentlichkeit. Im Unterschied zur Politik haben so die Kirchen in Deutschland ihren Beitrag zu einer Aufarbeitung des während der Kolonialzeit in deutschem Namen begangenen Unrechts geleistet.

Schadensersatzklagen haben wenig Aussicht auf Erfolg

Stereotyp heißt es in allen Erklärungen des Auswärtigen Amtes und deutscher Parlamentarier, man könne keine offizielle Entschuldigung aussprechen, da dies entschädigungsrelevant sein könnte in den in den USA anhängigen Schadensersatzklagen gegen die Bundesrepublik Deutschland und deutsche Unternehmen. Am 19. September 2001 reichte der Herero People’s Reparations Corporation im Auftrag der Hosea Kutako Stiftung der Herero Schadensersatzklagen gegen die Bundesrepublik Deutschland, die Deutsche Bank, die Deutsche Afrika Linien (DAL) und den Baugeräte-Hersteller Terex bei dem US-amerikanischen Bezirksgericht des Distrikts von Columbia ein. Die Herero klagen in den USA, weil in Deutschland zivilrechtliche Klagen verjährt sind. Zwei Milliarden US-Dollar Schadensersatz fordern sie wegen der Verstrickung der Beklagten in Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Bundesrepublik Deutschland soll als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches belangt werden, die Deutsche Bank und die von ihr 1929 aufgekaufte Diskonto-Gesellschaft waren die bedeutendsten Banken in der Kolonie. Gegen die frühere Reederei Woermann, die heutige Deutsche Afrika Linien (DAL), gehen die Herero vor, weil Woermann lange Zeit ein Monopol auf den gesamten Warenverkehr zwischen dem Deutschen Reich und Südwestafrika besaß. Unbestritten ist, dass Woermann dieses Monopol auch zu seinem wirtschaftlichen Vorteil ausnutzte. Die Reichsregierung hatte der Reederei 1906 das Monopol für die Versorgung der Kolonie wegen überteuerter Frachttarife entzogen (42), denn teilweise waren die Frachtraten der Reederei für Südwestafrika höher als die Tarife für eine doppelt so lange dauernde Fahrt nach Asien.

Die Klage gegen Terex wurde bereits nach kurzer Zeit zurückgezogen, nachdem das Unternehmen entlastende Unterlagen vorgelegt hatte. Das US-Gericht hatte seine Zuständigkeit in dem Verfahren gegen die Reederei am 30.Juni 2003 abgelehnt, da sie in Washington D.C. kein Büro unterhält und das Unternehmen somit nicht im Gerichtsbezirk vertreten ist. Daraufhin reichten Rechtsanwälte der Herero im August 2003 eine neue Schadensersatzklage vor dem Bundesgericht in New York ein. Diese Klage stützt sich auf das Gesetz zur Entschädigung von Ausländern (Alien Tort Claims Act) aus dem Jahr 1789, das nicht nur jüngst in Entschädigungsprozessen von ehemaligen Zwangsarbeitern und Opfern des Holocaust angewandt wurde, sondern auch als Rechtsgrundlage in Verfahren gegen multinationale Konzerne diente.

Doch die Wiedergutmachungsforderungen der Herero haben nur geringe Aussicht auf Erfolg. Weitgehend unbestritten sind die historischen Tatsachen, insbesondere die Verstrickung der Beklagten in die deutsche Kolonialpolitik und die Vernichtung der Herero und Nama. Schwieriger gestaltet sich jedoch die Suche nach juristisch stichhaltigen und gültigen Anspruchsgrundlagen. Wie oben bereits ausgeführt, kann auf die Völkermord-Konvention kein Rückgriff genommen werden, da sie erst im Dezember 1948 unterzeichnet wurde. Auch internationale Verträge, die Rechte von Kombattanten und der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten regeln, scheiden als Anspruchsgrundlage aus. So können sich die Herero auch nicht auf die 2. Haager Landkriegsordnung von 1899 berufen, da sie nur für Unterzeichnerstaaten im Falle eines Krieges zwischen zwei Staaten, nicht jedoch bei innerstaatlichen Aufständen galt. Zwar galt die 4. Haager Landkriegsordnung von 1907 auch bei Bürgerkriegen und Aufständen, doch trat sie erst nach dem Ende der Rebellion der Herero in Kraft. Meist fehlt es an einer Klagebefugnis der Herero, da nur Staaten Rechte aus zahlreichen internationalen Konventionen herleiten können. So verpflichteten sich die Teilnehmerstaaten der Kongo-Konferenz 1884, die Völker Afrikas gut zu behandeln. Doch die Herero können sich als nichtstaatliche Gruppe nicht auf eine Verletzung dieses Grundsatzes berufen.

Aus völkerrechtlichem Gewohnheitsrecht können die Herero keine Ansprüche ableiten. So wurde gewohnheitsrechtlich die Sklaverei am Ende des 19. Jahrhunderts zwar bereits als Verstoß gegen das Völkerrecht gewertet, doch rechtlich war die Zwangsarbeit von Herero nach dem Ende ihres Aufstandes keine Sklaverei. Auch auf ihren Schutz- und Freundschaftsvertrag mit dem Deutschen Reich können die Herero sich nicht beziehen, da ihre Kriegserklärung 1904 einer Kündigung dieses Vertrages gleichkam. Die Völkermordverbrechen wurden jedoch erst nach der Kriegserklärung verübt. Solange die namibische Regierung die Schadensersatzklage der Herero nicht unterstützt, dürfte es für sie nahezu aussichtslos sein, aufgrund von Verletzungen des Völkerrechts zivilrechtliche Schadensersatzansprüche mit Erfolg geltend zu machen.

Angesichts der minimalen juristischen Chancen einer Durchsetzung der Schadenseratzansprüche mutet es umso seltsamer an, dass das Auswärtige Amt und führende deutsche Politiker unter Hinweis auf die anhängigen Schadensersatzklagen zum Völkermord an den Herero und Nama schweigen. Es ist nicht nachvollziehbar, dass es dem Auswärtigen Amt mit seiner enormen juristischen Sachkompetenz angesichts der völkerrechtlich relativ klaren Sachlage nicht möglich ist, eine weitergehende Entschuldigung für das in deutschem Namen begangene Unrecht in Südwestafrika auszusprechen, ohne eine entschädigungsrelevante Erklärung abzugeben. Zwei Jahre nach der Einreichung der Schadensersatzklagen müsste inzwischen auch im Auswärtigen Amt Ernüchterung eingekehrt und realistisch analysiert worden sein, dass die Herero sich mit ihrer Wiedergutmachungsforderung nicht durchsetzen können. Schon 1998/99 hatte das Auswärtige Amt mit seiner Bemerkung, die Herero hätten beim Internationalen Gerichtshof Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland eingereicht, unter Journalisten für Missverständnisse gesorgt. Dies war umso unverständlicher, als auch ein juristischer Laie wissen müsste, dass vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag nur Staaten Partei sein können, und somit von vornherein davon auszugehen war, dass der IGH seine Zuständigkeit in der Herero-Frage ablehnt.

So drängt sich der Eindruck auf, dass sich die Bundesregierung nicht zu dem Völkermord an Herero und Nama äußern möchte und die Schadensersatzklage in den USA eine nicht unwillkommene Gelegenheit bietet, zu diesem düsteren Kapitel deutscher Geschichte zu schweigen. Doch so kann weder der Völkermord aufgearbeitet und verarbeitet noch die Versöhnung zwischen den Bevölkerungsgruppen im modernen Namibia gefördert werden. Wenn auch keine rechtliche, so ist es nach Auffassung der GfbV eine moralische Pflicht der Bundesrepublik Deutschland, sich zu ihrer Verantwortung für den Völkermord zu bekennen und sich bei den Nachkommen der Opfer offiziell dafür zu entschuldigen. Es ist vor allem auch diese symbolische Geste Deutschlands, auf die viele Herero und Nama warten, selbst wenn Herero-Führer Riruako in der Öffentlichkeit immer wieder erklärt, eine Entschuldigung sei nicht ausreichend.

Namibias Innenpolitik und die Schadensersatzfrage

Von der namibischen Regierung werden die Herero in der Wiedergutmachungsfrage keine Unterstützung erwarten können. Windhuk möchte Deutschland als wichtigstes Geberland Namibias nicht verärgern. Seit der Unabhängigkeit hat Namibia rund 500 Millionen € Entwicklungshilfe von Deutschland erhalten.

Das Desinteresse der Regierung in Windhuk lässt sich nicht nur mit den deutsch-namibischen Beziehungen und der Sorge um eine Sicherung weiterer Hilfen aus Berlin erklären. Es gibt auch zahlreiche innenpolitische Gründe für das Verhalten der namibischen Regierung und der Herero. Hundert Jahre nach dem Völkermord stellen die 122.000 Herero rund sieben Prozent und die 61.000 Nama 3,6 Prozent der 1,74 Millionen Einwohner Namibias. Die seit der Unabhängigkeit regierende SWAPO hat ihre Wählerklientel vor allem unter den Ovambo, obwohl ein gleichnamiger Urenkel des Nama-Führers Hendrik Witbooi heute stellvertretender Premierminister ist. Witbooi hatte sich dem Widerstandskampf der SWAPO in den 70er-Jahren angeschlossen. Traditionell fühlten bislang viele Herero ihre Interessen am besten von der oppositionellen "Demokratischen Turnhallen-Allianz" vertreten.

Auch Herero-Führer Riruako nutzt die Wiedergutmachungsfrage, um seine Gefolgsleute hinter sich zu scharen und um seine persönlichen politischen Ziele zu verfolgen. Der Paramount Chief Riruako gilt in der namibischen Politik als unberechenbar. Noch im Sommer 2003 sorgte er mit seinem berechtigten Appell für eine föderale Struktur Namibias für einen Sturm der Entrüstung. Riruako begründete seinen Vorschlag mit der anhaltenden Marginalisierung kleiner Bevölkerungsgruppen im modernen Namibia. Nur wenige Wochen später versetzte er die Anhänger der konservativen Oppositionspartei "Demokratische Turnhallen-Allianz" in helle Aufregung, als er ankündigte, die Allianz zu verlassen und eine neue Partei zu gründen. Riruako ist sicherlich einer der herausragenden Politiker im heutigen Namibia. Der Streit um die Schadensersatzfrage dürfte ihm nicht ungelegen kommen. So kann er sich in der Innenpolitik profilieren - wenige Monate vor der geplanten Ablösung des Staatspräsidenten Sam Nujoma, der sich in Kürze aus der Tagespolitik zurückziehen wird.

Schwieriges Gedenken in Namibia

Schon seit dem Frühsommer 2003 mobilisiert Riruako für Gedenkfeiern für den Völkermord im Jahr 2004. So kündigte er im Juli 2003 die Gründung eines 20 Personen umfassenden Komitees an, das zahlreiche Veranstaltungen auch unter Mitwirkung internationaler Historiker und Experten plant. In der Heimatstadt Okahandja des Herero-Führers Samuel Maharero will Riruako ein Gedenkmuseum einrichten lassen. Dem Komitee gehören nur Herero, nicht jedoch Nama an.

Ein weiteres Komitee zur Vorbereitung von Gedenkfeiern wurde von den evangelisch-lutherischen Bischöfen Zephania Kameeta und Reinhard Keding gebildet. Ihm gehören zehn Personen unterschiedlichster Bevölkerungs- und Sprachgruppen an. Die Kirchen fürchten ein Wiederaufflammen des Tribalismus und bemühen sich daher besonders um Versöhnung zwischen den Bevölkerungsgruppen. Sie haben sich ein breiteres Themenspektrum vorgenommen, doch des Genozids soll natürlich auch bei ihren Gedenkveranstaltungen erinnert werden.

Wie schwer der Umgang mit der Völkermordfrage auch heute noch in Namibia ist, machte ein Zwischenfall im Sommer 2003 deutlich. Zum ersten Mal seit 40 Jahren gedachten die Nachkommen deutscher Siedler und der Herero nicht am ersten Wochenende im August auf dem Friedhof am Waterberg gemeinsam der Opfer der Schlacht vom Waterberg. Denn der Staatspräsident ließ die Gedenkveranstaltung verbieten, an der auch Pfadfinder der deutschen Minderheit in Namibia teilnehmen wollten. Den Tod tausender Namibier zu feiern, sei eine Provokation der höchsten Stufe und gefährde den Frieden im Land, ließ Nujoma zur Begründung des Verbots der Gedenkfeier von einem Minister erklären. Kulturelle Organisationen der deutschen Minderheit und die "Demokratische Turnhallen-Allianz" reagierten auf das Veranstaltungsverbot des Staatspräsidenten mit Unverständnis. Der Beschluss befremdet umso mehr, hat sich doch der Charakter der Gedenkfeiern am Waterberg-Tag in den letzten Jahren ziemlich stark verändert. Überwog früher das nostalgische Erinnern an die Kolonialzeit, so steht inzwischen die Versöhnung zwischen den früheren Feinden im Vordergrund. Seit 1984 wird auf dem Friedhof am Waterberg auch mit einer Gedenkplatte der in der Schlacht gefallenen Herero erinnert.

Zum 100. Jahrestag des Völkermordes wird auch die namibische Regierung der Kämpfe zwischen Herero und Nama gegen die kaiserliche Armee erinnern. Doch werden dabei andere Akzente gesetzt als die Herero und Nama es tun. Für die Regierung war der Aufstand beider Gruppen die erste Phase des antikolonialen Befreiungskrieges. Die Herero befürchten, bei einer solchen Sichtweise würden die Leiden der Opfer in den Hintergrund treten zugunsten eines großen gemeinsamen Zieles, das damals noch nicht einmal bestand. Angesichts jahrelanger Vernachlässigung und unerfüllter Versprechungen ist die Befürchtung bei den Herero groß, mit ihren spezifischen Problemen in der Gesellschaft Namibias nicht wahrgenommen zu werden, obwohl sie in der Kolonialzeit entstanden sind. Vor allem in der Landfrage vermissen die Herero Unterstützung, um einen Teil des ihnen geraubten Landes zurückzuerhalten. So wollten die Herero Reparationszahlungen aus Deutschland nutzen, um ihr Land zurückzukaufen.

Reizthema Landreform

Der Völkermord vor hundert Jahren hat bis heute sehr reale Auswirkungen auf das Leben der Herero und Nama, da nach der Niederschlagung ihrer Aufstände zehntausende Quadratkilometer Land beider Völker von der Kolonialverwaltung beschlagnahmt und eingezogen wurden. Hatten die afrikanischen Bevölkerungsgruppen im Zentrum und dem Süden Südwestafrikas 1904 noch 232.000 Quadratkilometer unter ihrer Kontrolle, so schrumpfte diese Fläche bis 1913 auf 29.110 Quadratkilometer (43).

Rund 70 Prozent der Bevölkerung Namibias sind heute noch von der Landwirtschaft abhängig. 52 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen werden von 4.200 Farmern kontrolliert, unter ihnen rund 1.000 deutsche und 1.300 deutschstämmige Landwirte. Zwar betont der namibische Botschafter in Deutschland, Hanno Rumpf: "Namibia ist kein zweites Zimbabwe", aber die Rufe der Farmarbeitergewerkschaft Nafwu nach illegalen Landbesetzungen werden immer lauter (44). Der Präsident der Nationalen Gewerkschaft Namibischer Arbeiter (NUNW), Riszo Kapenda, forderte eine entschädigungslose Enteignung ausländischer Grundeigentümer (45). Auch Staatspräsident Sam Nujoma scheint zwiegespalten: Einerseits distanziert er sich öffentlich immer wieder von den Farm-Besetzungen in Zimbabwe, andererseits kündigte er mehrfach eine härtere Gangart bei der Landreform an. Im Oktober 2003 versicherte Nujoma dem deutschen Außenminister noch, bei der Landreform werde man strikt "nach Recht und Gesetz" handeln, nachdem er zuvor öffentlich erklärt hatte, die ausländischen Farmer hätten den Boden geraubt, denn sie seien ja "nicht mit dem Land im Gepäck aus Europa gekommen" (46).

Ein 1995 verabschiedetes Landreform-Gesetz sieht eine spezielle Förderung der besonders marginalisierten Minderheiten vor. Es ermächtigt die Regierung, Ackerland zu erwerben, um darauf Landlose anzusiedeln. Sogar der zuständige Minister für Ländereien, Neusiedlung und Rehabilitierung, Hifikepunye Pohamba, kritisierte im August 2003 die geringen Fortschritte bei der Landreform (47). Auch die Zentralbank Namibias stellte kürzlich kritisch fest, die Landreform komme nur "sehr langsam" voran (48). Die Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Namibia wandte sich im September 2003 mit einem Brief an Minister Pohamba und betonte nochmals, es sei wichtig, die Landreform friedlich im Einvernehmen mit allen Beteiligten voranzutreiben (49). Die Farmarbeitergewerkschaft erklärte die Reform sogar für gescheitert.

Im Jahr 2000 hatte sich die Regierung vorgenommen, 93.100 Quadratkilometer Land bis zum Jahr 2005 an Landlose umzuverteilen. Bislang hat der Staat nur 124 Farmen mit insgesamt 6.880 Quadratkilometer Land aufgekauft und 9.000 Landlose zur Verfügung gestellt. Mehr als 200.000 Landlose warten aber noch immer auf Farmland (50). Angesichts der geringen Fortschritte bei der Landreform hat das Ministerium für Ländereien nach Auskunft seines Staatsekretärs Frans Tseehama vor, 192 Farmen zu enteignen, die sich im Eigentum vor allem von Deutschen und Südafrikanern befinden, die nicht auf ihrem Land leben (51). Die bisherigen Eigentümer sollen entschädigt werden. Im April 2003 wurde von dem Ministerium sogar eine Liste von mehr als 300 Farmen erstellt, die sich im Eigentum von Ausländern befinden, die langfristig enteignet werden sollen (52).

Vor allem die San (Buschleute), die am meisten vernachlässigte Bevölkerungsgruppe in Namibia, fühlen sich bei der Landverteilung benachteiligt. Nur auf den Farmen Skoonheid und Hedwigslust konnten sich inzwischen mehr als vierhundert von ihnen niederlassen. Auch die Herero beklagen sich, dass die Landreform zu schleppend vorangeht und bislang zu wenig Land an landlose Herero verteilt wurde. Herero-Führer Riruako wirft der namibischen Regierung vor, bei der Landreform besonders die Wählerklientel der SWAPO berücksichtigt zu haben:"Und trotzdem treibt die Regierung ständig Salz in die Wunde – es ist angesichts unserer Bemühungen taktlos, wie die namibische Regierung von uns gestohlenes Land an ihre Gefolgsleute verschenkt. Es gehört ihnen nicht, sie haben dieses Land nie besessen!"(53). Zwar leugnete das zuständige Ministerium, im Rahmen der Landreform auch vermögenden Schwarzafrikanern Land übereignet zu haben, doch werden in der kritischen Öffentlichkeit in Namibia immer wieder Vorwürfe der Klientels-Wirtschaft gegenüber der namibischen Regierung erhoben (54).

Ob alles während der Kolonialzeit geraubte Land wieder den Herero zurückgegeben wird, ist fraglich. Doch sollte zumindest die Landreform im 100. Jahr nach dem Beginn des Völkermordes gezielt friedlich vorangetrieben werden, um den Opfern des deutschen Kolonialismus und den besonders benachteiligten Bevölkerungsgruppen in Namibia Land zuzuteilen. Von den Herero geforderte Finanzhilfen Deutschlands für den Aufkauf von Farmen lehnte die Afrika-Beauftragte der Bundesregierung, Uschi Eid, ab (55). Nach Einschätzung der namibischen Regierung wird die Landreform in den nächsten fünf Jahren rund 89 Millionen Euro kosten (56).

Deutschland hat sich aber bereit erklärt, die Landreform zu unterstützen und hat dafür rund 7,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Weitere 15,5 Millionen Euro an technischer und finanzieller Hilfe werden von Berlin in den kommenden zwei Jahren für den Straßenbau, die ländliche Entwicklung und die Förderung der Wirtschaft Namibias aufgewendet (57). Eine stärkere Förderung sei nicht möglich, betonte Außenminister Fischer bei seinem Besuch im Oktober 2003. Er forderte statt eines weiteren Ausbaus der Entwicklungshilfe mehr Kooperation zwischen deutschen und namibischen Unternehmen (58). Doch eine solche Zusammenarbeit wird nicht maßgeblich dazu beitragen können, die friedliche Landreform in Namibia voranzutreiben.

Um ein Scheitern der Landreform zu verhindern, sollte Deutschland jetzt - hundert Jahre nach dem Beginn des Völkermordes an Herero und Nama - Hilfen für diese Reform zur Verfügung stellen. Denn ein Zusammenbruch des Reformprozesses würde die politische Stabilität in Namibia und im Südlichen Afrika insgesamt gefährden und den weiteren Aufbau eines demokratischen Rechtsstaates in Namibia beeinträchtigen.

Anmerkungen

(1) Mörser Zeitung, 8.2.1906

(2) Calvert, Albert, South-West Africa during the German Occupation 1884-1914, New York 1969, S. 25

(3) Bley, Helmut, Kolonialherrschaft und Sozialstruktur in Deutsch-Südwestafrika 1894-1914, Hamburg 1968, S. 183ff.

(4) Bühler, Andreas Heinrich, Der Nama-Aufstand gegen die deutsche Kolonialherrschaft in Namibia von 1904-1913, Frankfurt 2003, S. 127

(5) Akten des Bundesarchivs, Potsdam, Differenzen zwischen Generalleutnant v. Trotha und Gouverneur Leutwein bezüglich der Aufstände in Deutsch-Südwestafrika im Jahre 1904, Kommando der Schutztruppe, Osombo-Windhoek, 2.10.1904, Blatt 7

(6) Akten des Bundesarchivs, Potsdam, Aufstand im Namaland, Band 4, Brief des Britischen Botschafters an Außen-Staatssekretär von Richthofen, 30.9.1905

(7) Akten des Bundesarchivs, Potsdam, Aufstand im Namaland, Blatt 84, Schreiben von Oberst Deimling an Kolonialdirektor Dernburg, 9.12.1906

(8) Akten des Bundesarchivs, Potsdam, Aufstand im Namaland, Blatt 162, Schreiben v. Trothas an den Reichskanzler, 11.10.1905

(9) Caspar W. Erichsen, Die Todesinsel, in der Zeitschrift afrika süd, 6 / 2003, S.30

(10) siehe (9), S. 31

(11) siehe (5), Blatt 8, Schreiben des Reichskanzlers an den Kaiser Wilhelm II., 24.11.1904

(12) siehe (5), Blatt 63, Schreiben des Stellvertretenden Gouverneurs Tecklenburg an das Auswärtige Amt, 10.12.1904

(13) siehe (5), Blatt 84, Schreiben v. Trothas an den Generalstab, 11.12.1904

(14) Gründer, Horst, Geschichte der deutschen Kolonien, München 1991, S. 121

(15) Sudholt, Gert, Die deutsche Eingeborenenpolitik in Südwestafrika. Von den Anfängen bis 1904, Hildesheim 1975

(16) Spraul, Gunther, Der "Völkermord" an den Herero. Untersuchungen zu einer neuen Kontinuitätsthese, GWU 39 (1988), S. 713-739

(17) siehe (5), Blatt 100-102

(18) Neue Preußische (Kreuz)Zeitung, Beilage, Nr. 57, 4.2.1909

(19) Windhuker Nachrichten, 13.3.1909

(20 / 22) Bley, Helmut, Kolonialherrschaft und Sozialstruktur in Deutsch-Südwestafrika 1894-1914, Hamburg 1968, S. 205

(21) siehe (5), Blatt 5, Schreiben vom 4.10.1904

(23) Archiv der Vereinten Evangelischen Mission, Randbemerkungen von Missionar Kuhlmann, Blatt 205, 18.5.1904, zitiert nach Bühler, Der Namaaufstand gegen die deutsche Kolonialherrschaft in Namibia von 1904-1913

(24) Silvester, Jeremy and Jan-Bart Gewald, Words Cannot Be Found, German Colonial Rule in Namibia, Sources on African History 1, Leiden 2003

(25) New African, September 2001

(26) Archiv der Evangelical-Lutheran-Church in the Republic of Namibia, Schreiben des Missionsinspektors Spiecker an Präses Eich, 23.2.1905

(27) siehe (5), Blatt4, Chef des Generalstabs an Reichskanzler von Bülow, 23.11.1904

(28) Drechsler, Horst, Südwestafrika unter deutscher Kolonialherrschaft. Der Kampf der Herero und Nama gegen den deutschen Imperialismus (1884-1915), Berlin 1986, S. 173

(29) Borchert, Christian, The Witboois and the Germans in South West Africa. A Study of their Interaction between 1863 and 1905, Durban 1980, S. 166

(30) siehe (14), S. 121

(31) siehe (4), S.347

(32) Reuters, 15.9.1995

(33) The Namibian, 4.3.1998

(34) Junge Welt, 9.3.1998 / Mail & Guardian (Johannesburg), 13.3.1998

(35) Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1.4.1998

(36) Die Welt, 3.9.2001

(37) Presseerklärung Forum Menschenrechte, 5.10.2001

(38) Allgemeine Zeitung (Windhuk), 30.10.2003 / Süddeutsche Zeitung, 30.10.2003

(39) Allgemeine Zeitung (Windhuk), 5.2.2002

(40) Allgemeine Zeitung (Windhuk), 23.4.2003

(41) Allgemeine Zeitung (Windhuk), 2.5.2003

(42) Jantzen, Günther; Sendler, Gerhard, 150 Jahre C. Woermann, Wagnis Westafrika, Die Geschichte eines Hamburger Handelshauses 1837-1987, Hamburg 1987, S. 66

(43) Pool, Gerhardus, Die Herero-Opstand. 1904-1907, Kapstadt 1979 / Akten, Bundesarchiv Koblenz, Nachlaß Hintrager, Band 9, Statistische Materialien., Schutzgebiet Deutsch-Südwestafrika, General-Nachweis der Landbesitzverhältnisse, Stand 1. April 1913

(44) Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.10.2003 / BBC, Allgemeine Zeitung (Windhuk), 5.11.2003

(45) Allgemeine Zeitung (Windhuk), 10.3.2003

(46) Süddeutsche Zeitung, 1.12.2003

(47) The Namibia Economist (Windhoek), 24.8.2003

(48) Allgemeine Zeitung (Windhuk), 18.12.2003

(49) Allgemeine Zeitung (Windhuk), 16.9.2003

(50) CBS, 29.12.2003

(51) The Namibia Economist (Windhoek), 24.8.2003

(52) The Namibian, 15.8.2003

(53) Allgemeine Zeitung (Windhuk), 25.8.2003

(54) The Namibia Economist (Windhoek), 23.2.2003

(55) Allgemeine Zeitung (Windhuk), 2.5.2003

(56) The Namibian, 27.6.2003

(57) The Namibian, 16.7.2003 und 27.6.2003 / Allgemeine Zeitung (Windhuk), 2.5.2003

(58) Allgemeine Zeitung (Windhuk), 30.10.2003

Ausgewählte Bücher zum Weiterlesen

Helmut Bley: Kolonialherrschaft und Sozialstruktur in Deutsch-Südwestafrika 1894 - 1914, Hamburg 1968

Das Buch behandelt vor allem den Aufbau der Kolonialgesellschaft in Deutsch-Südwestafrika und die besondere Stellung der Herero in Gesellschaft und Wirtschaft der Kolonie. Zum besseren Verständnis der Schadensersatzklagen der Herero gegen deutsche Firmen ist dieses Buch sehr lesenswert.

Andreas Heinrich Bühler: Der Namaaufstand gegen die deutsche Kolonialherrschaft in Namibia von 1904-1913, Frankfurt 2003, IKO-Verlag für Interkulturelle Kommunikation

Eine ausgezeichnete und sehr detaillierte Analyse der Hintergründe der Aufstände der Herero und Nama. Der Autor besticht durch sein Faktenwissen und gibt insbesondere einen beeindruckenden Überblick über den ansonsten wenig bekannten Aufstand der Nama, der seinesgleichen sucht. Ohne tendenziös den Leser beeinflussen zu wollen, gibt Bühler einen umfassenden Einblick in den Vernichtungsfeldzug v. Trothas. Sicherlich eines der lesenswertesten Bücher über diesen Genozid.

Horst Drechsler: Aufstände in Südwestafrika. Der Kampf der Herero und Nama 1904 bis 1907 gegen die deutsche Kolonialherrschaft, Berlin 1984, Dietz Verlag

Ein Klassiker unter den Büchern über den Völkermord an Herero und Nama. Leider ist dieses Buch heute im Handel nicht mehr erhältlich, doch in vielen Bibliotheken kann es eingesehen werden. Der DDR-Historiker hatte lange vor seinen Kollegen aus der Bundesrepublik Zugang zu den Archiven in Potsdam, in denen Akten des Deutschen Reiches zur Kolonialzeit aufbewahrt werden. Trotz der ideologischen Ausrichtung des Buches, das im Sinne der DDR-Führung deutschen Kolonialismus in Südwestafrika brandmarken sollte, ist der Band aufgrund dieser Auswertung außergewöhnlicher historischer Quellen noch immer sehr lesenswert.

Jan-Bart Gewald / Jeremy Silvester: Words Cannot Be Found: German Colonial Rule in Namibia: an Annotated Reprint of the 1918 Blue Book, Leiden 2003, Brill Academic Publishers

Das erstmals im August 1918 von Großbritannien veröffentlichte "Blaubuch" über die deutsche Kolonialherrschaft ist umstritten, da es nicht frei von britischer Kriegspropaganda ist. Aber es ist auch ein wertvolles Zeitdokument, weil es viele Aussagen von afrikanischen Augenzeugen der Gräueltaten während des Vernichtungsfeldzuges dokumentiert. Nach nur acht Jahren wurden fast alle Exemplare dieses Buches im Auftrag der britischen Regierung vernichtet, um Deutschlands Ansehen nicht länger zu schädigen. Es ist ein besonderes Verdienst von Jan-Bart Gewald, einem führenden Historiker zur Herero-Frage, eine kommentierte Ausgabe des "Blaubuches" neu verlegt zu haben, in der auch die wechselvolle Geschichte dieses Buches erläutert wird.

Jan-Bart Gewald: "We Thought we would be Free", Socio-Cultural Aspects of Herero History in Namibia 1915-1940, Köln 2000, Rüdiger Köppe Verlag

Jan-Bart Gewald schließt mit diesem Buch eine bedeutende Lücke. Viel ist publiziert worden über den Völkermord an den Herero, doch ihr Schicksal nach dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft trat dabei in den Hintergrund. Gewald liefert mit diesem Buch ein hochinteressantes Zeugnis der Veränderungen in der Herero-Gesellschaft nach dem Ende des Genozids.

Klaus A. Hess / Klaus J. Becker: Vom Schutzgebiet bis Namibia 2000, Göttingen/Windhoek 2002, Klaus Hess Verlag

Wer über die Kolonialzeit hinaus Informationen zur wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Lage in Namibia sucht, findet in diesem Buch eine Fülle von Informationen und Anregungen. Es ist ein Standardwerk in deutscher Sprache, das nun mit seiner zweiten Auflage auch die Zeit bis zum Jahr 2000 behandelt.

Udo Kaulich: Die Geschichte der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika (1884-1914), Frankfurt 2003, Peter Lang Verlag

Es ist wohl die umfangreichste Gesamtdarstellung der Geschichte der deutschen Kolonialherrschaft in Namibia. Auf mehr als 600 Seiten wird nahezu jeder Aspekt der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklung in der deutschen Kolonie erschöpfend dargestellt. Für jeden, der sich intensiver mit der Geschichte Namibias auseinandersetzen möchte, bietet dieses sehr lesenswerte Buch eine Fülle von Anregungen.

Gesine Krüger: Kriegsbewältigung und Geschichtsbewusstsein; Realität, Deutung und Verarbeitung des deutschen Kolonialkriegs in Namibia 1904-1907, Göttingen 1999, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht

Die Historikerin Gesine Krüger gibt in ihrem Buch nicht nur einen umfassenden Überblick über die Ursachen des Aufstands der Herero und skizziert die Niederschlagung der Rebellion durch die Deutsche Schutztruppe. Interessant ist ihr Buch vor allem, weil sie Aspekte beleuchtet, die ansonsten bei der Beschreibung des Kolonialkrieges untergehen. So geht sie ausführlich auf die besonders schwierige Lage der Frauen in dem Krieg ein. Besondere Bedeutung kommt dem Buch zu, weil es ausführlich untersucht, wie die Herero nach dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft die Vernichtung eines großen Teiles ihres Volkes verarbeiteten.

Henning Melber (Herausgeber): Namibia, Grenzen nachkolonialer Emanzipation, Frankfurt 2003, Verlag Brandes & Apsel

Jenseits jeder Idealisierung des Befreiungskampfes liefert Henning Melber, einer der bekanntesten Namibia-Kenner, eine sehr lesenswerte kritische Bestandsaufnahme der politischen und gesellschaftlichen Lage in Namibia dreizehn Jahre nach der Unabhängigkeit. In den Beiträgen verschiedenster angesehener Autoren werden von der Situation der indigenen Bevölkerung bis zur Versöhnung und dem Umgang mit ehemaligen Gefangenen der SWAPO berichtet.

Gustav Menzel: "Widerstand und Gottesfurcht". Hendrik Witbooi - eine Biographie in zeitgenössischen Quellen, Köln 2000, Rüdiger Köppe Verlag

Viel ist über den Nama-Führer Hendrik Witbooi bereits geschrieben worden. Der frühere Direktor der Rheinischen Mission in Wuppertal lässt mit seiner Biographie aus zeitgenössischen Quellen - insbesondere Briefwechseln Witboois mit Missionaren der Rheinischen Mission - nicht nur den Nama-Führer in neuem Licht erscheinen, sondern macht auch deutlich, wie eng die Mission und die Kolonisierung Namibias einhergingen. Das Buch gibt einen Einblick in die tiefe Religiosität Witboois. Besonders interessant sind seine Beschreibungen des schwierigen Verhältnisses zwischen Nama und Herero.

Wilhelm G. Möhlig (Herausgeber): Frühe Kolonialgeschichte Namibias 1880-1930, Köln 2000, Rüdiger Köppe Verlag

Ein interessanter Sammelband mit Beiträgen zur historischen Entwicklung in Namibia. Besonders lesenswert ist Jan-Bart Gewalds Beitrag über das Verhältnis der Missionare zu den Herero sowie ein Überblick von Andreas Eckl über die Unterwerfung des Kavango. Sehr lesenswert ist Martina Gockels Beschreibung des Zusammenlebens von Herero und Damara im 19. Jahrhundert in Zentralnamibia.

Walter Nuhn: Sturm über Südwest: der Hereroaufstand von 1904: ein düsteres Kapitel der deutschen kolonialen Vergangenheit Namibias, Koblenz 1989, Verlag Bernard & Graefe

Dieses später auch bei dem Buchvertrieb "Weltbild" einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemachte Buch gibt einen schockierenden Einblick in die Kriegsführung der Deutschen Schutztruppe gegen die Herero.

Walter Nuhn: Feind überall: der große Nama-Aufstand (Hottentottenaufstand) 1904 - 1908 in Deutsch-Südwestafrika (Namibia: der erste Partisanenkrieg in der Geschichte der deutschen Armee / Guerillakrieg in Südwest, Bonn 2000, Verlag Bernard & Graefe

Neben Bühlers Buch ist dieses Werk eines der wenigen über den Nama-Aufstand publizierten Bücher und daher sehr lesenswert.

Günther Reeh: Hendrik Witbooi. Ein Leben für die Freiheit, Köln 2000, Rüdiger Köppe Verlag

Das Leben des Nama-Führers Hendrik Witbooi, sein Glaube und sein komplexes Verhältnis zur deutschen Kolonialverwaltung stehen im Mittelpunkt dieses Buches über die wohl charismatischste Persönlichkeit der Nama im ausgehenden 19. Jahrhundert. Das Buch gibt einen tiefen Einblick in die schwierige Lage der Nama zwischen Anpassung und Auflehnung gegen die Kolonialherrschaft und ist eine ideale Ergänzung zu Menzels Biographie von Hendrik Witbooi.

Gerhard Seyfried: Herero, Berlin 2003, Eichborn Verlag

Seyfried gibt mit seinem gut recherchierten Kolonialroman einen tiefen Einblick in die Kolonialgesellschaft. Der auch in Bestseller-Listen geführte Roman ist ein interessantes Zeugnis, wie auch einem breiteren Publikum die komplexen Ursachen des Aufstands der Herero in unterhaltender Form nahe gebracht werden können.

Jürgen Zimmerer, Joachim Zeller (Herausgeber): Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904-1908) in Namibia und seine Folgen, Berlin 2003, Ch. Links Verlag

Den Herausgebern, die sich bereits seit langem kritisch mit deutscher Kolonialpolitik auseinandersetzen, ist es gelungen, angesehene Autoren zu gewinnen, um weniger bekannte Aspekte des Völkermordes und seiner Aufarbeitung zu beleuchten. So wird über die nach der Schlacht am Waterberg eingerichteten Konzentrationslager und über die Proteste im Deutschen Reich gegen den Kolonialkrieg berichtet. Sehr lesenswert ist auch ein Beitrag von Henning Melber über den Stand der deutsch-namibischen Beziehungen und den nicht aufgearbeiteten Völkermord.

Jürgen Zimmerer: Deutsche Herrschaft über Afrikaner. Staatlicher Machtanspruch und Wirklichkeit im kolonialen Namibia, Münster 2001, LIT Verlag

Die Dissertation beschäftigt sich vor allem mit der Entstehungsgeschichte der 1907 erlassenen "Eingeborenenverordnungen" und ihrer Folgen für die Betroffenen im Alltag. Zimmerer kommt zu dem Schluss, dass die Verordnungen keinen Neubeginn in der Kolonialpolitik des Deutschen Reiches darstellten, sondern nur die Fortsetzung des absoluten Herrschaftsanspruchs der Kolonialherren bedeuteten.

In Vorbereitung:

Umfassende Dokumentation der Vereinten Evangelischen Mission in Wuppertal zum Wirken der Rheinischen Mission in Namibia. Die VEM initiierte auch die Wanderausstellung "Erinnert Namibia! Mission, Kolonialismus und Freiheitskampf", die am 30. Januar 2004 in Wuppertal eröffnet wird.