11.12.2008

1968: Der Genozid an den Igbo in Biafra

Dr. Justin Akujieze aus Biafra

Göttingen
Für die Igbo als Überlebende des "Genocaust" (Genozid und Holocaust) gibt es keinen besseren Zeitpunkt als das 40jährige Jubiläum der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), um dieser und auch anderen Organisationen wie der Caritas International, dem Weltkirchenrat, dem Roten Kreuz sowie Persönlichkeiten wie Frederick Forsyth, Graf von Rosen und Staaten wie Tansania sowie vielen anderen, die an dieser Stelle unmöglich einzeln aufgezählt werden können, unsere tiefempfundene Dankbarkeit auszudrücken. Sie alle haben dazu beigetragen, dass es der nigerianischen Führung 1968 nicht möglich war, ihre entsetzlichen und verabscheuungswürdigen Pläne, die sich gegen die Biafraner richtete, in die Tat umzusetzen. Sie alle nahmen sich die Worte Martin Niemöllers zu Herzen:

Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen;

ich war ja kein Kommunist.

Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen;

ich war ja kein Sozialdemokrat.

Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen,

ich war ja kein Gewerkschafter.

Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.

Nur so konnte verhindert werden, dass die Kriegsverbrecher und diejenigen, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübten, ihre Pläne (den sogenannte 7-Punkte-Plan) vollends in die Tat umsetzten. Es ist der GfbV mitzuverdanken, dass das Volk der Igbo trotz des Massakers an drei Millionen unschuldigen Kindern, Frauen und Männern bis zum heutigen Tage überlebt hat – wenn auch oft unter unendlich schwierigen Bedingungen. Die guten Taten der GfbV und aller anderen, die sich für Biafra engagiert haben, werden für alle Ewigkeit in der Erinnerung des Volkes der Igbo fortleben. So Gott will – werden wir in hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft in der Lage sein, unserer Dankbarkeit angemessen Ausdruck zu verleihen.

Ein Ende 1968 erstellter Bericht des "International Committee on the Investigation of Crimes of Genocide" fasst die Situation in Biafra wie folgt zusammen:

"Die Verbrechen werden von Biafra als Genozid bezeichnet, gehen aber meinen Ermittlungen nach offenbar über einen Genozid im üblichen Sinne hinaus. Die Verbrechen in Biafra lassen sich keiner der gebräuchlichen Kategorien des Völkerrechts zuordnen."

Der in einem Genozid mündende Krieg Nigerias gegen Biafra war die logische Fortsetzung der nigerianischen Pläne, wie sie im gegen Biafra gerichteten 7-Punkte-Plan zum Ausdruck kommen. In der Region Asaba kam es zu Massenhinrichtungen. Alle männlichen und aus Biafra stammenden Bewohner wurden angewiesen, sich auf dem Marktplatz zu versammeln, um die vorrückende Bundesarmee willkommen zu heißen. Dort wurden sie dann mit Maschinengewehren niedergemäht. In Benin, der Hauptstadt der Region Mid-West, wurden alle Biafraner aus ihren Häusern befohlen, um auch sie auf der Stelle zu exekutieren. In Sapele wurden die örtlichen Biafraner in einem Handelszentrum fünf Kilometer vor der Stadt zusammengetrieben und dann von Bundessoldaten niedergemetzelt. Gleiches geschah in Warri Koko und Oguashi-Uku sowie im Osten der Region in Ishagu, Ogoja, Enugu Ezike, Nsukka und Onitsha.

Die Methoden des Genocaust folgten dem Muster der nationalsozialistischen Endlösung der Judenfrage.

"Evakuierung": Zahllose Biafraner wurden von der Bundesarmee auf Lastwagen geladen und aus den Städten aufs Land gefahren wurden. Dort trennte man sie in Alte und Junge. Die Alten wurden vor Ort erschossen. Die Entsorgung ihrer Leichen überließ man den wilden Tieren. Die jungen Männer wurden den Einheiten der Bundesarmee zugeteilt, wo sie vorzugsweise als Kanonenfutter bei Angriffen auf biafranische Stellungen dienten. Kinder wurden in die nördlichen Regionen des Landes gebracht, wo man sie als Sklaven verkaufte. Die Frauen mussten Zwangsarbeit in den Stützpunkten der Bundesarmee leisten. Vergewaltigungen waren dabei an der Tagesordnung.

"Bestattung": Auch die Entsorgung der Leichen folgte dem Vorbild der nationalsozialistischen Endlösung. In Asaba und anderen Orten der Region Mid-West wurden gewaltige Gruben ausgehoben, in denen man die Leichen der Exekutierten entsorgte.

Andere Vorgehensweisen waren die Zerstörung von Wohnvierteln, die Vergiftung von Lebensmitteln, Hungertod, das Ausbomben der Bevölkerung in Städten und Dörfern Biafras, das Durchschneiden von Kehlen und Abschlagen von Köpfen auf Marktplätzen sowie die Tötung noch im Mutterleib befindlicher Babies. Dabei wurden die Bäuche der Frauen aufgeschlitzt und die ungeborenen Babies mit Macheten in Stücke gehackt. In anderen Fällen wurden den Biafranern die Augen aus den Aughöhlen gerissen, oder sie wurden bei lebendigem Leib gehäutet. Der Bericht des "International Committee on the Investigation of Crimes of Genocide" kommt zu dem Schluss, dass in vielen der Fälle "der Hass auf die Biafraner und der Wunsch, sie auszulöschen, das Hauptmotiv war".

Am Ende des Krieges zwischen Biafra und Nigeria im Jahr 1970 erklärte der damalige nigerianische Staatspräsident Yakubu Dan-Yumma Gowon, es gäbe "keine Sieger oder Besiegte". Es ginge vor allem um die Aufarbeitung des Konflikts, um Versöhnung und den Wiederaufbau. Die Regierung versprach die Grundrechte aller Bürger Nigerias – wie Freizügigkeit, Recht auf freie Wahl des Wohnortes, Meinungs- und Religionsfreiheit, Vereinigungsfreiheit sowie das Recht auf Eigentum – zu respektieren und zu schützen. Im gleichen Atemzug versprach die Regierung den Biafranern, ihr Recht auf Unversehrtheit von Leben und Eigentum zu achten. Vor allem aber sagte sie zu, die Diskriminierung und Verfolgung aller ethnischen und religiösen Minderheiten im Land zu beenden. Die Einhaltung dieser Versprechen steht bis heute aus.

Bis zum heutigen Tag hat Biafra die schlechtesten Straßen Nigerias. Im Westen und Norden des Landes ist die Situation weitaus besser. Ähnlich verhält es sich mit dem Telefon- und Elektrizitätsnetz, die bewusst dem Verfall preisgegeben werden. Die einzige Brücke über den Niger, die Ost- und Westnigeria verbindet, ist stark einsturzgefährdet. Von allen Teilen des Landes befinden sich in Biafra die wenigsten Staatsbetriebe. Die Universitäten und Schulen der Region befinden sich im Stadium fortwährenden und fortgeschrittenen Verfalls. 94 Prozent der Universitätsabsolventen und Schulabgänger sind arbeitslos und verfügen nicht über die angemessenen Mittel, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Hunger, Tod und Verzweiflung sind die alltäglichen Begleiter vieler Familien und vor allem der Jugend Biafras. Die Zentralregierung hat die Polizei in ein Killerkommando verwandelt. Biafraner sind heutzutage nicht mehr als Bürger dritter Klasse ohne Rechte oder Privilegien. Die Zentralregierung verletzt fast täglich ihre Grundrechte, ohne dass dafür jemand angeklagt oder zur Rechenschaft gezogen würde. Das Recht auf freie Ausübung der eigenen Religion ist in Teilen Nigerias – wie etwa im Norden, wo nigerianische Muslime auch Nichtmuslime unter das fundamentalistisch-islamische Rechtssystem der Scharia zwingen – abgeschafft. Wir erinnern uns gut, dass im Februar 2000 mehr als 5.000 Biafraner christlichen Glaubens in Kaduna abgeschlachtet und dass Eigentumswerte in Millionenhöhe zerstört oder geplündert wurden. Im gesamten Norden Nigerias werden Kirchen systematisch niedergebrannt und das Land droht, immer mehr zu einer muslimischen Enklave zu werden.

Die Völker der ehemaligen Sowjetunion und des ehemaligen Jugoslawiens haben ihre Nationalstaaten wiedererlangt. Gleiches gelang den Bewohnern Osttimors und Eritreas. Alle diese Völker wurden von der Gesellschaft für bedrohte Völker unterstüzt. Auch die Bewohner Biafras wünschen sich inständig die weitere Unterstützung der GfbV um ihren eigenen Staat wiederzuerlangen. Wir danken der Gesellschaft für ihre bisherige Arbeit. Möge Gott sie und ihr Tun segnen.

[Übersetzung: Markus Nitsch]