22.06.2020

Algerien verurteilt Regierungskritikerin

Verfolgung der Demokratiebewegung im Schatten der Corona-Krise (Pressemitteilung)

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat der Regierung Algeriens vorgeworfen, die Corona-Krise auszunutzen, um die Demokratiebewegung Hirak mundtot zu machen. Nachdrücklich kritisiert die Menschenrechtsorganisation anhaltende Festnahmen von Mitgliedern der Demokratiebewegung, obwohl sie aufgrund der Covid-19-Maßnahmen kaum öffentlich protestieren können. So war am letzten Mittwoch Amira Bouraoui, eine prominente Sprecherin von Hirak, festgenommen worden. Am gestrigen Sonntag wurde die Ärztin zu einem Jahr Gefängnis ohne Bewährung verurteilt, weil sie angeblich mit ihrer Kritik in sozialen Medien die Staatssicherheit gefährdet, zu Demonstrationen aufgerufen und den Islam verletzt habe. 

„Wenn in Schnellverfahren Mitglieder von Hirak mundtot gemacht werden, steht es schlecht um die Demokratie in Algerien. Das Land braucht nach Jahrzehnten des politischen Stillstands einen demokratischen Neuanfang. Prominente Sprecherinnen der Demokratiebewegung in Gefängnissen wegzuschließen, wird Algeriens Probleme nicht lösen“, erklärte GfbV-Direktor Ulrich Delius am Montag in Göttingen. 

Die 44 Jahre alte Gynäkologin wurde 2014 zu einer der bekanntesten Sprecherinnen der Protestbewegung Barakat („Es reicht“). Die Bewegung wandte sich gegen eine geplante vierte Amtszeit des damaligen Staatspräsidenten Bouteflika. Später engagierte sich die Masirin (Berberin) in Hirak für eine Ablösung des schwer kranken Präsidenten. Die masirische Bevölkerungsgruppe ist in der Demokratiebewegung besonders stark vertreten. 

Scharf kritisierte die GfbV die Regierung Algeriens unter dem seit Dezember 2019 regierenden Staatspräsidenten Abdelmadjid Tebboune. „Statt der angekündigten Reformen gibt es unter Tebboune noch mehr Repression als unter seinem Vorgänger“, erklärte Delius. Unrechtsurteile wie das gegen Bouraoui verstärkten unter jungen Menschen in Algerien nur den Eindruck, dass die Regierung ihres Landes zu den überfälligen Reformen weder fähig noch willens ist. Dies schüre nur die Hoffnungslosigkeit unter jungen Menschen, die in Algerien für sich keine Zukunft sehen, solange es dort weder eine Aussicht auf Demokratie noch auf eine Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse und auf mehr Arbeitsplätze gebe. „Europa sollte diese negative Entwicklung endlich ernster nehmen. Der Migrationsdruck nach Europa wird zunehmen, wenn sich die Lage in Algerien weiter verschlechtert“, erklärte Delius.