07.03.2018

Anzeichen von Langzeitschäden bei Roma aus verseuchten UN-Flüchtlingslagern mehren sich!

Ergebnisse einer Umfrage der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV)

Für die Dokumentation hat die GfbV 50 Betroffene mit 213 Kindern befragt. Die gesundheitlichen Beschwerden, die viele Roma zu Protokoll gaben, deuten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit darauf hin, dass sie durch die hohe Bleibelastung in den UN-Flüchtlingslagern lebenslange Schäden davongetragen haben. Foto: GfbV

Die amerikanische Anwältin Dianne Post reichte im Jahr 2008 im Namen von 192 Roma, Aschkali und Balkan-Ägyptern aus dem Kosovo beim UN Beratungsausschuss für Menschenrechte, der für die Interimsverwaltungsmission der Vereinten Nationen im Kosovo (engl.: Human Rights Advisory Panel, HRAP, to the United Nations Interim Administration Mission in Kosovo, UNMIK) eingerichtet wurde, Beschwerde ein. Die Roma, Aschkali und Balkan-Ägypter hätten in den fünf Flüchtlingslagern in Nord-Mitrovicë/Mitrovica, in denen die UNMIK sie von 1999 bis 2013 als Binnenvertriebene untergebracht hatte, schwere gesundheitliche Schäden erlitten. Die Lager waren mit Blei und anderen Schwermetallen verseucht. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) unterstützte ihre Beschwerde.

In den Lagern waren die Flüchtlinge einer enormen Belastung durch Schwermetalle, unter anderem Blei, Arsen und Kadmium, ausgesetzt. Die Camps waren 1999 vom UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (engl.: United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) und seinem ausführenden Partner Action by Churches working together (ACT) in der Nähe der hochgradig bleibelasteten Abfalldeponien des Minenkomplexes Trep?a errichtet worden – trotz mehrfacher Warnungen verschiedener Experten, unter anderem der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation). Der Aufenthalt der Lagerbewohner sollte vorläufig auf 45 Tage beschränkt sein. Die Hügel, von denen die Lager umgeben waren, bestanden aus dem Abraum einer Verhüttungsanlage, die im Jahr 2000 stillgelegt wurde. Der Wind verteilte von dort aus unaufhörlich verseuchten Staub über die Flüchtlingslager. Nach Angaben der WHO waren 88 Prozent der Lagerfläche durch ihre unmittelbare Nähe zu der Erzhütte für eine menschliche Besiedlung nicht geeignet, da die Bleiwerte im Boden um das Vielfache über dem Grenzwert lagen, von dem an die Bleikonzentration für die Gesundheit als bedenklich gilt.

Etwa 600 Roma, Aschkali und Balkan-Ägypter hielten sich mehrere Jahre in den Flüchtlingslagern auf und nahmen unweigerlich enorme Mengen von Blei auf, sei es über die Atemwege, durch die Nahrung oder bereits als Fötus über die Plazenta.

Die ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohner der verseuchten Flüchtlingslager leiden bis heute unter Gesundheitsschäden. Um mehr Druck auf die UN, ihre Gremien und die Kosovo-Regierung auszuüben, die Betroffenen individuell zu entschädigen, führte die GfbV im August 2017 eine Umfrage unter ihnen durch. Diese Umfrage sollte einen Überblick über den aktuellen gesundheitlichen Zustand der Betroffenen geben und notwendige Schritte definieren, wie die Rechte der Roma, Aschkali und Balkan-Ägypter wirksam geschützt und durchgesetzt werden können.

Es ist wichtig anzumerken, dass die GfbV als Menschenrechtsorganisation nicht beurteilen kann, welche der heutigen Gesundheitsprobleme der ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohner der Flüchtlingslager für Binnenvertriebene im Kosovo in den 1990er Jahren eine direkte Folge der Bleivergiftung sind (und welche nicht). Um sicherzugehen, müsste man die Betroffenen erneut umweltmedizinisch untersuchen. Als Screeningmethoden eignen sich Haar-, Urin- und Blutanalysen. Darüber hinaus können weitere Analysen wie z.B. Stoffwechseltests (z.B. organische Säuren, Hormone, etc.) hilfreich sein.

Dennoch legen die Ergebnisse der GfbV-Umfrage den Schluss nahe, dass die Menschen, die in den Flüchtlingslagern lebten, einer zu hohen Bleibelastung ausgesetzt waren und davon bereits Langzeitschäden davongetragen haben könnten. Dieser Verdacht wird dadurch erhärtet, dass es bei den Betroffenen nicht nur Anzeichen einer klassischen Bleivergiftung gibt, sondern auch Anzeichen, die mit großer Wahrscheinlichkeit Krankheitsbildern einer Autoimmunerkrankung entsprechen könnten.

Um diese Annahme zu erhärten oder zu widerlegen, fordert die GfbV, unterstützt durch den Umweltmediziner Klaus-Dietrich Runow, dass insbesondere die kranken Menschen und die Kinder sowie Frauen genauer untersucht und allen Betroffenen angemessene medizinische Hilfe durch internationale Ärzteteams garantiert wird. Es muss vor allem den Kindern geholfen werden.

Die Umfrage zeigte deutlich, dass sich die schwierige wirtschaftliche und soziale Lage, aber auch die Gesundheitsversorgung der Roma, Aschkali und Balkan-Ägypter nach dem Verlassen der Flüchtlingslager nicht verbessert hat. Das bestätigte auch ein Bericht von Human Rights Watch im September 2017. Einige der Interviewten meinten sogar, in den Flüchtlingslagern wäre es ihnen damals besser gegangen als heute. Diese niederschmetternde Aussage spiegelt das Versagen sowohl der Regierung des Kosovo als auch der internationalen Gemeinschaft und der Vereinten Nationen wider. Sie hätten dafür sorgen müssen, dass sich die deprimierende Lebenswirklichkeit der Roma, Aschkali und Balkan-Ägypter zum Besseren wendet. Wesentlich dazu beitragen könnte die wirksame Stärkung ihrer Minderheitenrechte und die Einstellung von Benachteiligung bei Behörden und in der Gesellschaft. Dazu gehört, dass die Opfer der Bleivergiftung entschädigt werden und die UN sich endlich öffentlich entschuldigen.

Sie können unser Dokumentation "Anzeichen von Langzeitschäden bei Roma aus verseuchten UN-Flüchtlingslagern mehren sich!" hier herunterladen (pdf).

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