20.11.2009

Bangladesch: Indigene Völker der Chittagong Hill Tracts hoffen auf Umsetzung des Friedensabkommens

Chittagong Hill Tracts / Bangladesch (SONNE-International, flickr.com)

1997 beendete ein Friedensabkommen den gewaltsamen Kampf zwischen der Regierung Bangladeschs und der indigenen Bevölkerung in den Chittagong Hill Tracts (CHT) im Südosten des Landes. Der Vertrag versprach den auch Jumma genannten Hochland-Indigenen die Umsetzung fünf zentraler Punkte: die Klärung von Landrechten für Indigene, die Förderung ihrer Kulturen, die Wiederaufnahme der (Binnen-) Flüchtlinge, den Teilrückzug des Militärs aus den CHT und die Selbstverwaltung durch regionale und Distrikträte. Bis heute wurden die Ziele nicht umgesetzt.

 

Der Landbesitz der Jumma wird noch immer nicht politisch anerkannt und ist rechtlich nicht abgesichert. Ihre politische und soziale Mitsprache ist nach wie vor äußerst eingeschränkt, der Einfluss der Armee behindert den Ausbau ziviler Strukturen. Menschenrechtsverletzungen und Übergriffe der muslimischen Siedler bedrohen die Jumma und ihre Kultur tagtäglich.

 

Hoffnung auf eine Lösung des Konflikts weckte im Dezember 2008 der Sieg der linksgerichteten Parteienallianz der Awami-Liga bei den Parlamentswahlen in Bangladesch. Premierministerin Scheich Hasina versprach die Umsetzung des Friedensvertrags. Kritisch werden seitdem die ersten staatlichen Maßnahmen von internationalen Beobachtern und indigenen Organisationen verfolgt. Sanjeeb Drong, Generalsekretär der nationalen Nichtregierungsorganisation Bangladesh Indigenous Peoples Forum und selbst vom Volk der Garo, hält es für völlig offen, ob ein Prozess in Gang kommt, der die Situation der Indigenen grundsätzlich verbessern könne. Bei seinem Besuch der GfbV im September 2009 in Göttingen vermutete er, die Regierung wolle sich auf internationaler Bühne demokratisch präsentieren, um Hilfsgelder und Investitionen ins Land zu holen. "It’s all publicity" – "Alles nur Kosmetik", so Drong.

 

Die Einrichtung einer Kommission zur Bearbeitung der Landrechtskonflikte und eine Arbeitsgruppe für die Rückführung von Flüchtlingen sind die bisher wichtigsten erzielten Fortschritte. Doch statt den ehemaligen Landbesitz der Flüchtlinge zu registrieren, sollten strittige Fragen direkt angegangen werden, kritisiert die unabhängige internationale Menschenrechtsorganisation CHT Commission, die die Entwicklung in den CHT beobachtet und Empfehlungen für die Umsetzung des Friedensvertrags ausspricht. Ihrer Meinung nach müssten Besitzurkunden ausgestellt und für überschneidende Ansprüche eine Regelung gefunden werden. Unregelmäßig genutzte Ländereien und Plantagen sollen sofort wieder auf die Jumma übertragen werden. Die Kommission fordert außerdem einen konkreten Zeitplan sowie ausreichend finanzielle Mittel für die Umsetzung des Vertrags.

 

Das Verhältnis zwischen indigener und muslimischer Bevölkerung ist äußerst gespannt. 400.000 muslimische Siedler leben derzeit auf Ländereien, von denen die Jumma einst vertrieben worden sind. Sie fürchten, das Land wieder für die indigene Bevölkerung räumen zu müssen. Mit Landraub, illegaler Besetzung, gewaltsamen Überfällen, Vergewaltigungen und Mord versuchen sie, die Jumma zu verdrängen und so ihre eigene Position zu stärken. Die meisten Siedler wollen in den CHT bleiben, die vertriebenen Jumma wollen auf ihr Land zurückkehren. Deshalb sind Konzepte zur Konfliktlösung und Versöhnung unumgänglich, um das Verhältnis zwischen beiden Bevölkerungsgruppen dauerhaft zu entspannen.

 

Doch allein der Abzug der ersten Truppen von den CHT und die Schließung einiger Armeelager haben landesweite Proteste gegen die Umsetzung des Friedensvertrags hervorgerufen. Gegner des Abkommens aus Militär und politischer Opposition sehen darin eine Gefährdung der Sicherheit in den CHT, da sie befürchten, dass die Autonomiekämpfe der Indigenen wieder ausbrechen könnten. Denn der Anteil der Siedler ist von fünf Prozent im Jahr 1960 auf heute 45 Prozent angestiegen. Dies begünstigte auch die Verbreitung des Islam in den CHT. In den vergangenen Jahren nahm beispielsweise die Zahl privater Koranschulen deutlich zu. Allein im Jahr 2002 wurden nur im Distrikt Khagrachhari rund 300 neue Moscheen auf indigenem Land errichtet. "Selbst an Orten, wo keine Menschen leben, stehen jetzt Moscheen und sobald sie einmal gebaut wurden, lässt sich das nicht mehr rückgängig machen – denn Moscheen dürfen nicht abgerissen werden", berichtet Sanjeeb Drong. Er befürchtet, dass dies schwere Folgen für die Kultur der indigenen Völker haben wird.

 

Um dies zu verhindern, fordern die indigenen Völker neben der Umsetzung des Friedensvertrags mehr Mitspracherecht: sei es bei forstwirtschaftlichen Vorhaben, der Nutzung natürlicher Ressourcen, Entwicklungsprojekten oder Maßnahmen für Bildung und Gesundheit, die die Lebensbedingungen der Indigenen betreffen. Voraussetzung dafür ist eine proportionale Vertretung der Indigenen in den entsprechenden Regional- und Distrikträten sowie eine gewisse Autonomie von der Nationalregierung. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Günter Nooke begrüßte vor seinem Bangladesch-Besuch im Oktober 2009 die Bemühungen der dortigen Regierung, die Menschenrechte weiter zu stärken und forderte sie auf, für die CHT eine friedliche Lösung zu finden.

 

Es wäre wünschenswert, wenn die neue Bundesregierung die Entwicklungen in den CHT weiterhin verfolgen und im Rahmen der EU-Außenpolitik besonders auf entwicklungspolitische Maßnahmen zugunsten der Indigenen drängen würde. Eine Lösung des Konflikts in den CHT könnte auch ein Hoffnungsschimmer für die rund eine Million Indigenen im bengalischen Flachland sein. Denn auch hier kämpfen sie darum, dass die Regierung ihre Rechte anerkennt und endlich der ethnischen Vielfalt in Bangladesch gerecht wird.

 

 

Hintergrund: Indigene Völker der Chittagong Hill Tracts

 

Seit etwa 400 Jahren leben indigene Völker in der 14.000 Quadratkilometer großen waldreichen Bergregion der Chittagong Hill Tracts (CHT) im Südosten des früheren Bengalen. Die zwölf Ethnien unterscheiden sich untereinander sowie von den muslimischen Bengalen in Sprache, Kultur und Religion. Die 400.000 buddhistischen Chakma und Marma bilden die größten Gruppen der circa 700.000 Indigenen, gefolgt von den hinduistischen Tripura sowie christlichen und animistischen Völkern. Alle betreiben an den steilen Berghängen traditionellen Brandrodungsfeldbau, jhum genannt, weshalb sie sich kollektiv als Jumma bezeichnen.

 

Unter der britischen Kolonialherrschaft waren die CHT noch ein eigenständiges Gebiet, in dem nur Jumma lebten. Bei Gründung des muslimischen Pakistan 1947 wurden die CHT Ostpakistan, dem heutigen Bangladesch, zugeschlagen. Die zunehmende wirtschaftliche Nutzung und die Ansiedlung muslimischer Landloser aus dem bengalischen Delta führten zur Vertreibung und Entrechtung der Indigenen. Mit dem Bau des Kaptai-Staudamms in den 1960er Jahren wurden 40 Prozent des gesamten Ackerlands in den CHT geflutet. Etwa 100.000 Jumma verloren ihre Lebensgrundlage und mussten fliehen. Rund 60.000 von ihnen gingen nach Indien und Burma. Im 1971 gegründeten Bangladesch verschärfte sich die Lage, denn nun wurden die Jumma mit brutaler Gewalt vertrieben. Enteignetes Land wurde für Forst- und Landwirtschaft, militärische Zwecke und für die Ansiedlung von etwa 400.000 Muslimen verwendet. Circa 200.000 Jumma verloren durch die staatliche Vertreibungspolitik ihr Leben, hunderttausende wurden zu Flüchtlingen und verloren ihre Lebensgrundlage. Indigene Widerstandgruppen griffen aus Verzweiflung zu den Waffen, um sich selbst zu verteidigen. Ein Friedensabkommen beendete 1997 zwar die Kämpfe, aber die politische Anerkennung, gezielte Förderung und umfassende soziale Beteiligung der Jumma steht bis heute aus.