23.01.2012

Bedrohte Minderheiten nicht allein lassen!

Arbeitsschwerpunkte der GfbV im Jahr 2011: Ein Rückblick

Türkei

Großes Engagement für Kloster Mor Gabriel

Türkische Medien schickten Reporter, als die GfbV mit kurdischen und türkischen Freunden am 6. Juli vor den Toren des syrisch-orthodoxen Klosters Mor Gabriel im Südosten der Türkei eine Mahnwache organisierte. So zeigten wir der türkischen Öffentlichkeit: Das ehrwürdige assyrisch-aramäische Zentrum darf nicht angetastet werden! Muslimische Nachbarnwollen es seiner Ländereien berauben - und werden von der Regierungspartei unterstützt. Seit Jahren fordert die GfbV von der Türkei, die Verfahren gegen das Kloster einzustellen und den assyrischaramäischen Christen endlich echte Glaubensfreiheit zu gewähren.

Tschetschenien

Bildarchiv über Kriegsverbrechen eröffnet

Bei ihrem ersten Besuch 1999 brachten Zainap Gaschajewa und Lipkan Basajewa riesige Mappen mit. Darin waren Fotos von Folteropfern, Erschießungen, Bombardierungen und Flucht während des Völkermords in Tschetschenien. Die Bilder erzählten schreckliche Geschichten. Jetzt können sie in einem Archiv, in dem auch Videos gesammelt sind und das bei der GfbV-Sektion in der Schweiz angesiedelt ist, nachgelesen werden. Bis dahin war es ein weiter Weg: Die Bilddokumente mussten aus Tschetschenien und Moskau herausgeschmuggelt, aufgearbeitet und ausführlich beschriftet werden. Parallel dazu sorgten wir dafür, dass unsere Partnerinnen mit Geldgebern für ihre politischen und humanitären Projekte und sie selbst zu ihrem eigenen Schutz bekannter wurden. Wir luden die beiden Tschetscheninnen viele Male nach Deutschland, in die Schweiz und zur UN ein, wo sie über Kriegsverbrechen und Genozid informierten. Heute lebt Zainap Gaschajewa als anerkannter Flüchtling in Bern und arbeitet bei unserer dortigen GfbV-Sektion. Sie sagt: „Ziel unseres Archivs ist es, die Erinnerung an die Schrecken der beiden Tschetschenienkriege zu bewahren und schließlich die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.“

Deutschland

Flüchtlinge schützen!

Die Aufregung hat Edmond Gashi krank gemacht. Am 15. März 2011 wurde ihm mitgeteilt, er werde in einer Woche in den Kosovo abgeschoben. Seitdem schwebt er in höchster Angst. Gashi wurde 1989 in Uslar geboren und ist in Deutschland aufgewachsen. Der Kosovo ist für ihn ein fremdes Land, aus dem seine Eltern flüchten mussten. Dort kennt er niemanden, er spricht nicht einmal die Sprache. Gashi verdient seinen Lebensunterhalt als Produktionshelfer selbst. Sein Arbeitgeber wird ihn wieder einstellen, wenn er bleiben darf. Jetzt ist Gashi im Kirchenasyl. Das ist seine letzte Zuflucht in seinem geliebten Deutschland. Das Schicksal des jungen Roma Gashi ist kein Einzelfall. Ständig suchen Flüchtlinge, die viele Jahre unter uns gelebt haben, Hilfe bei uns, weil sie mit Abschiebung bedroht werden. Unter ihnen sind viele Jugendliche und Kinder. Deutsch ist ihre Muttersprache. Wir unterstützen ihre Anwälte, reichen Petitionen ein, informieren die Medien, sprechen bei Behörden vor oder kümmern uns mit christlichen Gemeinden darum, dass sie im Kirchenasyl erst einmal sicher sind. Es gelingt uns nicht immer, Flüchtlinge zu schützen. Und es ist schwer zu ertragen, mit ansehen zu müssen, wie Menschen aus ihrem Zuhause und dem Kreis ihrer Familie gerissen und sogar in Bürgerkriegs- oder Genozidgebiete deportiert werden. Umso mehr fühlen wir uns verpflichtet, unsere Anstrengungen für Schutzsuchende noch zu intensivieren.

Leonard Peltier

Indianisches Opfer harter US-Justiz

Er ist schwer krank, seit 35 Jahren unschuldig in Haft und noch immer der Willkür der US-Behörden ausgeliefert: Im September 2011 wurde der indianische Bürgerrechtler Leonard Peltier in ein Gefängnis in Florida verlegt, weit entfernt von seinen Angehörigen und Anwälten. Wir organisierten für Len Foster vom Verteidigerkomitee Peltiers eine Begleitveranstaltung beim UN-Menschenrechtsrat in Genf und unterstützten seine Lobbyarbeit bei den UN in New York. An seinem 67. Geburtstag (12.9.) gestalteten wir bei Radio Corax einen Tag für Peltier mit. Mehrfach baten wir die mehr als 3000 Teilnehmer unseres Peltier-EMail-Verteilers, sich für seine Begnadigung oder wenigstens für bessere Haftbedingungen und medizinische Betreuung für seine Diabetes und Herz-Kreislaufbeschwerden einzusetzen.

Äthiopien

Anuak droht die Vertreibung

Sein leidenschaftlicher Hilferuf ließ niemanden kalt: „Wir Anuak werden dem Profit internationaler Agrarkonzerne geopfert, bitte helfen Sie uns!“, beschwor Obang Metho, der Sprecher des „Anuak Justice Council“, seine Zuhörer. Er war auf Einladung der GfbV aus dem Exil in Kanada zu einer Konferenz der „DeutschenWelle“ für mehr als tausend Journalisten aus aller Welt nach Bonn gekommen. Den rund 60.000 Anuak-Ureinwohnern imSüdwesten Äthiopiens droht das Aus, weil die Regierung ihr Land unrechtmäßig verpachten will. Auf einer Fläche so groß wie die Niederlande sollen riesige landwirtschaftliche Betriebe entstehen. Die GfbV hat den drohenden Landraub zum Thema gemacht: In Fernsehreportagen, die wir anregten und betreuten, in vielen Interviews, aber auch im UN-Menschenrechtsrat. Als Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel im Januar 2011 Äthiopien besuchte, konfrontierte er Premierminister Zenawi mit unserer Kritik. Empfindlich getroffen reagierte der Diktator mit einem Wutausbruch. Auf unsere dann mehrfach vorgetragenen Forderungen, die Entwicklungshilfe für Äthiopien einzustellen, ging die Bundesregierung bisher nicht ein. Offenbar soll Äthiopien als wichtiger Partner im Antiterror-Kampf nicht verärgert werden. Wir kämpfen weiter gegen die Vertreibung der Anuak.

China

Verfolgten Tibetern, Uiguren und Mongolen eine Stimme geben

Tibeter, Uiguren und Mongolen und die gesamte Demokratiebewegung Chinas wurden in den vergangenen 30 Jahren nie so massiv unterdrückt wie heute. Wie sehr sie darunter leiden, haben 2011 bis Anfang November elf tibetische Nonnen und Mönche auf schreckliche Art und Weise gezeigt: Sie haben sich öffentlich selbst verbrannt. In der Inneren Mongolei protestieren Nomaden gegen die Zerstörung ihres Landes durch weiträumigen skrupellosen Bodenschatzabbau. Uiguren werden willkürlich inhaftiert und in unfairen Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt. Aus Angst vor rüden Reaktionen Pekings wagt es kaum noch eine Regierung, Kritik zu äußern. Die GfbV tut es trotzdem und bekommt die Wut der chinesischen Machthaber zu spüren. Wenn unsere Repräsentanten im UN-Menschenrechtsrat in Genf ansetzen, ihre Besorgnis über die katastrophale Lage in China zu äußern, unterbricht sie der chinesische Botschafter sofort. Demokratische Staaten müssen immer wieder intervenieren, damit wir verfolgten Tibetern, Uiguren, Mongolen und Chinesen eine Stimme geben können. Chinas autoritäre Führung will uns mundtot machen und bemüht sich auch darum, uns den Status als Nichtregierungsorganisation bei den UN zu entziehen. Medien aus aller Welt greifen unsere Kritik an Chinas Unterdrückungspolitik auf. Oft rufen uns Korrespondenten aus Peking an, um sich über die Hintergründe der Verfolgung von Nationalitäten zu informieren. Chinas Einfluss wird auch in den Nachbarländern immer stärker, so dass tibetische und uigurische Flüchtlinge selbst dort um ihr Leben fürchten müssen. Zum Glück konnten wir gerade noch erreichen, dass Nepal mehr als zwei Dutzend tibetische Flüchtlinge nicht an China auslieferte. Doch der Druck Pekings wächst, nicht nur auf Nepal, Kambodscha, Pakistan und die zentralasiatischen Nachbarn. Mit Presseerklärungen, Protestaktionen und Menschenrechtsreporten prangerten wir an, dass verfolgten Uiguren und Tibetern oft der lebensrettende Schutz verweigert wird. Chinas bedrängte Nationalitäten vertrauen darauf, dass wir ihnen auch weiterhin eine Stimme geben.

Brasilien

Schutz für indianische Gemeinschaften

Das riesige Staudammprojekt Belo Monte am Rio Xingu im Amazonasgebiet Brasiliens gefährdet zahlreiche indianische Gemeinschaften und Fischer. Deshalb ist auch Bischof Erwin Kräutler, Präsident der katholischen Menschenrechtsorganisation CIMI, erbitterter Gegner dieses weltweit drittgrößten Kraftwerks. Der Fluss würde an einigen Punkten zeitweise austrocknen, wäre nicht mehr schiffbar, einzigartige Fischarten würden zugrunde gehen. Das Projekt ist für die Indianer und die Natur eine Katastrophe und kann wegen der Schwankungen im Wasserhaushalt nicht wirtschaftlich betrieben werden. Trotzdem wollen deutsche Unternehmen wie Voith Hydro oder Mercedes Benz mitverdienen. Den GfbV-Sektionen Deutschland, Schweiz und Österreich schlossen sich 50 NGOs an und appellierten an den Turbinenlieferanten Voith Hydro in einem Offenen Brief, sein Engagement zu überdenken. Weder wurden die indianischen Gemeinden in die Planungen einbezogen noch alle Umweltauflagen erfüllt. Am internationalen Aktionstag Belo Monte (22.8.) beteiligten wir uns mit Mahnwachen in Berlin und überreichten in der Botschaft Brasiliens ein Protest-Schreiben. Jetzt haben wir Jose Carlos Meirelles von der Indianerbehörde FUNAI eingeladen, der für die noch etwa 70 kleinen isolierten Völker im Regenwald Brasiliens kämpft. Er wird in Berlin, Göttingen, Bremen, Hamburg, Frankfurt und Bern um Unterstützung für sein Schutzprojekt im Bundesstaat Acrewerben.

Sudan

Nuba droht Bombentod und Aushungerung

Nur wenige Meter vom Marktplatz entfernt schlugen am 26. Juni in Kurchi in den Nuba-Bergen die Bomben ein und töteten mehr als ein Dutzend Dorfbewohner. Gleichzeitig warnte der anglikanische Bischof der Nuba, Andudu Adam Einail: „Schon wieder droht uns der Alptraum des Völkermordes, drohen unsere Kultur und Gesellschaft ausradiert zu werden.“ Sudanesischer Provinzgouverneur der Nuba-Region ist Ahmed Harun. Er wird vom Internationalen Strafgerichtshof wegen Kriegsverbrechen und Völkermords gesucht. Weder Journalisten noch humanitäre Helfer oder Menschenrechtler dürfen in das Kriegsgebiet einreisen. Wieder werden Massaker begangen, Kirchen zerstört und Kriegsflüchtlinge ausgehungert. Erst vor 15 Jahren wurde ein furchtbarer Vernichtungskrieg des arabisch dominierten Nordsudan gegen die schwarzafrikanischen Nuba-Völker beendet. Fast als einzige hatten wir diesen Völkermord mit rund 500.000 Toten publik gemacht. Damals wurden Ureinwohner auch in die Sklaverei verschleppt. Das Schicksal der jungen Nuba-Sklavin Mende Nazer erregte weltweit Aufsehen. Wir verhinderten 2002, dass sie aus Großbritannien abgeschoben wird. Dort lebt sie nun bis heute in Sicherheit. Schon sind mindestens 120.000 Menschen in den Nuba-Bergen auf der Flucht. Wir haben die Verbrechen dokumentiert und uns an den Weltsicherheitsrat, die Regierungen Europas, an die Abgeordneten des Bundestages und des Europaparlaments gewandt und sie dringend zum Handeln aufgefordert. Im UN-Menschenrechtsrat haben wir freien Zugang zu den verfolgten Nuba gefordert.

Ägypten

Religiöse Extremisten gegen Christen

Mit tränenerstickter Stimme schilderte Diakon Minas Seif auf einer GfbV-Pressekonferenz am 8. Februar in Hannover die schlimmste Nacht seines Lebens. Er hat das Bombenattentat auf die koptische Kathedrale in Alexandria mit 24 Toten und 97 Verletzten überlebt. In Pressemitteilungen, Interviews und Gesprächen mit Politikern mahnte die GfbV, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Doch die Ermittlungen verliefen im Sand. Zehntausende der bis zu zwölf Millionen Kopten Ägyptens demonstrierten gegen Diktator Mubarak – und wurden bitter enttäuscht. 2011 fielen bis November mehr als 80 koptische Christen der Gewalt religiöser Extremisten oder der Armee zum Opfer. Wir beteiligten uns an Kundgebungen der Kopten in Deutschland und halten engen Kontakt mit ihrem Erzbischof Anba Damian. Mit Erfolg setzten wir uns dafür ein, dass das Europaparlament die Gewalt gegen Kopten verurteilte. Nach der „arabischen“ Revolution muss Ägypten seiner christlichen Gemeinschaft endlich volle Gleichberechtigung gewähren!

Syrien

Die Forderungen der kurdischen Menschenrechtsbewegung

„Maschaal Tamo ist tot!“ Die Nachricht, dass unser Freund am 7. Oktober erschossen wurde, traf uns wie ein Schlag. Er war der bekannteste kurdische Menschenrechtler Syriens und wie andere politische Gefangene erst im Juni freigelassen worden. Um Diktator Assad zu entmachten, fordert die kurdische Opposition eine Verschärfung der Sanktionen. Die GfbV initiierte eine Unterschriftenkampagne an Bundeskanzlerin Merkel, den Botschafter Syriens auszuweisen und das Rückübernahmeabkommen mit Damaskus aufzukündigen. Jahrzehntelang haben die Kurden in Syrien gelitten. Ihre Sprache und Identität wurden unterdrückt, Kritiker gefoltert, ermordet. Die GfbV hat das Schicksal vieler Kurden verfolgt, Kontakt mit ihren Familien gehalten, um im Notfall sofort Alarm schlagen zu können. Im August 2011 organisierten wir Gespräche für Kurden und Assyrer-Aramäer im Auswärtigen Amt und luden dann Repräsentanten der syrischkurdischen Allianz im deutschen Exil zu einer Konferenz ein. Sie fordern von der Bundesregierung und der Europäischen Union Hilfestellung bei der Erarbeitung einer neuen Verfassung Syriens. Die Rechte der Kurden, Assyrer-Aramäer, Armenier, Alawiten, Drusen, Ismaeliten und Bahá'í müssen darin garantiert und die Yeziden als eigenständige Glaubensgemeinschaft anerkannt werden.

In Aktion für Menschenrechte

7.3.11: Freiheit für den Retter Sarajevos!

20.4. und 5.5.11: Ureinwohner vor radioaktiver Strahlung schützen!

10.-12.5.11: Ostpreußische „Wolfskinder“ in Deutschland

27./28.6.11: Tage des krimtatarisch-deutschen Dialogs

3.7.11: Kurdische Samstagmütter verlangen Aufklärung

9.7.11: Gedenken an die Völkermordopfer im Südsudan