30.06.2016

Die aufgezwungene Teilung Bosniens muss aufgehoben werden!

Offener Brief an Bundeskanzlerin Merkel

Die 2004 wieder errichtete Brücke von Mostar gilt seit Jahrhunderten als symbolische Brücke zwischen Christentum und Islam. Sie verbindet den Ostteil von Mostar, wo vorwiegend muslimische Bosnier (Bosniaken) leben, mit dem Westteil der Stadt, in dem insbesondere Kroaten zuhause sind. Foto: Alexandrino Arthur via Flickr

Göttingen, den 29.6.2016

Ihr Gespräch mit dem Präsidium Bosnien und Herzegowinas (30.6.): Die aufgezwungene Teilung Bosniens muss aufgehoben werden! Reformprozess einleiten!

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

am Donnerstag werden Sie das dreiköpfige Präsidium des Staates Bosnien-Herzegowina zu Gesprächen in Berlin empfangen.

So sehr wir diese Initiative begrüßen, möchte unsere Menschenrechtsorganisation Sie doch daran erinnern, dass auch die Bundesrepublik Deutschland während des Bosnienkrieges drei lange Jahre den völkermordartigen Verbrechen, den Massenvertreibungen, Massenvergewaltigungen und der Errichtung von zahlreichen Vergewaltigungs- und Konzentrationslagern tatenlos zugesehen hat. Schließlich hat ausgerechnet das inzwischen wiedervereinigte Deutschland dann an der Zweiteilung Bosniens durch das unter Federführung Clintons zustande gekommene Friedensabkommen von Dayton (1995) mitgewirkt. Somit wurde die Hälfte des Landes den serbischen Tätern überlassen und die Rückkehr der nicht-serbischen Bevölkerung so gut wie unmöglich gemacht.

Nicht weniger deprimierend war nach Kriegsende die Zwangsrepatriierung von 194 000 der 320 000 in unser Land geflüchteten Bosnier in ihre geteilte „Heimat“. Dabei war die Rückkehr einer großen Mehrheit dieser Vertriebenen in die seither von serbischen Extremisten regierte Nordhälfte Bosnien-Herzegowinas so gut wie unmöglich. Ebenso verantwortungslos war die zwangsweise Abschiebung zehntausender Bosnier aus Deutschland nach Australien, Kanada und in die USA, weit weg von ihrer Heimat.

Deshalb bitten wir Sie - sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin- sich dafür einzusetzen, dass der widernatürliche von außen oktroyierte Teilungsvertrag aufgehoben wird, um diesen potentiellen Krisenherd in Europa endlich zu beseitigen. Stattdessen soll das Land in seine natürlichen geographischen und historischen Regionen umgewandelt werden. Ein entsprechender Reformprozess sollte von der Bundesrepublik, den EU-Ländern und den USA gemeinsam in die Wege geleitet werden und ein Beitritt zur Europäischen Union vorbereitet werden.

Schließlich bitten wir Sie, sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, sich auch den existentiellen Problemen des wohl ärmsten europäischen Landes zuzuwenden.

Bei einer Arbeitslosenquote von 40 Prozent - bei Jugendlichen von 60 Prozent - und dem Ausbleiben großer Investitionen sowie der weithin verbreiteten Korruption und Vetternwirtschaft unter den Regierenden driftet dieses Land immer mehr einem völligen Bankrott entgegen. Deshalb bitten wir Sie, sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, gemeinsam mit der EU und den USA ein Wiederaufbaukonzept für Bosnien und Herzegowina anzuregen, damit die überlebenden Opfer von Genozid und Vertreibung endlich ein menschenwürdiges Leben führen können.

Mit herzlichen Grüßen

Tilman Zülch, Generalsekretär

P.S.: Wir fügen Ihnen Informationen an:

1. Erklärung jüdischer Persönlichkeiten zur bosnischen Tragödie (pdf)

2. Anhang zum Genozid-Verbrechen / Zusammengestellt von der Gesellschaft für bedrohte Völker (pdf)


Header Foto: Alexandrino Arthur via Flickr