07.11.2012

Eine Reise von West nach Ost im hohen Norden

Samische Stimmungsbilder aus Norwegen, Schweden und Finnland

Aus bedrohte völker_pogrom 272, 4/2012

Seit tausenden von Jahren bevölkern die Samen das Gebiet Sápmi im hohen Norden Europas. Das indigene Volk hatte vor allem in den vergangenen Jahrhunderten mit Diskriminierung zu kämpfen. Auch wenn sich ihre Situation heutzutage spürbar verändert hat, stehen die Samen noch vor vielen Problemen. Wir begeben uns nun auf eine Reise von West nach Ost, von Norwegen über Schweden nach Finnland, und fangen verschiedene Stimmungsbilder ein: In Norwegen werden seit einiger Zeit zweisprachige Schilder zerstört, auf denen die Namen der Orte auch auf Samisch stehen. Wer oder was steckt dahinter? Aus Schweden kommen Rentiereigner zu Wort. Hier kollidieren die Interessen der nachhaltigen Energiewirtschaft, die große Windparks in samischen Siedlungsgebieten errichten will, mit den Samen, die aufgrund des Verlustes der Weideflächen ihre Existenzgrundlage in Gefahr sehen. In Finnland treffen wir schließlich die Samin Ristenrauna Magga. Sie erzählt von ihren Wünschen und Ängsten, die sie für sich und das Volk der Samen hat.

Norwegen

Samen, die keine Samen sein wollen

Von Patrick Frommberg

Vandalismus an samisch-/norwegischsprachigen Ortsschildern: Damit hat der kleine norwegische Küstenort Kåfjord zu kämpfen. Er steht stellvertretend für die Problematik um Integration und Ausgrenzung innerhalb der samischen Gesellschaft. Hier leben Menschen mit samischer Abstammung; unklar ist nur, wie viele. Die Gemeinde hatte auf ihren Ortsschildern die samischen Namen zu den norwegischen Ortsnamen ergänzt. In den darauf folgenden Jahren wurden die Schilder wiederholt von Unbekannten übermalt, mit Gewehren bis zur Unkenntlichkeit zerschossen oder ganz entfernt. Wer greift hier bewusst die durch die zweisprachigen Ortsschilder repräsentierte Form der samischen Identität an? Viele Menschen munkeln, dass es die Samen selbst seien, die ihre Abneigung gegen eine gemeinsame samische Identität mit diesem Vandalismus zum Ausdruck bringen.

Vergleichbare Konflikte um samische Bezeichnungen gibt es aktuell auch in anderen Orten Norwegens und in Åsele in Schweden. Diese Ereignisse können ebenfalls stellvertretend für viele weitere gegenwärtige Konflikte der Samen in Nordeuropa gesehen werden. Viele Menschen, die sehr wahrscheinlich samische Vorfahren haben, lehnen aber das gegenwärtige Konzept einer gemeinsamen samischen Identität, so wie es von führenden samischen Politikern konstruiert und verbreitet wird, strikt ab. Viele Samen erklären diese ablehnende Haltung mit einem Minderwertigkeitsgefühl aus der Vergangenheit, das sie – scheinbar – noch immer haben, wenn sie sich öffentlich als Samen bekennen würden.

Bereits im 19. Jahrhundert verfolgte die norwegische Regierung das Ziel, alle Bewohner des Landes an homogene kulturelle Normen anzupassen mit Hilfe von Schule, öffentlicher Verwaltung und Kirche. Zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde die samische Sprache verboten. Samische Kinder mussten ab 1905 Internate besuchen, wo grundsätzlich nur die norwegische Sprache und Kultur gelehrt wurden. Erst 1959 wurde diese „Norwegisierung“ gestoppt und Samisch wieder unterrichtet. Damit wurde drei Generationen verwehrt, ihre samische Muttersprache in der Öffentlichkeit zu sprechen; genug um eine Sprache in Vergessenheit geraten zu lassen.

Das hat bis heute schwerwiegende Folgen: Im Herbst 2013 wird das samische Parlament, Sameting, in Norwegen neu gewählt. Willy Ørnebakk, ein aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat, spricht jedoch kein Samisch. Vor diesem Hintergrund forderte der aktuelle Präsident Egil Olli, dass sein Nachfolger die samische Sprache beherrschen sollte. Große Teile der samischen Bevölkerung könnten von diesem Amt ausgeschlossen werden, wenn diese Forderung umgesetzt werden würde. Kann die Zugehörigkeit zum Volk der Samen allein an die Sprachkenntnisse gekoppelt werden? Selbst wenn große Teile der samischen Gesellschaft diese Sprache nicht mehr sprechen?

Der norwegische Staat hat den Samen zwar in den vergangenen Jahren viele Rechte und finanzielle Mittel zugestanden. Aber ist damit das Verbrechen der früheren Assimilationspolitik gesühnt? Können sie heute absolut frei über ihre Entwicklung entscheiden und welche Last tragen sie aus der Vergangenheit mit sich?

Obwohl eine selbstbestimmte Entwicklung der Samen in Norwegen gesichert zu sein scheint, so sind die Herausforderungen um eine gemeinsame kulturelle Entwicklung im äußersten Norden Europas neu entbrannt und die samische Gesellschaft scheint sich an diesem Punkt zu spalten. Eine einseitig nationalistische und diskriminierende Politik den Samen in Norwegen gegenüber ist zwar längst Vergangenheit, doch sie hat Wunden in der samischen Gesellschaft hinterlassen.

Zum Autor

Patrick Frommberg hat seine Magisterarbeit über die Samen in Norwegen geschrieben und unterhält viele Kontakte in die Region. Er arbeitet in der Internationalen Entwicklungszusammenarbeit.


Schweden

„Das ist nicht unsere samische Weise zu denken und zu handeln!“

Von Hans-Joachim Gruda

„Natur ist das, was wir atmen, essen und trinken. In unserem Teil der Welt führt der Weg in die Zukunft entlang giftfreier Flüsse und durch weite Jagdgebiete, durch reine Wälder und gelbe Multbeeren-Moore“, schreiben die Sameby in einem Aufruf zu einer Demonstration im Februar 2012. Sie sprechen sich für ein „grubenfreies Jokkmokk “ aus. Der Druck der Energie- und Forstwirtschaft auf die nördlichste Region Europas wächst. Einerseits haben die Samen Hoffnung auf eine ökonomisch bessere Zukunft, andererseits regt sich der Widerstand.

Gegen die Pläne zur Ausweitung des Bergbaus in Kiruna gab es ebenfalls Proteste – von Samen und Nichtsamen! Ein Same aus Kiruna: „Das internationale Kapital sieht nun, da die Ressourcen auf dem Planeten knapper werden, in den abgelegensten und dürftigsten Vorkommen die Chance, in sehr kurzer Zeit sehr viel Gewinn zu machen. Was dann danach bleibt, ist eine zerstörte Natur und ein zerstörtes Gemeinwesen. Das ist nicht unsere samische Weise zu denken und zu handeln!“

Die Energiewirtschaft hat seit über einem Jahrhundert die Flüsse des Nordens gestaut, oft mehrfach im Lauf von der Quelle zum Meer, und damit große Flächen überflutet. Siedlungen, Weidegebiete und die Migrationswege der Rentiere wurden zerstört. Es werden Energiemengen erzeugt, die in den sehr dünn besiedelten Gebieten der Samen niemand braucht. Doch die Gier der Menschen in den Städten im Süden und an der Küste ist grenzenlos. Nun sollen die Tundren mit Windparks voll gebaut werden. Während der Bauzeit werden dort wohl keine Rene weiden wollen und werden sie danach zurückkehren? Und wie wird diese fantastische Landschaft dann aussehen?

Ein großes Problem bleibt auch die Abwanderung junger Samen in die Städte. Dort ist es leichter, den Lebensunterhalt zu verdienen. Viele halten jedoch Kontakt und kehren zu wichtigen Ereignissen wie bei der Kälbermarkierung der Rentiere zurück. „Aber wenn wir ins Gebirge gehen, zu den Herden und den Familien, dann sperre ich alles aus, was nicht samisch ist. Ich grenze mich hier bei den Renen bewusst gegen die westliche Kultur ab“, sagt ein junger Rentierbesitzer. Ein anderer ergänzt: „Für uns ist es jedes Mal wie ein Schritt zurück in unsere gewohnten Denkweisen als Samen, wenn wir zu den Rentierherden gehen.“

Wenn immer weniger Samen Rentierzüchter sind, sondern ihr Auskommen in anderen Berufen finden, stellt sich die Frage nach Identität und Mitbestimmung. Ein Mitglied des schwedischen samischen Selbstverwaltungsorgans Sameting erläutert: „Nach geltendem Recht haben in Schweden nur die Sameby ein Recht auf Mitsprache bei Fragen der Nutzung von Land und Wasser in Sápmi. Doch Mitglied eines Sameby darf nur sein, wer Rentiereigner ist. Dies wird zunehmend als ungerecht und unbefriedigend angesehen, weil damit alle anderen Samen von der Selbstverwaltung ihres Landes ausgeschlossen sind.“

Nicht nur die Natur Sápmis ist akut bedroht und damit die Lebensweise und Existenz der samischen Urbevölkerung. Vorurteile, Diskriminierungen und sogar tätliche Übergriffe gegen Samen sind leider immer noch präsent in der schwedischen Gesellschaft wie folgende Beispiele zeigen: In einer mittelschwedischen Großstadt wurde ein samischer Junge zusammengeschlagen, weil er eine traditionelle samische Mütze trug. Vor zwei Jahren wurde während des Jokkmokk Wintermarktes ein samisches Mädchen von zwei Männern vergewaltigt. Die Täter wurden verurteilt. Der Verteidiger des einen geht in Berufung mit der Begründung, dass samische Frauen und Mädchen seit mehr als 400 Jahren zum Wintermarkt nach Jokkmokk gingen, um dem Alkohol zuzusprechen und Vergnügungen auch sexueller Art zu suchen; daher die Handlungsweise seines Mandanten. Zwei Kinder sprachen während einer Schulpause in Lycksele miteinander Samisch. Ein Mitschüler meldete dies einem Lehrer, der den Geschwistern verbot, in der Schule ihre Sprache zu benutzen. Zwar haben die samischen Sprachen eine bessere Stellung bekommen, doch gibt es einen großen Mangel an Lehrern, Lehrmitteln und Ausbildungsmöglichkeiten. „Aber ich glaube, dass das besser wird mit der Zeit, und dass Samisch das beste kulturelle Kriterium dafür ist, wer Same ist“, sagt ein Same hoffnungsvoll.

Zum Autor

Hans-Joachim Gruda ist Samen-Experte aus Berlin und hat viele Kontakte zu den Samen in Schweden und Norwegen, die er seit vielen Jahren regelmäßig besucht.


Finnland

Zwischen Hoffnung und Resignation

Von Nina Michael

Ristenrauna Magga ist 64 Jahre alt und wurde in einer Rentierzüchterfamilie mit zehn Kindern im finnischen Teil des Samenlandes geboren. Ihre Muttersprache ist Nord-Samisch, die größte samische Sprache, die sie jetzt auch in der Familie und in ihrem Arbeitsumfeld spricht. Sie musste die Schulzeit im Internat weit weg von Zuhause verbringen. Zu ihrer Kinder- und Jugendzeit verfolgte die finnische Regierung noch eine aggressive Politik mit dem Ziel, alles Samische „auszutreiben“. Wegen ihrer Sprache, Kleidung und Sitten ist Ristenrauna Magga als Kind oft diskriminiert, ausgelacht und verspottet worden und konnte damals nicht verstehen, warum. Diese Erlebnisse haben sie motiviert, soziale Aufgaben in ihrem Leben zu übernehmen. So leitet sie die Organisation SamiSoster, die alte samische Menschen sozial betreut.

”Ich sehe mich in der Zukunft als eine samische Alte im Umfeld meiner Familie und der Dorfgemeinschaft. Aber da kann ich mir nicht sicher sein. Jeden Tag erlebe ich mit, dass Samen nach wie vor von einzelnen Menschen und finnischen Behörden diskriminiert werden. Das finde ich sehr erschreckend. Die finnische Regierung widersetzt sich der Ratifizierung der ILO-Konvention , jedenfalls die Volksvertreter in Lappland und so ist es auch im ganzen nördlichen Teil Finnlands. Es gibt die Redensart, dass jede Zivilisation daran gemessen werden kann, wie sie ihre Minderheiten behandelt. Die finnische Zivilisation kann demnach nicht besonders hoch sein, denn sie behandelt die Samen nicht gut. Diese Situation stimmt mich traurig und ich habe das Gefühl, dass die finnische Regierung die Samen am liebsten verschwinden lassen will. Ich hoffe, dass ich dabei nicht resignieren werde“, sagt Ristenrauna Magga.

Zur Autorin

Nina Michael ist Samen-Koordinatorin der GfbV.

Bemerkung nach Redaktionsschluss

Der finnische Ministerpräsident Jyrki Katainen beabsichtigt, die ILO-Konvention 169 während seiner Amtsperiode zu ratifizieren. Dieser politische Akt wäre ein Meilenstein für die Wahrung der Rechte der Samen.

 

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