04.02.2010

Geschichte, Kultur und Kampf um Rechte

Lasen:

Einleitung

Am 01. Januar 2009 ging mit TRT 6 der erste Kurdischsprachige Fernsehsender in der Türkei auf Sendung. Dies stellte eine kleine Revolution da: zum ersten Mal seit Gründung der türkischen Republik wurde einer Minderheitensprache in einem staatlichen Medium Platz eingeräumt. Während Kurden innerhalb und außerhalb der Türkei darauf verweisen, dass im Ausland bereits zahlreiche kurdische TV- Sender existieren und zur Lösung des kurdisch-türkischen Konfliktes andere Schritte dringlicher wären, stellt eine Institution wie TRT 6 für viele andere Minderheiten in der Türkei ein erstrebenswertes Ziel dar, welches für sie aber noch in weiter Ferne liegt.

Denn in der Türkei leben neben den staatlich anerkannten Minderheiten der Juden, Griechen und Armenier sowie den Kurden noch zahlreiche weitere ethnische und religiöse Minderheiten, über deren Schicksal innerhalb wie außerhalb des Landes oft nur wenig bekannt ist. Sie hatten in der Regel das Glück, von blutigen Konflikten verschont zu bleiben, wie sie die Geschichte der kurdischen, armenischen oder griechischen Bevölkerungsgruppen in der Türkei prägen, und die noch heute Bücher und Zeitungen füllen; Parlamente und Gerichte beschäftigen.

Doch der Preis dafür ist ein langsames Verschwinden dieser Gemeinschaften. Ohne politische Repräsentanz oder internationale Kampagnen zu ihrer Unterstützung sind sie abseits des öffentlichen Interesses einem stetigen Prozess der Assimilierung unterworfen, der den Fortbestand ihrer Sprache und Kultur bedroht.

Generelle Informationen

Eine dieser Minderheiten ist das Bergvolk der Lasen. Ihr Siedlungsgebiet liegt im äußersten Nordosten der Türkei, in den Provinzen Trabzon, Artvin und Rize. Ihre Gesamtzahl wird auf bis zu eine halbe Million Menschen geschätzt. Minderheiten von Lasen leben auch in der zu Georgien gehörenden autonomen Region Adscharien (32.000) und auf dem Gebiet der russischen Föderation (221), sowie als Teil der türkischen Einwanderer in vielen Ländern Europas (Schätzungen zwischen 5.000 und 50.000). Die Lasen sind ein südkaukasisches Volk, am nächsten verwandt sind sie mit den in Georgien ansässigen Mingrelen.

Geschichte

Die Lasen führen ihre Geschichte auf das antike Königreich Kolchis zurück, das sich ab etwa dem 6. Jahrhundert v. C. entlang der Schwarzmeerküste über Teile des heutigen Georgiens und der Nordost- Türkei erstreckte. Das Gebiet war im laufe der folgenden Jahrhunderte Schauplatz von Machtkämpfen zwischen dem Römischen Reich, dem Königreich Armenien und dem Königreich Pontus. Rom setze sich schließlich durch und das Gebiet blieb über Jahrhunderte römisch. Die Spure der hellenischen Kultureinflüsse dieser Zeit sind bis heute sichtbar. Ende des dritten Jahrhunderts erlangte das Gebiet seine Unabhängigkeit zurück, es wurde nun allerdings nicht mehr Kolchis genannt sondern Lazika. Das Königreich Lazika bestand über 250 Jahre, bevor es vom byzantinischen Reich annektiert wurde. 1461 kam es schließlich unter osmanische Herrschaft, als Sultan Mehmet II. das aus Byzanz hervorgegangene Kaiserreich Trapezunt eroberte. Es entstand der Sandschak Lazistan. Damit lösten die osmanisch- türkische Kultur der und Islam die byzantinische Kultur und den griechisch-orthodoxen Glauben als dominante Einflüsse ab; bis auf eine vorübergehende russische Besatzung während des ersten Weltkrieges hat das Siedlungsgebiet der Lasen seither stets unter türkischer Oberherrschaft gestanden.

Offizieller Status

Die Lasen sind in der Türkei nicht offiziell als Minderheit anerkannt. Vom Staat offiziell anerkannt werden nur drei Minderheiten: Armenier, Griechen und Juden. Gemäß dieser Politik sammelt der Staat keine Daten nach ethnischen oder linguistischen Gesichtspunkten, über Zahl und Siedlungsgebiet anderer Minderheiten ist nur wenig bekannt. Es existieren keine Formen von kultureller oder politischer Autonomie die lasische Volksgruppe. Auch leistet der Staat keine Beihilfe zu Maßnahmen, die dem Erhalt von Kultur und Sprache dienen, daher stehen sie unter einem hohen Assimilationsdruck. Wie andere Minderheitensprachen kann Lazuri nicht im öffentlichen Raum, etwa bei Behörden gesprochen werden und wird nicht offiziell an Schulen unterrichtet. Auch eine Medienpräsenz ist praktisch nicht vorhanden. Von der beginnenden Liberalisierung des Umganges mit Minderheitensprachen konnten die Lasen nicht profitieren, kürzlich eingeführte Reformen diesbezüglich erstrecken sich nicht auf ihre Sprache.

Sprache und Schrift

Die lasische Sprache, Lazuri, bildet mit Georgisch, Swanisch und Mingrelisch die südkaukasische Sprachfamilie. Am engsten ist sie mit dem Mingrelischen verwandt. So eng, das einige Linguisten beide als eine einzige Sprache zusammenfassen, genannt "Zan". Zum Türkischen besteht keinerlei sprachliche Verwandtschaft, dennoch wird die Sprache vielfach fälschlich als ein "türkischer Dialekt" bezeichnet. Das Lasische war die meiste Zeit seiner Geschichte über keine Schriftsprache, erlebte dann aber innerhalb von weniger als 150 Jahren gleich drei Versuche, es zu einer solchen zu machen. Zunächst gab es in den 1870er Jahren im Osmanischen Reich Bestrebungen, es mit arabischen Buchstaben wieder zu geben. Diese scheiterten jedoch schnell, nicht zuletzt am Widerstand der Obrigkeit. Nach dem ersten Weltkrieg gab es im sowjetisch besetzten Georgien ähnlich erfolglose Versuche basierend auf dem georgischen Alphabet. Nach der Gründung der Türkei wurde das Lasische wenn überhaupt in lateinischen Buchstaben wiedergegeben, aufgrund der staatlichen Sprachen- und Minderheitenpolitik gingen die Bestrebungen allerdings lange nicht über das private Interesse einiger Linguisten hinaus.

Von den oben genannten ist das georgische Alphabet aufgrund der nahen Verwandtschaft der Sprachen am besten geeignet, die Wiedergabe in lateinischer Schrift ist nicht unproblematisch. Als Kompromisslösung für die Lasen in der Türkei wurde in den 80er Jahren ein eine modifizierte Version des lateinischen Alphabets entwickelt, die mittlerweile in der lasischen Bevölkerung weithin akzeptiert ist und als Medium für alle existierenden lasischsprachigen Publikationen in der Türkei dient. Durch den langen Kontakt mit der sie umgebenden türkischsprachigen Bevölkerung haben die Lasen eine große Zahl an türkischen Lehnwörtern in ihre Sprache übernommen, vor allen Bezeichnungen für Dinge des täglichen Gebrauchs.

Da es keine verlässlichen Daten dazu gibt, kann die Zahl der Sprecher des Lasischen nur geschätzt werden, die oft schon stark veralteten Angaben schwanken zwischen 30.000 und 250.000 Menschen. Allgemein anerkannt ist ein starker Generationsbruch, während die meisten älteren Lasen ihre Sprache sowohl verstehen als auch sprechen, haben sie sie nicht an ihre Kinder weitergegeben, so dass es heute nur sehr wenige junge Leute gibt, die sich auf Lasisch verständigen können.

Religion und Kultur

Anders als die ihnen nah verwandten Mingrelen, die dem Orthodoxen Glauben angehören sind die Lasen in der überwiegenden Mehrheit sunnitische Muslime. Sie folgen wie die meisten Muslime der Türkei der hanafitischen Rechtschule. Eine kleine Minderheit in Georgien sind Anhänger der georgisch-orthodoxen Kirche. Die Stadt und der Bezirk Of in der Provinz Trabzon sind seit osmanischer Zeit berühmt als bedeutende Zentren islamischer Bildung.

In der lasischen Alltagskultur sind nach wie vor Brauchtümer aus vorislamischer wie auch vorchristlicher Zeit lebendig, vor allem im Zusammenhang mit Geburt, Ehe und Tod, dem Wechsel der Jahreszeiten und der Seefahrerei. Weiterhin ist sind Einflüsse der sie umgebenden türkischen Kultur wie auch Elemente anderer Kulturen zu erkennen, mit denen sie im Laufe der Jahrhunderte in Kontakt kamen. Ein wichtiges Beispiel dafür sind die pontischen Griechen - der bekannte lasische Volkstanz Horon lässt deutlich hellenische Einflüsse erkennen.

Die wichtigsten Wirtschaftzweige der Region und Lebensgrundlagen der meisten Lasen sind Landwirtschaft und Fischerei. Angebaut werden vor allem Tee, Mais und Haselnüssen sowie verschiedene Obstsorten. Die Landwirtschaft ist Grundlage des relativen Wohlstandes der Region, dennoch gibt es vor allem unter jungen Menschen eine starke Arbeitsmigration in die Großstädte oder ins Ausland. Allerdings werden die Verbindungen in der Regel nicht vollständig gekappt, viele der in anderen Teilen der Türkei ansässigen Lasen kehren zumindest für einen Teil des Jahres in die alte Heimat zurück.

Bestrebungen zur Wiederbelebung

Es gab historisch nie eine Organisation in den Lasengebieten oder im Ausland, die als politische oder kulturelle Vertretung für die Bevölkerung hätte agieren können. Auch gibt es keine Repräsentation in internationalen Organisationen, das Schicksal der Lasen stößt sofern überhaupt bekannt meist auf Desinteresse.

Jede Form von Aktivismus ging daher stets von Privatpersonen aus. Auf kultureller Ebene ist vor allem die Musik von Bedeutung. Eine Reihe überregional bekannter Künstler lasischen Ursprungs hat durch moderne Interpretationen traditioneller Musik und lasische Liedtexte zu neuerlichem Interesse an der Sprache beigetragen. Für viele Menschen außerhalb der Schwarzmeerregion war dies der erste Kontakt mit der Sprache, die oftmals für einen türkischen Dialekt gehalten wird. Ein in der ganzen Türkei bekannter lasische Musiker war zum Beispiel der 2005 verstorbene Kazım Koyuncu. Koyuncu, der auch ein prominenter Umweltschützer und Atomkraftgegner war, sang neben Türkisch und Lasisch auch auf einer Armenisch, Mingrelisch und anderen Sprachen der Schwarzmeerregion. Er war in der gesamten Türkei und in Georgien sehr populär und trug viel zu Bekanntheit der lasischen Volksgruppe und Sprache bei.

Ein erster politischer Vorstoß war die Forderung des lasischen Politikers Dr. Mehmet Bekâroğlu, nach lasischsprachigen Medien. Bekâroğlu, Mitglied der Glückseeligkeitspartei (FP), verlangte 2004 in einem Schreiben an die nationale türkische Rundfunk- und Fernsehgesellschaft TRT die Ausstrahlung von Radio- und TV- Programmen auf lasisch. Seine Forderung wurde jedoch ignoriert. Ihm folgte noch im selben Jahr eine Gruppe lasischer Intellektueller, die in einer Petition ebenfalls Übertragungen auf lasisch forderten. Bei einem Treffen mit Verantwortlichen von TRT übergaben sie die Petition, doch auch ihre Bemühungen blieben ohne Ergebnis.

Im Gegenteil, im folgenden Jahr sorgte ein anderer bekannter lasischer Musiker, Birol Topaloğlu, für Aufsehen, als er das Staatsfernsehen TRT beschuldigte, ihm bei einem Auftritt Lieder mit lasischen Texten und begleitet von traditionellen Instrumenten untersagt zu haben. Topaloğlu setzt sich seit Ende der 90er Jahre für den Erhalt der lasischen Kultur ein, indem er durch die Dörfer der Region zieht und traditionelle Lieder und Geschichten sammelt und in seiner Musik verwendet, um so ihren Fortbestand zu sichern. Er kritisierte in der Folge des beinahe geplatzten Auftrittes, dass es eigentlich Aufgabe des Staates sei, sich aller im Land vorhandenen Kulturen anzunehmen und die kulturelle Vielfalt zu fördern.

Doch die vielen lasischen Aktivisten, die sich für die Anerkennung und Wahrung ihrer Kultur einsetzen, ließen sich von derartigen Widerständen nicht vom Ziel abbringen. Ihr bisher größter Erfolg war die Gründung des "Lasischen Kulturvereins". Anfang des Jahres 2008 gegründet, stellt er die erste kulturelle Organisation der lasischen Bevölkerungsgruppe in der Türkei dar. Der Verein gibt selbst stolz an, die erste Organisation weltweit zu sein, die den Begriff "lasisch" im Namen führt. Der im Istanbuler Stadtteil Kadiköy ansässige Verein hat es sich besonders zum Ziel gesetzt, die Lücke zwischen den Generationen zu schließen und dafür Sorge zu tragen, dass das Wissen um die lasische Kultur, Geschichte und vor allem Sprache, das bei vielen älteren Menschen noch vorhanden ist, an kommende Generationen weiterzugeben. Der Verein veröffentlicht ein teils in Lasisch und teils in Türkisch gehaltenes Magazin "Skani nena" und besitzt eine ebenfalls zweisprachige Webpräsenz. Die Zweisprachigkeit trägt nicht nur bestehenden Gesetzen und der nach wie vor nicht ganz unproblematischen Situation von Minderheitensprachen in der Öffentlichkeit Rechnung, sondern soll auch jüngeren Interessierten, die das Lasische oft nicht ausreichend beherrschen, den Einstieg in die Thematik zu erleichtern.

Doch die Bemühungen des Vereins zielen nicht nur darauf ab, Lasen über ihre Kultur zu informieren und für deren Erhalt zu begeistern. Der gesamten türkischen Gesellschaft und langfristig der Welt soll veranschaulicht werden – so der Wortlaut in der ersten Ausgabe von Skani nena – "wer die Lasen sind, und wer sie nicht sind". Konkret bedeutet das, mit seit langer Zeit bestehenden falschen Vorstellungen aufzuräumen, die etwa Lazuri mal als türkischen und mal ebenso fälschlich als griechischen Dialekt verorten. Auch soll die Wahrnehmung der Lasen durch die Mehrheitsgesellschaft positiv beeinflusst werden. Die nahezu ausschließlich dörflich- landwirtschaftliche Prägung und lange kaum vorhandene Infrastruktur ihrer Region haben dazu geführt, dass die Lasen und vor allem ihre Sprache mit Rückständigkeit und mangelndem wirtschaftlichem Erfolg assoziiert werden. Nach wie vor sind die Lasen auch Gegenstand meist wenig schmeichelhafter Witze. Tatsachen, die dazu führen, das vor allem junge Lasen zuweilen zögern, sich selbst als solche zu bezeichnen, geschweige denn, sich mit ihrer Kultur zu beschäftigen. Darum wollen der Lasische Kulturverein und seine Unterstützer dafür arbeiten, dass die lasische Kultur in ihrer ganzen Vielfalt wahrgenommen wird und dafür, dass die Anliegen der Lasen in der Öffentlichkeit als ebenso berechtigt angesehen und ebenso ernsthaft behandelt werden, wie die anderer Bevölkerungsgruppen.

Wenn dies Gelänge, könnte es den Weg bereiten für lange angestrebte Präsenz in den Medien und somit der Gleichstellung mit anderen Minderheitensprachen, die diesen Schritt bereits geschafft haben. Eine solche Anerkennung könnte für viele Lasen neue Motivation bedeuten, sich mit ihrer Sprache und Kultur auseinander zu setzten und diese so vor dem drohenden aussterben zu bewahren.

Gekürzt erschienen in bedrohte völker_pogrom 256/257, 5/6/2009